CITIZEN FISH

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Ska-Punk als Mittler zwischen Spaß und Politik

Über 20 Jahre bereits sind Sänger Dick Lucas und seine Mannen als CITIZEN FISH unterwegs. Dicks Vorgängerbands, neben der unterschätzten Dub-Punk-Band CULTURE SHOCK die wiederbelebten SUBHUMANS, sind musikalisch einzigartig. CITIZEN FISH hingegen war für mich schon immer eine Fusion beider Bands, hier werden Ska und Punk mit politischen Aussagen gekonnt vermengt. Während Ende der Neunziger die meisten Ska-Punkbands wieder verschwanden, hielten sich CITIZEN FISH, ohne irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. Nachdem nun Dick mit CITIZEN FISH und den SUBHUMANS eine umfangreiche Tournee in den USA absolviert hat – leider waren CITIZEN FISH nur auf zwei großen Punkrock-Festivals in Deutschland zu sehen –, schaufelte er etwas Zeit frei, um mir meine Fragen auf schriftlichem Wege zu beantworten. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch gerne an die persönliche Begegnung mit Dick 1999 in der Alten Mälzerei in Regensburg, als wir uns das erste Mal trafen. An dieses Interview möchte ich nun anlässlich des neuen Albums „Goods“, im Frühjahr 2011 auf Alternative Tentacles erschienen, anknüpfen, und verweise daher auf das Ox-Online-Archiv, in dem sich übrigens auch ein Interview mit Dick aus dem Jahre 2007 über die SUBHUMANS findet.

Dick, vom 2007 veröffentlichtem Split-Album „Deadline“ mit LEFTÖVER CRACK mal abgesehen, sind zwischen „Life Size“ und „Goods“ jetzt fast zehn Jahre vergangen. Was ist in all der Zeit passiert?

Außer einigen Hundert Gigs hatten wir auch noch eine unvergessliche USA-Tour mit LEFTÖVER CRACK. Phil zog irgendwann für einige Jahre nach Spanien, das schränkte natürlich unsere Auftrittsmöglichkeiten ein und erschwerte das Proben. Folglich kam es deshalb auch in dieser Zeit zu keinen weiteren Aufnahmen. Trotsky schied 2006 aus der Band aus, weil er Vater wurde und für zwei Bands gleichzeitig, CITIZEN FISH und die SUBHUMANS, keine Zeit mehr hatte. Er spielt aber nach wie vor Schlagzeug bei den SUBHUMANS. Nach der Reformierung der Band 1998 drehte sich zwei, drei Jahre alles intensiver um die SUBHUMANS. Mittlerweile hält sich das aber wieder die Waage. Wir sind halt alle älter geworden und es ist in unserem Leben viel passiert, was wir den Aktivitäten unserer Bands anpassen müssen. Die Entscheidung, Silas, einen langjährig befreundeten Schlagzeuger, mit dem Jasper und ich ein Haus bewohnten, zu fragen, fiel ziemlich leicht. Jasper hat einen drei Jahre alten Jungen adoptiert und hat hier eine verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen. Phil hat geheiratet. Wir sind älter geworden und es ist mehr in unserem Leben hinzu gekommen, was wir um die Bands herum anpassen müssen. Matt, unser Posaunist, hat im letzten Jahr seinen Job gekündigt und ist seitdem das fünfte feste Mitglied, nachdem er uns ja bereits bei den Aufnahmen für „Deadline“ und auch immer wieder mal auf der Bühne unterstützt hat. Alex hat uns vor allem in den Neunzigern live ausgeholfen, wenn wir gemeinsam mit seiner Band BENDER unterwegs waren. Neben „Goods“ ist er auch auf „Flinch“ zu hören.

Du bist ja schon über 30 Jahre in Sachen Punkrock unterwegs, was bedeutet dir das?

Ja, verrückt, wie schnell die Zeit vergeht ... Punk bedeutet mir damals wie heute, auf vielfältige Weise Aufregendes und Gefühle aufzunehmen und auszudrücken. Alte Freunde sind jetzt ältere Freunde. Viele sind heute als Lehrer, Tiefseetaucher, Landwirt, Archäologe oder was auch immer tätig. Keiner von ihnen hat Punk dabei aufgegeben. Sie haben verinnerlicht, was sie zu Punks machte, und das hat ihre Entwicklung beeinflusst. Auch wenn die wenigsten von ihnen vor 30 Jahren daran gedacht hätten, je verheiratet zu sein oder Kinder zu haben, denen sie heute ihre Einstellung vermitteln.

Punk hat für mich, je älter ich werde, immer mehr mit ethischer Verantwortung zu tun. Im Stück „How far does it go?“ sprichst du auch etwas selbstkritisch von einer „dead romantic situation“, so wie sie gerne zelebriert wird.

Um das ins rechte Licht zu rücken, müssen wir uns daran erinnern, dass Punk grundsätzlich musikalische Unterhaltung ist. Alle Musikszenen, welcher Richtung auch immer, muss man in Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum sehen. Was den einen zu Höchstleistungen antreibt, kann für den anderen den Untergang bedeuten. Punk unterscheidet sich davon durch seine Intensität und seine direkte Art. Das war auch der Grund, warum die Medien Punk anfänglich immer mit Gewalt in Verbindung brachten. Andererseits wurde extremer Punk durch alles „inspiriert“, was die Grenzen der Normalität überschritt. Die Szene hingegen entwickelte parallel dazu eine Art Selbstschutz, in dem sie die vorhandenen Spielräume nutzte, um ihre Meinung in Form von sozialpolitischen und anarchistischen Liedern, Flugblättern und Zeitschriften zu verbreiten. Die kraftvollen Entwicklungen dieser Zeit beeinflussen die Bewegung damals wie heute. Und das ist auch der Grund, warum ich immer noch dabei bin.

Inwiefern ist das Internet heutzutage für eure Arbeit als D.I.Y.-Band Fluch oder Segen?

Ganz ehrlich, man musste mich förmlich vor den Rechner zerren. Briefe haben für mich heute noch einen größeren persönlicheren Wert als E-Mails. Und sind E-Mails wirklich so viel schneller? Es mag ja sein, dass ein Tourposter via MySpace oder Facebook eine gewisse Zielgruppe erreichen kann, aber mit einem Flyer habe ich Leute definitiv eher gewinnen können. Ohne Zweifel gelingt es einigen bislang kaum beachteten Leuten, durch das Internet Gehör zu finden und bestimmte Fakten aufzudecken. Das führt manchmal sogar so weit, dass die Leute ihre Wut auf die Straße tragen und Revolutionen starten, wie beispielsweise in Ägypten. Aber insgesamt stehe ich allem, was irgendwie mit einem Bildschirm und Internet zusammenhängt, skeptisch gegenüber. Neueste Studien beweisen, dass Jugendliche, die sich viel in der digitalen Welt aufhalten, Defizite im Sozialverhalten und in der Kommunikation aufweisen. Der Wortschatz verringert sich, auf Rechtschreibung wird kein Wert gelegt, die Menschen beginnen zu sprechen, wie sie schreiben, sofern sie überhaupt noch miteinander reden. Vorsicht beim Umgang mit den falschen Göttern der Technologie!

CITIZEN FISH sind eine der wenigen aktiven Bands in Sachen Ska-Punk, viele Namen dieses Genres sind längst Geschichte und das Interesse an dieser Musik ist in Punk- wie in Ska-Kreisen erkennbar geschrumpft. Auch auf „Goods“ seid ihr euch treu geblieben und präsentiert eine Platte fernab irgendwelcher Trends.

Einem ernsten Stück etwas Spaß zu verleihen, ist meiner Meinung nach der einfachste und beste Weg, und beim Ska-Punk kann ich beides vereinen. Es überrascht mich immer wieder, dass die meisten Punks aus den Achtzigern nicht Ska und Punk hören, obwohl doch durch 2Tone beide Musikstile damals gleichrangig populär waren. Aber wer sich eine frische Ska-Punkband anhören möchte, dem empfehle ich LA PLEBE aus San Francisco, die einen unglaublich frischen Mix aus Ska-Punk und mexikanischen Einflüssen spielen.

Ich bin überrascht, wie viel abwechslungsreicher und doch geradliniger „Goods“ geworden ist. Auffällig ist, dass die Bläser einen ziemlichen großen Raum einnehmen. Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Die meisten Stücke schrieben wir in den den letzten vier Monaten, bevor wir mit den Aufnahmen im November anfingen. Matt war in diesem Prozess eine echte Bereicherung für uns. Die Stücke, ja der ganze Sound sind durch seine Ideen viel kräftiger geworden. Matt ist in Sachen Energie und Kreativität für uns wie eine Frischzellenkur. Mit „Goods“ sind wir förmlich über uns hinausgewachsen.

Abschließend bitte noch ein paar Worte zu einigen Stücken: „Shelf life“ ...

„Shelf life“ ist ein gelungener Einstieg in die Platte, kurz und bissig, der dich immer und immer wieder daran erinnern soll, dass du das bist, was du kaufst und konsumierst.

„Free speech“ ...

Es geht darin um die Verbreitung von Werbung und die Rückentwicklung der Menschlichkeit, seit „wir“ das Fernsehen für uns entdeckt haben.

„Better“ ...

„Better“ richtet sich gegen das Gesetz, welches Firmen verbietet, Werbung im unmittelbaren Vergleich mit einem konkurrierendem Produkt einer anderen Firma zu betreiben und es als „besser als ...“ darzustellen. Stattdessen aber darf man, ohne gesetzlich belangt zu werden, einfach mal so behaupten, mein Produkt sei das beste auf dem Markt.

„How far does it go?“ ...

„How far does it go?“ ist eine Reaktion auf meinen Schock, dass es einmal auf unseren Konzerten zu einer Schlägerei kam, dass der alte Mist von früher auf einmal wieder so präsent war. Wie viele Jahre war es her, dass Gewalt auf den Konzerten ein Problem darstellte? Und jetzt werden Leute erstochen. Diese Gefühlskälte ließ mich am Punkrock zweifeln.

„Fearless“ ...

„Fearless“ handelt von der Kombination aus Wut und Spaß. Solange du dabei tanzen kannst, während du „Let’s get angry, let’s get mad“ singst, gibt es Hoffnung, dass sich auch Dinge ändern können.

„Spotless“ ...

Wenn die Sauberkeit den gleichen Stellenwert wie Gott bekommt, es aber keinen Gott gibt, ist die Hygiene unsere neue Religion. Der Gedanke, dass wir alle einmal unsere Einzigartigkeit aufgeben und gleich riechen werden, macht mir Angst.