BOBBY CONN

Larger Than Life

Bobby Conn, den ein ganz schlauer Journalist mal eher untreffend als "Klaus Kinski des Indierock" bezeichnete, gehört sicherlich zu der Sorte Musiker, bei denen Genie und Wahnsinn nah beieinander liegen. Seine durchweg brillanten, wenn auch teilweise nicht ganz leicht verdaulichen Platten "Bobby Conn" (1997), "Rise Up" (1998), die EP "Llovessonngs" (1999) und das neue Album "The Golden Age" – letzteres wie auch "Rise Up" von Jim O´Rourke produziert – sprechen mit ihrem wilden Mix aus unterschiedlichsten Stilen und Einflüssen aus der bisherigen Musikgeschichte in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Conn, ehemaliger Gitarrist des Prog-Rock-Trios CONDUCENT, der sich zwischenzeitlich mal für den Anti-Christen hielt und von orthodoxen Christen mit Morddrohungen bedacht wurde, ist in Chicagos hipper Wicker Park Art-Rock-Szene ein gern gesehener Gast und besticht bei seinen Auftritten durch eine wilde Mischung aus Rock-Show und Performance, wo man sich doch leicht an David Bowie und die "Rocky Horror Picture Show" erinnert fühlt. Dazu kommen in textlicher Hinsicht noch seine anti-ethischen Hyperkapitalismus-Theorien, die man aber auch als Parodie auf das Selbstverständnis der meisten, die westliche Welt beherrschenden Großkonzerne verstehen kann. Ein exzentrisches Popmusik-Chamäleon mit dekadentem Flair, ein mystischer Revolutionär, der seine Kindheit in diversen Militärbasen verbrachte, und dem sein heftiger Drogenmissbrauch in der Punkzeit und ein Knastaufenthalt scheinbar erst den richtigen kreativen Kick verabreichten. Manche Leute verfahren angesichts Herr Conns besonderer Präsenz zwar lieber nach dem Motto "The less you know about Bobby Conn, the better you´ll feel", aber spätestens, wenn man Conn mal in persona erlebt ist, wird wenn man zum echten Fan dieses brillanten Entertainers. So geschehen im Spätsommer dieses Jahres in Köln.

Geht man mal von deinen exzentrischen Auftritten und dem sympathischen Grössenwahn deiner bisherigen Platten aus, scheinst du eine neue Generation von Popstars mit starkem Hang zum Glamour der 70er zu verkörpern. Wie stufst du dich selbst als Musiker ein?


Es ist schon komisch, ich besitze zwar alle Kennzeichen eines Popstars, ich habe den Popstar-Look, eine Popstar-Platte, ein Popstar-Hotel, aber dummerweise habe ich nicht die Verkaufszahlen eines Popstars. Das ist wie bei einer Boutique, das Angebot ist ausgefallen, aber nicht wirklich populär. In Live-Shows bemühe ich mich immer, den Eindruck zu vermitteln, als ob wir in einem grossen Stadion auftreten würde, gleichzeitig ist mir bewusst, dass es wahrscheinlich fürchterlich wäre, wenn wir dort auftreten würden. Wann hast du zum letzten Mal eine richtig gute Show gesehen, wo mehr als 1000 Leute waren? Ich denke, bereits bei 200 Leuten wird es für einen Entertainer richtig schwierig, die Leute zu unterhalten.

Vor wie vielen Leuten spielst du in der Regel?

Meistens wollen uns Tausende sehen, aber wir lassen immer nur 200 oder 300 rein, haha. Spass beiseite, für mich sind 200 völlig okay, das sind mehr, als ich zählen kann. Da ich kurzsichtig bin, kann ich sowieso nur die vordersten 20 Leute richtig sehen, darüber hinaus ist es eigentlich egal, wie viele Leute tatsächlich da sind. Ich persönlich hasse es sowieso, bei einem Konzert hinten stehen zu müssen, weshalb ich auch nicht sehr oft zu Konzerten gehe. Du musst den Schweiss sehen können, damit du sicher bist, dass die Band auch richtig bei der Sache ist und sich den Applaus verdient hat. Das habe ich an Punkrock-Shows immer geliebt, wo die Grenze zwischen Bühne und Publikum keine Rolle gespielt hat. Du konntest keinen Unterschied zwischen den Musikern und dem Publikum feststellen. Das ist eigentlich die ideale Situation bei einer Show.

Wie sieht denn ansonsten dein Verhältnis zu Punkrock aus? Zumindest einer deiner Songs, "United Nations" von "Rise Up", ist ein lupenreiner Punksong.

Das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, mit Bands wie BLACK FLAG und FLIPPER. Wenn wir das nächste Mal auf Tour kommen, werden die Versionen der Songs wieder wesentlich punkrockiger sein. Das kommt dem Umstand entgegen, dass meine Fähigkeiten als Gitarrist eher rudimentärer Natur sind. Für mich ist "The Golden Age" eine Erweiterung von Punkrock, denn man kann niemanden mehr mit reiner Lautstärke schockieren. Du kannst die Leute heutzutage mehr mit Schönheit als Horror schockieren. Punkrock ist für mich das Beharren, eine Reaktion vom Publikum zu bekommen und kein spezifischer Stil. Die Energie dabei gibt den Ausschlag.

Hast du manchmal das Gefühl, du verängstigst die Leute, wenn diese Grenze zwischen dir und dem Publikum völlig aufgelöst wird?

Wenn es so sein sollte, ist es mir nicht bewusst. Aber schau mich an, ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Wenn ich nicht gerade eine Waffe in der Hand habe, bin ich wirklich harmlos. Ich könnte dich vielleicht erschrecken, falls du Herzprobleme hast. Ich renne auch im Publikum rum, was die Leute tatsächlich nicht so mögen, sie haben wahrscheinlich Angst, sich mit einer schlimmen Krankheit anzustecken. Deshalb habe ich auch immer einige Requisiten dabei. (Herr Conn kramt kurz in seinem Gepäck herum und fördert zwei knuddelige Bärentatzen-Handschuhe zu Tage) Die sind so weich, fühlt sich doch klasse an, oder?! Und wenn ich die trage und Leute im Gesicht berühre, dann entspannen sie sich. Sie wissen, dass alles in Ordnung ist, denn diese weichen Tatzen könnten nie jemand verletzen.

Ist das deine momentane Message: Love, peace and understanding?

Das war immer meine grundlegende Aussage. Aber über Liebe schreiben ist gar nicht so einfach, über zerstörte Liebe zu schreiben ist da wesentlich einfacher. Es sei denn, du bist Paul McCartney.

Du hast mal gesagt, "Live & let die" wäre einer der besten Popsongs überhaupt.

Mein Lieblingssong von Paul McCartney ist eigentlich "Let him in". Es ist die Produktion, die ich mag, denn Paul ist eigentlich ein richtiger Minimalist. Wenn ich diesen Song höre, brauche ich APHEX TWIN nicht mehr. Aber es ist nicht sehr befriedigend, sich mit mir über aktuelle Musik zu unterhalten, da ich nicht so richtig auf dem Laufenden bin. Meistens kenne ich nur die Leute, mit denen ich zusammen aufgetreten bin, also eine Handvoll Leute, die auf Tour getroffen habe. Wahrscheinlich nicht der beste Weg, einen Eindruck davon zu bekommen, was gerade musikalisch abläuft.

Und wie sieht´s mit Chicago aus, da kennst du dich doch sicherlich besser aus?

Darüber weiss ich natürlich eine Menge, denn je länger du dort lebst, desto mehr Leute lernst du kennen. Die meisten Musiker in Chicago sind bereits seit über 10 Jahren aktiv. Das Schöne an der Szene in Chicago ist, dass es weniger um das Talent der einzelnen Musiker geht, sondern darum, etwas mit anderen Musikern zusammen zu machen. Das ist das Einzigartige an Chicago. Keiner hat Angst mit anderen zusammen zuspielen. Die Leute denken dabei auch nicht in Genre-Kategorien. Ich meine, was für eine Band ist TORTOISE? Ich weiss es nicht, und die Band weiss es wahrscheinlich auch nicht. Man merkt zwar, was sie mögen. Niemand gibt in der Zeitung eine Anzeige auf: Bassist für TORTOISE-Style Band gesucht.

Man würde wohl eher von Postrock sprechen.

Postrock ist auch nur eine Erfindung eines Kritikers, und da redet ausserdem niemand mehr ernsthaft drüber. Ich werde übrigens gerne mit BECK verglichen. Die Leute hängen sich daran auf, dass ich mit unterschiedlichsten Stilen arbeite. Wenn du dir das "White Album" von den BEATLES anschaust, ist das auch nichts anderes als eine Verarbeitung unterschiedlichster Stile, teilweise im selben Song, das nennen wir dann postmodern. Kategorisierungen liegen in der menschlichen Natur, aber es ist keine besonders akkurate Art Musik zu beschreiben. Aber es ist generell schwierig über Musik zu reden.

Bei dir spürt man jedenfalls eine deutliche Begeisterung für die 70er, auch wenn du die in reichlich verzerrter Form verarbeitest.

Das hat damit zu tun, dass die Musik, die du im Alter von 15 und 25 hörst, sich in einer bestimmten Form in deinem Gehirn festsetzt, anders als die Musik, die du danach hörst. Es ist eine emotionelle Bindung, die man nicht kontrollieren kann. Wenn ich jetzt einen ELO- oder AC/DC-Song höre, kann ich darauf intellektuell reagieren, indem ich sage, was für ein guter Song, aber vor allem spüre ich, wie ich mich gefühlt habe, als ich 13 war und den Song zum ersten Mal gehört habe. Und um auf dieses Level emotionaler Anteilnahme zurückzukommen, benutze ich die Musik, die diese Emotionen bei mir ausgelöst hat. Auf der neuen Platte geht es textlich auch vor allem darum, nicht erwachsen werden zu können, sowohl als Person als auch innerhalb der Gesellschaft. Kulturell gesehen ist Amerika ja sowieso ein sehr pubertäres Land.

Wie passt dazu die drohende Apokalypse, ein Thema, dass dich auch sehr beschäftigt hat?

Die Apokalypse ist ebenfalls ein sehr pubertärer Impuls. Wenn du 15 bist, ist die Idee von Zukunft ziemlich abstrakt. "The Golden Age" handelt davon, dass wir jetzt in der Phase nach der Apokalypse leben. Wir haben den Krieg verloren, die USA Wirtschaft schlittert in die Rezession und wir müssen uns damit abfinden, dass die USA keine Sonderstellung besitzt und nicht immun gegen andere globale Ereignisse ist. Der Ort, über den ich auf "The Golden Age" spreche, ist die Vergangenheit, wo man nur ein bißchen erwachsen werden musste. Das ist die Schwäche der amerikanischen Gesellschaft, aber auch ihre Stärke, denn die meisten Amerikaner sind wie Teenager mit Kreditkarten. Die Doomsday-Gläubigen fühlen sich gerade natürlich bestätigt und reiben sich freudig die Hände, sowohl in den USA als auch bei radikalen Islamisten. Als Mensch wünsche ich mir natürlich nicht, dass das passiert. Jeder in den Staaten fragt sich sowieso gerade, was Unterhaltung eigentlich ist. Ist es eine Flucht vor der schrecklichen Realität oder sollte es die Realität reflektieren. Ich weiss es selber nicht.