BORED!

Wenn in zwanzig Jahren die Geschichte der Rockmusik der Neunziger geschrieben wird, bin ich mir sicher, dass eine Band als wohlgehüteter Geheimtip auftauchen wird: BORED! aus Australien. Im Spätsommer waren sie das dritte Mal auf Europatour, begeisterten eine kleine, aber feine Anhängerschaft und hatten dazu noch eine Doppel-CD mit einem repräsentativen Überblick über ihre Aufnahmen der letzten zehn Jahre im Gepäck - mit Songs, die bis heute immer wieder gecovert werden, etwa von GLUECIFER. Am Tag vor dem Rückflug nach Down-Under saß ich mit der Band in einem arabischen Restaurant in Wuppertal - Bandboss Dave Thomas´ "zweite Heimat", denn hier wohnte er Mitte der Neunziger und verliebte sich in die Schwebebahn - und unterhielt mich bei Bier und reichlichem Essen über die aktuelle Tour und die ganzen Jahre davor.

Wie oft wart ihr hier auf Tour?


Dave:
"Das war das dritte Mal: 1990, 1994 und jetzt."

Dann seid ihr 2005 wieder dran.


Buzz: "Nein, 2004, während der nächsten olympischen Spiele. Da spielen wir dann in Griechenland ein paar Shows."

Die Spiele in Sydney habt ihr ja erfolgreich verpasst.

Dave: "Wir bekamen nur ganz am Rande was in den deutschen Medien mit. Wir sind dem Rummel in Australien also durch einen glücklichen Zufall entkommen. Ich wohne mittlerweile in Sydney und habe mit meiner Freundin oft telefoniert, die nur stöhnte, dass die Stadt ein einziges Chaos sei."

Buzz: "Die haben wegen der Spiele das ganze Land umgekrempelt und sogar die Fußballsaison verlegt."

Hier war das Verhältnis zwischen "Neu-Australiern" und den Aborigines in den Medien ein großes Thema. Wie habt ihr das erlebt?


Dave: "Nee, also das ist schon eine ganze Weile ein wichtiges Thema, vor allem der Skandal um die entführten Kinder: Noch bis in die Fünfziger haben die Behörden armen Aborigine-Müttern die Kinder weg genommen und in weisse Pflegefamilien gegeben. Die australische Regierung sollte sich jetzt entschuldigen, hat das aber nicht getan, das war natürlich ein großer Skandal, weil der Premierminister sich weigerte. Außerdem wird immer noch darum gestritten, dass die Regierung den Aborigines einfach ihr Land gestohlen hat, ohne jede Entschädigung."

Buzz: "Vor den Spielen kamen aus den USA Leute von den Black Panthers, um eine Dokumentation über die Aborigines zu erstellen, das war ein großes Thema."

In den USA sind nur wenige Schwarze in der Punk- und Hardcore-Szene, hier gibt´s kaum Türken, die in Punkbands spielen, wie sieht´s in Australien mit Aborigines aus?

Buzz:
"Also in der Szene, in der wir uns bewegen, gibt´s nur wenige Aborigines. Eine Ausnahme ist der Sänger der BLOOD SUCKING FREAKS. Dann ist ein Freund von mir Aborigine, der trommelt in einer Punkband. Und das war´s dann auch schon, was mir so einfällt."

Dave: "Es ist einfach so, dass Punk die Musik der Weissen ist - die Musik des White Trash, hahaha."

Seht ihr euch denn noch oder überhaupt als Punkrock-Band?

Dave:
"Hm, ja, nein, oder? Ich glaube, wir haben uns schon immer als eine Rock´n´Roll-Band gesehen. Punkbands waren für uns immer die mit Irokesen-Haarschnitt, und so sind wir nie rumgelaufen. Aber die Punk-Attitüde fand ich immer gut, diese Streetpunk-"I don´t give a fuck"-Einstellung."

Buzz: "Wir haben auch keine explizite Punkrock-Anhängerschaft, das sind eher Rock´n´Roller."

Dave:
"Ja, aber zu unseren Shows kommen schon auch immer viele Punks, wobei in meiner Heimatstadt bei unseren Konzerten das Publikum völlig buntgemischt ist. Da hast du Surfer, Punks, Rock´n´Roller, normale Kneipenbesucher und so weiter."

Buzz: "In Australien gibt´s auch eine ganz eigene Pub-Kultur, wo sich die unterschiedlichsten Leute treffen, zusammen trinken und einfach Spaß haben - und es ist immer angenehm, in solchen Läden zu spielen."

In Deutschland habt ihr jetzt das dritte Mal getourt. Habt ihr da über zehn Jahre Veränderungen bemerkt, was euer Publikum anbelangt?

Buzz: "Also ich habe nicht viel an Veränderungen bemerkt, teilweise kamen die gleichen Leute zu unseren Shows, die auch vor zehn Jahren schon da waren."

Dave: "Ich bin mir nicht sicher. Wir sind nur viel zu kurz hier, um wirklich Veränderungen wahrzunehmen. Bei der letzten Tour war die Szene vielleicht noch etwas punklastiger, jetzt fiel mir eine gewisse Detroit-Lastigkeit auf bei den Bands, mit denen wir spielten. Nimm nur diesen ganzen HELLACOPTERS-Hype, wobei ich denke, dass die Sache auch schon wieder beinahe durch ist. Vor zehn Jahre, bei der ersten Tour, war dagegen dieser SubPop-Hype allgegenwärtig."

Die Tour lief ganz gut für euch, wie ich gehört habe?

Dave: "Ja, und ich denke, wir kamen immer noch gut an und haben eine Menge netter Leute getroffen."

BORED! waren ja seit der letzten Tour Geschichte und spielten nur ganz sporadisch noch eine Show. Wie kam´s jetzt zur "Reunion"?

Dave: "Nach der letzten Tour hatten wir uns eigentlich aufgelöst, das stimmt, und wenn wir mal spielten, dann in unserer Heimatstadt. Ich hatte aber seit langem vor, diese Best of-Compilation zusammen zu stellen, und als die jetzt endlich auf Subway erschienen ist, nahmen wir das zum Anlass, doch nochmal nach Deutschland zu kommen. Von der Originalbesetzung hatten nicht alle Zeit, also fragte ich zwei Freunde, ob sie mitkommen, und so sind wir jetzt hier. Mein Anspruch an die Tour war eher, die Sache als Urlaub anzusehen und nicht zu hoffen, mit Geld nachhause zu fliegen, als sowas wie den Abschluss unter all die Jahre mit BORED!"

Buzz: "Die Tour war auch wirklich sehr spaßig, mir kommt das vor wie eine Fahrt mit seinen besten Kumpels zu einem Auswärtsspiel deiner Fußballmannschaft. Die ganze Zeit nur Saufen und Party, hahaha."

Dave:
"Dabei nehmen wir unsere Konzerte aber durchaus ernst, geben jeden Abend unser Bestes. Wir sind also nicht die ganze Zeit besoffen..."

Erzähl mir noch was zu dieser BORED!-Compilation.

Dave:
"Ich wollte einfach die besten Songs, die wir gemacht haben, auf eine Platte packen, plus noch ein paar unveröffentlichte. Neue Aufnahmen haben wir seit fünf Jahren nicht gemacht."

Buzz: "Weil wir auch keine neuen Lieder geschrieben haben..."

Dave: "Ja, weil wir auch immer nur zum Spaß gespielt haben, ohne an eine neue Platte und neue Songs zu denken. Als die HELLACOPTERS und ZEKE auf Tour waren, wollten die unbedingt mit uns spielen, also haben wir ihnen den Gefallen getan. Und außerdem haben wir alle einen normalen Job, so dass nicht viel Zeit für die Band bleibt."

Was macht ihr denn so?

Buzz: "Ich bin Maschinist in einer Fabrik, ich muss eben Geld nachhause bringen, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Wenn ich nicht auf Tour bin, führe ich ein normales Leben."

Dave: "Und ich arbeite immer noch auf dem Bau."

BORED! waren und sind nie eine Band gewesen, die besonders populär war, andererseits seid ihr immer sowas wie ein Geheimtip mit treuen Anhängern gewesen, gerade auch unter anderen Bands, wie diverse Coverversionen zeigen.

Dave:
"Keine Ahnung, wie das kam, aber wahrscheinlich haben uns all diese Leute mal persönlich getroffen und gemerkt, dass wir total nette Typen sind - die Musik interessiert ja sowieso keinen, haha. Ein schönes Erlebnis hatten wir in Belgien in der "Lintfabrik": die Leute dort hatten unser Konzert deshalb gemacht, weil sie uns vor zehn Jahren, mit sechzehn, live gesehen hatten und mit durch uns auf den ganzen Rock´n´Roll-Trip gekommen waren. Die haben sich total gefreut, nach all den Jahren ein Konzert mit uns machen zu können."

Musikalisch habt ihr aber durchaus einen gewissen Einfluß ausgeübt, auch wenn ihr euch nur als kleine Band seht. Ihr habt - ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich in den Ox-Anfangstagen von Glitterhouse euer Album bekam - damals schon den schnörkellosen Rock gespielt, der sich dieser Tage so großer Beliebtheit erfreut. Mir zeigte es damals, dass es jenseits von Punk und Hardcore auch gute Rockmusik gibt.

Buzz: "Australien ist für diese Art von Rockmusik seit bald 30 Jahren bekannt, und wir sehen BORED! schon als Teil dieser Tradition. Nimm Bands wie HOSS oder die POWDER MONKEYS, oder davor GOD oder die SEMINAL RATS."

Dave: "Als wir die Band gründeten haben wir die unterschiedlichsten Bands gehört, aber AC/DC gehörten zu unseren Favoriten, und ich hatte davor in zig Punkbands gespielt. Und John, der damals in der Band war, hörte BLACK SABBATH und CPT. BEEFHEART. Unser Sound war immer sehr rauh und direkt, aber dabei waren wir immer für die verschiedensten Leute zugänglich und legten uns nie auf eine Szene fest. Wir hatten auch nie eine eng umgrenzte Fangemeinde, sondern zogen die unterschiedlichsten Leute an. Wenn wir in unserer Heimatstadt spielen, sind wie immer die Hauptband, und wenn wir dann dran sind, sind alle schon besoffen und wahrscheinlich klingt dann alles gut - womöglich ist das unser "Erfolgsgeheimnis", haha."

Begeisternd finde ich an vielen australischen Bands, wie direkt und rauh sie sind.


Dave: "Ich denke, das hat was mit einer grundsätzlichen "Mir doch egal"-Einstellung zu tun. Wir haben nicht so viele Probleme wie andere Leute, und ich denke, das schlägt auf die Mentalität durch."

Buzz: "Das Land ist so groß und weit und isoliert, das hat auch was damit zu tun, denke ich. Da hast du als Band keine besonderen Ambitionen, groß rauszukommen, weil drumherum ist ja nichts. Also machst du nur, worauf du Lust hast, und das wirkt sich auch auf die Musik aus. Du spielst in Australien nur deshalb in einer Band, weil du Bock drauf hast und nicht, weil du das als Karriere ansiehst, was sich wiederum auf die Attitüde der Bands auswirkt. Hier in Europa scheint jeder, der in der Szene was macht, das als Karriereoption anzusehen und das beeinflusst das Handeln. Bei uns dagegen kommst du damit nicht weit, und wenn jemand es trotzdem versucht, fällt er bald auf die Schnauze und lässt es wieder bleiben."

Aber es gibt doch auch erfolgreiche Bands in Australien, oder?

Dave: "Klar, etwa POWDERFINGER. Die kommen aus Queensland, waren auf dem "Mission: Impossible II"-Soundtrack und haben allein in Australien 200.000 Platten verkauft, womit sie ein Jahr in den Top 40 waren. Die sind derzeit die größte Band in Australien, sowas wie die neuen MIDNIGHT OIL."

Dave, letzte Frage, was bedeutet Wuppertal für dich?

Dave: "Schwebebahns and elephants."

Buzz: "Why did the elephant jump out of the Schwebebahn?"

Dave: "Because he was pushed!"

Danke, Jungs

Dave: "Wir danken dir. Besuch uns mal."