Mit CALL ME LIGHTNING hat Revelation mal wieder eine Platte veröffentlicht, die mir 100% gefällt. Denn die aus Milwaukee stammende Band hat auf ihrem Debüt-Longplayer „The Trouble We‘re In“ eine furiose Mischung zu bieten, die mit „MINUTEMEN meet BIG BOYS“ nur ein bisschen zu lobhudelnd beschrieben ist. Ein hysterischer Sänger und Gitarrist, ein wilder Bassist und ein mächtig dreinhauender Drummer machen Musik, die was von eigenwilligen Neo-Wave-Bands wie LES SAVY FAV oder LIARS hat, aber eben viel mehr vom Funky-Hardcore-Sex der alten Meister. Ich mailte Frontmann Nathan Lilley ein paar Fragen.
Erste Frage. What trouble are we in?
„Also ihr habt kein Probleme, oder habt ihr was Böses angestellt? Ich dagegen hatte letzte Nacht Probleme und wäre in New York beinahe aus dem CBGB‘s rausgeflogen. Aber es war nicht meine Schuld, dass es Ärger gab - die Cocktails waren einfach zu teuer!“
Wieso habe ich bisher nichts von euch gehört?
„Weil wir aus Milwaukee, Wisconsin kommen, einer kleinen, schmutzigen Stadt im Mittleren Westen, wo es außer Fabriken und schmierigen Bars an jeder Ecke nicht viel gibt. Und nicht nur du hast bisher nichts von uns gehört, niemand kennt uns bisher - wir haben ja auch eben erst unser erstes Album veröffentlicht.“
Wann, wie, wer, warum?
„Wir haben vorher schon zusammen in verschiedenen Punkbands gespielt, so seit knapp zehn Jahren. CALL ME LIGHTNING riefen wir dann vor ein paar Jahren ins Leben, mit dem Ziel, etwas weniger ernsthafte Musik zu machen. Und unsere Name sind Nathan, Shane und Bill, und wir spielen Gitarre, Drums und Bass.“
In eurer Band-Biographie beschreibt ihr Milwaukee als Stadt, die der Welt außer einem kannibalistischen Serienkiller nur schlechtes Bier beschert hat.
„Nein, es geht nicht um schlechtes Bier, es geht um ‚piss beer‘. Und ‚piss beer‘ ist fucking delicious und billig. Okay, du hast am nächsten Tag Durchfall, aber sonst ... Milwaukee ist ja so was wie die amerikanische Bierhauptstadt, viele der großen Biermarken kommen von hier, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr hier gebraut werden. Schaut mal auf das Etikett von High Life oder Schlitz oder Pabst und ihr wisst, was ich meine. Pabst ist übrigens richtig schlechtes Bier. Ja, es schmeckt ganz okay, aber es ist total hip. Und die haben unsere Stadt in den Neunzigern richtig übel gelinkt, als sie ihre Produktion aus der Stadt abzogen und den ganzen ehemaligen Arbeitern die Betriebsrente gestrichen haben. Tausende Rentner und Arbeiter standen da plötzlich im Regen, und in der Folge haben viele Kneipen in der Stadt kein Pabst mehr ausgeschenkt - zum Teil ist das heute noch so. Aber daran erinnert sich kaum noch jemand, und die ganzen coolen Kids mit dämlichen Frisuren saufen das Zeug, also ob sie sich damit einen Plattenvertrag für ihre beschissene Experimentalband erkaufen könnten. Was nun diese Serienkiller-Sache anbelangt, so haben wir hier im Bundesstaat eine überproportional hohe Quote von crazy Fuckern, inklusive Jeffrey Dahmer und Ed Gein. Aber hey, was erzähle ich? Ihr habt doch bei euch in Deutschland neulich diesen Typen gehabt, der diesem anderen Freak sein Würstchen abgeschnitten und dann gebraten hat. Mir scheint, wir haben mehr gemeinsam, als wir dachten ... Und deshalb gebe ich euch den Rat: Finger weg von Pabst-Bier und Würstchen!“
Ihr klingt ein ganzes Stück anders als die anderen Bands auf Revelation. Warum haben die euch trotzdem gesignt?
„Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum die uns gesignt haben. SINCE BY MAN sind gute Freunde von uns, die sind ja schon eine Weile auf Revelation, und über die haben wir James Allen kennengelernt, den A&R-Mann von Revelation. Dem machte es nichts aus, dass ich ihn angerempelt und Bier ins Haar gepuckt habe, und da wusste ich, dass wir gute Freunde werden würden. Ich kenne Revelation als Label natürlich schon ewig und finde vor allem ein paar ihrer frühen Bands richtig gut. Dass wir musikalisch zu den anderen heutigen Bands da nicht so gut passen, ist uns egal, und wir sind einfach froh, dass überhaupt jemand unsere Platte rausbringen wollte.“
Liege ich völlig falsch, wenn ich vermute, dass MINUTEMEN und BIG BOYS Einfluss auf euch ausgeübt haben?
„Ich liebe beide Bands, aber ganz besonders die MINUTEMEN. D. Boon war einer der besten Gitarristen und Texter aller Zeiten. Ich bin mit all den SST-Bands aus den frühen Achtzigern zu Punk gekommen, und für mich ist das immer noch mit die beste Musik, die je gemacht wurde. Aber natürlich war auch die Hardcore-Szene von Chicago und Washington, D.C. für uns damals wichtig. Wir drei waren alle schon in Bands, die HOOVER und SHELLAC musikalisch gefährlich nahe gekommen sind. Generell hatten wir das Glück, einer großen Vielfalt an Bands ausgesetzt gewesen zu sein, denn die Musikszene in Milwaukee war und ist viel zu klein, um sich in Cliquen aufzuspalten.“
Euer fiebriger Sound erinnert mich auch an moderne Bands wie THE PAPER CHASE, LES SAVY FAV oder LIARS.
„Also die mag ich alle und der Vergleich freut mich. Wir sind schon lange mit THE PAPER CHASE befreundet, und ich gebe offen zu, dass die uns schon etwas inspiriert haben - gleich beim ersten Konzert, das ich sah. Aber fiebrig? Nee, das nicht, jedoch fürchte ich, dass ich mir gerade einen schlimmen Husten eingehandelt habe.“
Ihr habt das Artwork eures Albums selbst gemalt.
„Ja, das waren Bill und ich. Wir habend das als Schwarz-Weiß-Collage angelegt, etwas von Hand illustriert, und meine entzückende Freundin Faythe Levine hat das dann mit Acrylfarben ausgemalt, damit unsere lächerlichen, kranken Ideen so richtig schön aussehen. Bill und Faythe haben Kunst immerhin mal studiert, während ich nur so tue.“
Wie könnte man dieses Bild denn interpretieren? Ich sehe eine Flut, Oktopusse - ist das der korrekte Plural? -, Ratten und eine von einem Erdbeben erschütterte Stadt.
„Das Cover basiert auf dem Text des ersten Songs auf dem Album, ‚We be dragons‘. Es ist ein Lied über die Fehleinschätzung, dass die Kleinen die Großen nicht schlagen können, denn in Wirklichkeit können die Kleinen alles, denn es gibt vor allem Kleine auf der Welt. Wir müssen nur die Augen aufmachen, um zu sehen, dass wir alle die gleichen Grundbedürfnisse haben - und dann anfangen, Forderungen an die ‚big fuckers‘ zu stellen. Was den Plural von Oktopus anbelangt, so ist der ‚octopi‘, zumindest im Englischen. Und die sind auf dem Cover, weil sie cool aussehen.“
Wie sieht‘s mit einer Europatour aus?
„Gerne! Vielleicht im Frühjahr? Wer uns helfen kann, der soll sich melden. Danke.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Joachim Hiller
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