BUTTOCKS

Foto© by Peter Körner

Hamburg Hardcore Punk

THE BUTTOCKS, 1978 in Hamburg gegründet, veröffentlichten 1979 mit ihrer selbstbetitelten ersten 7“ die erste Politpunk-Platte der BRD. „BGS“ wurde nicht ohne Grund Jahrzehnte später von SLIME bei ihren Gigs gecovert. Die zweite 7“ von 1980 trug den Titel „Vom Derbsten“. Und das nicht zu Unrecht, denn THE BUTTOCKS spielten einen Sound, der seiner Zeit voraus war. Das war Hardcore-Punk zu einer Zeit, als es den Begriff noch gar nicht gab. Beide Platten wurden 2022 auf Colturschock wiederveröffentlicht. Grund genug, mit Stéphane Larsson (dr) und Mike Stanger (voc) die alten Zeiten Revue passieren zu lassen.

Wie seid ihr damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat euch das Virus selbst erfasst?

Mike: Weder die wenigen Musikmagazine noch die sehr überschaubaren Radiosender in Deutschland nahmen zu Beginn Notiz von der Punk-Bewegung, die aus den USA und insbesondere aus England rüberschwappte. Ich bin an einem Nachmittag einem Freund begegnet, der völlig aufgeregt von einer neuen Schallplatte erzählte, die er gerade gekauft hatte, und mich zu sich nach Hause zerrte und meinte, ich müsse mir die Scheibe sofort anhören. Wir wohnten alle noch bei unseren Eltern und so gingen wir zu ihm. Er holte die Scheibe raus und legte sie auf. In diesem Moment geschah etwas mit mir, das ich schwer in Worte fassen kann. Ich würde es heute in etwa so wiedergeben: „Ja, das ist es – endlich ist sie da – so muss es sein – geil!“ Ich wurde klar über die Musik infiziert, und die Band, die ich hörte, hieß: THE DAMNED! Es war die erste DAMNED-LP, noch mit Brian James an der Gitarre, welch ein Wahnsinn. Ich bekomme noch heute Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke.
Stéphane: Ich habe als Elfjähriger im Herbst 1972 bei einem SLADE-Konzert in der Hamburger Musikhalle meine Initiation erhalten und bin in der Folge mit Glamrock sozialisiert worden. Ich liebte ALICE COOPER und SLADE. Mein Geschmack entwickelte sich dann zum Hardrock, BLACK SABBATH und viele andere Bands kamen hinzu. Als NEW YORK DOLLS 1974 „Too Much Too Soon“ veröffentlicht haben, habe ich in der Bravo davon gelesen, habe die LP gleich gekauft und war begeistert. Zum Punk kam ich über MC5, DAMNED, SEX PISTOLS und insbesondere über die erste deutsche Punkrock-Band, BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT, für die ich an dieser Stelle mal eine Lanze brechen möchte. Eine der most underrated Bands ever! Wer sie damals live gesehen und gehört und die Magie ihrer Konzerte gespürt hat, wird das nachvollziehen können. Ich habe sie 1977 im alten Winterhuder Fährhaus gesehen, mit CORONERS als Vorband und war geflasht. Sie hatten eine derart authentische Snotty- und Scheißegal-Attitüde. Ab ihrer dritten LP-Veröffentlichung waren sie zu 100% Do It Yourself, hatten ihr eigenes Label Balls Records. Das Artwork des Covers der vierten LP „Creepy Shades“ haben sie für jedes einzelne Cover selbst gesprüht mit Farbspraydosen, die sie vorher aus dem Baumarkt geklaut hatten! Dreißig Jahre später schloss sich der Kreis, als Alfred, Bassist von BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT, mich 2007 anrief und fragte, ob ich Bock hätte, bei denen einzusteigen – was ich mit Begeisterung tat.

Was bedeutete Punk damals für euch – und wie ist das heute?
Stéphane: Gigs in kleinen Clubs, geile Musik, mit Freund:innen zusammen zu sein und Bier trinken, ein Meter von der Band entfernt stehen, laut, Schweiß tropft von der Decke, dichtes Gedränge, Pogo, gesunde anti-faschistische und anti-rassistische Grundhaltung. Punk hatte und hat für mich mehrere Aspekte: Zunächst der direkte Kontakt zwischen Band und Publikum, das Schwinden der Distanz, die sich in den Siebziger Jahren entwickelt hatte und in den Stadionkonzerten gipfelte, wo man die Band in einem Kilometer Entfernung als kleinen Punkt wahrnahm – große Videoleinwände gab es noch nicht. Der direkte Kontakt war wichtig, dass man direkt an der Bühne in , ein, zwei Metern Entfernung stehen konnte, insbesondere später im Jahr 1979, im Krawall 2000, das nach circa einem Dreivierteljahr wieder schließen musste. Dadurch entstand das Gefühl, dass man Teil des Geschehens war, prinzipiell jeder dort auf der Bühne stehen konnte, es keine unerreichbaren Superstars waren, und schließlich die Punkrock-These, dass jeder eine Band gründen und gute Musik machen kann. Die Grenzen dieser These ergeben sich natürlich dann, wenn sich talentfreie, ideenlose und unkreative Leute zusammenfinden, die es im Bestfall schaffen, wie schlechte Kopien zu klingen. Dann natürlich der politische Aspekt: Eine Bewegung, die in dieser Anfangszeit deutlich antifaschistisch ausgerichtet war und somit gut zu meinen eigenen politischen Überzeugungen passte. Schließlich auch das gemeinsame Interesse mit Freund: innen, mit denen ich gemeinsam zu Konzerten gehen und Bierchen trinkend abhängen konnte. Das alles in Summe hat mir als Teenager gut gefallen. Ein weiterer Unterschied: Heute ist es für Punkbands selbstverständlich, strategisch gut aufgestellt zu sein, in (a)sozialen Medien und mit eigener Homepage präsent zu sein und Ziele zu formulieren, dass man – kommerziell – erfolgreich sein möchte. Früher waren wir aus heutiger Sicht wahrscheinlich eher dilettantisch und amateurhaft, was aber auch daran lag, dass einem als Band stets das „Kommerz“-Etikett drohte. Zum Glück ist es heute weniger verkrampft als damals, da die Bands und Künstler: innen eine viel zwanglosere Herangehensweise hinsichtlich ihrer Interessen und Zielverfolgung haben. Ich habe auch überlegt, ob mir die Vielfalt fehlt, gerade wenn man Punk als Bewegung oder Lebenseinstellung betrachtet und nicht als Musikrichtung, wie der Begriff heute meistens verstanden wird. Ich denke aber eher, dass damals viel mehr unterschiedliche Bands/Künstler/Interpreten zu einzelnen Events zusammengelegt wurden unter der Überschrift „Punk“, wie 1979 beim In die Zukunft-Festival in der Hamburger Markthalle. Die Vielfalt gibt es auch heute noch, aber sie würde nicht bei einem einzelnen Event gezeigt werden, sondern da heute alles viel genrespezifischer ist, bei jeweils einzelnen Veranstaltungen stattfinden. Ein weiterer Aspekt: Bands spielen heute keine Gigs, sondern Shows. Eine Show machten in den Siebzigern zum Beispiel ALICE COOPER, die ein Riesenspektakel aufgeführt haben. Man übernimmt heute also einen Begriff, der damals mit den Superstars verbunden war und gegen die Punk eigentlich opponiert hat.
Mike: An erster Stelle stand bei mir die Mucke. So was hatte ich mir gewünscht: kurz, knapp, schnell. Kein endloses Gedudel, wie man es von einigen anderen Rockbands der damaligen Zeit manchmal ertragen musste. Für mich war Punk auch ein Gefühl von Freiheit, den bürgerlichen Normen und Ansprüchen zu entfliehen, Ketten zu sprengen, politische Haltung zu entdecken und zu entwickeln, Unabhängigkeit und Protest. Punk war zu Beginn kein Mainstream, so wie jede Jugendbewegung aus einer zeitlichen oder gesellschaftlichen Bedürftigkeit entsteht. Zufällig war ich vom Alter her und durch andere Umstände zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten am richtigen Ort. Wir befanden uns alle in einem Alter, in dem man eine Antihaltung gegenüber Bürgertum, Spießertum, Altnazis, Angepasstheit schon in sich trug. Dann kamen kritische politische Texte dazu und so entstand eine neue Lebenseinstellung, die bis jetzt bei mir deutliche Spuren hinterlassen hat. Heute bin ich, im Vergleich zu damals, wohl recht zahm und manchmal auch, aus damaliger Sicht, etwas spießig unterwegs. Die musikalische Seite steht bei mir nach wie vor an erster Stelle. Punk wurde damals ernster genommen als heute. Heute gibt es wahnsinnig viele Bands und unglaublich viele Punk-Kategorien. Jedoch ziehen mich in erster Linie die Bands an, die fühlen, was sie spielen, und bereit wären, dafür zu sterben. Ich besuche nach wie vor gerne kleine Konzerte und lasse mich überraschen. Ansonsten habe ich immer noch ein offenes Ohr und bin ein sehr neugieriger Mensch. Punk is dead und irgendwie auch nicht, es hat sich eben alles weiterentwickelt und verändert.

Wann und warum habt ihr die Band gegründet?
Mike: Das war im Spätsommer 1978. Ich ging damals zur Berufsschule und hatte einen Sitznachbarn, der mir erzählte, dass er Gitarre spielt. Dieser Sitznachbar in der Berufsschule war Rainer Jarren. Rainer machte Bluesrock à la Rory Gallagher und hatte eine anständige Matte. Nach meinem DAMNED-Erlebnis und meinen ersten erworbenen Punk-Platten, DAMNED, SEX PISTOLS, CLASH, RAMONES und natürlich die BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT, kamen die ersten Konzerte hinzu. Über meinen Kumpel Eugen vom Pretty Vacant-Fanzine lernte ich zuerst Clemens, den Bassisten, und dann die anderen Mitglieder der CORONERS kennen. Da war alles komplett in meinem Kopf: Punk-Scheiben, Punk-Konzerte, Punk-Freunde und obendrauf noch eine Band, die man kannte, mit Übungsraum. Voll geil! Ich wollte sowieso immer Musik machen, hatte aber nie Lust, mir beim Gitarrenüben die Finger zu brechen. Kurzum: Ich musste eine Punkband gründen und wollte grölen, anstatt mir die Finger blutig zu üben. In der Berufsschule erzählte ich Rainer von meiner Eingebung. Die Idee, eine Band zu gründen, plus der nun vorhandene Bandnamen genügten, um Rainer vollends an Bord zu holen. Ich traf mich zuerst mit Rainer in Billstedt auf dem Dachboden seiner Eltern und wir probierten unsere ersten Klänge aus. Ich improvisierte irgendeinen Gesang dazu und irgendwann stand unser erstes Stück. Zu diesem Zeitpunkt klinkten wir uns bei den CORONERS ein und ich klebte eine Suchanzeige an die Pinnwand der Thalia-Buchhandlung in der Spitalerstraße, dass wir einen Schlagzeuger suchten. Daraufhin meldete sich Stéphane bei uns. Ich verabredete mich mit ihm an der U-Bahn Rauhes Haus und wir starteten unsere erste Übungssession im CORONERS Raum. Stéphane war ebenfalls von DAMNED infiziert und stark von Rat Scabies beeindruckt. Außerdem nahm er ordentlichen Schlagzeugunterricht. Rein technisch gesehen bot er für die damaligen Punk-Verhältnisse schon die besten Voraussetzungen für eine neue Supergroup – Spaß! Selbstredend war es für uns überhaupt kein Problem, den ersten Gig drei Wochen später im Hamburger „Airport“ zuzusagen. Nein, im Ernst, unsere Spielkünste hielten sich in Grenzen, aber es war uns scheißegal. Jeder, der dabei war oder die Aufnahmen aus dem Airport gehört hat, kann sich sein eigenes Bild machen. Ich sage nur: „I hate Hitler“ – unser erstes Stück. Die Frage nach dem Warum erübrigt sich. Es musste einfach sein, wir hatten Bock. Im Airport spielten wir dann unseren ersten Gig mit Gode aushilfsweise am Bass, eigentlich Gitarrist bei den CORONERS. Unser Bassman Michael kam einige Monate später dazu.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen BUTTOCKS?
Mike: Nachdem ich Rainer überzeugen konnte, mit mir zusammen eine Punkband zu gründen, blätterte ich kurz darauf abends in meinem Englisch-Wörterbuch, auf der Suche nach einem geeigneten Bandnamen. Er sollte natürlich keinen Deut schlechter klingen als die Namen der Bands, die zu dieser Zeit kursierten: CORONERS, COCKSUCKERS, BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT, CLASH, DAMNED, KILLJOYS, SLAUGHTER AND THE DOGS ... Meine Begeisterung stieg noch mal ordentlich an, als ich im Wörterbuch auf „Buttocks“ stieß – natürlich: THE BUTTOCKS! Die erste Amtshandlung war die Beschriftung unseres Briefkastens im Treppenhaus mit „BUTTOCKS“. Als ich vor einigen Jahren leider die Wohnung meiner Mutter ausräumen musste, stellte ich fest, dass die Beschriftung noch immer da war. „Guter Edding“, dachte ich.

Welche Einflüsse hattet ihr? Ihr werdet als erste deutsche Hardcore-Punk-Band bezeichnet, als es den Begriff „Hardcore“ noch gar nicht gab.
Stéphane: Meine Einflüsse habe ich eben schon genannt. Ein gemeinsamer Nenner bei BUTTOCKS waren definitiv THE DAMNED. Die Entwicklung zum Hardcore entstand wohl auch dadurch, dass wir durch das häufige Proben unsere Songs immer besser spielen lernten und gleichzeitig härter und schneller. Dadurch haben wir ein einstündiges Programm aus der Anfangszeit später in einer halben Stunde durchgespielt, was dann später als Hardcore wahrgenommen wurde – was uns selbst aber damals nicht bewusst war.
Mike: Ja, ja, das Internet meint ja so einiges. Korrekt ist, dass es den Begriff damals tatsächlich noch nicht gab und wir eine eigene Entwicklung durchlaufen haben. Wir wollten weder sein noch spielen wie irgendwer anders. Die Musik, die wir vor der Punk-Zeit gehört haben, kann uns kaum beeinflusst haben. Ich kann es nur für mich sagen: Ich stand eigentlich ständig unter Strom. Im Laufe der Jahre gelang es uns, die Songs so zusammenzubasteln, dass jeder auf seine Kosten kam. Und wenn wir alle genug Spannung und Spielbock hatten und die Geschwindigkeit stimmte, wurden unsere Stücke beim Proben zum kollektiven Musikdrogenrausch. Ich kann es nur so beschreiben und ich denke, die Leute, die Musik machen oder gemacht haben, verstehen, was ich meine.

Wie sah es mit Bandproben aus?
Mike: Wie schon gesagt, fingen wir bei den CORONERS in Wandsbek an. Danach durchliefen wir etliche feuchte, dunkle Löcher, bis wir in Hohenfelde unseren letzten und besten Übungsraum beziehen konnten. Es gab durchaus Phasen, in denen wir uns fast täglich zum Lärm machen getroffen haben. Damals war es auch durchaus üblich, dass die Übungsräume am Wochenende auch gleichzeitig Treffpunkt für die jeweiligen Freundeskreise waren. In den Dunstkreisen der Hamburger Bands gründeten sich so viele weitere. Jeder im Raum griff sich irgendwann probeweise ein Instrument und experimentierte, manchmal sehr zum Leidwesen der Anwesenden. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen man froh war, wenn man den Raum auch mal alleine für eine Band nutzen konnte.
Stéphane: Wir hatten im ersten Jahr viele unterschiedliche Proberäume, die wir uns mit CORONERS teilten und in denen wir jeweils nur ein paar Wochen bleiben konnten – aus diversen Gründen. Der erste Raum war im Bürogebäude des Elektrotechnikbetriebs des Vaters von Clemens, Bassist der CORONERS. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir ein bis zweimal pro Woche geprobt.

Wie sah die Punk-Szene in Hamburg aus? Welche Treffpunkte gab es, wie war es mit den Möglichkeiten, Gigs zu spielen?
Stéphane: Ende der Siebziger Jahre gab es noch keine „eigenen“ Clubs, wo man auftreten konnte. Ausnahme: das Krawall 2000 für circa ein Dreivierteljahr 1979, damals sehr gut dokumentiert im Pretty Vacant-Fanzine von Eugen Honold. Punkrock-Konzerte fanden meistens in der Hamburger Markthalle statt, aber auch im alten Winterhuder Fährhaus, im Grünspan, Audimax, in der Musikhalle, wie etwa BLONDIE. In dieser Zeit haben sogar DEAD KENNEDYS auf ihrer 1980er Tour keine Auftrittsmöglichkeit in Hamburg gefunden und sind dann auf die Aula der Realschule in Rothenburg an der Wümme in Niedersachsen ausgewichen. Später, in den frühen Achtziger Jahren sind weitere kleinere Clubs wie Graffiti, Versuchsfeld und Kir hinzugekommen, und die Fabrik öffnete sich für Punkrock. Die „eigenen“ Clubs waren rar. Um 1983 öffnete in den besetzten Häusern in der Hafenstraße die Volxküche, wo ich viele super Konzerte gesehen beziehungsweise mit verschiedenen Bands auch gespielt habe. Später kam dort das Störtebeker hinzu. Die Gigs haben wir selbst organisiert, indem wir die entsprechenden Kontakte, die wir hatten, angerufen oder angeschrieben haben. Robert Nitz und Eugen Honold konnten einen auch manchmal unterstützen.
Mike: Die ersten Konzerte bekannterer Bands fanden im alten Winterhuder Fährhaus, im Grünspan und später in der Markthalle statt. Für die kleinen Bands, die in Hamburg frisch angefangen haben, gab es zunächst wenig bis nichts. So wurden kleinere Veranstaltungen privat organisiert oder eben kleine Gigs in den Übungsräumen, oder völlig wild, wie zum Beispiel das legendäre Punk-Festival in Geesthacht in den Ruinen einer ehemaligen Munitionsfabrik. Da war halt nichts, Strom et cetera. Es wurde alles selbst organisiert und wir hatten großes Glück, dass wir das Ding unter dem Radar der Ordnungshüter durchziehen konnten. Die ersten regelmäßigen Veranstaltungen fanden dann in der Kneipe Zum Flohmarkt statt, besser bekannt unter dem Namen Krawall 2000. Der Laden wurde uns für alle zwei Wochen freitags zur Verfügung gestellt und alles wurde selbst organisiert. Das erste größere Punk-Festival war dann das Into The Future in der Markthalle, das von Robert Nitz vom Konnekschen-Label und Alfred Hilsberg organisiert wurde. Robert Nitz brachte davon den ersten Tonträger auf seinem Label heraus.

Eure beiden EPs sind auch auf Konnekschen erschienen. Wie ist der Kontakt zustande gekommen? Wie habt ihr die Aufnahmen in Erinnerung?
Mike: Es sprach sich irgendwie rum, dass es da einen Typen im Plattenladen Unterm Durchschnitt in der Straße Durchschnitt 15 gab, der mit Bands Scheiben produzierte. Wir haben dann einen einfachen Kassettenrekorder – die Dinger mit den riesigen Klaviertasten, eine in Rot – genommen und mitlaufen lassen. Ich bin dann mit dem Tape abends um 19 Uhr zu Robert in den Laden gegangen und habe es ihm vorgespielt. Robert war eigentlich eher ein Hippie, seine Lieblingsbands waren die YARDBIRDS und die KINKS. Aber Robert war ein sehr offener, sozialer und korrekter Typ. Robert überlegte nicht sehr lange, fand die Musik gut und meinte, dass wir etwas zusammen machen könnten. Für die damalige Zeit war das natürlich der Oberhammer, denn in Hamburg gab es sonst nicht viel.
Stéphane: Die erste 7“ mit vier Songs haben wir im Studio Container Records im Hamburger Vorort Bergedorf aufgenommen. Ich habe es als sehr klein in Erinnerung, Achtspur, und es hat sich wohl nicht lange halten können. Die zweite 7“, „Vom Derbsten“, haben wir 1980 im Hamburger Hafenklang aufgenommen, einem 16-Spur-Studio. Das befand sich im gleichen Haus, wo sich heute der Hafenklang/Goldener Salon-Club befindet. Es gibt dort auch immer noch ein Studio, aber mit ganz anderen Betreibern als damals. Im Rahmen unserer 1981er Tour waren wir in den Schweizer Sunrise Studios in Kirchberg und haben dort sechs Stücke aufgenommen. Leider konnten wir den Gesang nicht mehr aufnehmen, da die Studiozeit insgesamt um ein, zwei Tage durch die Festnahme in Zürich, dazu komme ich noch später, verkürzt wurde. Diese Stücke ohne Gesang wurden später durch Weird System auf der „Law And Order“-LP/CD veröffentlicht. Im August 1983 kam vom Label Weird System die Anfrage, ob wir ein paar Stücke für den geplanten „Keine Experimente! Vol. 1“-Sampler aufnehmen wollten. Diese haben wir dann im Hamburger Ultraschall-Achtspur-Studio aufgenommen.

Eure erste Single wird auf Wikipedia als „die erste politisch linksgerichtete Punkplatte Deutschlands“ beschrieben. Seht ihr das auch so?
Stéphane: Ob sie das tatsächlich war, mag ich nicht beschwören – andererseits fällt mir keine andere aus diesem Zeitraum ein. Mit „BGS“ und „You“ ist sie aber zweifellos aus heutiger Sicht linksgerichtet. Wir lebten in einer BRD, in der Judikative, Legislative, Exekutive und CDU/CSU noch von alten NSDAP- und SS-Kadern durchseucht waren, die nach der Nazibarbarei ihre Posten beibehalten durften oder sogar noch befördert wurden. Diese haben noch immer Macht ausgeübt und haben ihre Nazi-ideologischen Interessen verfolgt wie das Oktoberfest-Attentat von 1980, das aufgrund der Manipulationen von rechten Polizeibeamten, Staatsanwälten und Politikern nie aufgeklärt werden konnte, so das Ergebnis der Ermittlungs-Wiederaufnahme im Jahr 2020. In diesem Kontext haben wir „BGS“ und „You“ geschrieben.
Mike: Erste, zweite, dritte ... wer will das bitte wissen? Ist doch auch scheißegal. Anarchie und Kampf waren damals die Schlagwörter. Wir wollten frei sein und uns nicht verarschen lassen. Die gesellschaftlichen Strukturen in Politik und Verwaltung waren noch durchsetzt mit echten Altnazis aus dem Dritten Reich, das war ein ganz anderes Problem. Wir haben gesagt, was wir dachten, und hatten eine Haltung dazu, die für uns nichts Besonderes darstellte. Der Protest gehört der Jugend. Der Begriff „links“ hatte bei mir damals keine Verwendung.

„BGS“ wurde im Gegensatz zu „Wir wollen keine Bullenschweine“ von SLIME nie indiziert. Habt ihr eine Idee, warum es euch nicht getroffen hat?
Mike: Wir hatten wohl eher ein bisschen mehr Glück bei der Entscheidung, nicht auf dem Index zu landen. Ich kann mich an einen Bericht aus irgendeiner Polit-Sitzung erinnern, in dem genau darüber diskutiert wurde und ich den Eindruck hatte, dass unserem Text etwas mehr künstlerische Freiheit zugestanden wurde. Insbesondere die Passage „Hängt die Bullen auf und röstet ihre Schwänze“ wurde dort aufgeführt und eher mit Humor kommentiert. Ich glaube, wir hatten damals einfach Schwein mit den Schweinen.
Stéphane: Ich verstehe die Frage nicht. Aus welchem Grund hätte „BGS“ indiziert werden sollen? Wir waren damals alle – noch – keine Vegetarier und haben in „BGS“ schlicht unsere favorisierte kulinarische Zubereitungsvariante von Rindfleisch besungen. Eine andere Zubereitungsvariante wird im französischen Film „Themroc“ mit Michel Piccoli gezeigt.

Mit „Nein, nein, nein“ rechnet ihr mit Alfred Hilsberg von ZickZack Records ab. Was waren die Gründe für den Song?
Mike: Alfred Hilsberg hatte nie so richtig Bock auf Punk und bremste uns auch hier und da aus, wenn er konnte. Aber er war dennoch ein Teil der Hamburger Musikszene, zumal er ja auch mit Klaus Maeck vom Rip Off das Label ZickZack gründete. Die Avantgarde-und die Punk-Szene passten nicht zusammen. Punk war in einigen Dingen auch ziemlich intolerant, letztendlich genauso spießig wie das, was man kritisierte. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich die ersten druckfrischen Exemplare unserer Single persönlich im Rip Off ablieferte. Klaus hat die Scheibe gleich aufgelegt und sich schlapp gelacht. Die Textpassage „Fick Fack Rotzverein“ wurde auch deshalb gewählt, um eventuellen Maßnahmen bei plötzlich auftretenden Empfindlichkeiten vorzubeugen. Wir haben Alfred einfach mal unsere Meinung gesungen, er hat es verkraftet.

In „Kreatur“ geht es gegen Teds. Gab es oft Auseinandersetzungen mit denen?
Stéphane: Eine Zeit lang recht häufig. Was der initiale Auslöser gewesen ist, kann ich nicht sagen, aber offensichtlich hat es schon vorher in der britischen Szene begonnen. Dazu hat Jayne County schon 1978 – sie war im Vorjahr nach London gezogen – den Song „Eddie and Sheena“ geschrieben, eine damals modernisierte „West Side Story“-Geschichte. Dieser sinnlose Konflikt zwischen Punks und Teds musste dann natürlich auch auf die BRD-Szene übertragen werden, wahrscheinlich mit Unterstützung einiger Medien, und wurde von Einzelnen aus beiden Gruppen anscheinend dankbar angenommen – es gibt ja auch sonst nichts Sinnvolleres zu tun. Der Tiefpunkt war bestimmt das MEMBERS-Konzert in der Hamburger Markthalle, nachdem ein Haufen Teds die Besucher beim Verlassen der Halle abgefangen und verprügelt hat. Lustig war auf jeden Fall das MÖTORHEAD-Konzert in der Markthalle, wahrscheinlich auch 1980, bei dem eine Horde Teds in den Konzertraum gestürmt ist, während MÖTORHEAD spielten, die dann aufhörten zu spielen, um zusammen mit ihren Roadies und mit Knüppeln bestückt die Teds wieder rauszujagen.
Mike: Teds gegen Punks, Punks gegen Teds oder umgekehrt. Ja, es gab Auseinandersetzungen, das übliche Helge-Reinhold-Spiel, ein Sketch von Helge Schneider. Der Song ist absolut authentisch, schön überspitzt und echt für die damalige Zeit.

Exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum, gab es den bei euch, in eurer Szene?
Mike: Ich denke, das nimmt jeder anders wahr. Ich fand es relativ „normal“. Natürlich gab es Einzelne, die das eine oder andere zu viel konsumierten, und einige, die weder geraucht noch getrunken haben. Klar wurde ausgetestet und einige haben es später nicht überlebt. Ich denke, heute ist es nicht viel anders außer, dass das Angebot an Rauschmitteln stark zugenommen hat und leichter erreichbar ist.
Stéphane: Ja, so wie auch in der restlichen deutschen Gesellschaft.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind euch in Erinnerung geblieben?
Stéphane: Definitiv die Festnahme durch die Schweizer Polizei nach unserem Zürich-Gig im AJZ, dem Autonomen Jugendzentrum, im Rahmen unserer 1981er Tour. Bei der Freilassung nach 24 Stunden erfuhren wir, dass man uns eines Kapitalverbrechens verdächtigt hatte. Auch diese Geschichte hat Eugen Honold in seinem Tourbericht im Pretty Vacant-Fanzine Nr. 8 gut beschrieben.
Mike: Stéphane hat mich – leider – kürzlich noch mal daran erinnert: Unser Konzert im Basement in Köln. Wir hatten freitags schon die Anlage in einen roten Ford Transit geladen und ich habe den Wagen mit nach Hause genommen. Als ich dann gemütlich in der Koje lag und gerade am Einschlafen war, kam meine Mutter rein und sagte, es gäbe einen Anruf für mich. Am Telefon konnte ich wegen der lauten Hintergrundgeräusche kaum etwas verstehen. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass es Leute aus Köln waren, die nachfragten, wo wir denn blieben. Der Schock war groß, als mir klar wurde, dass ich offenbar den Auftrittstermin verwechselt hatte. Die Leute in Köln waren natürlich wenig begeistert und so platzte der Gig, denn am nächsten Tag war schon eine andere Band gebucht. Am nächsten Morgen, als wir um acht Uhr zur Abfahrt am Übungsraum verabredet waren, dachten die anderen erst, meine Geschichte sei ein Scherz. Bis ihnen langsam die Gesichter entglitten und ich mich tausendfach entschuldigen musste. Das war wirklich ärgerlich. Aber irgendwie auch Punkrock.

Habt ihr oft außerhalb von Hamburg gespielt? Wie wurden die Konzerte in der Zeit vor Internet organisiert?
Mike: Ja, wir waren tatsächlich oft unterwegs. Neben Auftritten in Deutschland spielten wir auch in Holland und der Schweiz. Ich begann damals, bei Robert im Unterm Durchschnitt/Konnekschen zu arbeiten, und tauchte mit der Zeit immer tiefer in die Themen Label, Bands, Produktion und Gigs ein. Anzeigen wurden damals in Printmedien geschaltet und Gigs telefonisch organisiert. Es war zu jener Zeit nicht wirklich kompliziert und die Leute waren insgesamt offener und verlässlicher, als es heute manchmal der Fall ist. Natürlich war am Anfang noch alles im Aufbau, aber nach einigen Jahren existierte bereits ein stabiles Netzwerk, sowohl in Deutschland als auch im Ausland.
Stéphane: Auch wenn wir mit fünf Gigs in dem achtmonatigen Bestehen des Krawall 2000 als deren Hausband bekannt waren, haben wir auch oft außerhalb von Hamburg gespielt. Meistens Wochenend-Gigs, an denen wir freitags oder samstags oder an beiden Tagen gespielt haben. 1981 haben wir eine dreiwöchige Deutschland-Schweiz-Niederlande-Tour unternommen, zu der Eugen Honold in seinem Fanzine damals den Tourbericht geliefert hat. Wir hatten vorher bei einer Auktion der Stadt Hamburg ein altes Feuerwehr-Einsatzfahrzeug gekauft, einen Mercedes Haubenwagen, und zum Bandbus umgebaut. Dieser hatte eine Doppelkabine für acht Personen .Wir waren zu siebt unterwegs: viermal BUTTOCKS, Manni, der Mixer, sowie Dr. Mabuse und Olli als Roadies. Der Wagen hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Damit waren wir drei Wochen unterwegs. Das Organisieren von Konzerten war viel aufwändiger. Location-Kontakte mit Adresse, Telefonnummer und Name waren ein wertvolles Gut. Die Planung lief über Telefonieren und Briefe schreiben. Diesen Part haben meistens Mike oder Robert Nitz übernommen.

Was waren die Gründe für die Auflösung 1983? Und wie ging es danach für euch weiter?
Stéphane: Die Luft war raus und wir waren nicht mehr produktiv. Deswegen haben wir uns aufgelöst. In der Folge habe ich im Februar ’83 bei dem Fabrik-Auftritt von SS ULTRABRUTAL am Schlagzeug ausgeholfen, der auf einer Seite der „Monster, Mumien, Mutationen“-LP zu hören ist. Ich habe viele Sessions mit verschiedenen Leuten gespielt, unter anderem auch mit Witte und Arne, später NOISE ANNOYS, C3I und viele andere. Dann kamen SLIME und TARGETS.
Mike: Wir sind irgendwann trockengelaufen, das heißt, wir wurden schneller, haben die Instrumente besser beherrscht, aber irgendwie ging es nicht mehr so locker von der Hand. Irgendwann trennten wir uns von Michael, unserem Bassmann, neue Stücke hakten, Texte hakten, hier und da keine Stimmung. Ich hatte irgendwann das Gefühl, der Drops ist gelutscht. Dann kam der Tag, wo persönliche Differenzen den Ausschlag gaben, die Band aufzulösen. Das Internet war noch in weiter Ferne und ich hätte nie gedacht, dass sich heute irgendjemand an die Band erinnern würde. Es waren fünf geile Jahre, die ich nicht missen möchte und in denen wir authentisch das durchgezogen haben, womit wir angefangen haben. Irgendwie war Punk für mich Anfang/Mitte der Achtziger tot. Der Mainstream hielt Einzug, drehte seine Runden und schob vieles in irgendwelche Schubladen. Das Revoluzzer-Gefühl ging verloren. Danach habe ich noch bei den Aufnahmen der KOMA KOMBO-LP, die von Colturschock gerade frisch rereleaset wurde, mitgewirkt und die Gitarre gespielt, rein aus Bock und Freundschaft.

Habt ihr das Gefühl, dass eure Texte noch aktuell sind?
Mike: Ich mag die meisten Songs noch heute, natürlich gibt es auch Favoriten wie zum Beispiel „Kill the pigs“, „Nein, nein, nein“, „You“, „Bonanza“, „Hate your neighbour“ oder „Deutsche raus aus Deutschland“. Mein Puls ging damals wie heute durch die Decke. Wir haben wirklich ein paar geile Songs auf die Beine gestellt, die auch heute noch Bock machen. Und wenn ich mir Rainers Gitarrespiel anhöre, wie er hier und da die Saiten zieht ... geil. Man spürt immer noch die Energie der Band.
Stéphane: Unsere Texte waren sehr plakativ und stereotyp. Das würden wir heute bestimmt anders machen. Andererseits waren diese Texte wohl auch der Grund, weswegen wir gut angekommen sind – ähnlich wie bei der ersten SLIME-LP, bei denen die Texte auf den folgenden Werken auch weniger plakativ, aber umso tiefgründiger wurden. Die Texte sind größtenteils noch aktuell, wobei der Feind heute nicht mehr wie damals der Staat mit seinen Ex-NS-Repräsentanten ist, diese haben sich spätestens seit den Neunziger Jahren biologisch erledigt. Aber nach wie vor die Faschisten, Rassisten, die Bild-Zeitung sowie natürlich diejenigen, die verhindern, dass hinreichende Maßnahmen gegen Klimawandel, Umweltverschmutzung, schwindende Biodiversität und für Gleichberechtigung beschlossen und umgesetzt werden.

Gibt es Songs, die ihr so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen beziehungsweise singen würdet?
Stéphane: Wir würden nicht mehr diese plakativen, stereotypen und klischeehaften Texte schreiben. Das Spielen der Songs steht auf einem anderen Blatt. Auch wenn ich heute ein anderer Mensch bin als mit achtzehn, zwanzig oder weil jeder Mensch sich kontinuierlich während seines Lebens verändert, so habe ich bisher jede Phase meines Lebens als positiv empfunden, so auch die Zeit mit BUTTOCKS. Und auch wenn ich heute nicht mit der gleichen Motivation, Intensität und Aggressivität hinter jedem Song stehen würde wie vor 45 Jahren, so hätte ich heute dennoch keine Vorbehalte, diese zu spielen. Mit meiner aktuellen Band BAD JOB BOYS covern wir zum Beispiel zwei BUTTOCKS-Songs.
Mike: Na klar, es gibt Songs, die ich heute nicht mehr so geil finde oder auch damals schon nicht so toll fand. Und natürlich gibt es Songs, die man heute anders schreiben würde. Es sind ja schon 45 Jahre vergangen. Da passiert schon so einiges im Leben und in der Gesellschaft.

Es gibt ja mehrere Rereleases, unter anderem auf Weird System und auf Colturschock. Wie ist es dazu gekommen, wart ihr überrascht, dass das Interesse immer noch vorhanden ist?
Mike: In den letzten Jahren gab es vermehrt Anfragen aller Art – jetzt eben auch euer Interview. Bei jeder Anfrage bin ich aufs Neue überrascht und frage mich, ob es sinnvoll ist, darauf einzugehen. Früher war unsere Haltung eher ablehnend, bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel für kleine Fanzines. Aber diese Einstellung erscheint mir heute nicht mehr zeitgemäß und etwas verkrampft. Weird System hatte damals die Idee, eine komplette Compilation der Band herauszubringen, mit Sachen aus dem Proberaum oder selbst mitgeschnittenen Live Aufnahmen. Da ist so ziemlich alles drauf, vom Anfang bis zum Ende. Colt hat uns dann vor einiger Zeit angesprochen und wollte die Singles rereleasen. Die Neuauflagen unserer beiden 7“s sind wirklich gut geworden – Colt hat da gute Arbeit geleistet.
Stéphane: Nachdem wir 1983 bereits drei Songs für den „Keine Experimente! Vol. 1“-Sampler aufgenommen hatten, haben wir in den folgenden Jahren bis zuletzt 2003 weiter mit Mansur Niknam und seinem Label Weird System für zwei eigene LP/CD- sowie mehreren Compilation-Veröffentlichungen zusammengearbeitet. Im Jahr 2017 hat uns Colt vom Label Colturschock gefragt, ob wir Interesse hätten, bei ihm die beiden BUTTOCKS-7“s neu aufzulegen. Da ich bereits gute Erfahrungen mit Colt bei dem Rerelease der TARGETS-Platte „Massenhysterie“ und dem Erst-Release der TARGETS-Compilation „Menschenjagd auf Deutsche Art“ gesammelt hatte und Mike auch interessiert war, haben wir uns für die Veröffentlichungen entschieden. In der Tat war ich überrascht, sowohl bei BUTTOCKS als auch bei TARGETS, dass sich Jahrzehnte nach den jeweiligen Erstveröffentlichungen offensichtlich noch jemand für diese Bands und Werke interessiert. Es hat mich wirklich sehr gefreut, dass es so ist und wir die LPs/CDs veröffentlichen durften.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis. Wart ihr da, wie sind deine Erinnerungen?
Stéphane: Nein, bei den Chaostagen war ich nicht dabei und – wenn ich mich richtig erinnere – es hat mich auch nicht wirklich interessiert, ein paar Tage auf der Straße abzuhängen, ohne einen wirklichen Zweck damit zu verfolgen.
Mike: Das waren die jungen Punks, die nächste Generation, ich war da schon raus. Die Chaostage habe ich nur am Rande wahrgenommen. Zu dieser Zeit bin ich beim Konnekschen-Label ausgestiegen. Robert hat seinen Plattenladen weitergegeben, und leider ist er einige Zeit später verstorben. Mit der Erfindung der CD standen Plattenläden, Labels und Vertrieben schwere Zeiten bevor. Oi!-Punk wurde populär, die Anzahl der Skinheads nahm zu und irgendwie war vieles einfach anders.

Im Rückblick, wie war es für euch, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?
Mike: Es war eine geile Zeit, die ich nicht missen möchte.
Stéphane: Wir waren von 1978 bis 1983 aktiv und wir feiern bald das 45-jährige Jubiläum unseres ersten Auftritts im Hamburger Airport am 11.12.1978. Es ist aber keine spezifische Veranstaltung oder Ähnliches geplant. BUTTOCKS waren für mich nicht die einzige Band in den Achtzigern. Danach waren es SLIME und TARGETS, dann habe ich mit Wolle von BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT und mit Rod von DIE ÄRZTE gespielt, bis ich vom Sommerurlaub zurückkam und Rod in der Zwischenzeit nach Berlin gezogen war, weil er als Gitarrist bei RAINBIRDS eingestiegen war. Von 1987 bis 1993 folgten dann LA FOLIE DOUCE in unterschiedlichen Besetzungen. Im Laufe derAchtziger hat sich vieles verändert. Ich hatte das Gefühl, dass die Szene ausgelaugt war. Bei Konzerten hingen die Leute oft apathisch herum, saßen am Bühnenrand mit dem Rücken zur Band, tranken ihr Bier und unterhielten sich miteinander, während die Band hinter ihnen auf der Bühne spielte. Ich konnte bei den Kids nicht mehr das Interesse und die Faszination an der Musik entdecken. Mir selbst hat es weiterhin großen Spaß gemacht, in einer Band die Musik zu machen, die ich mochte.

Seid ihr heute noch musikalisch aktiv und käme eine Reunion in Frage?
Stéphane: Ich spiele in der Hamburger Punkrock-Band BAD JOB BOYS. Wir haben Ende 2022 „Direkt ins Gesicht“ als Vinyl und digital veröffentlicht. Die erfolgreiche Release-Party fand im Februar dieses Jahr im Hamburger Indra-Club statt, wo die BEATLES ihr erstes Hamburger Engagement hatten – noch vor dem Starclub. Eine Reunion wird nicht stattfinden können, da unser damaliger Bassist Michael schon Mitte der Achtziger Jahre gestorben ist und Rainer, unser Gitarrist, sich aus der Szene völlig zurückgezogen hat und Zabel, unser letzter Bassist, bereits vor Jahren aufgrund einer Erkrankung mit dem Musikmachen aufhören musste. Aber ich kann versprechen, dass es bei dem BAD JOB BOYS + Special Guests-Gig am 4. Oktober auf der Frau Hedi – Frau Hedis Tanzkaffee ist eine kleine Elb-Barkasse, auf der regelmäßig Konzerte stattfinden – eine klitzekleine Überraschung geben wird.
Mike: Ab und zu betätige ich mich musikalisch, allerdings spiele ich in keiner Band. Eine Reunion stand für uns nie zur Debatte. 2014/15 haben wir uns zu dritt einige Male in einem angemieteten Studioraum getroffen, um unsere Songs noch einmal zu spielen – das war ein echtes Highlight. Ich hätte Lust gehabt, das in einem kleinen, privaten Old-Punk-Kreis zu wiederholen, aber es sollte nicht sein.

Wie sieht es mit den früheren Bandkolleg:innen aus? Machen die noch Musik, habt ihr Kontakt?
Mike: Mit Stéphane stehe ich noch in regelmäßigem Kontakt. Wir wohnen nicht allzu weit voneinander entfernt. Zu Rainer habe ich keinen Kontakt mehr. Michael verstarb leider einige Jahre nach seinem Ausstieg aus der Band an einer Überdosis. Zabel, der bei unseren letzten Studioaufnahmen für „Hate Your Neighbour“ dabei war, musste sich aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen.
Stéphane: Mit Rainer, wenn es wieder Mal Millionen an Tantiemen aus EP-Verkäufen oder GEMA-Einnahmen zu verteilen gibt, und natürlich mit Mike. Nachdem wir uns Jahrzehnte nicht gesehen hatten, haben wir uns Anfang der Zehner Jahre wieder getroffen, sind heute in zwei benachbarten Hamburger Vororten Nachbarn und gehen oft zusammen zu Konzerten.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich, machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Stéphane: Ehrlich gesagt: Emanzipatorischer als heute, obwohl auch um 1980 größtenteils Männer zu Punkrock-Konzerten kamen, so wie heute auch noch. Aber in den Siebziger und Achtziger Jahren hatte ich den Eindruck, dass mehr Frauen auch den Mut hatten, etwas Eigenes, Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen. So ähnlich, wie auch schon die HANS-A-PLAST-Schlagzeugerin Bettina Schröder im Ox #139 festgestellt hatte, dass sich damals viele Frauen vorgewagt hätten und sich die heutige Rolle der Frauen in der Musikbranche wieder sehr stark auf die des „Sexobjekts“ beschränkt. Generell, also losgelöst von der Musikbranche und vom Punk und verglichen mit der Rolle der Frau in skandinavischen Ländern, ist es hier in Deutschland eher eine ziemlich archaische Gesellschaft. Während der Lockdowns wegen Corona haben wir gesehen, dass Frauen ganz selbstverständlich wieder auf ihre Rolle in Haushalt, Küche und Kinderbetreuung sowie die gesamte Organisation, die damit verbunden ist, reduziert wurden. Also back in die dunklen Fifties des letzten Jahrhunderts. Gewalt in der Ehe/Partnerschaft und Femizide stiegen in dieser Zeit auch an. Frauen bekommen durchschnittlich geringere Gehälter trotz durchschnittlich besserer Bildung, müssen bei einer Bewerbung erheblich mehr Kompetenzen aufweisen, um sich gegen einen männlichen Bewerber durchzusetzen, und sind mehrheitlich immer das Geschlecht, das in einer Beziehung für den Haushalt zuständig ist. Im Bundestag sitzen grottige 35% Frauen gegenüber circa 50% in skandinavischen Ländern. Aus diesen Gründen müssten eigentlich, wie Debbie Harry von BLONDIE es schon formuliert hat, alle Frauen Feministinnen sein. In der Realität sehen wir, dass zur Zeit, Sommer 2023, laut Sonntagsfrage 27% der Frauen CDU/CSU und 23% AfD wählen würden. Das heißt 50% der Frauen würden rechts oder rechtspopulistisch wählen und damit aktiv für ihre eigene fortschreitende Diskriminierung, Ungleichbehandlung eintreten und nicht für Parität. Ich kann es nicht nachvollziehen. Bereits Kinder werden so konditioniert, dass für sie die Benachteiligung von Mädchen Normalität ist. Daraus erwachsen Männer, die den Status quo sowieso erhalten wollen, und Frauen, die zu 50% rechts wählen und damit ein archaisches Frauenbild in der Gesellschaft verfestigen. Der Weg zur Gleichberechtigung und Gleichbehandlung ist noch ein weiter, der manchmal sogar – bei fortschreitenden Rückschritten – noch weiter wird. Zumindest wird es somit immer etwas zu tun geben, es wird nicht langweilig und es wird auch weiterhin Stoff für Texte geben.
Mike: Die damalige Szene war durchaus geprägt von den klassischen Rollenbildern, denn die meisten von uns wurden von Eltern großgezogen, die in diesen traditionellen Strukturen aufwuchsen. Dennoch bemühte sich die Punk-Szene im Vergleich zu anderen Gesellschaftsgruppen recht früh, emanzipatorische Ansätze zu leben und zu fördern. Tatsächlich gab es einige Frauenbands, wie zum Beispiel die BABBITS aus Hamburg. Ihre Gitarristin spielte später bei XMAL DEUTSCHLAND. Auch wenn es durchaus mehr solcher Bands hätte geben können, der Raum und die Offenheit dafür waren definitiv vorhanden. Vielleicht braucht es einfach noch mehr Zeit, bis sich gesamtgesellschaftlich eine neue Normalität durchsetzt.