Hin und wieder findet man sie, diese Perlen unter den Labels, deren Veröffentlichungen man aufgrund ihrer stilistischen Treffsicherheit quasi blind kaufen kann. Dies gilt auch für Cat’s Claw Records aus Bristol, dessen Betreiber Jonny Wilson immer wieder sein exzellentes Gespür für rauen bis zuckrig-süßen, melodischen Punkrock beweist. Sowohl Freunde von Fat Wreck und Co. als auch Aficionados der alten Lookout!-Schule sollten hier unbedingt einmal ein Ohr riskieren. Im Gespräch verrät uns Jonny, was Katzen im Punk zu suchen haben und wie es um die Vinylkrise sowie die gegenwärtige Szene in UK bestellt ist.
Jonny, wie und wann ging das alles mit Cat’s Claw Records los?
Ich habe CCR im Juni 2019 als Ventil für meine Liebe zum Punkrock gegründet. Zuvor spielte ich jahrelang in verschiedenen Bands. Doch als das aufhörte, hatte ich das Gefühl, dass ich der Musik und der Szene, die mein Leben so viel besser macht und in der ich mich absolut zuhause fühle, wirklich etwas zurückgeben wollte. Also betrieb ich eine Zeit lang einen Punkrock-Blog. Dabei kam ich mit vielen coolen Labels in Kontakt und lernte einiges über deren tägliches Business. So reifte schließlich die Idee, mein eigenes Label ins Leben zu rufen. Angefangen habe ich zuerst als reines Kassettenlabel, wollte mich dann aber ein wenig breiter aufstellen und begann schließlich, auch Vinyl und CDs zu veröffentlichen.
Erzähl uns doch mal, wie du mit Punkrock in Berührung kamst und welche Platten dich maßgeblich beeinflusst haben.
Zugegebenermaßen war und bin ich da ziemlich nostalgisch unterwegs, denn ich entdeckte über die Jahre so viele fantastische Bands, die ich heute noch immer liebe. Früher habe ich stets die Booklets der Alben studiert, insbesondere die Dankeslisten. Das war dann wie beim Schneeballprinzip und man stieß dabei immer auf neue, coole Acts. Oder ich habe mir die T-Shirts von etablierten Bands angesehen, auf denen wiederum die Namen anderer, oftmals befreundeter Bands standen. Im Prä-Internet-Zeitalter der Neunziger war das so der naheliegendste Weg, um tiefer in die Szene einzutauchen. Es fühlte sich sehr nach einer Gemeinschaft an, um die sich die älteren Punks kümmerten. Große Brüder und deren Kumpels sagten uns damals: „Hey, hast du schon diese Band gehört? Hör sie dir unbedingt mal an, du wirst sie mögen.“ Oder aber jemand hat dich mit deinem NOFX-Hoodie gesehen und dich einfach angesprochen. Damals war das fast noch ein inoffizielles Abzeichen, so eine Art Kodex, der besagte, diese Person ist krass und tickt so wie man selbst. Und wenn ich tatsächlich drei Alben wählen müsste, die mich absolut geprägt haben, dann wären das „Dookie“ von GREEN DAY, „Making Friends“ von NO USE FOR A NAME und „@#!*“ von PULLEY. Das beschreibt auch recht gut die musikalische Nahtstelle, an der ich mich mit CCR bewege.
Du sagtest ja bereits, dass du als Kassettenlabel angefangen hattest und bis heute veröffentlichst du regelmäßig Tapes. Was ist das Faszinierende an diesem Format, das sich gerade in der Punk- und Hardcore-Szene noch immer großer Beliebtheit erfreut?
Tapes waren und sind einfach ein ziemlich billiges Format, das die Leute immer noch dazu bringt, gute Musik zu hören, aber gleichzeitig auch etwas Physisches in der Hand zu halten – und das macht es letztlich für mich aus. Ich finde den rein digitalen Konsum von Musik einfach blutleer und würde diesem immer etwas Haptisches vorziehen. Also begann ich mit Kassettenveröffentlichungen. Tatsächlich glaube ich auch, dass es sich um einen Tonträger handelt, der niemals ganz verschwinden wird und der zur Zeit ein kleines Revival erlebt, wie auch die CD. Alle meine Kassetten verkaufe ich für etwa acht Pfund, denn ich möchte, dass sich theoretisch jeder eine Veröffentlichung von CCR leisten kann. Aber ich habe auch schon gesehen, dass die Preise für Tapes mitunter unverschämt hoch angesetzt werden.
Und wie erlebst du aktuell die Vinylsituation in Großbritannien?
Zum Glück hat sich die Produktionszeit jüngst wieder ein wenig verkürzt und liegt bei meinem Presswerk derzeit bei etwa vier Monaten. Aber leider ist das Pressen auch hierzulande zu einer sehr teuren Angelegenheit geworden. Ich versuche mich dem immer irgendwie entgegenzustemmen und will meine Veröffentlichungen stets so günstig wie möglich halten, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht natürlich nicht so klug ist. Aber ich mache das alles ja nicht des Geldes wegen, sondern weil ich die Musik liebe. Das Problem mit den langen Produktions- und Wartezeiten hatte jedoch auch etwas Gutes, denn es sind tatsächlich ein paar neue Presswerke in Großbritannien entstanden, so dass sich die Lage hoffentlich nach und nach entspannt.
Mittlerweile hast du schon einige fantastische Punkrock-Alben veröffentlicht, insbesondere von britischen Bands. Offensichtlich ist die Szene in Großbritannien ziemlich lebendig. War das schon immer so oder ist es eher ein neues Punkrock-Revival?
Ja, die britische Punk-Szene ist echt unglaublich. Ich bin mit FIVE KNUCKLE, CAPTAIN EVERYTHING!, 4FT FINGERS oder LIGHTYEAR aufgewachsen, um nur einige zu nennen – allesamt großartige Punk- und Ska-Bands aus Großbritannien. Tatsächlich läuft es in der UK-Szene immer noch super. Und somit hatte beziehungsweise habe ich auch das Glück, mit solch tollen Acts wie zum Beispiel RED LIGHT REBELS, BOTTLEKIDS, WRONG LIFE oder MARK MURPHY AND THE MEDS zusammenarbeiten zu können. Insgesamt würde ich also sagen, dass es schon immer viele coole Bands hier gab, aber Punkrock scheint jüngst wieder verstärkt in den Mainstream vorzudringen, was dann letztlich auch zu den kleineren Bands durchsickert. Das ist eine verdammt gute Entwicklung!
Im DIY-Bereich sind ja gemeinsame Veröffentlichungen unter Beteiligung mehrerer Labels sehr weit verbreitet, so auch bei CCR.
Absolut! Ich liebe diese Kooperationen aus einer ganzen Reihe von Gründen: Erstens arbeite ich mit Leuten aus der ganzen Welt zusammen, egal, ob Europa, Japan, oder Amerika, und das bedeutet, dass die Band größtmögliche Werbung bekommt und somit hoffentlich viele neue Fans für ihre Musik begeistern kann. Zweitens ist das Ganze natürlich auch aus finanzieller Sicht von Vorteil, denn bei kleinen Labels wird schnell mal das Geld knapp. Daher ist es eine große Entlastung, die Kosten zwischen verschiedenen Partnern aufzuteilen. Drittens, und das hängt wiederum eng mit dem Finanziellen zusammen, kann man so über die Veröffentlichung physischer Formate dem sich sukzessive verändernden Musikkonsum über Streaming noch etwas entgegensetzen. Und da sind wir ja wieder beim eingangs Genannten: Ich liebe es einfach, wenn Musik mit einem Cover und Textblatt daherkommt, das ist für mich der einzig wahre Musikgenuss.
Apropos Haptik: Du hast irgendwann damit angefangen, deinen Releases sogenannte Punkrock-Sammelkarten beizulegen. Wie kommt man auf so eine schräge Idee?
Ich glaube, wenn die Leute in meinen Kopf blicken könnten, wären sie wahrscheinlich völlig überfordert. Ich habe einfach einen ununterbrochenen Fluss von Ideen und mein Gehirn arbeitet in Skatepunk-Geschwindigkeit. Der Einfall mit den Sammelkarten kam mir irgendwann im Traum. Da dachte ich, es wäre doch cool, jedem eine solche Karte dazu zu schenken, der einen CCR-Tonträger kauft und damit direkt eine Band unterstützt. Und dann fänden es die Leute vielleicht witzig und würden wie bei „Pokémon“ in einen Sammelrausch verfallen und somit noch mehr neue Bands entdecken. Irgendwann hat man dann sein komplettes Quartett zusammen und kann die einzelnen Bands miteinander konkurrieren lassen: Wer trinkt mehr, wer probt weniger, wer hat die schnellsten Songs? Die Ideen für weitere Kategorien sind unendlich. Sie sollen aber vor allem die Leute zum Schmunzeln bringen.
Was steht als Nächstes bei CCR an, was sind deine Pläne für 2023?
Im Frühjahr sind viele fantastische Veröffentlichungen auf Vinyl erschienen, unter anderem in Zusammenarbeit mit Punkrock Radar aus New York, Waterslide Records aus Tokio oder Johnny Be Good Records aus Wien. Beispielsweise steht das brandneue Album von WRONG LIFE, der neuen Band von Fraser Murderburger, in den Startlöchern. Dann kommt eine Pop-Punk-Split-LP von THE CHEAP POPS und LOOKIT, MARTIANS! aus Deutschland, ein Album der niederländischen Punks TOSKA FALL sowie die neuen Melodic- beziehungsweise Hardcore-Punk-Platten von ASTRONUTS und CLAYFACE. Und das ist erst der Anfang, also macht euch bereit für viele weitere Euro-Punk-Releases inklusive fetziger Sammelkarten, hehe!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #168 Juni/Juli 2023 und Christoph Siart