Sie sind die kaum sichtbaren Rhythmusmaschinen im Hintergrund und doch kann ihre Tagesform bei einem Konzert über Sieg oder Niederlage einer Band entscheiden. Selten bekommen sie die Aufmerksamkeit der Fans, stets versperren ihre Bandkollegen ihnen den Blick von der Bühne ins Publikum. Sie halten im Idealfall die Band zusammen, auch wenn sich die Saitenartisten mal verspielen, und kommen sie aus dem Takt, ist die Band verloren. Die Rede ist von den Schlagzeugern dieser Welt, die hier in lockerer Reihe vorgestellt werden sollen. Kaum jemand nimmt sie für voll und längst ist es zum geflügelten Wort geworden: „Der, der mit den Musikern abhängt, muss wohl der Schlagzeuger sein.“ Ein schweres Los, für sie wollen wir also eine Lanze brechen. Brian Viglione ist einer von ihnen. Egal, ob einst bei den DRESDEN DOLLS oder aktuell bei THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY, der Trommelstil von Brian Viglione drückt jeder Band seinen unverwechselbaren Stempel auf. Er besticht stets durch seine völlig unerwarteten Themenwechsel und seine Präzision. Wir trafen Brian im Nexus zu Braunschweig, um ihn zu seiner Karriere zu befragen.
Brian, wenn man sich die Homepage der DRESDEN DOLLS anschaut, erfährt man, dass du sehr früh mit dem Trommeln begonnen hast.
Ich fing an, Schlagzeug zu spielen, als ich fünf Jahre alt war. Meine Eltern machten bei uns zu Hause schon immer Musik. Mein Vater spielte Schlagzeug und so kam ich frühzeitig damit in Kontakt. Als ich vielleicht neun war, zog mich meine Entwicklung in Richtung Rock’n’Roll, ich begann, diese Musik als mein eigenes Ding zu betrachten. Das fühlte sich dann so normal an wie Fahrradfahren. Das war so etwas wie mein innerer Kern, den ich mit der Welt teilen wollte – nicht nur eine vorbeigehende Phase in meiner Jugend. Als ich herausfand, wie viel Freude ich für mich aus dem Trommeln ziehen konnte, wollte ich dieses Erlebnis auch mit anderen teilen. Aber egal, ob in der Schule oder für mich alleine: Ich wusste, das war es, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Da gab es kein Zurück mehr.
Wolltest du jemals ein anderes Instrument spielen oder hast du schon mal eines gespielt?
Oh ja, ich habe Bass spielen gelernt, dann Gitarre und ein bisschen Piano. Ich mag Musik grundsätzlich. Je mehr Instrumente man lernt, desto besser kann man mit anderen Musikern zusammenspielen. Man bekommt dadurch auch ein besseres Verständnis für das Drumset und seinen musikalischen Kontext. Ich betrachte das Schlagzeug als Musikinstrument, nicht nur als Rhythmusinstrument, als das es ja häufig missverstanden wird.
Das Schlagzeug wurde also das Instrument, um dich auszudrücken?
Ja, es war zumindest das Instrument, zu dem ich durch meinen Vater die engste Beziehung hatte. Als meine Eltern sich scheiden ließen, war ich acht oder neun Jahre alt und das Schlagzeug war eine Möglichkeit, die Beziehung zu meinem Vater aufrecht zu halten. Das Ganze hatte also eine sehr emotionale Komponente. Dazu die Vermittlung von Werten und Moral. Mein Vater pflegte zu sagen: „Benutze das Schlagzeug, als ob es deine Stimme wäre. Lass dich nieder und lass es sprechen. Drück dich durch die Musik aus.“ Er hat mich auf viele Drummer – im Rock wie im Jazz – aufmerksam gemacht, durch die ich diese besondere Mischung von Aufregung und Adrenalin entdeckte.
Als ich das erste DRESDEN DOLLS-Album gehört habe, war ich sehr überrascht. Da war jemand, der nicht wie alle anderen Drummer klang. Man wusste nie, was im nächsten Takt passieren würde. Wie hast du deinen persönlichen Stil entwickelt?
In diesem Fall hat das sehr viel mit der musikalischen Beziehung zwischen Amanda, Pianistin und Sängerin der DRESDEN DOLLS, und mir zu tun. Da waren diese Verspieltheit und Impulsivität, die die Musik der DRESDEN DOLLS hatte. Amanda und ich hatten jede Freiheit, die wir brauchten, um uns innerhalb der Songstrukturen auszuprobieren. So wie zwei Kinder, die sich ihre eigenen Regeln machen, die eine eigene Sprache erfinden oder durch Zeichen kommunizieren. Als wir uns das erste Mal trafen, setzte ich mich ans Schlagzeug, spielte irgendwas und Amanda begann zu improvisieren. Diese Herangehensweise hatte auch Einfluss auf unser Songwriting. Mein Ansatz war es, unabhängig von Genre oder Stil, so viel Rhythmen und Drive wie möglich in unsere Musik einfließen zu lassen. Ich habe immer versucht, möglichst den Moment eines Songs zu erfassen und dazu zu spielen. Amandas Songs hatten immer viele Emotionen und Dynamikwechsel, und so ist dieser typische Stil entstanden.
In welchen Bands hast du ganz am Anfang gespielt, bevor die DRESDEN DOLLS der Mittelpunkt deines Lebens wurden?
Ich traf Amanda, als ich zwanzig war, vorher, in meiner Kindheit und auf der Highschool, habe ich verschiedene musikalische Phasen durchlaufen. Ich habe mal in einem Trio gespielt, in dem der Songwriter sehr von GUN CLUB, Nick Cave, PJ Harvey und solchen Sachen beeinflusst war. In dieser Band habe ich Bass gespielt und das war auf Dauer frustrierend, denn ich wollte endlich wieder Drums spielen. Letztlich war diese Erfahrung aber doch sehr gut, denn ich habe ein weiteres Rhythmusinstrument schätzen gelernt und viel über die enge Symbiose von Bass und Schlagzeug erfahren. Noch vorher, so zwischen 16 und 18, habe ich in Rock-Clubs mit Typen gespielt, die alle über 30 waren. Das war auch sehr cool, denn da haben wir immer fast vier Stunden lange Sets gespielt, von 21 Uhr bis die Bar um ein Uhr schließen musste. Die vielleicht bedeutendste Persönlichkeit, die ich in meinem Leben traf, war Casey Donovan, der sehr lange mein bester Freund war. Wir trafen uns in der Schule und – genau wie ich – wollte er Musik zum Mittelpunkt seines Lebens machen. Also trafen wir uns nach Schulschluss, probten, schrieben Songs und Texte. Wir hatten uns sogar zum Spaß einen Manager besorgt. Das volle Programm halt. Und vieles von der Art, wie Casey und ich Musik machten, beeinflusste später auch mein Spiel bei den DRESDEN DOLLS.
Dann trafst du Amanda, die DRESDEN DOLLS wurden plötzlich sehr erfolgreich und waren in aller Munde.
Das war sehr lustig. Eigentlich entwickelte sich alles über mehrere Jahre hinweg und kam gar nicht so plötzlich für uns. Wir haben jeden einzelnen Tag hart gearbeitet und gar nicht die Zeit, über die Schulter zurückzuschauen: „Oh, schau mal, wie weit wir gekommen sind!“ Die Band war uns allerdings immer sehr wichtig, wir hatten uns gut organisiert und unsere Prioritäten geordnet: Jeder Aufwand sollte für uns stimmig sein und uns weiterbringen. Wir haben immer vier- bis fünfmal pro Woche geübt, um unsere Songs stets zu verbessern, denn sie sind schließlich das fundamentale Element der Band. Wir hatten eine Mailing-List und immer guten Kontakt zu den Leuten. Als die Band größer wurde, waren dann nicht mehr nur Leute aus der Nachbarschaft, sondern Profis um uns herum. Wir waren immer froh, Menschen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds um uns zu haben. Wir hatten zum Beispiel eine hippiemäßige Managementfirma und eine Heavy-Metal-Plattenfirma.
Du hast nebenbei immer noch andere Projekte wie zum Beispiel HUMANWINE gemacht. Wie ging das zusammen?
Für mich als Musiker war es immer hilfreich, mit vielen anderen Leuten zusammen zu spielen. Da hat man diese Mischung verschiedener Ideen, Kreativität und Persönlichkeiten. Man läuft nicht Gefahr, irgendwann in einer Sackgasse stecken zu bleiben. Auf der einen Seite kann es gut sein, lange in einer Band zu spielen, um eine enge Beziehung und ein tiefes Verständnis zu entwickeln, es kann aber auch sehr gut sein, unterschiedliche Fähigkeiten zu entwickeln und andere Wege des Musikhörens zu lernen, wenn man mit anderen Mitstreitern kollaboriert. Vom ersten Tag der DRESDEN DOLLS an war es bei uns Gesetz, dass wir uns immer sofort gegenseitig Bescheid gaben, wenn einer von uns einen musikalischen Impuls von außerhalb verspürte. Ich erinnere mich, als wir mit den DRESDEN DOLLS sechs Monate am Stück hart gearbeitet hatten und Amanda plötzlich ausrief: „Stop, ich brauche dringend eine Pause!“ Und dann begann sie Theater zu spielen in diesem Stück, bei dem sie auch Regie führte und ich spielte während unserer Pause in einer Jazz-Band und ging mit so einer verrückten Goth-Band auf Tour. Das alles war sehr heilsam für uns, weil es uns die Möglichkeit gab, Dinge von anderen zu lernen und dann in unser Hauptprojekt einfließen zu lassen.
Gibt es denn die DRESDEN DOLLS theoretisch immer noch?
Oh nein, Amanda und ich haben letzten Sommer beschlossen, die Band ruhen zu lassen. Wir haben gemerkt, dass zu viel Frustration aufgekommen war und wir uns musikalisch beide nicht mehr richtig ausleben konnten. Wir hatten uns einfach in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelt. Amanda liebte immer die große Show mit vielen Schauspielern, Gästen und Coversongs, während ich unsere Musik weiterentwickeln und mich eigentlich auf unsere Songs konzentrieren wollte. Für mich fühlte es sich schon wie wirklicher Bruch an. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie sich eigentlich mehr auf ihre Solokarriere konzentrieren wollte. Das war also eine natürliche Entwicklung und ungefähr zu dieser Zeit, im Frühjahr 2008, bekam ich einen Anruf von Jack von WORLD/INFERNO, die gerade einen neuen Schlagzeuger suchten. Ich hatte die Band bereits 2003 getroffen und das war ein Erlebnis, was mich total weggeblasen hat. Ich war zu dieser Zeit auf der Suche nach interessanten Bands, mit denen wir auftreten konnten und stieß auf ihre Homepage. Ich kontaktierte die Band und lud sie ein, mit uns in Boston zu spielen und dann kamen sie – mit 13 Leuten in einen Bus gequetscht – an und spielten eine Killer-Show. Kurze Zeit später eröffneten wir – vor 800 WOLRD/INFERNO-Kids – eine Show für sie in New York und seitdem bin ich wohl immer Fan der Band gewesen. Als sie dann letztes Jahr den Wechsel am Schlagzeug vollzogen, rief Jack mich an, ob ich eine Europatour mit ihnen spielen wollte. Für mich war das die beste Band, in der ich mir zu spielen vorstellen konnte, und in gewisser Weise wurde da ein Traum war. Dies ist sozusagen meine einjährige Jubiläumstour.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #87 Dezember 2009/Januar 2010 und Christoph Lampert