Sämtliche Alben, Singles und B-Seiten, Demos und diverses andere unveröffentlichte Material aus den Jahren 1978 bis 2013 auf 33 CDs, verpackt in elf im Trashlook von Arzt- bis Bastei-Westergroschenroman aufgemachten Mediabooks. Alles richtig gemacht, möchte man meinen. Nein, meckern Sammler: Abgeschnittene oder leiernde Tracks, durchwachsenes Mastering, diskussionswürdige Trackauswahl (Dubletten, fehlende Songs) und überhaupt und sowieso wird am offiziellen DIE ÄRZTE-Gesamtwerk „Seitenhirsch“ bemängelt. Soll vielleicht auch so? Wenn man sich durch ein Archiv arbeitet, darf man schließlich auch nicht nur mit Material im Bestzustand rechnen. Aber egal, quasi das Gegenteil dieser Monsterbox ist die Kompilation „Ab 18“. Gezielt provokativ aus sieben indizierten oder in irgendeiner anderen Form im bürgerlichen Milieu angeeckten Tracks aus ihrem bisherigen Schaffen zusammengestellt, landete „Ab 18“ erwartungsgemäß schon im Erscheinungsjahr 1987 auf dem Index. Und wurde, weniger erwartungsgemäß, tatsächlich 25 Jahre später – „Geschwisterliebe“ sei Dank – folgeindiziert. Immerhin: Die Indizierung der Schallplattenhülle wurde 2012 aufgehoben. Viel zu indizieren gab es da eigentlich auch nicht: Der nahezu seitenfüllende Albumtitel „Ab 18“ ziert ein komplett schwarz gehaltenes Frontcover, darüber der Bandname, links in der Ecke der Hinweis „Achtung! Verkauf nur an Jugendliche ab 18“ (haha). Stein des Anstoßes für die Sittenwächter dürfte neben einer Collage aus Behördenschreiben zu vorangegangenen Indizierungen einzelner Lieder auch die gefesselte Gwendoline auf dem Albumartwork gewesen sein. Die von Fetischfotograf und Bondagekünstler John Willie in den Vierzigern geschaffene (Comic-)Figur war ursprünglich als knapp bekleidete, üppig bestückte Blondine, deren Handeln immer auf ihre Fesselung hinausläuft, Akteurin in diversen englischsprachigen Pin-up-Girl-Magazinen und avancierte im Laufe der Zeit zu einer Ikone der BDSM-Szene. Was DIE ÄRZTE in dem auf der EP enthaltenen „Sweet sweet Gwendoline“ gewohnt schwarzhumorig würdigen. John Willies 1974 auf Deutsch veröffentlichten gesammelten Gwendoline-Strips „Die Abenteuer der Sweet Gwendoline“ wurden vermutlich als Nachwehe des durch das Album ausgelösten Bekanntheitsschubs 1989 ebenfalls indiziert (und 2014 folgeindiziert). Willie hat von alledem ohnehin nichts mehr mitbekommen, er war bereits 1962 an den Folgen eines Hirntumors verstorben. Schwarwel, von 1993 bis 2012 für nahezu alle DIE ÄRZTE-Artworks verantwortlich, baute Gwendoline ab 1993 mit seiner Skelettversion zu einer Art Markenzeichen der Band aus, das, mal mehr, mal weniger prominent, noch viele weitere Albencover schmücken durfte, nach dem Ausscheiden Schwarwels aus dem DIE ÄRZTE-Team 2012 aber fast vollständig von der Bildfläche verschwunden ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #153 Dezember/Januar 2020 und Anke Kalau