Die besten Zeiten des Punkrocks sind längst vorbei, respektive die besten Songs sowieso schon geschrieben und einstige Ideale: verraten und verkauft! Alles schon gehört und das Rad erfindet auch im Punkrock niemand mehr neu. Das alles ist den zwei Karlsruher Schwestern von BIESTIG, namentlich Jule (Gitarre, Gesang) und Anne (Schlagzeug, Gesang), aber mal so richtig schnuppe und „So what?“ eine ihrer Antworten darauf. Die andere schlägt sich im „Nebenan“-Debütalbum der beiden Schwestern auf Rookie Records, getragen von jugendlich frischem Esprit und unbeschwerter Spontaneität, überzeugend nieder. Und sie fordern in „Wünsche“ unter anderem lautstark: Interview! Was passte also besser, als das Selbstverständnis der zwei Mädels im Rahmen eines Support-Gigs für die großartigen LA FRACTION abzuklopfen?
Wie kommt man heute, zwischen Web 2.0, „Superstars“ und Veröffentlichungs-Overkill, auf den Gedanken, selbst eine mühevolle Bandkarriere zu starten – und zu hoffen, dass irgendwer vorbeikommt und „Hurra!“ schreit?
Jule: Spaß! Spaß! Spaß! Eigene Musik machen, andere Bands kennen lernen, in der Welt herumkommen!
Anne: Heute hier vor LA FRACTION spielen zu können zum Beispiel! Das sind schon so etwas wie unsere Lieblinge, und dass wir für die eröffnen können, ist für uns ein Riesending. Ich höre schon ewig Musik, bin leidenschaftliche Sammlerin und bis auf Rap kann ich mich eigentlich für fast alles begeistern. Durch unsere Eltern haben wir den ganzen Punk-Kram und was so dazugehört schon seit frühester Kindheit direkt mitbekommen und können mit der Band nun aktiv daran teilnehmen. Das ist toll!
Jule: Angefangen hat alles irgendwie in der Schule, da konnten wir nachmittags immer proben und unsere Lehrer ärgern, hihi. Ich habe mich aber oft auch als Einzelgängerin gefühlt, denn richtig angesagt ist das Punk-Ding eben nicht. Heute sind mir die „anderen“ aber echt egal. Ich kann auch mit dem ganzen Computer-Kram nicht so umgehen. Wenn ich da nur an unsere MySpace-Seite denke – Hilfe!
Anne: Immerhin haben wir es geschafft, ein paar Fotos einzufügen, aber den ganzen Tag nur vorm Rechner zu sitzen, ist definitiv nicht unser Ding.
Jule: Da gehe ich lieber raus, treffe mich mit Freunden oder mache Musik.
Wie ist als „Rookies“ so euer Eindruck von der Szene?
Jule: Also da kann ich bisher nichts Negatives sagen, so viele Konzerte haben wir ja noch nicht gespielt, und auf der letzten Tour waren überwiegend Bands unseres Labels mit dabei und die waren alle supernett. Klar, der eine oder andere ist schon mal gestresst, das ist aber normal und wir nehmen das nicht persönlich. In der Szene fühlen wir uns echt wohl, und wenn wir in Karlsruhe spielen, haben wir ein richtiges Heimspiel. In anderen Städten kennt uns quasi kaum jemand, und wenn dann nur wenige Leute kommen, wir nur in gelangweilte Gesichter gucken, ist es echt schwer, sich zu motivieren, und wir haben uns da oft schon etwas verlassen gefühlt. Zum Glück können wir da voll auf unsere Eltern bauen, die uns immer wieder aufrichten.
Anne: Manchmal frage ich mich schon: Was machen wir hier eigentlich? Mit der Arbeit unseres Labels sind wir aber superzufrieden. Die hängen sich echt rein für uns, wir können alles mit denen bereden, bekommen Tips, wie wir uns zum Beispiel in Interviews zu verhalten haben, hihi!
Jule: Unsere Demo-CD haben wir ja an verschiedene Labels geschickt, die meisten meinten aber oft nur „passt nicht zu unserem Programm“. Und für uns stand fest, wenn wir die Chance bekommen, eine Platte machen zu können, dann unbedingt auch Vinyl, das ist einfach was „Anfassbares“. Da sind wir schon echt stolz, dass Rookie Records uns das alles ermöglicht hat. Jetzt bin ich gespannt, wie es weitergeht. Glück hatten wir aber auch eine ganze Menge und das Feedback, das wir live bekommen, ist enorm wichtig für uns.
Ihr startet derzeit richtig durch – wo soll es für BIESTIG hingehen?
Anne: Mal keine Vorband sein – und wir wollen auf die Titelseite der Bravo, echt!
Jule: Am besten mit so richtigen Skandalgeschichten! Auf jeden Fall die nächste Platte machen. Einige neue Songs haben wir bereits und spielen die auch live schon fleißig. Aber einen richtigen Plan haben wir nicht. Wir lassen die „Nebenan“-LP erstmal sacken, obwohl es schon geil wäre, gleich noch eine Platte zu machen.
Anne: So, jeden Monat ein Album herausbringen, haha. Wir wollen uns auf jeden Fall steigern. Was echt toll war, war die Arbeit im Studio. So konzentriert, fast zwei Tage am Stück, habe ich noch nie Schlagzeug gespielt, wow!
Jule: Da konnte man etwas experimentieren, verschiedene Gitarren ausprobieren, Melodien über die Akkorde spielen. Das geht live ja momentan nicht so richtig.
Sollen Gitarre und Schlagzeug dennoch weiterhin „alleine“ musizieren? Ist ein weiteres Bandmitglied überhaupt vorstellbar?
Anne: Also uns reicht es so, wie es ist, wir sind zufrieden. Okay, es wäre schon nicht schlecht, wenigstens noch eine Gitarre mit dabeizuhaben. Außerdem ist es wirklich unfair, wenn ich zum Beispiel an Bands mit fünf Leuten denke, bei uns hört man live sofort jeden kleinen Fehler.
Und wie wirkt die erste Platte mit etwas Abstand? Was wollt ihr auf dem zweiten Album besser machen?
Anne: Jeder Song ist eigentlich wie ein kleines Tagebuch und erzählt immer Dinge, die wir erlebt haben. Und immer wenn wir die Songs spielen, erinnere ich mich daran. Insofern mag ich eigentlich alle unsere Lieder. Es wird auf alle Fälle wieder eine Mischung verschiedener Stile sein. Die ganzen Sachen, die wir selbst so hören, kommen bei den eigenen Liedern auch immer wieder durch.
Jule: Einige unserer ersten Songs sind aber trotzdem wieder im Keller verschwunden. Ich denke, bei den neuen Sachen werden wir vielleicht auch verstärkt ruhigere Songs machen, auch was mit Ska-Rhythmus. Je nachdem, wie wir gerade so drauf sind, also mehr oder weniger BIESTIG, hihi.
Was sagen eure Eltern zur Band? Die hätten doch sicher lieber „kleine Lieblinge“ als „Biester“, oder?
Jule: Ach, die sind stolz wie Oskar! Die kennen das ja alles irgendwie, und da haben wir schon einen klaren Vorteil. Wäre schon anders, wenn wir aus einem zutiefst katholischen Haushalt kämen.
Anne: Wie schon erwähnt, sind es unsere Eltern, die uns Sicherheit geben und uns toll unterstützen, mit zum Videodreh fahren, Merch verkaufen. Was mich so ein bisschen stört, ist dieses „Teenie-Ding“, als das wir oft abgestempelt werden. Dabei haben wir gar keine Texte über Liebeskummer!
Jule: Es sind eher Themen wie Freundschaft oder keinen Bock haben. Oder Geschwisterliebe!
Anne: Haha, genau! Und wir singen auf Deutsch, weil da einfach mehr Feedback kommt. Außerdem sind viele englische Texte wirklich dämlich ...
Eure Band in einem Wort, bitte?
Jule: Spaß.
Anne: Ist das nicht ein wenig flach?
Jule: Dann: Lebensfreude!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #87 Dezember 2009/Januar 2010 und Lars Weigelt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Lars Weigelt