BOXHAMSTERS / ULF JACHIMSKY

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Achtung, hier spricht der Trommeljunge

Einigen wenigen Schlagzeugern genügt es irgendwann nicht mehr, im Hintergrund für den richtigen Rhythmus und das präzise Zusammenspiel ihrer Band zu sorgen. Es zieht sie unweigerlich nach vorn an den Bühnenrand und sie beginnen zu singen oder Gitarre zu spielen, um auf die eine oder andere Art auf sich aufmerksam zu machen. Es gibt aber auch Drummer, die über Jahre hinweg den Sound ihrer Band entscheidend mitgeprägt haben, ohne dass dem aufmerksamen Zuhörer dies unbedingt vordergründig aufgefallen wäre. Ulf Jachimsky von den BOXHAMSTERS ist einer dieser Helden im Hintergrund, der von Platte zu Platte immer wieder durch neue Ideen glänzt und live durch äußerste Präzision in jeder Situation besticht. Dies ist seine Geschichte.

Ulf, was war zuerst da: dein erstes Schlagzeug oder die BOXHAMSTERS?

Das waren die BOXHAMSTERS. Ich hatte gar keine Ahnung vom Trommeln, als ich bei den Boxies anfing. Ursprünglich war Philipp der Hamster-Schlagzeuger, aber der hatte nach einem halben Jahr keinen Bock mehr und wollte lieber Bass spielen. BOXHAMSTERS waren damals nur zwei Gitarren und Schlagzeug; kein Bass. Irgendwie stellte sich eher zufällig heraus, dass ich ohne Vorkenntnisse genau so gut trommeln konnte, wie Philipp mit sechs Monaten Training, und so wurde ich dann als Schlagzeuger rekrutiert. Noch einen Tag vorher wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, mit dem Schlagzeugspielen anzufangen. Die ersten zwei bis drei Jahre habe ich dann immer auf geliehenen Schlagzeugen gespielt, und mir erst relativ spät ein eigenes gegönnt.

Und wie lange hat es dann von deinen ersten Stunden im feuchten Übungskeller bis zur ersten Show im Jugendzentrum an der Ecke gedauert?

Das war nach etwa sechs Monaten, im Sommer 1988: Ein Open Air beim besetzten Haus in der Wiesenstraße in Gießen. Wir waren mit Abstand die unbekannteste Band und hätten eigentlich als Erstes spielen sollen – wir hatten ja eh nur fünf Lieder, größtenteils Coverversionen –, aber irgendeine Band meinte dann, dass sie zuerst spielen müsste. Als wir dann nach denen auf die Bühne wollten, kam eine andere Band und meinte, dass sie jetzt erst mal dran sei. So ging das dann immer weiter, bis es dann nachts um zwei endlich hieß: jetzt seid ihr dran. Leider war zu dem Zeitpunkt Gitarrist Weilo verschollen und musste erst ausfindig gemacht werden ... er hatte sich im Auto schlafen gelegt. Das Konzert war dann natürlich eine ziemliche Katastrophe, aber irgendwie erinnern wir uns trotzdem immer gern daran.

Hast du danach irgendwann beschlossen, „richtig“ trommeln zu lernen, oder bist du immer Autodidakt gewesen, sprich: geblieben?

Ich bin immer Autodidakt geblieben. Auf eine Art schränkt mich das natürlich schon ein, im Nachhinein betrachtet. Wichtige Basics lernt man als Autodidakt vielleicht gar nicht, weil man keinen Bock drauf hat oder sie nicht durchschaut, und später fehlen sie dann doch. Fehler, die man macht, vertiefen sich über die Jahre, wenn einen niemand darauf hinweist. Und wenn man erst mal ein paar Jahre sein eigenes Ding gemacht hat, dann ist es kaum noch möglich, etwas von Grund auf neu und richtig zu lernen. Bei mir wäre das zum Beispiel bei der Fußarbeit bitter nötig ... Andererseits: Ich habe den Eindruck, dass Autodidakten eher einen eigenen Stil entwickeln als Leute, die nach dem üblichen Musikschulschema Schlagzeugunterricht hatten. Wenn ich mal nach sehr langer Zeit irgendwo ein uraltes Lied von uns höre, erkenne ich das manchmal schon am Trommeln, dass ich das bin; bevor ich das Lied überhaupt erkannt habe. Das finde ich dann eigentlich auch wieder gut.

Wenn die Hamster dich damals nicht gefragt hätten, ob du trommeln willst, hättest du dir auch ein anderes Instrument für dich vorstellen können?

Bass könnte ich mir schon vorstellen, aber sonst eigentlich nicht wirklich etwas anderes.

Als klar war, dass du bei den BOXHAMSTERS bleiben würdest, hast du dich da erst mal zu Hause hingesetzt und deine Lieblingsplatten nachgetrommelt?

Na ja, Lieblingsplatten nachspielen ist natürlich am Anfang nicht drin. Ich habe aber tatsächlich auf Kissen zu Musik getrommelt. Das ging mit den RAMONES los, weil die einfach zu trommeln sind, später dann auch andere Sachen. Einflüsse, die ich bei mir selbst raushöre, sind Jeff Nelson von MINOR THREAT und Bill Stevenson von DESCENDENTS/ALL. Was ich gerne bei mir raushören würde, wofür es aber einfach nicht reicht, sind Clem Burke/BLONDIE, Slayer Hippy/POISON IDEA und Keith Moon/THE WHO.

Inwieweit konntest du dich früher und heute in neue Songs der BOXHAMSTERS einbringen. Hast du da ausreichend Freiheiten bei den Arrangements?

Oha, hüstel, schwieriges Thema. Wenn wir ein neues Lied machen, kriege ich oft von Co oder Phil zu hören: „Spiel nicht so kompliziert, spiel das, was du immer spielst.“ Ich habe wohl vor 20 Jahren zu viel ALL gehört. Klar, es ist auch schon vorgekommen, dass ich das spielen durfte, was ich mir ausgedacht hatte. Das ist aber eher die Ausnahme. Oft hat der Co beim Schreiben eines Songs auch schon den Beat im Kopf. Das gibt dann Stress auf der Brücke, wenn ich was anderes spiele. Zum Glück lassen die Jungs von NAGASAKI FRONTAL mir etwas mehr Spielraum.

Wo du gerade deine zweite Band erwähnst. Viele Drummer spielen heute in mehreren Bands, um finanziell über die Runden zu kommen. Stand es für dich jemals zur Diskussion, von der Musik leben zu können, oder war das nie ein Thema?

Nein, das war nie ein Thema. Wir haben 1989 unsere einzige richtige Tour gemacht. Das war echt nervig beziehungsweise langweilig. Nur Autobahn, und am Auftrittsort rumhocken und auf den Konzertbeginn warten. Jeden Tag das Gleiche. Wir waren uns dann schnell einig, dass wir da keinen Bock drauf haben. Seitdem spielen wir eigentlich nur noch zwei Konzerte pro Monat; in der Regel an Wochenenden. Ich denke, das ist der Grund, warum es uns überhaupt so lange gibt. In der zweiten Band habe ich ursprünglich nur angefangen, weil ich einmal pro Woche proben wollte, und das mit den BOXHAMSTERS nicht zu machen ist. Inzwischen ist mir diese Band aber auch ans Herz gewachsen.

Fühlst du dich jetzt mit zwei Bands ausgelastet oder würdest du gern mal ganz andere Musik trommeln?

Mit zwei Bands komme ich dann auf circa eine Probe pro Woche, manchmal natürlich auch zwei, das ist genau richtig für mich. Andere Musik? Manchmal finde ich Pop-Musik richtig gut und denke mir, das wäre bestimmt weniger anstrengend. Aber Punk macht halt einfach am meisten Spaß.

Apropos anstrengend: Denkst du, dass ein schneller Song schwieriger zu spielen ist, oder hältst du die Präzision bei langsamen Songs für anspruchsvoller?

Ich habe da noch nie so wirklich drüber nachgedacht, aber ich denke, dass die Präzision anspruchsvoller ist. Schnell spielen ist eben Übungssache, aber zu guter Präzision gehört, glaube ich, noch etwas mehr. Musikalität vielleicht? Der Vorteil bei schnellen Songs ist, dass den Zuhörern die Fehler weniger auffallen. Zumindest ist das mein Eindruck, wenn man nach einem Konzert mit Leuten spricht. Von daher kann man mit schnellem Spielen einige Unzulänglichkeiten vertuschen. Außerdem gibt es erstaunlich viele Leute, die „schnell spielen“ mit „guter Schlagzeuger“ gleichsetzen, was ich ziemlich verwunderlich finde und ganz und gar nicht so sehe.

Wenn es nicht die BOXHAMSTERS wären: bei welcher Band – aus Vergangenheit oder Gegenwart – würdest du gerne mal die Trommelstöcke schwingen?

Keine Ahnung. Ehrlich gesagt, bei keiner. Wenn ich bei einer Lieblingsband trommeln würde, dann wäre es irgendwie nicht mehr die Band, die ich liebe. Die wirklich geilen Konzerte aus der Vergangenheit waren ja so toll, weil man als Publikum dieses Gänsehautgefühl hatte. Aus der Sicht eines Musikers gibt’s natürlich auch geile Konzerte, aber es ist irgendwie anders. Das Fan-Gefühl würde fehlen, denke ich.

Gibt es irgendwelche Musiker, mit denen du gern mal zusammen spielen würdest?

Tja, ich habe irgendwie keinerlei Ambitionen, wie’s scheint. Mir fallen keine Traum-Mitmusiker ein. Das finde ich ja fast selbst schon bedenklich.

Hast du im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Drumsets experimentiert oder bist du immer einer Marke treu geblieben? Wobei der Markenfetischismus bei uns Drummern ja nicht so ausgeprägt ist wie bei den Kollegen der Gitarrenfraktion.

Ich spiele seit 20 Jahren über dasselbe Set. Da wird man von manchem Veranstalter schon ausgelacht, wenn man nach Jahren wieder mit demselben Uralt-Teil mit Achtziger- und Neunziger-Punk-Aufklebern drauf ankommt. Gelegentlich habe ich schon mal über was schönes Neues nachgedacht. Aber dann fragt man sich, ob es wirklich sein muss, für die 15 Konzerte im Jahr. Am Ende siegt halt doch die Vernunft und man bleibt beim alten Zeug. Da fällt mir ein, einen Fetisch habe ich doch: Sticks müssen aus „Maple“ sein. „Hickory“ ist mir zu hart und zu schwer, damit kann man nicht schnell genug spielen.

Erinnerst du dich an deine persönlichen Top-drei-Shows, die du gespielt hast?

Top-Shows haben für mich weniger mit dem Hamster-Konzert an sich, als viel mehr mit dem Drumherum und Hinterher zu tun. Dass wir mal mit ALL getourt haben, 1989, das ist natürlich ein unvergessenes Highlight. Oder das Konzert in Frankfurt mit BAD RELIGION. Erstens waren das damals Helden von uns, zweitens hatten wir bis dahin noch nie vor so vielen Leuten gespielt und drittens haben wir an dem Abend auch noch die netten SPERMBIRDS kennen gelernt. An solche Tage erinnert man sich natürlich gerne. Die besten Partys waren immer bei Konzerten mit KICK JONESES. Das sind irgendwie die größten Partylöwen, die ich kenne. Überhaupt: Konzerte mit besonders netten Veranstaltern oder Mit-Bands bleiben immer am deutlichsten in der Erinnerung.

Kannst du dir vorstellen bis zur Rente und darüber hinaus hinter den Drums zu schwitzen?

Wenn man jung ist, denkt man tatsächlich, das hört irgendwann mal auf mit dem Laute-Musik-Machen. Aber im Moment kann ich mir das noch gar nicht vorstellen. Ich habe vor kurzem im Internet ein Schlagzeugsolo von einem 84-Jährigen gesehen. Das war nicht schlecht. Von daher kann ich mir das schon vorstellen, als Opa an den Trommeln zu sitzen.