CHISEL

Foto© by Nick Suchak

Bier, Fußball, Bratwurst, Pommes, Fitnessstudio!

THE CHISEL veröffentlichen im Februar 2024 mit „What A F*cking Nightmare“ ihr zweites Album. In Great Britain gilt die Band längst als einer der Gründe, warum Oi! und Streetpunk wieder ein größeres Publikum anzieht. 2020 erschienen erste Kleinformate auf dem ebenfalls in London ansässigen La Vida Es Un Mus-Label, und 2021 ebenfalls dort das Debütalbum „Retaliation“, mit dem die Band die Aufmerksamkeit von Pure Noise Records erregte. Im Mai 2023 kam dort die Neuauflage des Debüts, dem nun der zweite Longplayer folgt. Wir sprachen mit Sänger Cal Graham über das neue Album und darüber, was ihn antreibt, einer kaputten Welt zu trotzen.

Ich habe festgestellt, dass es Leute gibt, die THE CHISEL noch nicht kennen. Wann und wo hat alles angefangen? Wer war damals in der Band, wer ist jetzt dabei?

Die Geschichte von THE CHISEL beginnt an einem kalten Winterabend Ende 2019. Unser Gitarrist Charlie Manning Walker, Drummer Nick Sarnells und ich kamen durch unsere Liebe zu Punk und Oi! zusammen und beschlossen, dass wir zusammen eine Band gründen wollten. Einige der Bands, in denen die Jungs spielten, lösten sich gerade auf, also dachten wir, das sei die perfekte Gelegenheit, also rekrutierten wir Tom Ellis für den Bass und Luke Younger für die Gitarre. Wir nahmen die 7“ „Deconstructive Surgery“ auf und tourten ein bisschen, brachten ein paar EPs heraus, veröffentlichten die LP „Retaliation“ und trennten uns dann von Nick und Tom, als es mit der Band etwas ernster wurde. Wir holten Momo an den Bass und Lee Munday als Drummer dazu, die heute neben Charlie, Luke und mir das Line-up bilden.

Ich habe euch 2023 auf dem Rebellion gesehen und eure Show war unglaublich. Was waren deine Eindrücke von dem Festival?
Ich ging schon zum Rebellion, als es noch Holidays In The Sun hieß, und ich hatte immer viel Spaß, auch dieses Mal. Es gibt immer viele Bands zu sehen und was zu tun – es ist ein großartiges Wochenende und als Blackpooler ist es eine Ehre, dort zu spielen. Es war das zweite Mal für uns und es war ein sehr emotionaler Moment, zu so einer guten Zeit auf einer großen Bühne zu spielen. Mein kleiner Bruder war auch im Publikum, was es noch besser machte. Ich bin froh, dass dir der Gig gefallen hat, denn ich war ziemlich fertig danach.

In allerletzter Sekunde kamen beim Rebellion 2023 COCK SPARRER ins Programm. Weißt du noch, wie du COCK SPARRER kennen gelernt hast? Sie haben gerade für 2024 ihr letztes Album angekündigt ... Was sagst du dazu?
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich COCK SPARRER erstmals getroffen habe, aber sie gehören zu meinem Leben, so lange ich denken kann. „Shock Troops“ ist natürlich der wichtigste Klassiker, aber auch „Running Riot In ’84“ hat einen großen Platz in meinem Herzen. Wir hatten das Glück, ein paar Mal mit ihnen zu spielen, und das werden wir 2024 wieder tun. Und das neue Album? Alle Macht den Jungs, sie haben noch nie eine schlechte Platte veröffentlicht.

Es gibt Leute, die sagen, dass in euren Adern eine Menge COCK SPARRER-Blut fließt ...
Bei THE CHISEL? Wir lieben sie, sie sind auf jeden Fall ein Einfluss und der Vergleich mit COCK SPARRER ist eine Ehre und ein Beweis für das reiche Erbe des Punkrock. Wir sind stolz darauf, dass sie unsere musikalische Identität geprägt haben.

Irgendwo wurdet ihr als so etwas wie ein Vorbild für den zeitgenössischen Oi!-Punk bezeichnet. Was haltet ihr davon ... und wie würdet ihr euren Stil beschreiben? Welche Bands haben euren Sound geprägt?
Wie ich mich dabei fühle? Ich bin kein Fan von Vorbildern und verstehe nicht wirklich, warum wir als solche eingestuft werden, aber das ist schon in Ordnung, ich weiß es zu schätzen. Was den Stil angeht, würde ich sagen, dass es sich bei uns um eine Punkband handelt, die Einflüsse von Bands nutzt, die sie liebt, ohne viel darüber nachzudenken, was von ihr erwartet wird. Unser Sound orientiert sich an den üblichen Verdächtigen, außer COCK SPARRER sind das ANGELIC UPSTARTS, AGNOSTIC FRONT, THE BUSINESS, RED ALERT, PARTISANS, EXPLOITED, ein bisschen auch CONFLICT, STRAIGHT AHEAD und UK SUBS.

Anfang 2023 verkündete ein Journalist in einem Artikel im Guardian ein Oi!-Revival mit Bands wie CROWN COURT, GRADE 2, CHUBBY AND THE GANG ... und euch. Hat er recht?
Ich glaube, die Leute sind wieder ein bisschen offener dafür, wie schon lange nicht mehr. Die Musik hat sich nicht wirklich verändert, das hat also nicht zu dem Revival geführt, sondern es gibt einfach immer mehr Punks, Hardcore-Kids und sonstige Leute, die sich für diese Art von Bands interessieren. Ja, die Szene gab es schon immer, aber das allgemeine Interesse und die Akzeptanz nehmen zu und diese gesteigerte Aufmerksamkeit wird positiv gesehen, denn sie bringt neue Energie in die Szene.

Euer zweites Album „What A F*cking Nightmare“ erscheint dieser Tag. Was wollt ihr damit erreichen, was ist die Idee?
Wir hatten keine wirklichen Ziele vor Augen, aber wir wollten es so gut wie möglich machen und damit so viele Leute wie möglich ansprechen. Musikalisch ist es dem vorherigen Album sehr ähnlich, aber ich habe vielleicht etwas mehr über die Texte nachgedacht. Es war eine lange, mühsame Arbeit, das Album aufzunehmen, aber wir könnten nicht zufriedener mit dem Ergebnis sein. Wir wollten, dass die harten Songs härter, die melodischen Songs melodischer und die schnellen Songs schneller werden, und alles drei haben wir erreicht.

Ihr seid jetzt bei einem größeren Label, bei Pure Noise, das euch helfen sollte, weltweite Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie ist das passiert? Im Gegensatz zu euren früheren Labels Mendeku Diskak und La Vida Es Un Mus haben sie keine große Erfahrung mit Sachen Oi! und Streetpunk.
Sie sind nach „Retaliation“ auf uns zugekommen und haben uns eingeladen, Teil ihres Rosters zu werden, und wir haben uns entschieden zuzusagen. Pure Noise Records hat unseren Sound durch seine globale Plattform in das Bewusstsein eines breiteren Publikums katapultiert und unsere Reichweite über die traditionellen Bereiche von Oi! und Streetpunk hinaus erweitert. Überraschenderweise blieb die Essenz unserer Musik unverändert, unberührt von der Veränderung der Label-Dynamik. Die Authentizität und der unnachgiebige Geist unserer Band finden weiterhin Anklang und bewiesen, dass es die Band und die Musik sind, auf die die Leute Bock haben, unabhängig von der Art des Labels. Ja, es hat uns sehr geholfen, unser Material nun einem breiteren Publikum nahebringen zu können, aber wir haben unseren Ansatz nicht geändert. In der Oi!- und Streetpunk-Szene scheint es trotz des Labelwechsels gut zu laufen, also denke ich, dass die Band das ist, was die Leute wollen, und das ist der richtige Weg.

Wie war die Studio-Zusammenarbeit mit James Atkinson und Jonah Falco?
Das war etwas ganz Besonderes. Es war ein wichtiges Kapitel in der kreativen Reise unserer Band. Die Dynamik zwischen diesen beiden talentierten Persönlichkeiten hat einen nachhaltigen Eindruck in unserer Musik hinterlassen und das Beste aus unserem Sound und unserem künstlerischen Ausdruck herausgeholt. Jonah war als Produzent ein wesentlicher Bestandteil unserer musikalischen Entwicklung. Da wir mit ihm schon bei allen vorherigen Alben zusammengearbeitet haben, hat er unsere Songs immer wieder aufgewertet und dem Sound mehr Tiefe und Struktur verliehen. Sein Engagement, die Essenz unserer Musik einzufangen, war entscheidend für den Erfolg unserer bisherigen Veröffentlichungen. Atko ist unser Mixer und trug mit seinem Fachwissen viel zu „Retaliation“ und dem Rest unserer Diskografie bei. Dank seiner Fähigkeit, die verschiedenen Elemente auszubalancieren und genau abzustimmen, konnten wir unseren Zuhörern ein ausgefeiltes und beeindruckendes Erlebnis bieten. Letztes Jahr erreichte die Zusammenarbeit einen neuen Höhepunkt, als wir das Privileg hatten, in Atkos Studio aufzunehmen, was Atkinson und Falco in einer kreativen Umgebung zusammenbrachte. Ihre Synergie und die gemeinsame Vision, die diese Sessions durchdrangen, verliehen unserer Musik eine einzigartige Dimension.

Cal, du beschreibst die Essenz deiner Texte auf dem neuen Album in einem Interview mit den Worten: „Es geht um Schwachköpfe, Leute aus der Arbeiterklasse, Leute verprügeln, verprügelt werden ...“ Kannst du das näher erläutern? Worum geht es in den Texten?
Das muss man nicht weiter ausführen, denn darauf beziehen sich die meisten unserer Texte. Es ist einfach Musik, die auf den Punkt kommt, keine Spielereien. Unsere Texte sind ehrlich, wir schrecken auch vor den harten Seiten des Lebens nicht zurück. Unsere Musik ist ein schnörkelloser, direkt auf den Punkt gebrachter Ausdruck dieser Erfahrungen. Wir wollen, dass sich unser Publikum damit identifizieren kann und in den Texten ein Spiegelbild des eigenen Lebens erkennt. Es geht darum, sich den Herausforderungen zu stellen und die Widerstandsfähigkeit der Arbeiterklasse zu feiern. In einer komplexen Welt, die oft voller Ablenkungen ist, ist es unser Ziel, ein musikalisches Erlebnis zu bieten, das den Alltagslärm durchbricht und die Kämpfe und Siege des Lebens authentisch und nachvollziehbar wiedergibt.

„Anger is an energy“, schrie einst ein anderer britischer Punk-Sänger. Was treibt dich an?
Bier, Fußball, Bratwurst, Pommes, Fitnessstudio.

Ihr seid noch eine – glaube ich – relativ junge, sehr aktive und produktive Band. Wie schafft ihr es, so viel Zeit und Energie in eure Band zu stecken? Und was ist der Plan – die meiste Zeit des Jahres auf Tour zu sein?
Wir sind nicht mehr ganz so jung, haha, wir sind alle in den Dreißigern, einige gehen auf die vierzig zu. Keiner von uns musste viel aufgeben, aber wir mussten einen großen Teil unserer Zeit dafür aufwenden. Wir arbeiten alle Vollzeit, also wird jeder Urlaubstag genutzt, um auf Tour zu gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jemals eine Band werden, die nur vom Touren lebt. Wir sind alle zu alt und ich würde meine Couch und meinen Fernseher zu sehr vermissen, außerdem lässt sich mit der Musik kein Geld verdienen!

In der deutschen Punk-Szene spielen die gegenseitige Fürsorge und die Einrichtung geschützter Räume für Menschen, die potenziell von sexuellen Übergriffen betroffen sind, eine immer wichtigere Rolle. Ist das auch in Großbritannien ein Thema? Und was tust du, um sicherzustellen, dass sich alle bei euren Shows sicher und wohl fühlen?
Das Schaffen eines sicheren und inklusiven Umfelds und die Gewährleistung der Sicherheit und des Wohlbefindens aller Besucher unserer Shows hat für uns oberste Priorität. Wir setzen uns dafür ein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Besucherinnen und Besucher Spaß haben können, ohne Angst vor sexuellen Übergriffen oder Belästigungen zu haben. Wir wollen, dass unsere Auftritte Orte sind, an denen Menschen zusammenkommen können, um die Freude an der Musik und der Gemeinschaft zu teilen. Wenn wir auf ein Problem aufmerksam gemacht werden, werden wir etwas dagegen unternehmen. Wir wollen sicherstellen, dass jedem, der meint, dass übergriffiges Verhalten akzeptabel sei, konsequent begegnet wird.

Um auf euren Albumtitel „What A F*cking Nightmare“ zurückzukommen ... was sind eure größten Albträume, Ängste, Sorgen im Moment?
Die Welt ist am Arsch. Da geht es nicht mehr um die Furcht davor, dass all der Scheiß eintreten wird, weil wir es schon erleben. Wir können tun, was wir wollen, nichts wird besser werden. Wir müssen uns einfach so gut wie möglich damit arrangieren.

Wer hat das großartige Coverartwork des Album gestaltet ... und was ist die Idee dahinter?
Ein Künstler namens Pablo Gallo – auf Instagram: @pablogallooo – hat es gestaltet. Paco von La Vida Es Un Mus war so freundlich, den Kontakt zu vermitteln, und Pablo hat auf den Punkt getroffen, was wir sagen und vermitteln wollten. Im Grunde wollten wir einfach ein Szenario, das wie ein verdammter Albtraum aussieht, ein Ort oder eine unangenehme Situation, in der man sich befindet.

Sonst noch etwas?
Danke für das Interview, mir haben die Fragen gefallen. Wir kommen im März mit MADBALL, SCOWL, SUNAMI und MINDWAR wieder nach Deutschland. Let’s go, baby!