Mit einem Opener wie „Babylon’s burning“ kann ja eigentlich schon nichts mehr schiefgehen. Aber nicht nur er macht „The Crack“ zu dem Dub-Punk-Klassiker schlechthin. Neben der auch auf Albumlänge gesehen musikalisch frischen Mischung haben nicht zuletzt die Texte hier einen wesentlichen Teil zum (Nischen-)Kultstatus beigetragen. Zum einem geht es inhaltlich von Polizeiwillkür wie in „Jah war“ rund um die Anti-Nationalfront-Demo 1979, bei der MISTY IN ROOTS-Mitglied Clarence Baker eine schwere Kopfverletzung durch Polizeigewalt davontrug. Oder „S.U.S.“, benannt nach einem berüchtigten Abschnitt des Vagrancy Act 1824, der willkürliche Polizeikontrollen und Verhaftungen erlaubte. Zudem geht es um die ständige Bedrohung durch einen atomaren Erstschlag („It was cold“) bis hin zur Verflechtung von Drogenkartellen und Diktaturen mit der Politik („Dope for guns“) und Rassismus („Out of order“). Aber auch zeitgenössische szeneinterne Themen bekommen hier eine Bühne, wie sinnlose Gewalt („Something that I said“), Szenepolizei/toxische Freundschaften („You’re just a ...“, „Savage circle“, „Human punk“), kriminelle Umtriebe („Criminal mind“), harte Drogen („Backbiter“). Es war eine Art düsterer Jahresrückblick aus der Perspektive eines Londoner Punks.
Von all dem findet sich auf dem Frontcover auf den ersten Blick wenig. Gestalterisch irgendwo zwischen Art déco und Neue Sachlichkeit angesiedelt, wirkt das Bild dank fehlender Grüntöne seltsam künstlich und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als unterschwellig selbstironisch stichelndes Schmuckstück. Gezeigt wird eine dekadent-illustre Yuppie-Partygesellschaft in einem neoklassizistischen Raum mit Kronleuchter und Queen-Porträt. Um die auf einem roten Sofa zentral positionierte Band versammeln sich im Uhrzeigersinn (angefangen auf 12 Uhr) unter anderem Keith Richards, Rat Scabies und Captain Sensible (beide THE DAMNED), ROLLING STONES-Drummer Charlie Watts, Jimi Hendrix, Jimmy Pursey (SHAM 69), Dave Ruffys Hund Old Pew Bah, John Lydon (SEX PISTOLS, PiL), Fernsehmoderator und Astronom Patrick Moore, John Peel, Virgin-CEO Simon Draper, RUTS-Roadie Mannah, Produzent Mick Glossop und die beiden Komiker Peter Cook und Dudley Moore. RUTS-Drummer Ruffy studiert eine Ausgabe von Exchange & Mart, einer Zeitung mit Kleinanzeigen für Neu- und Gebrauchtwagen – ein angehender Rockstar braucht schließlich ein dem Status angemessenes Auto. Und auch alle anderen Anwesenden frönen ihren Süchten: Alkohol, Kaffee, junge Frauen, Zigaretten, Kartenspiel, Schokolade. Bei jeder Betrachtung kann man sich sicher sein, grinsend ein neues Detail zu entdecken.
An die Entstehung des Gemäldes (das man sich definitiv im LP-Format zulegen sollte) erinnert sich Ruffy nur noch vage: „[John H. Howard] hat einen Riesen [1.000 Pfund] dafür bekommen, was damals richtig viel Geld war. Er fragte: ‚Wen wollt ihr drin haben?‘ Wir wollten eine Menge verschiedener Persönlichkeiten und überließen ihm dann den Rest“. Künstler Howard selbst liefert eine etwas kuriosere Anekdote: „Ich war neu im Geschäft und als ich mit dem vier Fuß [ca. 1,20 m] großen, quadratischen Gemälde im Virgin-Büro aufgetaucht bin, nachdem ich mich damit durch das schmale Treppenhaus gekämpft hatte, platzten alle vor Lachen ...“
Das riesige Original befindet sich inzwischen übrigens im Besitz von Henry Rollins, bekennender RUTS-Fan und für eine Reunion anlässlich der Krebserkrankung des Gründungsmitglieds Paul Fox 2007 kurzfristig auch Ersatz-RUTS-Frontmann.
Warum „The Crack“, im Gegensatz zu „London Calling“ beispielsweise, trotz Majordeal, auf lange Sicht nicht Teil des musikgeschichtlichen Allgemeinguts geworden ist? Weiß man nicht so genau. Es hätte es eigentlich verdient. Ihr Debüt sollte jedenfalls gleichzeitig auch ihr einziges echtes Album bleiben. Nachdem RUTS-Frontmann Malcolm Owen im Juli 1980 infolge einer Überdosis Heroin starb, schob Virgin Ende 1980 zwar noch eine Kompilation aus Singles, Live-Aufnahmen und B-Seiten mit dem bezeichnenden Titel „Grin + Bear It“ nach, die RUTS gab es zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr. Der Rest der Band machte als RUTS D.C. weiter, die sich 1983 schließlich auch auflösten. Von den Gründungsmitgliedern sind seit der RUTS D.C.-Reunion 2007 nur noch David Ruffy und John „Segs“ Jennings aktiv.