BOYS NEXT DOOR

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Before the birthday party

Um uns herum hatte sich ein kleiner Kreis gebildet und ich selber war nicht weniger schockiert als die anderen Umstehenden: Meine Begleiterin hatte aus nicht ganz klar nachvollziehbarem Grund begonnen, auf eine andere Frau einzuschlagen. Nun wurde sie gerade von der Security über den Zaun gezogen, wobei sie mir noch zum Abschied zuwinkte. Ziemlich cool war das Ganze natürlich. Und auch oben auf der Bühne war der Tumult offenbar bemerkt worden, jedenfalls blickte mittlerweile die ganze Band in unsere Richtung. Und dann schritt er – Nick Cave, meine Damen und Herren – singend nach vorne, ging am Bühnenrand in die Knie und zeigte genau auf mich: „Do you love me!?“ Zu jener Zeit war ich schon seit einigen Jahren Fan gewesen – aber selbst heute, 15 Jahre später, bezeichne ich diesen Auftritt als das beste Konzert überhaupt!

Die ganze Szenerie trug sich im Sommer 1996 auf einem großen Open Air in der Schweiz zu. NICK CAVE & THE BAD SEEDS erlebten mit dem Album „Murder Ballads“ und der Single „Where the wild roses grow“ – jener Ballade mit Kylie Minogue als Caves Duett-Partnerin – ihren Durchbruch. Und auf diesem Open Air traten sowohl Kylie als auch PJ Harvey mit den BAD SEEDS zusammen auf. Den meisten Leuten vor Ort war die Band zuvor natürlich unbekannt gewesen und nun flüchteten sie in Strömen wieder von der Hauptbühne weg: Anstelle romantischer Kuschelmusik wurde von dieser unheimlich aussehenden Band ein höllisches Inferno veranstaltet, ein Wall of Sound inklusive Glockenspiel, Songs aus dem „Let Love In“-Album von 1994 bis zurück zum Debüt von 1984, „From Her To Eternity“. Die Leute waren schockiert, ich war begeistert.

Die Liebe zu Nick Cave ist mir inzwischen etwas abhanden gekommen: „The Boatman’s Call“ von 1997, das ruhige Album, auf welchem Cave die Trennung von PJ Harvey verarbeitet, ist zwar meine liebste LP überhaupt, allerdings klingen alle seither erschienenen Alben bloß noch nach Auftragsarbeiten. Nick Cave erklärt in Interviews sogar, dass er mittlerweile tatsächlich täglich von neun bis fünf in sein „Büro“ gehe, um dort Songs zu komponieren. Als Resultat wird uns dann belangloser Piano-Kitsch serviert, garniert mit vielen religiösen Motiven, schließlich habe man sich mittlerweile mit Gott versöhnt. So ähnlich die Worte zur Doppel-LP mit einem Gospelchor, „Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus“ von 2007. Ob das wirklich ernst gemeint war, kann ich nicht beurteilen, soll man vermutlich auch gar nicht können.

Auf alle Fälle erschien im selben Jahr wie „Abattoir/Orpheus“ die erste Veröffentlichung der dämonischen GRINDERMAN, quasi einer personell abgespeckten Rock-Version der BAD SEEDS. Die Spielfreude, welche GRINDERMAN live an den Tag legen, wird jeweils in höchsten Tönen gelobt und man zieht gerne Parallelen zu THE BIRTHDAY PARTY, der Vorgängerband von NICK CAVE & THE BAD SEEDS. Doch genau diese Gruppe mochte ich eben auch nie; das war mir alles zu sexuell aufgeladen und zu sehr mit Heroin vollgedröhnt.

Doch auf einmal war da dieser Videoclip zu einem Lied namens „Shivers“. Das Bild zeigt ein Mikrofon, zu hören sind Klavierakkorde und im Hintergrund Gitarrenrückkopplung. Und aus dem Dunkeln greift eine Person zum Mikrofon, und sie sieht aus und hört sich an wie Nick Cave! Die Internet-Recherche ergab: Ja, es handelt sich hier tatsächlich um Nick Cave und seine erste Band – THE BOYS NEXT DOOR!

1973 gründeten Nick Cave (Gesang), Mick Harvey (Gitarre) und Phil Calvert (Drums) zusammen mit drei anderen Jungs der Caulfield Grammar School Melbourne eine Coverband. Die Gruppe spielte unter anderem Songs von David Bowie und Alice Cooper und sollte sich nie auf einen festen Namen einigen können. Nach Beendigung der Schulzeit und dem daraus resultierenden Band-Split gründeten Cave, Harvey und Calvert sogleich eine neue Band mit Tracy Pew am Bass.

1977 nannte sich das Quartett schlussendlich THE BOYS NEXT DOOR und bot live Punk-Versionen von Songs wie „These boots are made for walking“ und „I put a spell on you“ dar, ergänzt durch einige Eigenkompositionen mit Titeln wie „Masturbation generation“. Nach der Veröffentlichung von „These boots ...“ als Single und einigen Beiträgen auf Aussie-Punk-Compilations ging es im Sommer 1978 ins Studio, um das erste Album aufzunehmen. Kurz nach der Fertigstellung dieser Aufnahme-Sessions stieß allerdings Rowland S. Howard als zusätzlicher Gitarrist zur Band, worauf sich der Sound der Gruppe schlagartig änderte. Waren die BOYS NEXT DOOR bisher irgendwo zwischen recht herkömmlichem Pubrock und nach vorne treibendem New Wave angesiedelt, wurde das Tempo erst mal ein paar Takte heruntergefahren und die Stücke erhielten bald eine ungemütliche, düstere Note. Als die erste LP „Door Door“ 1979 schlussendlich veröffentlicht wurde, enthielt bloß noch die A-Seite Material der ursprünglich geplanten Platte, Seite B wurde mit neuen Songs bespielt. Das Schlussstück des Albums war das zuvor genannte „Shivers“, eine inzwischen oft gecoverte Komposition von Rowland S. Howard, welche zugleich als Single veröffentlicht wurde.

Bereits im Dezember desselben Jahres erschien der nächste Tonträger, welcher die Weiterentwicklung der Band dokumentieren sollte: Die 12“-Debüt-EP „Hee Haw“ präsentierte fünf unheimliche Lärmattacken – Schlagzeug und Bass minimalistisch und repetitiv, zuweilen stockend, darüber ein quietschendes Saxophon und kreischende Gitarren, Rückkopplungen ohne Ende und ein Sänger, welcher seine Stimme in keiner Weise schonte, um seinem Ekel Ausdruck zu verleihen.

Zwei Stücke dieser EP wurden 1980 dann erneut veröffentlicht auf „The Birthday Party“, dem zweiten Album, einer direkt schon wieder tanzbaren Post-Punk-Platte. Hier ist die Geschichte der BOYS NEXT DOOR aber auch schon wieder zu Ende: Wenig später benannte sich die Band nämlich in THE BIRTHDAY PARTY um und beschloss, nach London (1982 dann nach West-Berlin) umzuziehen, wo bald John Peel auf die Australier aufmerksam werden sollte. Der Rest ist Geschichte.

Neben den erwähnten Tonträgern haben THE BOYS NEXT DOOR zwei weitere Singles veröffentlicht: 1980 die „Happy Birthday“-Single und 1979 eine Split-7“ mit den MODELS aus Melbourne. Beide wurden gratis auf Konzerten der Band verteilt, waren aber auf 500 bis 750 Stück limitiert. Sowieso sind die Platten der Band heute eher schwer aufzutreiben. Mag derzeit auch der gesamte Nick-Cave-Backkatalog auf CD wiederveröffentlicht werden – THE BOYS NEXT DOOR bleiben ausgeklammert. Die Chance auf Vinyl-Neupressungen ist derzeit – in Mick Harveys eigenen Worten – „gering“. Die CD-Version von „Door Door“ ist Secondhand zwar noch bezahlbar, für alles andere muss aber tief in die Tasche gegriffen werden. Für Sammler außerdem noch tückisch: Die EP und das zweite Album sind sowohl unter dem Namen BOYS NEXT DOOR als auch unter dem Namen THE BIRTHDAY PARTY veröffentlicht worden, alles jeweils in leicht abgeänderter Aufmachung. Es existieren zwar einige wenige Bootlegs mit Demoversionen und „Live“-Aufnahmen, wirklich lohnen kann sich aber vor allem die Suche im Netz, wo zahlreiche Konzertmitschnitte der Band zu finden sind.