BOSKOPS

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Lauschgift aus Hannover

BOSKOPS wurden 1981 von Mitgliedern von BLITZKRIEG, GEGENWART und ARISTOCATS gegründet. Bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1999 veröffentlichte die Band in wechselnder Besetzung vier Alben, von denen die ersten drei LPs, die alle in den Achtziger Jahren erschienen, zu meinem Soundtrack dieses Jahrzehnts gehören. Unsere Fragen beantwortet Gitarrist und Gründungsmitglied Wixer, der offen über seine Erfahrungen als Punk und Mitglied einer Hardcore-Punkband in den Achtzigern spricht. Dazu gehören auch die Chaostage in Hannover, Auseinandersetzungen mit Nazi-Skins und heftige Tourstorys.

Wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich der Virus selbst erfasst?


Ich suchte immer nach dem vollen Brett. Dann kam die erste DAMNED-LP. Es hat mich umgehauen. Zum Punk selbst kam ich durch hetzerische Medien.

Gab es von deiner Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?

Ja. Ich spielte schon Jahre zuvor Gitarre – auch schon vor BLITZKRIEG.

Hannover galt für viele in den Achtzigern als Punk-Hochburg – Chaostage, das UJZ Kornstraße, die Glocksee und so weiter. Wie hast du die Szene damals empfunden? Wart ihr eher in der Korn oder in der Glocksee, wo ihr euren Proberaum hattet?

Den Proberaum in der Glocksee haben wir heute noch. Den haben wir damals selbst instandgesetzt und heute sind wir mit vier Bands in dem Raum. In der Kornstraße waren wir oft und organisierten Konzerte, Aktionen und so weiter. Unser Freund Fred war unser Fahrer und organisierte die Konzerte und mischte die Bands dort ab – Antifa-Konzerte und Bands wie BLACK FLAG, BAD BRAINS, TOY DOLLS und viele andere. Es war eine Zeit des Aufbruchs, es passierte eine Menge. Ich kümmerte mich lange Zeit um die Klos in der Korn und schnitt ein Sieb für die Pissrinne aus, um so die Kippen und Flaschen aufzufangen. Das war nach Jahren immer noch da. Außerdem fegte ich auch das Glas der kaputten Bierflaschen morgens um fünf Uhr weg, weil morgens wieder der Korn-Kindergarten aufmachte.

Eure erste LP „Sol 12“ erschien 1983 bei Frostschutz. Wie ist der Kontakt zustande gekommen? Und warum seid ihr später zu Mülleimer gewechselt?

Der Typ vom Frostschutz hatte mitbekommen, dass wir eine eine Menge Leute ziehen. Vorher landete eine Übungsraum-Kassette bei Egoldt, dem Betreiber von Rock-O-Rama. Wir fuhren nach Köln in seinen Plattenladen. Am Plattenspieler legte Deutscher W von OHL auf. Der Vertrag war so scheiße, dass wir nicht unterschrieben haben. Frostschutz produzierte dann unsere erste LP „SOL 12“, aber wir wurden dort auch beschissen [Nach dem Ende von Frostschutz wurde die LP ohne Wissen der Band noch jahrelang nachgepresst, Anm. Redaktion]. Mülleimer meldeten sich bei uns und wir produzierten mit ihnen die zweite LP „Lauschgift“.

Euer Song „Punk Kartei“ handelt von der Kartei, die 1982 von der Hannoveraner Polizei über Punks angelegt wurde, was dann zu den ersten Chaostagen führte. Wie habt ihr das damals erlebt?

Wenn du zu der Zeit aussahst wie ein Punk oder eine Punkette, gab es Hausdurchsuchungen und auf der Straße Repressalien. Die Medien trugen auch dazu bei. Die Bullen haben nicht geschnallt, was Punk ist, und sie konnten es nicht einordnen. Ihre Antwort war die Punker-Kartei.

Der Song „Werner und Tina“ von der „Lauschgift“-LP handelt von der Liebe zwischen einem Skinhead – keinem Fascho-Skin – und einer Punkette und ist ein Cover von WAYNE COUNTY AND HIS ELECTRIC CHAIRS. Wieso habt ihr diesen Song geschrieben? Gab es Probleme mit Nazis und Naziglatzen?

Natürlich gab es Probleme mit Glatzen wegen ihrer Nähe zur FAP oder zur NSDAP-AO wie in Hamburg ... Und nach den Chaostagen 1984 waren die Fronten klar. „Punks und Skins united“ von wegen. Ich hatte den Song als Hoffnung gesehen, als moderne Variante von „Romeo und Julia“.

Da du gerade von den Chaostagen 1984 in Hannover sprichst – wie hast du sie als Hannoveraner in Erinnerung? Welche Auswirkungen hatten die Chaostage auf die lokale Szene?

Die Bullen waren sauer, da es am Aegidientorplatz, einem großen Platz in Hannover, zu Stein- und Flaschenwürfen kam und die Bullenkette durchbrochen wurde, um den Faschos zu zeigen, wo der Hammer hängt. Der Demozug wurde zum UJZ Glocksee umgeleitet, was so nicht geplant war. Eigentlich sollten Besucher in den Übungsräumen pennen. Die meisten Bands hatten deswegen ihre Anlage zu Hause deponiert – wir nicht! Der Hof füllte sich und die Bullen umstellten das UJZ. Wir bildeten eine Kette, um unsere kleine Anlage in die große Halle zu bekommen. HANSA-KNACKER, ABSTÜRZENDE BRIEFTAUEN und wir spielten, um die Leute von den Barrikaden zu bekommen, und es funktionierte. Dann stellten die Fascho-Prolls den Strom ab. Alle liefen nach draußen und fingen an, die Bullen anzugreifen. Wir bildeten wieder eine Kette, um die Backline in den Proberaum zu schmeißen. Ich bekam gerade noch mein Fahrrad über den Zaun, dann ging der Kessel zu. Die ganze Nacht über Tränengas, Wasserwerfereinsätze und Lichtkegel. Der Hausmeister „Leo Morgenstern“ – R.I.P. – war nicht da und seine ganze Bude wurde von den Wasserwerfern durchgespült und es war alles im Arsch. Heute ist Krösus, der Bassist von BLUT + EISEN, der Hausmeister. Am Sonntag und Montag verließen die meisten Punks Hannover. Der Sachschaden in der Glocksee war immens und wir brauchten Wochen, um alles einigermaßen wieder klar zu machen. Die nächste Zeit danach war ein einziger Spießrutenlauf inklusive politischer Diskussionen. Nach den Chaostagen überfielen dreißig Nazi-Skins das UJZ Kornstraße. Da war ein Konzert und 120 Punks und Punkketten stürmten auf die Straße. So bekamen die Nazis ihre eigenen Knüppel ins Genick. Mitte der Achtziger im Sommer fuhr ich sonntagsvormittags mit meinem Bike in Richtung Korn. Mein Fahrrad bestand nur aus dem Rahmen, zwei Rädern, Lenker und Sattel. Es hatte keinen Rücktritt, und die Kette sprang öfter ab. Plötzlich schrien mich drei bis fünf Nazi-Skins an: „Da ist noch einer!“ Zum Glück blieb die Kette drauf. Was ich nicht wusste, war, dass Johnny, der Drummer von KONDENSATORS, in der Nähe der Korn in einem Hinterhof zusammengeschlagen worden war. Er fuhr mit einen Ei weniger zurück zu seiner Familie nach Zürich.

Und wie ist das Video „Chaostage“ entstanden, bei dem ihr mit einem Song vertreten seid?

Mano von der MedienWerkstatt Linden hat alle „Chaostage 1984“-Sequenzen gefilmt und er hat seinen Arsch dafür hingehalten. Er fragte uns, ob wir auch mit auf dem Video sein wollten. Wir filmten auf einem Soldatenfriedhof den Clip zu „Jede 7 Sekunden“. Das komplette Video ist auf YouTube zu finden.

Eure dritte LP „F.E.D.I.A.“, die 1988 erschien, brachte ja nicht nur einen Besetzungswechsel, auch euer Sound wurde Hardcore-lastiger. Wie kam es dazu?

Hardcore-lastiger? Ich finde sie eher rockiger als die ersten LPs. „F.E.D.I.A.“ erschien erst mal nicht bei Mülleimer, sondern wurde von der Band auf Boskops Produktion selbst herausgebracht. 1987 kam Ralle zu den BOSKOPS und wir überredeten ihn, sich 10.000 DM zu leihen, da er einen festen Job hatte. Wir fuhren zum Lager und holten dort die Erstauflage von 2.000 LPs ab. Der geliehene Bulli wurde von dem Gewicht der LPs tiefer gelegt! „Fred“ arbeitete damals beim SPV-Vertrieb und machte alles klar. So war die erste Auflage von der „F.E.D.I.A.“-LP schnell verkauft, und Ralle konnte wieder durchatmen. Erst 1990 erschien die LP auf Snake, dem Nachfolger von Mülleimer.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum in der Punk-Szene, war das auch für euch ein Thema? Ihr habt ja schon über THC gesungen, als viele von uns Kiffen noch als „Hippie-Kram“ ablehnten ...

So viele Leute starben an Heroin, die echt was im Hirn hatten. Tabletten wurden gefressen, Kleber geschnüffelt und natürlich viel gesoffen. Du hast recht, damals wurde THC als „Hippie-Kacke“ gesehen. Ich genehmige mir heute noch gerne eine „Sportzigarette“.

Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert? Und habt ihr es auch geschafft, mal im Ausland zu spielen?

Man tauschte bei Konzerten die Adressen aus und schrieb sich. So kam es zu Konzerten in den Niederlanden, Österreich und Touren in der Schweiz und Spanien.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?

Unsere Riverboat Party 1983: Hat das gescheppert. 150 Punks auf einem Ausflugsdampfer auf der Ihme. Sonnenschein, Pogo, Bier und der Staatsschutz begleitete uns dabei. Der Kapitän meinte, wir können wiederkommen, er hätte sonst nur Büroetagen da und die würden alles vollkotzen, wir nicht! Oder unser Aufritt in Paris 1984. Die Hälfte der Skins waren Faschos. Du warst an keinem Ort sicher. Das war Ohnmacht pur. Sie schlugen Punks zusammen und klauten einem den Ghettoblaster. Der Sänger von DISORDER bekam live volles Rohr von einen Fascho-Skin eins in die Fresse – er sang weiter! Bei unserem Auftritt zerbrach am Schlagzeug eine 1-Liter-Bierpulle und wir brachen den Auftritt ab. 1987 nahmen wir in Hannover an einem Rockwettbewerb teil. Wir kamen nicht in die engere Auswahl, was uns nicht davon abhielt, einen Lkw zu mieten und zum Schützenplatz zu fahren, um dort live vom Lkw aus zu spielen. Dort holte der Veranstalter erstmals die Bullen. Es war eine Live-Übertragung im Radio. Die Bullen drehten am Volume, Presence, Bass und Treble herum – ohne Erfolg. Bis einer den Stecker meiner Gitarre rausgerissen hat, siehe Foto und auch Backcoverfoto von der „F.E.D.I.A.“-LP. Von uns war es passiver Widerstand, und es war keine Straftat, denn der Bulle hatte kein Käppi auf und war somit offiziell nicht im Dienst. Berlin West und Ost im Winter 1987/88. Ein Jahr vorher hatten wir einen Gig in Berlin. Auf dem Weg dorthin auf der Transitstrecke in der DDR hielten wir an einer Raststätte an. Wir trafen zwei Frauen, die Motorprobleme mit ihrem Trabi hatten. Wir kamen ins Gespräch und versuchten zu helfen. Willi gab den beiden unsere drei LPs mit. Wie wir jetzt wissen, wurden wir da schon von der Stasi überwacht. Willis Kontakte zu einer der Frauen wurden durch Briefe intensiver und so war er schon vor der Grenzöffnung zweimal in Magdeburg. Auf jeden Fall sollten wir „schwarz“ auf dem Prenzlauer Berg spielen und bei unserer Einreise nach Ost-Berlin nur Plektren mitnehmen. Einen Tag zuvor spielten wir in West-Berlin im Tommy Weisbecker Haus. Wir spielten für Kohle für den Bulli und Spritkosten. Wir durften morgens um vier Uhr auftreten, und ich ging mit einem Pappkarton durch die Leute und sammelte 32 DM, ein Piece und zwei Knöpfe ein. Dann am nächsten Tag trennten wir uns in zwei Gruppen, um so leichter über die Grenze zu kommen. Von der ersten Gruppe wurde der Drummer nicht reingelassen und von der zweiten Gruppe ich nicht. Das Konzert fand so leider nicht statt.

Fällt dir noch was ein?

In Wilhelmshaven bei der APPD-Sektion Sande, war das ein Gig! Wir spielten unter anderem mit SVART FRAMTID aus Norwegen, NEBENWIRKUNG und einer Finnen-Band. SVART FRAMTID kamen mit einen alten Bus. Wenn der gebremst hat, ist die Pisse von hinten nach vorne geflossen. Im Supermarkt knieten die „Skandis“ vor dem Alk-Regal. Teils hatten sie ein Satanskreuz auf der Stirn. Voll versifft und total nett. Ein Norweger steckte sich das Chillum von einer Hookah ans Ohr. Was haben wir gelacht. Nach unseren Gig nahmen wir LSD und wurden gefragt, ob wir noch mal spielen wollten. Das LSD fing gerade an zu wirken, als wir wieder auf der Bühne standen, unter Lachen mussten wir aufhören zu spielen. Willi, unser Sänger, sprang einem Norweger auf den Rücken. Der drehte sich nur um lachte und sagte nach zwei Pullen Korn: „Korn gut!“ – cool. Im Vorraum der Kneipe biss eine der „Skandi“-Frauen der anderen in die Nase und schüttelte ihren Kopf. Dann zog einer eine Tränengasflasche, ich wollte dazwischengehen und bekam auf LSD eine volle Ladung in die Fresse und wollte nur noch zum nächsten Klo, um mir die Augen auszuwaschen. Nach dem Gig fuhren wir im 7,5-Tonner über die Deiche zum Haus der APPD-Sektion Sande. Das war auf LSD im geschlossenen Lkw der Horror! Dort angekommen war noch keiner da. Ich kletterte durchs offene Klofenster und erwischte mit meinen Fuß ein Brett über der Badewanne. Es zerbrach und ich landete unsanft in der Wanne. Dann öffnete ich das große Wohnzimmerfenster und alle kamen rein und die Party ging weiter! Palettenweise Bier bis zur Decke – genial! Am nächsten Morgen lag eine „Skandi“-Frau noch nackt auf einem Typen, beide waren beim Beischlaf eingeschlafen. Wir spielten außerdem viele Soli-Konzerte, für Prozesskosten für Leute aus der Szene, für Frauen auf der Straße ... So sollten wir vom Lkw aus auf der Demo gegen die I.D.E.E., eine Waffenmesse, spielen. Das Aggregat ging an und die Verstärker in Rauch auf! Es gab 60 DM von der Antifa.

Hast du sonst noch Kontakt zu den anderen Bandmitgliedern? BOSKOPS haben ja 2013 noch einige Gigs gespielt.

Ja. 2013 feierte das UJZ Glocksee vierzigjähriges Bestehen. Aus diesen Grund haben wir wieder geprobt und danach noch ein paar mal gespielt, wie zum Bespiel auf dem Ruhrpott Rodeo.

Im Rückblick: Wie war es für dich in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?

Voll geil!

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute? Bist du heute noch involviert?

Punk bedeutet mir alles. Das ist heute genauso. Ja, ich bin noch involviert!

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen? Ich denke da an euren Song „Szenegelaber Part 2“.

Gleichberechtigung war eine Selbstverständlichkeit. Bei BLITZKRIEG hatten wir eine Sängerin. Unsere erste Gitarristin bei BOSKOPS hieß Jule und war bei der ersten LP „Sol 12“ dabei.

 


„Sol 12“ (LP, Frostschutz, 1983) • „Lauschgift“ (LP, Mülleimer, 1985) • „F.E.D.I.A.“ (LP, Boskops, 1988) • „Non Plus Ultra“ (LP, Snake, 1991) • „Sol 12 und F.E.D.I.A.“ (CD/Comp, Snake, 1990) • „Non Plus Ultra / Lauschgift“ (CD/Comp, Snake, 1991)