An einer musikhistorischen Frage scheiden sich die Geister von Musikjournalisten, Fans und Fanziner auf ewig: Ist nun die erste, die zweite oder die dritte LP entscheidend für die Bedeutung einer Band? Im Fall der Südberliner Punkband CERESIT 81 erübrigt sich diese Frage jedoch schon in Gänze. Denn sie brachten „nur“ die eine LP an den Start. Aber was für eine! „Three Gallows“ setzte 1985 neue Maßstäbe in Sachen Schärfe und Härte, gepaart mit Keyboards, fast zeitgleich mit RAZZIA übrigens, oder eben sogar noch vor den Hamburgern. Sänger und Gitarrist Marcel sprach mit mir über die alten, unvergesslichen Tage.
Wann seid ihr mit Punk so konkret in Verbindung gekommen, dass ihr gesagt habt: „Jetzt gründen wir auch eine Band“?
Die Bandgründung war gefühlt im Dezember 1981, da war ich ja als 67er-Jahrgang 14 Jahre alt. Wir waren im Endeffekt alle auf einer Schule, also ich, Marcus und Daniel. Dann kam ein neuer Drummer hinzu und Susi als Gitarristin. Des Weiteren gab es ja noch eine Verbindung zu BLECHREIZ.
Deshalb habt ihr auch Prüfer von BLECHREIZ auf der Platte gegrüßt?
Prüfer ist einer der Sänger von BLECHREIZ und Marcus Renner, der auch Sänger dort war, war ja unser Keyboarder.
Mit Marcus und Bassist Daniel bist du ja noch in Kontakt, wie ich hörte. Was ist aus Sven, dem zweiten Gitarristen, und Drummer Ralf geworden?
Ralf hat irgendwann an der TU gearbeitet, mit Computern, zu Sven habe ich keinen Kontakt mehr.
Als ihr begonnen habt, herrschte noch der Kalte Krieg, und selbst bei der Auflösung der Band 1987 stand die Mauer noch. Was ging punkmäßig ab in Berlin-Lichtenrade in dieser Zeit?
Ich habe da eben gewohnt und im Keller meiner Eltern war unser Proberaum. Da haben wir uns immer getroffen und, ich glaube, etwa einmal pro Woche geübt. In Lichtenrade ging gar nichts ab. Teilweise übten wir auch im Drugstore, neben dem Jugendzentrum Potse. Da sind wir auch öfter aufgetreten. Ansonsten waren wir in Schöneberg am Winterfeldtplatz, im Stonz.
In Berlin war ja schwer was los in Schöneberg, Spandau, Kreuzberg, Charlottenburg. Wie habt ihr euch bezirksmäßig vernetzt oder gab es das gar nicht so?
Das kam durch die vielen Kneipen, oder die Band GAU, wo Prüfer Sänger war. Man kannte eben auch die Kreuzberger Jungs, VORKRIEGSJUGEND, DTJ und SUURBIERS.
Die waren ja von „hier oben“, die SUURBIERS, aus Reinickendorf ...
Richtig. Beckmann hat ja dort gespielt. Er macht ja jetzt diese „Rettet die Clubs“-Sache. Und dann waren wir noch im SO36 in Kreuzberg und hingen auch an der Charlottenburger Gedächtniskirche herum.
Einer eurer Songs, der auch auf Samplern erschien, hieß „Kraft durch Bier“. Darin heißt es: „In die Kneipe / Zwei Halbe rein, dann wirst du richtig besoffen sein / Dann schauen dich alle blöde an / Doch du scheißt drauf, heut ist Ramadan“. Könnt ihr darüber heute schmunzeln oder ist das eher „ach herrje“ ...?
Nein, wir können darüber schmunzeln, und es ist auch ein sehr beliebter Song bei den Kumpels von einem meiner Söhne. Es war einfach ein Fun-Punk-Lied. Wir hatten ja so eine Mischung aus deutschen und englischen Songs. Wir hatten einige dieser Fun-Punk-Sachen wie „Wenn ich einmal traurig bin, trinke ich einen Korn“, „Kraft durch Bier“, „Sixpack“ ... Dann haben wir immer mehr englische Songs gespielt und dann als eine der ersten Bands Crossover mit Metal gespielt.
Eigentlich waren eure Texte ja weitaus vielschichtiger. Ich höre da bis heute eine subtile Aggression, die aber etwas gefiltert daherkam. War das Absicht oder ist das eine falsche Einschätzung meinerseits?
Nein, wir hatten neben dem Fun-Punk und Partythema schon politische Botschaften. „Pancho“, „Mode“, „Aufrecht, „Three gallows“ sind im Endeffekt alles politische Songs, um etwas auszulösen in den Leuten. Eben nicht ganz so einfach wie „Bullen in die Leine“ von den Hannoveraner Jungs ARISTOCATS.
Meiner Vinylversion fehlt leider das damals beiliegende Textblatt. Worum ging es im Titelstück „Three gallows“ und warum ist euch diese Stück so wichtig?
Ich fand den musikalisch immer richtig geil. Im Endeffekt ist es ein wenig mittelaltermäßig, wo sich sozusagen drei gutherzige Menschen aufgelehnt haben, gegen meinetwegen den Sheriff von Nottingham oder so, haha. Die wurden dann gefangen genommen und hingerichtet. Das ist die Message von dem Song.
So was wie „Störtebeker“ von SLIME, nur eben von euch ...
Ja, vielleicht. Abgesehen davon, dass es bei uns kein historisches Vorbild gab.
Auch „Paranoid“ von BLACK SABBATH habt ihr sehr individuell und stark gecovert. Wo lagen noch andere musikalische Andockpunkte für euch? Auch im Metal?
Ja klar, natürlich. Unsere Platte erschien ja zu der Zeit, wo man wirklich anfing, SLAYER zu hören, und MOTÖRHEAD waren ja schon immer „en vogue“. Das war schon eine Offenbarung. Und auch zum Beispiel DISCHARGE, das wurde ja immer metaliger. Das haben wir eben gehört und das floss bei uns immer mehr mit rein. Da gab es auch noch die Fun-Punk-Riege, die dann sagte: „scheiß Soli“ oder „Auslandsmist“ und andere fanden es einfach cool. Die Platte markierte für uns schon einen Übergang. Aber wir hatten ja auch so ein bis zwei Ska-Songs, denn das fanden wir auch ganz cool.
Mir scheint, dass man es heute am weitesten bringt, wenn eine Band erst mal genügend eigene Beziehungen mitbringt in Sachen diverser Promo-Agenturen. Wie war das in den Achtzigern? Da erreichte man die Leute über Live-Konzerte, oder wie?
Na ja, es gab schon diese Fanzine-Kultur, wo dann auch Fotos und Interviews gemacht wurden. Ich sage mal, einer der geilsten Berichte über uns war im Maximum Rocknroll Fanzine, wo Pathead die Platte als Meilenstein bezeichnet hat – die sind da wohl drauf abgefahren. Und dann hat man sich Briefe geschrieben. Ich habe hier einen Meter Fanpost von Russland bis Mexiko. Da wurde denen ein Tape geschickt, das dann immer weiter kopiert worden ist. Man hatte dann auch die Briefmarke mit Seife eingeschmiert, damit man diese noch mal benutzen konnte. Das war schon eine wilde Zeit. Das Internet gab es ja nicht. Also hat man hat sich Briefe geschrieben, Fotos geschickt und eben Fanzines gemacht.
Wer stand eigentlich hinter dem ...Isn’t That Cheating-Label? Die Platte ist ja in Splatter, Schwarz und Rot erschienen, aber wurde später nie wieder nachgepresst. Warum?
Das war Rüdiger Pfeiffer, der ist im Endeffekt daran wohl auch pleite gegangen. Wir haben, glaube ich, die Aufnahmen alle selbst bezahlt. Dann hat Thomas Spindler die wohl noch mal gepresst. Der hat ja den Plattenladen Dodo Beach und ist sozusagen einer der größten Berliner Konzertveranstalter. Wie gesagt, bunt, schwarz und rot. Und dann hat Mansur von Weird System noch diesen „Berlin Punk Rock 1977-1989“-Sampler mit uns rausgebracht, als LP und CD, und im Vinylsingle-Format unter dem Titel „Berlin Frisbee #03“ mit nur acht Stücken.
Und warum gab es keine im Punk sonst übliche „erste Single“ von euch?
Gute Frage. Weil wir das einfach nie gemacht haben. Wir haben gleich diese Tapes aufgenommen. Dafür haben wir seinerzeit einen Vierspur-Recorder gekauft. Da wurde dann im Pingpong-Verfahren aufgenommen, wo du vier Spuren aufnimmst und dann auf eine Spur überspielst. Und dann kam schon die Platte „Three Gallows“. Und den „Fun’s Not Dead“-Sampler gab es ja auch noch 1985.
Aufgenommen wurde „Three Gallows“ im legendären Music Lab von Harris Johns. Was sind eure Erinnerungen daran?
Einen Teil hat Harris aufgenommen, einen anderen dann Angelo Plate. Man hört das sogar soundmäßig: Harris ist metaliger, Angelo ging mehr in Richtung Schlager. Ich habe ja später auch im Music-Lab zusammen mit Harris gearbeitet. Ich habe da zum Beispiel „Agent Orange“ von SODOM mit aufgenommen. Also mit Harris war das schon cool, auch was er da mit unserer Band zustande gebracht hat. Als wir das Album einspielten, haben nebenan HELLOWEEN ihr erstes Album „Walls Of Jericho“ aufgenommen. Und dann haben wir natürlich unsere Version von „Paranoid“ gespielt und die waren total fasziniert davon. Ja, Harris, der hat ja so viel gemacht, allein die ganzen VOIVOD-Sachen. Das sind ja Meilensteine.
Zuerst habt ihr euch ja CERESIT 81 genannt ...
Genau, wegen dem Gründungsjahr. Aber dann kam uns das veraltet vor und wir haben die 81 bei der LP einfach weggelassen.
Was blieb dir in Sachen Live-Gigs am meisten im Gedächtnis? Du arbeitest ja in der Konzertbranche. Was ist heute besser, was war damals für eine Band live cooler?
Der Sound ist heute viel, viel besser. Das sind ja zu heute meilenweite Unterschiede. Wir haben damals im Frontkino gespielt, da bekam ich am Mikrofon ständig Stromschläge! Richtig cool war ein Auftritt im Quartier Latin, aber mit wem war das bloß ...? [Es war am 12.04.1987, zusammen mit BROKEN BONES und THE REST, Anm. d. Verf.] Das war mit einer der größten Gigs ... Im AKJ Bielefeld war es toll und im Kreuzberger Nachtclub war es auch legendär. Oder in der Weißen Rose, zusammen mit GRUNDWASSERABSENKUNG. Und an einen Gig im Kuckuck erinnere ich mich, da spielten sogar DIE ÄRZTE noch vor uns ...
Was führte konkret zur Bandauflösung?
Na ja, das lag ein bisschen daran, weil Ralf und Sven mehr Metal spielen wollten. Dann war auch mangelnde Zeit der Grund, auch weil ich angefangen habe, in der Branche zu arbeiten. Und irgendwann ist es eben auseinandergedriftet. Die Schulzeit war vorbei, man musste arbeiten. Es war einfach auch die Luft raus, man konnte sich nicht mehr auf die Songs einigen usw.
Habt ihr euch danach noch in anderen Musikbands getummelt?
Daniel hat noch irgendwo rumgemacht, Ralf und Sven bestimmt auch, aber nichts, was ich kennen würde oder was relevant wäre. Susi ging dann ja zu SM-70.
Und diese Frage muss auch noch kommen: Werden CERESIT irgendwann noch einmal eine Bühne entern?
Schwierig, ich glaube das nicht. Also wie gesagt, Marcus, Daniel und ich sehen uns ja noch. Aber nee, singen könnte ich vielleicht noch zwei oder drei Songs, aber mit der Gitarre ... nee.
Haha. Bei uns im Ox hat neulich ein Musiker von damals gesagt, die Leser:innen sollen sich melden, vielleicht weiß jemand, welche Akkorde er damals gespielt hat. Gitarre zu spielen ist also nicht wie Schwimmen und Radfahren, das verlernt man wohl doch ...
Definitiv. Die Gelenkigkeit und Technik ... Die Gitarre und alles habe ich zwar noch hier, aber das würde ich nicht mehr hinkriegen.
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Diskografie
„Three Gallows“ (LP, ...Isn’t That Cheating, 1985) • „Fun’s Not Dead“ (3 Samplerbeiträge, LP, More Fun, 1985) • „Let’s Have More Fun“ (3 Samplerbeiträge, LP, More Fun, 1985) • „Berlin Punk Rock 1977-1989“ Song „Kraft durch Bier“, (LP, Weird System, 2002) • „Berlin Frisbee #3“ (Single, Weird System, 2003)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Markus Franz