BOOZE & GLORY

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Multikulti-Oi!

BOOZE & GLORY mögen in London gegründet worden sein und Oi!-Punk nach englischem Vorbild spielen. Indes ist nur ein Mitglied, Gitarrist Liam, Engländer. Der Rest kommt aus respektive lebt in Polen, Italien, Australien und Griechenland. Entsprechend interessant ist das, was Frontmann Mark (Polen) neben den Ausführungen zum neuen Album „Chapter IV“ zu den Themen Politik, Stolz und Heimat zu sagen hat, die allesamt seit jeher eine gewisse Rolle im Oi!-Genre spielen.

Mark, euer neues Album heißt „Chapter IV“. Was ist neu an diesem Kapitel?

Es ist ein neues Kapitel im Leben der Band. Es gab einige personelle Veränderungen seit dem letzten Album, beispielsweise übernahm Frank den Platz von Tommy als Schlagzeuger. Wir verwendeten wesentlich mehr Instrumente als auf den alten Platten: Klavier, Mandoline, Banjo und sogar Streicher. Und nach einigen sehr erfolgreichen Jahren bei Contra Records, Step1 Music und Sailor’s Grave Records entschieden wir uns, einen Vertrag über zwei Alben bei Burning Heart zu unterschreiben. Das Label existiert ja wieder und hat einen legendären Ruf, da es schon Platten von TURBONEGRO, THE HIVES PARKWAY DRIVE und MILLENCOLIN veröffentlichte. Burning Heart übernimmt auch das Management für uns, was bedeutet, dass wir uns ab sofort mehr auf die kreativen Angelegenheiten rund um BOOZE & GLORY konzentrieren können. Das alles ist sicher Grund genug, dem Album den Titel „Chapter IV“ zu geben.

Wie kam der Deal mit dem jahrelang nicht mehr aktiven Label zustande?

Als wir im vergangenen Jahr durch die USA tourten, verbrachten wir im Van Stunden damit, über die Zukunft der Band zu sprechen. Einer unserer Freunde, der mit dem Label zu tun hat, erwähnte dabei, dass Burning Heart kurz zuvor wieder neu belebt worden sei, und ob das nicht eine Option für uns wäre. Es läuft gut, die Zukunft sieht vielversprechend aus.

Und warum sollten die Leute euer neues Band-Kapitel nun aufschlagen und hören?

Weil „Chapter IV“ ein Album über die gesammelten Erfahrungen ist, die wir im Leben gemacht haben, und weil es unsere Sicht der Dinge wiedergibt. Wir haben den Eindruck, dass viele Menschen sich in unseren Songs wiederfinden und Parallelen zu ihrem eigenen Leben ziehen. Natürlich ist es nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie tun und lassen sollen. Aber wir können unsere Gedanken mit ihnen teilen und hoffen, dass wir die, die sich das anhören, damit berühren können.

Ich habe ich mir noch einmal euer erstes Album „Always On The Wrong Side“ von 2010 angehört. Zwischen damals und heute liegen spiel- und soundtechnisch schon Welten ...

Na ja, die Stücke dieses ersten Albums haben wir vor fast zehn Jahren geschrieben. Und als wir sie aufnahmen, waren wir immer noch dabei, uns kennen zu lernen, als Musiker und als Freunde. Zudem haben wir „Always On The Wrong Side“ live eingespielt und wollten es eigentlich nur als Demotape für Veranstalter verwenden, um damit Auftritte an Land ziehen zu können. Es war Tony von Step1, der uns überredet hat, es regulär als Album zu veröffentlichen. Seitdem sind wir reifer geworden – charakterlich und musikalisch, vom Songwriting her ebenso wie technisch.

Wie viel dieser frühen BOOZE & GLORY steckt heute noch in der Band?

Das, was damals war, wird immer in uns stecken, schließlich war das die Zeit, als für uns als Band alles begann. Auch wenn wir uns weiterentwickelt haben und heute besser wissen, wie wir das, was wir mit unserer Musik sagen wollen, rüberbringen können, so bleiben unsere Wurzeln unverändert.

Zu diesen Wurzeln gehört Oi! und damit ein Genre, das seit jeher mit „romantischen“ Klischees arbeitet. Es geht um Working Class, Rebellion, das „Wir gegen die“-Gefühl ... Was macht Oi! trotzdem zeitgemäß?

Seit der Entstehung von Oi!- und Streetpunk gab es immer dieses starke Element des Kommentierens der sozialen Gegebenheiten und der „romantischen Klischees“, wie du sie nennst. Aber das ist heutzutage so relevant wie in den Siebziger und Achtziger Jahren. Gerade aufgrund des beängstigenden aktuellen politischen Klimas. Diese Art von Punkrock ist absolut lebendig.

Nun hast du in der Vergangenheit mehrfach betont, dass BOOZE & GLORY eine unpolitische Band seien, sprichst aber gerade von Politik. Kann ein Musiker, und damit ein Künstler, überhaupt unpolitisch sein?

Zunächst einmal: Auch wenn wir versuchen, uns so gut es geht von Politik fernzuhalten, ist es doch so, dass es sich manchmal nicht vermeiden lässt, eine politische Aussage zu treffen. Dazu muss man sich ja nur all die verrückten Dinge anschauen, die gerade auf der Welt vor sich gehen. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, Musiker können durchaus entscheiden, sich aus politischen Dingen herauszuhalten. Aber das kann eben manchmal auch dazu führen, blind zu werden für Intoleranz und Ungerechtigkeit – und damit für Dinge, gegen die man eigentlich vorgehen sollte. Musiker sind in der exklusiven Lage, Missstände öffentlich ansprechen und dadurch eventuell die Meinung anderer verändern zu können. Es wäre fahrlässig, diese Chance zu vergeben.

Im Oi!-Punk, der seinen Ursprung in England hat, geht es nicht selten um den Stolz auf dieses Land, um den Stolz auf die Heimat. „England belongs to me“ von COCK SPARRER ist nur ein Beispiel dafür. Ihr habt Musiker aus England in euren Reihen und habt euch in London gegründet. Könnt ihr nach dem Brexit noch stolz auf diese englischen Wurzeln sein?

Die Band wurde zwar in London gegründet und ich habe dort auch einige Jahre gelebt, bin aber mittlerweile wieder in Polen, wo ich ja auch herkomme. Frank lebt in Italien, unser Bassist Bubbles in Australien. Nur Liam, unser Gitarrist, lebt noch in London, wenn er denn überhaupt mal da und nicht unterwegs ist. Wir haben immer schon ein internationales Line-up gehabt. Es wäre also bescheuert, wenn gerade ich als jemand, der aus einem südpolnischen Kaff namens Sosnowiec kommt, über englischen Stolz sprechen würde.

Ist das Wort Stolz in Verbindung mit dem Begriff Heimat nicht heutzutage wieder besonders problematisch, wenn man sich die an Zulauf gewinnenden Rechtsparteien oder die Präsidentenwahl in den USA anschaut?

Im falschen Kontext können diese Wörter und Begriffe tatsächlich bedenklich und – verwendet von Menschen mit rechter Überzeugung – sogar gefährlich sein. Letztlich sind Stolz und Heimat zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Du kannst stolz sein auf etwas, das du erreicht hast, aber nicht auf das Land, in dem du geboren wurdest. Denn diesen Umstand kannst du selbst nicht beeinflussen. Ich gebe zwar zu: Ich habe durchaus eine sensible und gefühlvolle Ader, wenn es um jene Orte geht, wo ich aufgewachsen bin und mit denen ich so viele Erinnerungen verbinde. Aber es ist nichts, auf das ich stolz bin. Da spielt eher Respekt eine Rolle, weil diese Orte einen Großteil von dem Menschen ausmachen, der ich heute bin.

Zum Brexit werdet ihr aber dennoch eine konkrete Meinung haben.

Wie du dir vorstellen kannst, halten wir alle das Vorhaben, die Grenzen zu schließen, für einen Schritt in die falsche Richtung. Eben weil wir alle verschiedene Pässe besitzen und regelmäßig um die Welt reisen. Und Großbritannien wird diesen Fehler irgendwann vielleicht bereuen. Wenn ich mir vorstelle, dass das ein paar Jahre früher passiert wäre, dann würde es BOOZE & GLORY heute wahrscheinlich nicht geben. Gerade der Umstand, dass wir alle aus verschiedenen Ländern und Kulturen kommen, hat uns ja zu dem gemacht, was wir heute sind. Wenn du den Menschen die Möglichkeit zum Miteinander nimmst, hat das für alle nur Nachteile.

Polen waren lange willkommene Gastarbeiter in England, im Zuge der Brexit-Kampagne änderte sich das Klima. Siehst du die Gefahr, dass EU-Bürger rausgeschmissen werden?

Ich sehe nicht, dass diese Gefahr in der näheren Zukunft besteht. Da ist auch viel Angstmacherei der Medien im Spiel, die ihre eigenen politischen und finanziellen Interessen verfolgen. Solche Maßnahmen hätten ein riesiges Chaos zur Folge, das wäre Wahnsinn, politisch wie finanziell, und auch moralisch absolut verwerflich.

Polen erlebt derzeit einen Rechtsruck, die konservative Regierung setzt auf Populismus.

In Polen ist es nicht anders als in vielen anderen Ländern auf der Welt: Die Rechten versuchen in harten Zeiten nach der Macht zu greifen. Schwer zu glauben, dass diese Leute hier wirklich ins Amt gewählt wurden, aber leider stellt das wohl einen besorgniserregenden Trend dar. Aber versuchen wir positiv zu bleiben. Immerhin haben Bands wie wir viel zu sagen zu solchen Themen.