Bruno Rockstroh (LOIKAEMIE)

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My Little Drummer Boy Folge 56

Bei „Oi! Oi! Oi!“ denkt man sicherlich nicht sofort an filigrane Schlagzeugarbeit und trotzdem hat es der Schlagzeuger einer der bekanntesten deutschen Oi!-Bands irgendwie geschafft, für diese Serie ausgewählt zu werden. Irgendwie? Natürlich nicht, denn wer jemals das Vergnügen hatte, Bruno Rockstroh mit LOIKAEMIE oder einer seiner anderen Bands live zu erleben, wird sich an den unglaublichen Drumsound und das irrwitzig schnelle Schlagzeugspiel erinnern, das den Leipziger auszeichnet. Ein Grund hierfür ist sicherlich seine klassische Ausbildung, die bei dieser Art von Musik eher untypisch ist, aber auch Inhalt unseres – in Zeiten der Corona-Pandemie online geführten – Interviews war.

Bruno, kommst du aus einer musikalischen Familie und haben deine Eltern dich ermutigt, ein Instrument zu lernen?

Meine ganze Familie ist eher sportlich veranlagt. Fußball, Turnen, Leichtathletik und solcher Mist. Auch ich wurde ermutigt, in diese Richtung zu gehen, was sich als großer Fehler herausstellte. Ich glaube, es hat exakt zwei Fußballtrainingseinheiten und ein viertel Jahr Judo – zum Boxen durfte ich nicht – gedauert, bis klar war, dass der Junge es mit Sport nicht so hat. Über einen Querkontakt von meinem Vater bin ich auf die Musikschule geraten. Musikalische Früherziehung nannte sich das und ich war vier Jahre alt. Nach zwei Jahren kam dann die Frage auf, wer an der Musikschule bleiben und ein richtiges Instrument lernen will. Bumm, das war es und das Schicksal nahm seinen Lauf. Bis heute kann ich sportlichen Aktivitäten nicht wirklich viel abgewinnen. Als Jugendlicher hätten mich schon ein paar Sachen wie Skateboarden oder BMX fahren gereizt. Aber mal ehrlich, einmal blöd auf die Fresse fliegen und dann ein halbes Jahr nicht trommeln können? Das war und ist es mir bis heute nicht wert.

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen und für welche Bands hast du dich zuerst bewusst interessiert?
Ich glaube, meine ersten musikalischen Erfahrungen kamen durch meine Mutter, die ein großer QUEEN-Fan war. Mit ihr war ich auch auf meinem ersten Rockkonzert: AC/DC. Anfang der Neunziger lief im Radio meiner Erinnerung nach ausschließlich ROXETTE. Stimmt doch, oder? Die liebe ich bis heute. Als ich angefangen habe, selber bewusst Musik zu hören, müsste die Reihenfolge wie folgt gewesen sein: DIE PRINZEN – als Leipziger in den frühen Neunzigern Pflicht –, DIE TOTEN HOSEN, GREEN DAY, PENNYWISE und viel US- und Skatepunk-Zeug. Später kam dann viel Metal und Hardcore dazu.

Wann wurde dir bewusst, dass das Schlagzeug das richtige Instrument für dich ist?
Das ging schnell. An dem Tag, als ich das erste Mal an einem Schlagzeug dran saß. Schlagzeugspielen war nie nur ein Hobby. Mehr eine Leidenschaft und Berufung. Alles, was damit zu tun hat, habe ich regelrecht aufgesaugt. Bis heute hat sich nicht viel daran geändert. Ich bin ein ziemlicher Nerd. Mein ganzes Leben dreht sich um Drums. Neben meinem Hauptjob als Drummer habe ich vor elf Jahren sogar eine Festeinstellung bei der Stadt geschmissen, um mich mit meinen Kumpels selbständig zu machen und die Custom-Schlagzeug-Firma Rockstroh Drums zu gründen. Die Freiheit an dem Instrument ist das Schönste. Ich kann mich an hinterster Bühnenposition regelrecht verstecken, aber auch ganz gezielt in den Vordergrund spielen.

Als man dich oder deine Eltern fragte, ob du ein richtiges Instrument lernen willst, herrschte da in der Familie Einigkeit über das Schlagzeug?
Ja. Obwohl es bestimmt Zweifel und Sorgen gab. Da ja niemand selber Musiker war, konnte auch niemand einschätzen, was da auf die Familie zukommt. Fahrdienste der Großeltern zum Schlagzeugunterricht, bringen, holen und meistens „aushalten“, wenn es zu den ersten Konzerten ging. Nicht zu vergessen der Krach beim Üben daheim. Ich habe von der ganzen Familie immer volle Unterstützung bekommen, obwohl es schon eine ganze Weile gedauert hat, bis alle begriffen haben, es ist weniger ein Hobby, sondern wird nach und nach der Traumberuf.

Wann hast du dein erstes, eigenes Schlagzeug bekommen und hattest du die Möglichkeit, bei euch zu Hause zu proben?
Ich denke, ich war neun. Das erste Schlagzeug hat meine damalige Schlagzeuglehrerin organisiert und uns tatsächlich in die Mietwohnung gestellt. Wir haben in der dritten Etage gewohnt. Alle waren erleichtert, als mit der ersten eigenen Band auch der erste Proberaum in der damaligen Schule zur Verfügung stand.

Warst du ein fleißiger Schüler und wie viele Jahre hast du Unterricht genommen?
Ich denke schon, dass ich mich ganz wacker geschlagen habe. Nach den zwei Jahren Früherziehung hatte ich meine komplette Schulzeit über Schlagzeugunterricht. So richtig klassisch Musikschule mit Elternvorspielen, Zeugnissen und Prüfungen. Ich glaube, ich hatte nie eine schlechtere als Note als eine 2. Als ich 18 war – und musikalisch echt schon viel um die Ohren hatte –, wurde mir ans Herz gelegt, in Leipzig Schlagzeug zu studieren. Das wollte ich damals nicht, denn das klang mir irgendwie zu „jazzy“.

Wann hast du das erste Mal in einer Band gespielt?
Die erste feste Band hatte ich mit 14. Die Band hieß PAINFUL SILENCE und spielte eine ganz wilde Mischung aus Metal, Punk und Hardcore. Sehr schnell kamen da aber Zweit-, Dritt- und Viertbands in verschiedensten Genres dazu. Vorher habe ich aber schon viele Jahre in diversen Orchestern und bei einem Gospelchor getrommelt. Schräg war, dass ich als 15- oder 16-jähriger Punker oft vor den Kumpels Ausreden suchen musste, um mich heimlich in Hemd, Weste und Fliege zu werfen, um dann in der Oper oder im Gewandhaus zu spielen.

Was für Songs beziehungsweise welche Art von Musik dominierten deinen Schlagzeugunterricht?
Nun ja, was ich in meiner Jugend privat gehört habe, habe ich dir ja schon gesagt. Im Unterricht ging es eher durch die Welt der Grundrhythmen und Stilistiken. Als Schlagzeuger solltest du schon recht flexibel sein und genau darauf wirst du in der Musikschule vorbereitet. Sprich: Blues, Jazz, Funk, lateinamerikanische Grooves, Pop und was es sonst noch alles gibt. Als guter Drummer solltest du so etwas schon drauf haben. In meinen Orchesterzeiten habe ich oft Polka, Marsch und Walzer gespielt. Zu meiner Musikschulzeit gab es auch noch kein oder kaum Internet mit Playalongs oder Drum-Playthroughs, die heute zum Unterrichten und Lernen häufig genutzt werden. Bei uns gab es nur Noten.

Wie bist du als Teenager zum Punk gekommen?
Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, aber rein musikalisch durch meinen Onkel. Von ihm habe ich DIE TOTEN HOSEN-Platte „Reich & Sexy“ bekommen. Bis zu den „Schlachtrufe BRD“-Samplern war es dann nicht mehr so weit. Privat hatte ich ab frühester Jugend ausschließlich mit Leuten aus der linken Szene zu tun. Schulfreunde, Bandkollegen und Nachhilfelehrer. Wie das so ist, du steigerst dich rein, willst auffallen, gehst auf Konzerte, Demos, lernst ständig neue Leute kennen, fängst an zu trinken, kiffen und Spießbürger in der Fußgängerpassage um Kippen anzuschnorren.

Welche Bands, welche Schlagzeuger haben dich damals begeistert?
Ziemlich früh habe ich da über den Tellerrand geschaut, quasi nicht nur Punk-Drummer verfolgt. Mal ganz ehrlich, Punk-Drumming ist jetzt nicht gerade das anspruchsvollste der Welt. Die Liste an „Vorbildern“ ist und war da endlos. Bis heute schaue ich zu Schlagzeugern aus verschiedensten Richtungen auf.

Erinnerst du dich an deine ersten Gigs?
Auf einer großen Bühne stand ich erstmals mit meinem Gospel- und Pop-Chor. Das war das erste Mal mit Bühnentechnikern, Mikrofonen am Set und einer Menge Publikum. Das war vielleicht aufregend! Bandmäßig war ich das erste Mal im Alter von 14 Jahren in der Schulaula auf der Bühne. Unvergessen schlecht.

Wie und wann bist du als junger Punk auf die Skins LOIKAEMIE gestoßen?
Ich kannte die Band nur vom Namen her, persönlich nicht. Meine damalige Sängerin hat im selben Laden in Leipzig wie Ed und Thomas gearbeitet und brachte Ed irgendwann mal zu einem Konzert von uns mit. Da haben wir uns gut unterhalten, viel mehr aber auch nicht. Zwei bis drei Jahre später habe ich Ed dann zufällig im Conne Island getroffen. Das müsste eine IGNITE- oder PENNYWISE-Show gewesen sein. Da hat er mich direkt gefragt, ob ich nicht Lust hätte, bei LOIKAEMIE zu spielen. Zu dem Zeitpunkt lag die Band etwas brach und ich denke bis heute, dass der Rest der Jungs nichts von der Anfrage wusste. Ich bin nach Hause, habe erst einmal gegooglet, auf was ich mich da einlassen würde, und ziemlich schnell zugesagt, uns mal zu treffen und zusammen zu proben.

Wann wurdest du festes Bandmitglied von LOIKAEMIE?
Noch im selben Jahr, als Ed mich auf besagtem Konzi angesprochen hat. Das war 2011. Zwei Monate nach der Anfrage haben wir uns zum Proben bei mir in Leipzig getroffen. Zu dem Zeitpunkt lebten die Jungs ja schon in der ganzen Republik verstreut. Am Ende des Jahres gab es die ersten Shows in neuer Besetzung.

Warst du schon immer handwerklich begabt oder wie bist du darauf gekommen, deine ersten eigenen Drums selbst zu bauen?
Obwohl ich handwerklich nie eine Ausbildung gemacht habe, bin ich seit Kindertagen damit groß geworden. In meiner Familie sind und waren alle Handwerker. Mit einem Vater als „Holzwurm“, ein gelernter Holzmodellbauer, habe ich viel Zeit in Werkstätten verbracht. Als dann um die Jahrtausendwende die ersten coolen US-Punkband-Videos auf MTV liefen und ich gesehen habe, dass es in den Staaten so geile, kleine Custom-Drum-Firmen gibt, hat mich das schwer beeindruckt. Aber ganz ehrlich, als 15-Jähriger hast du keine 5.000 Dollar, um dir so ein Set bauen und schicken zu lassen. Also ging’s in Papas Werkstatt. Trommeln kurz sägen, die Beschlagteile austauschen, Hardware-Parts mit der Kanne lackieren und den ganzen Kram mit selbstklebenden Baumarktfolien beziehen. Das hat bei uns in der Region natürlich schnell die Runde gemacht. Auch ein paar meiner besten Freunde, ebenfalls Drummer, ließen sich fix von dieser Leidenschaft mitreißen und waren schnell mit am Start.

Wie kam es zu der Entscheidung, dich mit Rockstroh Drums selbstständig zu machen?
Ich habe nach der Schule fünf Jahre als Altenpfleger gearbeitet und immer auch Musik gemacht, viele Shows gespielt und nebenbei Trommeln gebaut. Die Mehrfachbelastung und das Zeitmanagement funktionierten irgendwann nicht mehr. Ich habe oft Frühdienst geschoben, bin danach fix in die Werkstatt und habe mich drei Stunden später abholen lassen, um zu Shows zu fahren. Teilweise haben mich meine Bands nach Konzerten dann direkt im Pflegeheim abgesetzt, um den nächsten Frühdienst zu schaffen. Da klar war, dass meine Musik immer nebenbei laufen wird, war die einzig logische Entscheidung, die Pflege hinter mir zu lassen und volles Risiko auf die Firma zu setzen.

Hast du diese Entscheidung schon mal bereut oder hast du – auch im Bezug auf die aktuelle Corona-Pandemie – immer genug Aufträge?
Bereut habe ich das nie. Wir leben bei Rockstroh Drums unseren Traum. Wir kommen mit echt coolen Leuten, Bands, Studios und Veranstaltern in Kontakt und dürfen denen geile Trommeln nach Maß schneidern. Was wir machen, ist natürlich ein absolutes Nischenprodukt und die Auftragszahlen schwanken immer. Das ist normal im Musikinstrumentenbau. Was jedoch aktuell passiert, ist schon besorgniserregend. Viele Materialien, die wir für unsere Custom Drums verwenden, kommen aus verschiedensten Teilen der Welt. Wir haben seit Wochen, teils Monaten keine Lieferungen aus Asien und Italien bekommen und da bleibt die Frage, wann uns die Materialien für neue Sets ausgehen. Mit dem Verbot sämtlicher Veranstaltungen und Konzerte ist natürlich auch der Schlagzeug- und Backline-Verleih, den wir neben unserem Custom-Bau auch anbieten, komplett weggebrochen. Am meisten Sorgen habe ich jedoch, was die Krise langfristig mit unseren Kunden macht. Viele Musiker nagen gerade am Hungertuch und da ist ein neues Schlagzeug bestimmt die letzte Anschaffungspriorität.

Mal unabhängig von Corona, übst du viel allein zu Hause oder immer nur mit der Band?
Zum richtigen Üben alleine komme ich ein- bis zweimal die Woche. Da aber oft Bandproben stattfinden und am Wochenende fast immer gespielt wird, sitze ich eigentlich fast täglich am Schlagzeug.

Du spielst live ein eher reduziertes Set mit wenig Toms und Becken. Hast du dich früher auch an großen Metal-Sets mit Doppelbass ausprobiert?
Ich habe ehrlich gesagt keinen festen Schlagzeugaufbau. Meine Sets variieren sehr bei den jeweiligen Projekten. Meine „Punkrock“-Aufbauten sind tatsächlich recht überschaubar. Kick, Racktom, Floortom, Snare und maximal vier Becken. Wenn ich bei anderen Produktionen spiele, wie zum Beispiel den Chemnitzer Dinnershows „Moments“, habe ich auch gern mal ein großes Set auf Rack-System mit vier Toms, zwei Snares und neun bis zehn Becken vor mir. So große, aufwändige Kits verwende ich jedoch nur in festen Spielstätten. Das Set wird einmal aufgebaut und bleibt dann zwei Monate stehen. Für den Tourbetrieb wäre mir das zu aufwändig. In anderen Bands spiele ich relativ kleine Sets, oft nur mit zwei Becken. Die ganz großen Doublebass-Sets baue ich mir jedoch auch regelmäßig zum Spaß in den Rockstroh Drums-Showroom.

Live oder Studio? Wo liegen für dich die wesentlichen Unterschiede?
Tatsächlich mag ich beides. Bei meinen Studiovorbereitungen stecke ich wahnsinnig viel Zeit in die Auswahl des Equipments. Die richtige Wahl, welche Snaredrum, welches Beckensetup und welche Befellung gut den angestrebten Sound umsetzen könnte, ist mir echt wichtig. Das ist auch immer die Chance, mal das ganze Equipment auszuführen, was sonst nur im Proberaum steht. Wenn ich dann meinen Kram eingespielt habe, geht mir das Studio ziemlich schnell auf den Sack. Vierzig Mal den gleichen Song hintereinander hören, das nervt doch. Ich will mich ja nicht schon im Studio an neuen Songs überhören. Live ist geil, weil du nie weißt, was auf dich zukommt. Jeder Abend ist eine Überraschung. Das mag ich schon sehr.

Welche deiner Studioproduktionen sind dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Puh... fast alle! Jede Produktion hat ihren ganz eigenen Charme. Auch hier weißt du vorher nie, was passiert. Wie klingt dein Set in dem Raum, wie kommst du mit Produzent und Team klar, wie schnell muss es gehen, welchen Anforderungen musst du gerecht werden. Wichtig im Studio ist dein Vibe. Du musst dich wohl fühlen. Da ich regelmäßig auch für andere Bands als „Ghostdrummer“ im Studio Platten einspiele – worüber natürlich nicht gesprochen wird –, kam in den letzten Jahren schon so einiges zusammen.

Wo geht deine musikalische Reise nach der Corona-Pandemie hin?
Ich hoffe, dass ich – wenn der ganze Corona-Mist vorbei ist – mit meinen Bands schnell wieder zur Routine übergehen kann. Unzählige Konzerte, Releases und Kreativabende zum Songwriting müssen nachgeholt werden.