Wer sieht am besten aus in einer Band, deren Namen suggeriert, man habe es hier mit Männerunterwäschemodels zu tun? Oder auch nur mit einem Haufen selbstironischer Musiker? Diese Frage und andere stellte ich Sänger Nils Bolle Selke.
Am besten von allen sähe "natürlich" der Sänger selbst aus, "auch wenn der Name das ausschließt". Das war anscheinend nicht diplomatisch genug, denn "eigentlich sehen alle gut aus". Wird die Band mit solch einem Namen ernst genommen? "Die Frage kommt häufiger. Der Name kommt überraschend gut an und ist aufgrund seiner Länge einprägsam", entgegnet Bolle, der auch bei den Kölner Glamrockern LOVE DICTATOR das Mikro malträtierte. Der Bandname war eine Entscheidung des Vierers, dem seit Anfang des Jahres ein Organist zur Seite steht. "Carra d'assalti", italienisch für "Panzer", oder wortwörtlich übersetzt: "die Angriffskarre", war hingegen des Sängers Favorit. Aber dieser Name wäre viel zu Heavy Metal für eine Band, die sich komplett dem Rock'n'Roll verschrieben hat, vorzugsweise dem der 70er. Dabei war der 28-jährige Bolle in Jugendjahren ein Headbanger: "Als ich noch ein kleiner Metaller war, war meine Lieblingsband MOTÖRHEAD. Ich habe alle Alben gesammelt und habe MOTÖRHEAD über 20-mal gesehen." Metal war nur eine kurze Phase, "dann wurde ich ‚rückbesonnen‘."
Rückbesonnen auf den Boden der Tatsachen werden wir von einer Mini-Lokomotive voller kreischender Kinder, die auf Schienen durch den Park fährt. So kurz wie dieses "Vergnügen" war auch Bolles Liebäugeln mit dem Schwermetall. Er entdeckt jetzt mehr und mehr alte Rockklassiker, was man dem Album anhört. Zwar ist "Crazy nights and lazy days" 80s-Glamrock pur, aber hauptsächlich klingt "Tono-Bungay" nach 70er-Classic-Hardrock. "Damit sind wir auch recht zufrieden, denn wir versuchen tatsächlich, Retro-Style zu spielen." Bolles Affinität zum "Retro-Style" und zu MOTÖRHEAD verdeutlicht sich darin, dass die Band ein immenses Repertoire an Coversongs in petto hat, weswegen man schon einmal als BÖLLE AND THE MOTÖRBOYS auftrat und ausschließlich Nummern der Engländer aufführte.
Die vier "gut aussehenden Jungs" neben Bolle haben vor der jetzigen Band auch schon fleißig musiziert. "Drummer Steffen und Gitarrist Jan waren schon seitdem sie Musik machen, in gemeinsamen Bands wie der Punkband DAMENBART. Und unser Bassist Lars macht ja sowieso überall mit." Auch wenn sein Vorname zuerst genannt wird, war Bolle, der vor seinem Studium einem Bürojob beim Bund nachging, der Vorletzte, der zur Gruppe stieß. Ein Freund von Sänger und Band spielte die Vermittlerrolle zwischen beiden Parteien, nachdem er Bolle auf einem Festival singen hörte: "Da habe ich ein grandioses Cover von ‚Suspicious minds‘ auf der Karaokebühne hingelegt." Und schon bei der ersten Probe harmonierte der Vierer, so dass man schon nach drei Wochen das erste Demo aufnahm. Der Letzte im Bunde der "Gutaussehenden" ist Flo an der Orgel. Einen Organisten habe man immer schon gesucht, "weil eine Orgel rockt". Gefunden hat man ihn im selben Proberaum. Flo war Keyboarder in einer "anderen Band, die Rockmusik für Kinder macht", und "irgendwann im dichten Kopf haben wir mit ihm darüber gesprochen und Flo meinte: ‚Ich hab voll Bock drauf!‘" Seitdem sind BATVGB zu fünft. Anfangs sollte Flo nur als Gastmusiker Flächen bei drei Songs des Albums einspielen. Doch schnell wurde er ein festes Mitglied, das sich voll austoben darf mit seinem Hammondsound. "Tono-Bungay" orientiert sich bewusst am Rock. So bewusst, dass die Texte auf positive Art vor Klischees nur so strotzen. Nummern wie "Rock'n'roll shoes" oder "Crazy nights and lazy days" sollen "Spaß, Rock'n'Roll und 'ne gute Zeit" vermitteln.
Andere Worte hingegen spricht der Opener "Dedisneyficator". Der Ausdruck stammt aus einer "Doku über Charles Burkowski", in der "irgendein anderer, dicker, bärtiger Alkoholiker interviewt" wird. Dieser sagte über den Schriftsteller, "er sei auf jeden Fall der ‚Dedisneyficator‘ seiner Zeit gewesen, weil er den Leuten die rosa Brille von den Augen nahm und zeigte, wie das Leben wirklich ist". Hier bemerkt man, dass Bolle - der auch Spammails mit seinem Electro-Rock-Projekt SPAM ROCK CYBORGS vertont- nicht nur Klischees aufgreift. So auch der Albumtitel "Tono-Bungay": Er beruht auf einen "sozialkritischen Roman von H.G. Wells. Der Onkel des Protagonisten erfindet die besondere Medizin ‚Tono-Bungay‘ und engagiert seinen Neffen, diese zu vermarkten", was dieser sehr erfolgreich macht. "Der Haken an der Sache ist, dass die Medizin ungesund" sei. Wie das zu einem Rock'n'Roll-Album passt, liegt auf der Hand: "Zu viel Rock'n'Roll kann auch ungesund sein, oder?" Der sozialkritische Titel, die klischeebeladenen Texte, der originelle Bandname; wie geht das gut? "Im Endeffekt versuche ich, das Meistgrößte an Poser-Faktor in die Musik zu bringen. ‚Tono-Bungay‘ zeigt, wie ‚belesen‘ wir doch sind, aber wir können auch anders."
Arndt Aldenhoven
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Carsten Hanke