BOBBY LEES

Foto© by John Swab

The Wisdom Of Youth

2020 erschien mit „Skin Suit“ auf Alive Records das zweite Album von THE BOBBY LEES aus dem Bundesstaat New York. Das erste, „Beauty Pageant“, wurde 2018 noch in Eigenregie veröffentlicht und später dann in einer live eingespielten Version wiederveröffentlicht. Mit „Skin Suit“ empfahlen sich THE BOBBY LEES ­– Gitarrist Nick Casa, Schlagzeuger Macky Bowman und Bassistin Kendall Wind waren bei der Bandgründung im Jahr 2017 erst 17, Sängerin und Gitarristin Sam Quartin war hingegen schon fünf Jahre älter – als erfrischend wilde und rotzige Garage-Punk-Band. Produziert hatte „Skin Suit“ Jon Spencer, ehemals PUSSY GALORE und JON SPENCER BLUES EXPLOSION, dessen Einfluss man auch musikalisch deutlich zu hören glaubte. Ende Oktober erscheint das neue Album „Bellevue“, diesmal bei Ipecac. Macky und Sam beantworteten mir einige Fragen.

Jon Spencer hatte euer vorheriges Album „Skin Suit“ produziert. Was für eine Beziehung hattet ihr bis dahin zu seinem Schaffen?

Macky: Um ehrlich zu sein, war ich mit Jons Musik oder seinem Einfluss als Jugendlicher nie besonders vertraut. Elektrisch verstärkter Blues war nichts, was mich wirklich angezogen hat. Ich bin in Woodstock, New York, aufgewachsen, umgeben von Musik, die ihre Existenz Leuten wie Muddy Waters und Howlin’ Wolf verdankt, und zu der Zeit, als ich mich wirklich mit Musikgeschichte befasste, hatte ich bereits genug von der Ikonographie der Moll-Pentatonik. Heute weiß ich natürlich, dass das eine alberne Art war, Musik zu hören, aber ich muss zugeben, dass diese Denkweise mir geholfen hat, aus meiner Komfortzone herauszukommen und wirklich nach neuen Sachen zu suchen. Es ist schon komisch, wie sich die Dinge entwickeln, denn jetzt bin ich ein großer Fan von Jons Arbeit und extrem dankbar für alles, was er zur Musik beigetragen hat. Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, bin ich noch ein bisschen ehrfürchtiger und dankbarer, dass er sich entschieden hat, uns eine Chance zu geben.

Die Basis für eure und Jons Musik ist traditioneller Blues und Rock’n’Roll. Was reizt dich noch an dieser Musik, die schon von unzähligen Garagenbands gespielt wurde?
Macky: Ich glaube, dass ich das Genre erst wieder richtig zu schätzen gelernt habe, als ich schon in der Band spielte. Abgesehen davon finde ich an dieser Art von Musik dasselbe großartig wie an allen anderen Musikrichtungen. Und das ist natürlich die Fähigkeit, eine emotionale Verbindung zum Hörer aufzubauen. Ich denke, dass die intellektuelle Auseinandersetzung mit Kunst wirklich Spaß machen kann und auch hilfreich ist, um die Fähigkeit zu entwickeln, sich ernsthaft mit der realen Welt auseinanderzusetzen, aber was mir bei Musik immer mehr aufgefallen ist als bei jeder anderen Kunstform, ist ihre Tendenz, Gefühle vor Gedanken hervorzurufen. Ich möchte hoffen, dass auch unsere Musik dieses Ziel erfüllt, aber ich weiß es nicht.

Ihr kommt ja aus der näheren Umgebung von New York City. Als ich mich 2012 mal mit Jon unterhielt, erzählte er mir, dass das alte und schmutzige New York, wie die 42nd Street in Manhattan mit ihren Grindhouse- und Pornokinos, unter anderem dank der Gentrifizierung inzwischen nicht mehr existiert, was in gewisser Weise einhergeht mit einem Tod von Subkultur, weil Künstler dort nicht mehr leben können. Ist es ein New York, das ihr noch kennt? Gibt es noch eine lebendige Subkultur in New York?
Sam: Wir leben zwei Stunden nördlich von NYC, also gibt es in unserer Gegend mehr Bäume als Menschen, weshalb ich auch gerne außerhalb der Stadt lebe. Ich bin zwar in New York City aufgewachsen, aber all die coolen Sachen, über die ich gelesen habe, wie die Shows im Max’s Kansas City und CBGB’s oder das Chelsea Hotel, all das war schon vorbei. Also weiß ich nur, was ich in Büchern gelesen habe, und ich glaube nicht, dass man etwas wirklich kennt, bis man es selbst erlebt hat, also kenne ich es wohl überhaupt nicht. Ich bin inzwischen trocken und halte mich deswegen nicht gerne an Orten auf, an denen viel getrunken wird, wenn es also eine Art Subkultur oder Szene gibt, wie sie in den 70er/80er Jahren in New York existierte, dann weiß ich nichts davon.
Macky: Soweit ich das beurteilen kann, war NYC schon immer scheiße. Jetzt ist es nur auf eine viel weniger coole Weise scheiße.

Als ihr vier die Band gegründet habt, wart ihr alle ziemlich jung, um die 17, mit Ausnahme von Sam. Manche meinen, dass jungen Musikern noch etwas Lebenserfahrung fehlt, um wirklich relevante Kunst zu schaffen.
Macky: Ich denke, der Drang, sich künstlerisch zu betätigen, ist etwas, das völlig altersunabhängig ist. Man kann nie zu jung oder zu alt sein, um etwas Wertvolles zu schaffen, wichtig ist nur, dass man sich wirklich bemüht. Das Schaffen, Betrachten, Aufführen und Erleben von Kunst ist für mich ein Gespräch. In der Tat sind es viele Gespräche, die gleichzeitig zwischen vielen verschiedenen Menschen stattfinden, die sich mit derselben Sache beschäftigen.

Eure neue Platte habt ihr bei Ipecac veröffentlicht. Bedeutet das einen erhöhten Druck für die Band, bei so einem renommierten Label zu sein?
Macky: Keinen Druck oder so etwas. Mehr als alles andere glaube ich, dass wir alle einfach nur aufgeregt waren über die Aussicht, das, was wir machen, mit mehr Leuten teilen zu können, als wir es bis zu diesem Zeitpunkt getan hatten. Es ist eine Ehre und auch eine große Bestätigung, von Leuten respektiert zu werden, die wir ebenfalls sehr respektieren und die erfolgreich waren, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

Sam hat mal gesagt: „Es ist eine Erinnerung für mich, dass die schmerzhaftesten und intensivsten Dinge, die ich durchmache, am Ende kreativ am lohnendsten sind.“ Kann große Kunst also nur durch großen Schmerz entstehen?
Macky: Ich glaube nicht, dass das unbedingt das ist, was Sam gemeint hat. Ich kann mich irren, aber für mich liest sich das so, dass sie etwas Schlimmes und Schmerzhaftes in etwas Gutes und Erfreuliches verwandelt hat. Kunst ist ein wunderbarer und gesunder Weg ist, um schwierige Zeiten im Leben zu verarbeiten und zu bewältigen. Davon abgesehen denke ich, dass eine der ungesündesten Sachen, die man tun kann, ist, Schmerz als Treibstoff für große Kunst zu fetischisieren. Ein trauriger, beschissener Künstler wird genauso beschissene Kunst machen wie ein glücklicher, beschissener Künstler. Es ist die Person, die zählt, nicht die Emotion.
Sam: Ich weiß nicht, was gute oder schlechte Kunst ist. Ich weiß nur, wann sich etwas für mich gut anfühlt, und das ist es, was mich am meisten anzieht. Ich finde es erstaunlich, dass jeder etwas erschaffen kann. Es ist viel einfacher, darüber zu phantasieren oder zu reden, als einen Stift und Papier zu nehmen und es zu versuchen. Also finde ich, dass jeder, der es versucht, eine wunderbare Sache ist.

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Jon Spencer und THE BOBBY LEES
Worin unterscheidet sich für dich die Arbeit als Produzent von der als Musiker?

Eine Platte zu produzieren, vor allem für einen anderen Musiker oder eine Band, erfordert auf jeden Fall einige musikerähnliche Fähigkeiten, aber auch Organisation und Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen.

Hattest du vorher schon von THE BOBBY LEES gehört oder sie live gesehen?
Ich habe sie zum ersten Mal gesehen, als sie 2018 BOSS HOG im Helsinki Club in Hudson, NY begleiteten. Ich bin immer auf der Suche nach guten Bands, mit denen ich spielen kann, und hatte schon viel Gutes über sie gehört. Sie waren sehr jung und unerfahren, aber trotzdem hatten sie etwas Besonderes an sich.

Wo siehst du Ähnlichkeiten zwischen deiner Musik und ihrer?
In Bezug auf ihre Hingabe, Arbeitsmoral, kompromisslose Einstellung und Intensität.

Wie war es, mit einer so relativ jungen Band zu arbeiten? Hattest du großen Einfluss auf sie, oder wussten sie schon genau, was sie wollten?
Es war eine sehr schöne Aufnahmesession. Sie waren bereit und gut eingespielt, aber auch offen für Anmerkungen und Vorschläge. Ich stamme ja aus der Hardcore-Szene der frühen 1980er Jahre und schon damals gab es viele sehr junge Leute, die großartige Musik machten!

Ihr Schlagzeuger Macky gestand mir: „Ich war mit Jons Musik oder seinem Einfluss nie besonders vertraut, als ich aufwuchs.“ Überrascht dich das?
Nein, das überrascht mich nicht. Einige in der Band stammen aus einer ganz anderen Welt und einer anderen Generation. Und ich bin sicherlich kein so bekannter Name.

Siehst etwas Besonderes an THE BOBBY LEES, das sie von anderen jungen, aufstrebenden Bands abhebt?
Sie geben 100% und arbeiten sehr hart. Und man kann ihre Freude sehen und spüren. Das und Sams Texte.