BETON COMBO

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Mauerstadt-Punk

Der zeitlose und leider immer noch aktuelle Punk-Klassiker „Nazis raus“ dürfte der bekannteste Song der Berliner Band BETON COMBO sein, die 1981 ihre LP „Perfektion ist Sache der Götter“ auf Aggressive Rockproduktionen veröffentlichte. Auch Jahrzehnte später ist das Interesse an der Band aus dem damaligen Neubauviertel Gropiusstadt noch ungebrochen, war doch die Erstauflage des verdienten Rereleases auf Static Age innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Wir sprachen mit Heske, Gesang, und Lob, Gitarre, nicht nur über vergangene Zeiten, sondern auch darüber, warum es nicht zu einer Reunion gekommen ist. BETON COMBO bestanden zudem aus Roger, Gitarre, erster Bassist war Matze, dann Shake, und Drummer 3528 alias Zisch.

Anfang 2021 ist „Perfektion ist Sache der Götter“ gut vierzig Jahren nach dem Erstrelease wieder auf Vinyl veröffentlicht worden. Wie ist es dazu gekommen?

Heske: Für mich ist es immer wieder erstaunlich, was aus unserer „Wir machen da mal was“-Geschichte geworden ist. Schließlich war es nie der Plan, richtig alt zu werden, und einem somit auch scheißegal, was aus den Sachen mal wird und ob sich jemand noch dafür interessiert. Aber ja, es war eine Zeit, die schon ganz eigen war und so auch nicht wiederkam. Von daher eigentlich folgerichtig, dass der an Musik und Politik interessierte Mensch am Punkrock nicht vorbeikommt. Und so kamen über die Jahre immer mal wieder Anfragen zu unserer Geschichte, ich denke, auch weil wir eine Band mit Ecken und Kanten waren und nicht den Weg des „schneller, härter, lauter“ gegangen sind. Nach der Kooperation mit Iffi von Static Shock, der schon unsere Single „Sound Ltd“ mit viel positiver Resonanz aufleben ließ, war der nächste Schritt, auch die erste LP aus dem Raritätenkabinett zu befreien und wieder zu einem vernünftigen Preis zu veröffentlichen, nur ein kleiner.

Gab es die Idee, anlässlich der Neuauflage noch mal zusammen ein Konzert zu spielen oder eine Reunion in Erwägung zu ziehen?
Heske: Ja, die gab es tatsächlich, ist aber grandios an unseren Egos und äußeren Umständen gescheitert. Es gab neue Songs, neue Texte ... aber inzwischen hat sich jeder von uns weiterentwickelt und am Ende haben wir keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Jeder führt sein eigenes erfülltes Leben, keiner von uns langweilt sich, jeder hätte irgendwo Zeit abknapsen müssen und jeder stand vor der Frage, wie viel Zeit bin ich bereit zu investieren. Dazu kam, dass wir keinen Übungsraum hatten, in dem man entspannt hätte abhängen können. Wir haben uns ein paar Mal in irgendwelchen Übungsraumzentren stundenweise eingemietet ... ein Scheiß. Nee, das war nix.

Die Erstauflage war schnell vergriffen, selbst die taz hat ein Interview gemacht. Hättet ihr euch das damals – wenn überhaupt – vorstellen können?
Heske: Och, bei der Single war ich immer guter Dinge, sie ist musikalisch auch ein Knaller. Dass die LP auch so gut läuft, freut mich sehr, sie ist ja musikalisch schon etwas komplexer und haut nicht durchgängig auf die Zwölf.
Lob: Die LP ist damals aus der Zeit gefallen, hatte einen ungewöhnlichen Sound. Die Ur-Szene war in Auflösung begriffen, neue Richtungen kamen auf. Alle Achtung, dass Iffi diesen unterschätzten Schatz jetzt bergen konnte.

Eure Songs sind musikalisch nicht nur „klassischer Punk“. Und ihr habt auch mal das Volkslied „Heideröslein“ gecovert.
Lob: Es gab verschiedene Phasen. Anfangs haben wir versucht, den Spirit mit zwei, drei Akkorden umzusetzen, was eben gerade so mit dem neu Erlernten machbar war. Wir prügelten unsere ersten Songs für Gigs und die ersten beiden KZ 36-Sampler zusammen. Dann wurden diverse Bands wie SMELL MAPS und DISCO ZOMBIES wichtiger und hatten Einfluss auf Licks und Sound. Es gab Umbesetzungen. Die LP sollte einen Tick düsterer klingen. Dann kamen die DEAD KENNEDYS ins SO36 und die ersten Scheiben von US-Bands wie BAD BRAINS nach Berlin und auch unser Sound wurde auf der 7“ härter und später auf der 12“ „23 Skiddoo“ noch riffgeprägter.
Heske: „Heideröslein“ war schon eigen, keine Ahnung, wie wir darauf gekommen sind. Als Gesangsmutant habe ich mir angehört, was die Jungs so fabriziert haben, und dann geschaut, was textlich so passt. So war es immer, erst die Musik, dann kam der Text. Mein musikalischer Einfluss war begrenzt, war auch nicht mein Ding. Selten kam ein Veto von mir im Sinne von: Das ist scheiße!

Ihr hattet politische Texte. Was hat euch damals politisiert? War es das Leben in der Mauerstadt und damit ja auch die direkte Konfrontation mit dem Kalten Krieg?
Heske: Ich bin zu einem Teil in der Schule von meinem Top-Politische-Bildung-Lehrer und zum anderen von den Sozpäds aus unserem Jugendclub politisiert worden. Alles andere ergab sich von alleine: Aufbruch, Rebellion, Kampf gegen die damals noch in der Regierung sitzenden Alt-Nazis, RAF-Morde und -Anschläge, Personenkontrollen, bei denen man in die Mündung einer Maschinenpistole blickte, Antifa-Festival 1979, Hausbesetzerbewegung, schon damals Kampf gegen Abriss und Entmietung und für bezahlbaren Wohnraum, Anti-Reagan-Demo, Aufreger ohne Ende. Straßenschlachten, bei denen man damals auch mal gewinnen konnte. Mauerstadt? Das war eigentlich immer nur ein Problem für die anderen. Wir sind innerhalb der Mauer geboren worden, das war unser Normalzustand und wir haben damit nicht schlecht gelebt. Die Fahrt auf den Transitwegen durch den Osten war eines der Abenteuer unserer Zeit und der Intershop in Ost-Berlin war unser Schlaraffenland. Suff und Zigaretten für kleines Geld. Interessanterweise hatten unsere Eltern ja immer eher Angst vor den Russen, unser Feindbild war eindeutig der Imperialismus der USA. Dabei war das unsere „Schutzmacht“. Etwas schizophren, aber was soll’s.
Lob: Anfang der Achtziger war ich mit Heske auf einer Demo – Räumung, Rattay oder Reagan –, die dann am Winterfeldplatz umkippte. Die Bullen zogen die Schilde hoch und schwangen ihre Schlagstöcke. Plötzlich tauchte Blixa Bargeld neben uns auf und grüßte. Kurz zuvor waren EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und wir bundesweit im ARD-Streifen „1 Punk 36“ von Albrecht Metzger zu sehen gewesen. Wir hatten eigentlich mit den Atonalen keine Berührungspunkte, aber man kannte sich offenbar aus dem TV und war politisch d’accord.

Ihr wart ab 1980 im KZ 36 aktiv. Wie ist es dazu gekommen?
Heske: Die Idee für das KZ 36 ist im Anschluss an das große Antifa-Festival 1979 entstanden. In der Vorbereitung zu dem Festival kam es zu einem ersten Austausch zwischen unserer jungen Kidpunk-Szene mit den gestandenen Politkämpfern aus Kreuzberg. Das waren für mich komplette Helden. Bands wie KATAPULT, AUSWURF und natürlich die ÄTZTUSSIES. Demo- und straßenkampferfahren, wenn wir nicht bei uns auf dem U-Bahnhof rumhingen, dann in Kreuzberg rund um den Kotti. Nach dem Festival war tatsächlich etwas Geld übrig. Nun stellte sich die Frage, was nach dieser erfolgreichen Aktion weiter werden sollte, ein unkommerzieller Treffpunkt sollte her. Für die Punk-Szene und alle kritischen Geister. Ein Objekt wurde ausgespäht und zügig nach dem Festival in Beschlag genommen. Adresse: 1000 Berlin 36, Waldemarstraße 33, dritter Hof, erster Stock. Eine komplett runtergerockte Fabriketage, kaputte Böden, kaputte Toiletten, alles kaputt. Aber alle gut drauf, Baumaterial fand sich oft am Straßenrand, was nicht zu finden war, wurde zur Not gekauft. Den Boden zu gießen war eine üble Plackerei, die Toiletten standen irgendwann zwar, liefen aber sehr gerne über. Es zeichnete sich schon ab, das von der relativ großen Gruppe von circa dreißig Aktiven einige aktiver als andere waren, aber egal, die Idee riss uns mit. Ach ja, der Name KZ 36 ... dass wir nichts mit Faschisten am Hut hatten und keine Fans von Konzentrationslagern waren, sollte klar sein. KZ für Kommunikationszentrum, 36 für den Postbezirk – KZ 36. Für den einen oder anderen linken Spießer war das schon ein Problem. Guter Name! Am 3. Mai 1980 war es dann tatsächlich so weit, Eröffnung! Ein altes Revox-Vierspur-Tonband wurde aufgetrieben und der ganze Spaß mitgeschnitten und als „KZ 36 I“-Sampler als Vinyl gepresst. 1.000er-Auflage. Später entstand noch ein zweiter Sampler und nach vielleicht zwanzig bis dreißig Konzerten war nach einem Jahr der Spuk wieder vorbei. Es war doch viel Arbeit und die Widerstände im Umfeld bezüglich des Drecks und des Lärms wurden zu groß. Es war eine coole Zeit, weil eigentlich die komplette Punk-Szene von der Gropiusstadt über Kreuzberg bis Spandau zusammen dort ihr Ding gemacht hat.

Berlin hatte ja auch den Ruf als Drogen-Mekka, Stichwort „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Wie war das bei euch?
Lob: Der Name Christiane F. war in der Gropiusstadt immer ein Thema und ich machte eine Lehre unweit der Diskothek Sound. Davor war der Drogenstrich und jede Menge zugedröhnter großer und kleiner Schwestern von Kumpels aus der Nachbarschaft. Heroin war für mich tabu. Ohne Alkohol wären ein paar Gigs wohl besser gelaufen. Andererseits war Zisch immer clean und trocken, da gab es noch nicht mal den Begriff Straight Edge.
Heske: In der Band waren harte Drogen kein Thema, alles andere gerne mal und auch gerne mal zu viel. In der Kreuzberger Szene hat Heroin damals viel kaputt gemacht. Leute sind gestorben oder beschissen sich gegenseitig. In unserem Jugendclub verkehrten eher die Leichtdrogisten, den harten Stoff gab es im Haus der Mitte. Das war 800 Meter weiter Richtung U-Bahn. Das war ein deutlich härteres Pflaster. Außer Frage steht allerdings, dass man auch mit Alkohol einigen Unfug machen kann.

Wie machomäßig war es damals?
Lob: Unsere Identität war der Spirit und die Szene, in der gefühlt jeder was mit einer Band zu tun hatte. Die ÄTZTUSSIES standen vor uns im Publikum und sangen unsere Texte mit und wir vice versa, wenn die auf der Bühne waren. Es gab keine Stars und irgendwie waren wir alle gleich und Teil des Ganzen. Punk stand für Aufbruch und Lebendigkeit. Zombies und hohle Schweine, das waren die anderen. Jahre später, als die Waldemarstraße längst gentrifiziert war, wurde auf dem Dach des KZ eine verweste Frauenleiche gefunden, die wohl aus der KZ-Zeit stammte. Vermutlich haben wir damals schon in einer Blase gelebt und auch nicht alles mitbekommen. Sicherheit und Fairness waren wohl schon immer nur Illusion.
Heske: Damals waren wir im Wesentlichen mit uns und dem Feind „beschäftigt“, jeder hat gemacht, was er wollte. Für uns war es immer egal, welches Geschlecht um uns rum war, Hauptsache, kein Schwachkopf/köpfin. Später von außen drauf gesehen, denke ich, dass die Strukturen damals so beschissen waren wie heute. Da wir uns außerhalb der kommerziellen Bahnen bewegt haben, hatten wir wenig Grund, darüber nachzudenken. Machistisch? Wenn man drüber nachdenkt, na klar, war das grundsätzlich machistisch.

1982 wart ihr mit BETON COMBO, MIDDLE CLASS FANTASIES und SLIME auf der „Soundtracks zum Untergang“-Tournee. Wie hast du die Tour in Erinnerung?
Lob: Die Tournee war schon ein echtes Highlight für uns. Wir waren wie immer mit Heskes Käfer unterwegs. Jede Band hatte ihren ganz eigenen Sound und charismatische Mitglieder. Die alle kennen zu lernen war schon cool. Die AHEADS waren der Hammer. In Herford zeigten sie uns die alte Scala und Sören von MIDDLE CLASS FANTASIES schob seinen Marshall rein und spielte Heavy-Metal-Riffs, dass mir die Spucke wegblieb. Am Morgen danach schälte Tourmanager Karl Walterbach zehn D-Mark von der Rolle und verabschiedete sich mit den Worten: „Wir sehen uns in Nürnberg.“
Heske: Absoluter Ausnahmezustand. In Berlin gestartet und bis zum Ende der Tour Strämmchen. Zisch ist ein Großteil der Strecke gefahren. Das mit dem Übernachten war der Knaller schlechthin, in der Regel gab es keinen Plan. Bei Herford haben wir in einem besetzten Haus übernachtet, das wir von den Besetzern besetzt haben. Der Engländer-Sänger von den AHEADS verwüstete das Haus im Alleingang. Einmal gab es eine Pension, den Rest habe ich verdrängt. Beim zweiten Gig, irgendein Schuppen bei Bremen, war schon die Stimme weg. Aber zum Glück nur kurz, weil Roger vom Publikum genervt war und sich entschied, mit einem Strecksprung von der Bühne irgendjemanden niederzumähen. Der Typ ging einen Schritt zur Seite und Roger zerschellte auf dem Boden. Wir haben ihn dann unten rausgeholt und hatten dann keinen Bock mehr. Dortmund war nett, Che’Coolala hieß der Laden. Zumindest bis ein Idiot eine Bierflasche in der vorbeifahrenden Straßenbahn versenkt hat und die Polizei das Konzert beendete. Na ja, in dem Stil ging es weiter, irgendwas war immer.

Welche Konzerte sind euch noch in besonderer Erinnerung geblieben? Wart ihr öfter im Westen?
Lob: Eine kleine Kurztour mit SLIME führte uns 1982 mal nach Ampermoching und Stuttgart. Gleich im ersten Kaff gab es Stress, weil die Eintrittspreise von fünf auf zehn D-Mark angehoben wurden, da SLIME mal ordentlich pennen wollten und mal nicht im besetzten Haus. Unser Set war gerade durch, SLIME kamen auf die Bühne, und schon wedelten Punks im Publikum mit Zwanzigern. Kurz darauf brach die Hölle los, ein Dorfrocker packte mich am Hals, plötzlich brannten alle Augen vor Tränengas. Um unsere Anlage zurückzubekommen, musste sich Heske mit dem stärksten Rocker im Eins-zu-eins matchen – alle anderen standen im Kreis drumherum. Heske gewann und wir durften abbauen. Auf dem Weg zum Gasthof lasen wir dann Dicken von SLIME auf, die anderen waren im Getümmel wieder nach Hamburg abgehauen. Also spielten wir am nächsten Tag in Stuttgart unseren nächsten Gig und gaben danach mit Dicken am Mikro ein SLIME-ACAB-Nazis-raus-Potpourri zum Besten und schubsten den Arschloch-Veranstalter, bis er die Gage rausrückte. Dafür brachten wir Dicken nach Hamburg und dann gab es Saure aufs Haus.
Heske: Das westlichste war wohl Groningen/Simplon zusammen mit STROMSPERRE. War grundsätzlich nett, die Leute, die uns eingeladen hatten, super cool. Sie hatten mitten in der Innenstadt ein Haus besetzt, das mal was Hochherrschaftliches gewesen sein muss. Der Gemeinschaftsraum war total mit Samt und Spiegeln ausgestattet. Der Auftritt selber eher durchwachsen, das Publikum war zum Teil der Meinung, dass wir für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich waren. Das hat uns als sich deutlich dem linken/autonomen Spektrum zugehörig fühlende Leute ziemlich angenervt. Bochum oder AJZ Bielefeld war wohl noch Westen. Aber meist ging es entweder Richtung Hamburg und Bremen, Hannover, Kornstraße und Glocksee, als auch nach München, das damals mit dem Milb auch einen netten Punk-Schuppen und eine recht rege Punk-Szene hatte. Tja und mit Anekdötchen könnten wir ein Ox-Sonderheft füllen ...

Der Kontakt zu Karl Walterbach war ja schon vorhanden. War es somit logisch, die LP auf Aggressive Rockproduktionen rauszubringen?
Lob: Das Album bei AGR zu machen, hat sich angeboten. Karl war Anarchist, kleidete sich in schwarzem Leder und hasste Papierkram. Dass seine Pauschalverträge gängigem Urheberrecht widersprachen, habe ich erst später kapiert, als ich einen eigenen Verlag gründete und mit Lizenzen zu tun hatte. Doch da fuhr Karl schon einen weißen Jaguar und produzierte Thrash-Metal-Bands. Immerhin überließ er mir mietfrei ein Souterrain für meine Verlagsgründung im AGR Headquarter.
Heske: Die Platte mit Karl zu machen, war der einfachste Weg, wir kannten auch sonst niemanden, der so etwas organisierte. Ich muss hier mal auch eine Lanze für Karl brechen, denn sicher ist später einiges vertragstechnisch bei anderen Bands nicht zum beiderseitigen Vorteil gelaufen, aber zu diesem Zeitpunkt, Anfang der Achtziger, hatte er sicher nicht den Masterplan „Ich plündere mal die ollen Bands aus“.

Ihr habt bei Harris Johns im Music Lab aufgenommen.
Lob: „Indianer Harris“ [Harris Johns ist der Sohn eines US-amerikanischen Soldaten und einer aus Norddeutschland stammenden Mutter. Johns ist aufgrund der Herkunft seines Vaters Angehöriger eines indigenen nordamerikanischen Volkes in Louisiana, Anm. der Redaktion] saß im Music Lab am Mischpult und inspirierte uns zu „Custers Alptraum“, ein Song, der spontan im Studio entstanden ist. Zischs Schlagzeug war dominant und straight, die Gitarren fingen an zu taumeln. Schwierig, das alles zusammenzumixen, entgegen dem Zeitgeist und Karl, der auf brutale Punk-Gitarren stand.
Heske: Ja, der Indianer ... Harris mochte uns und wir mochten Harris. Er hat das Beste aus dem, was wir geboten haben, gemacht, davon bin ich überzeugt. Wir hatten viel Spaß, was man an „Custers Alptraum“ auch deutlich merkt.

„Nazis raus“ ist einer eurer bekanntesten Songs. Wie ist der entstanden? Und warum habt ihr diese Version auf die LP genommen?
Heske: Der ist aus der Wut gegen das herrschende politische System entstanden, das ich rückblickend zwar nicht als faschistisch bezeichnen würde, aber in dem immer noch viele Altnazis die Strippen in der Hand hatten. Dass die Wirtschaft bis heute unsere Politik bestimmt, muss ich hier wohl nicht erklären. Die auf der LP aufgenommene Version ist aus der Intention entstanden, uns bestehenden Erwartungshaltungen zu verweigern. „Nazis raus“ ja, aber so wie wir wollen. Das Ergebnis war dieses musikalische Kleinod.

Für den „Nazis raus!“-Sampler, der 1991 auf Weird System erschien, habt ihr ja eine neue Version eingespielt.
Heske: Die Teilnahme an dem „Nazis raus!“-Sampler wurde bei uns auch kontrovers diskutiert. Zum einen natürlich „Ja“ zur Aussage und ein klares „Fickt euch“ den Dumpfbacken in Rostock und anderswo. Andererseits war uns der Gedanke, dass aus dem Song und natürlich auch der Scheibe noch mal Kapital geschlagen wird, auch suspekt. Die Option, den Text und die Musik noch mal überarbeiten zu können, hat letztendlich für die Scheibe gesprochen.

SLIME haben den Song schon früh gecovert, bevor er auf ihrer „Alle gegen Alle“-LP 1983 erschienen ist. Wie war das für euch?
Lob: Wir wollten keine Ballermann-Hitparaden-Band sein und haben in den verschiedenen Phasen eigentlich immer unsere aktuellen Songs bevorzugt. Dass „Nazis raus“ dann über die Jahre so ein Cover-Hit wurde, hat sich nach anfänglichem Stolz auch merkwürdig angefühlt, zumal mit der Zeit immer weniger erwähnt wurde, vom wem der Song eigentlich stammte. Klar, irgendwann hatte man das Gefühl, SLIME haben den Song assimiliert, aber wir waren auch Kumpels mit einem Stück weit gemeinsamer Vergangenheit.
Heske: Da bin ich ganz bei Lob. Wichtig war für uns die Aussage und dass sie möglichst breit gestreut wird. Mir hat es auf den Demos immer ein Lächeln auf die Lippen gezaubert, wenn der Song gespielt wurde, da war mir egal von wem.

Steht ihr noch in Kontakt mit den anderen? Und was macht ihr heute?
Lob: Heske war jobmäßig längere Zeit im Süden. Mit Subi, dem Gitarristen von SICK PLEASURE, gründeten Zisch, Shake und ich von LEATHER NUN beeinflusst noch die Band LOADED. Wir sind in Kontakt, gehen Pizza essen oder sehen uns auf den Oly-Terrassen zum Hertha-Spiel.

Heske: Wir haben das große Glück, dass der Sensenmann uns bisher größtenteils verschont hat. Ich denke, die Jahre, die wir zusammen verbracht haben, haben uns bis heute verbunden. Auch wenn ich mal gute zehn Jahre Entwicklungshilfe in Bayern gemacht habe, ist der Draht nie abgerissen. Musikalisch bin ich nach meiner brillanten Gesangs/Frontschweinkarriere zur Bassgitarre gewechselt. Für eine normale Gitarre waren meine Wurstfinger nicht geeignet. Mit dem Bass habe ich die RAWHEADS begleitet, eine Psychobilly-Band ebenfalls aus der Gropiusstadt. Dann ein bisschen Doom Metal mit der Band ASHES bis etwa Mitte der Neunziger. Dann bin ich doch noch mal Frontmann einer Sambagruppe in Würzburg geworden, Publikum animieren etcetera pp, so was. Später dann auch Sambapercussion. 2013 zurück in Berlin habe ich begonnen, in einer Taiko-Gruppe zu trommeln. Ohne Bums und Krach geht’s halt nicht. Gesungen wird nur noch beim Fußball.

Welchen Bezug habt ihr heute noch zu euren Songs, zu Punk generell, wenn ihr es mit der Zeit vergleicht, als ihr in der Band aktiv wart?
Heske: Den Punk-Bezug zur heutigen Zeit? In sentimentalen Phasen krame ich gerne noch in meinen Punk-Scheiben rum, kommt aber nicht so oft vor. Als Vinyljunkie kommt auch laufend neuer Stoff ins Haus, der ist genreübergreifend und will auch gehört werden. Ein geiles Punk-Konzert ist immer noch ein geiles Punk-Konzert! Die Aggressivität, die rausgekotzten Emotionen, so lange es junge Menschen in solchen Lebensphasen gibt, gilt der Slogan „Punkrock will never die!“ Und so lange es das kapitalistische System gibt, wird es auch so sein, dass wenn etwas groß wird, man probiert, damit Geld zu verdienen. Und dann wird aus dem Untergrund der Mainstream/die Kommerzbands. Und dann wächst wieder Neues nach, never ending story.

Die Geschichte des KZ 36
Tja ihr Mädchen, Jungs und sonstige durchgegenderte Spezialmenschen, ihr könnt jetzt gleich wieder abschalten, wenn ihr einen historisch-analytisch und völlig korrekten Text erwartet, denn eins ist sicher – und das ist nicht die Rente! – der Geist des KZ 36 lebt.


Und zu diesem Geist gehörte die Provokation, die Solidarität und der unbedingte Wille, etwas zu tun und wenn es nur darum ging, den Tag nicht nüchtern verstreichen zu lassen. Ja, damals wurde noch was getan. Das heißt, es gab auch noch den nötigen Platz dazu was zu tun, weil das heute schöne, heile, durchmodernisierte Kreuzberg damals nämlich ein Haufen kaputter Wohnhäuser war, meist ohne Bad, Außentoilette und Ofenheizung, und man einfach „irgendwo“ reinging und seinen Platz besetzte. Das war im Spätherbst ’79. Das Antifaschistische Festival stand vor der Tür, in Berlin gab es schon eine lockere Punk-Szene, in Kreuzberg waren die politisch schon kampferprobten Veteranen am Start, in der Gropiusstadt, eine Trabantenstadt im Süden von Berlin eher die Kids, zu der euer Autor auch gehörte. Ein bisschen Spandau und Restberlin. Es gab wenige kommerzielle Treffpunkte und nichts Autonomes, vielleicht noch das Drugstore in Schöneberg. In der Vorbereitung des Antifa-Festivals kamen die verschiedenen Grüppchen zusammen und stellten ein amtliches Festival mit dazugehöriger Demo auf die Beine. Es blieb am Ende sogar etwas Geld übrig, ich erinnere mich an ca. 800 DM.

Nun stellte sich die Frage, was nach dieser erfolgreichen Aktion weiter werden sollte ... Ein unkommerzieller Treffpunkt sollte her. Für die Punk-Szene und alle kritischen Geister. Ein Objekt wurde ausgespäht und zügig nach dem Festival in Beschlag genommen. Adresse: 1000 Berlin 36, Waldemarstraße 33, dritter Hof, erster Stock. Eine komplett runtergerockte Fabriketage, kaputte Böden, kaputte Toiletten, alles kaputt. Aber alle gut drauf, Baumaterial fand sich oft am Straßenrand, was nicht zu finden war, wurde zur Not gekauft. Den Boden zu gießen war eine üble Plackerei, die Toiletten standen irgendwann zwar, liefen aber sehr gerne über. Es zeichnete sich schon ab, das von der relativ großen Gruppe von circa dreißig Aktiven einige aktiver als andere waren, aber egal, die Idee riss uns mit. Ach ja, der Name KZ 36, dass wir nichts mit Faschisten am Hut hatten und keine Fans von Konzentrationslagern waren, sollte klar sein. KZ für Kommunikationszentrum, 36 für den Postbezirk – KZ 36. Für den einen oder anderen linken Spießer war das schon ein Problem. Guter Name!

Am 3. Mai 1980 war es dann tatsächlich so weit, Eröffnung! Ein altes Revox-Vierspur-Tonband wurde aufgetrieben und der ganze Spaß mitgeschnitten und als „KZ 36 I“-Sampler als Vinyl gepresst. 1.000er-Auflage. Ein Träumchen! Nun fällt das alles natürlich nicht vom Himmel. Es gab ein regelmäßiges Treffen der Aktiven, die nach dem Antifa-Festival überwiegend aus Vertretern der lokalen Bands bestanden. Und es gab rund um das KZ einen Haufen Zeug zu organisieren, Bier einkaufen, Bands organisieren – wobei das eher kein wirkliches Problem darstellte, so viele Veranstaltungsorte für Punkmusik gab es in Deutschland nicht. Plakate entwerfen, drucken, aushängen, Thekendienst, Abrechnung, den Müll zusammenfegen – ein Geschepper ..., war ja alles Dosenbier –, Anlage auf- und abbauen, Toiletten putzen, Kotze wegwischen, Hof aufräumen ... und der Hof beziehungsweise die Höfe sollten sich zu einem der Endgegner des KZ entwickeln. Das KZ 36 war ein unabhängiger, unkommerzieller Treffpunkt für die Punk-Szene und alle undogmatischen Querköpfe. Das Dosenbier kostete 1 DM, die Eintrittspreise für Konzerte lagen bei nicht mehr als maximal 5 DM, in der Regel für zwei bis drei Bands. Klubmitglieder waren mit 3 DM oder weniger dabei. Eine Mark pro Band, klang fair – war fair! Dabeisein war alles, Gagen gab es nicht. Die Bands erhielten Fahrtkosten, untergebracht waren sie in der Regel bei den einheimischen Punks, die „Anlage“ stellte in der Regel eine lokale Band, zum Auftritt gab’s zwei Paletten Dosenbier und ab ging die wilde Fahrt!
Hier klang es eben schon an: Klubkarte. Für die Homis und zum Inventar gehörenden Dauergäste gab es die KZ-Klubkarte, sie kostete, keine Ahnung, ich glaube 5 DM, und berechtigte zum noch preiswerteren Eintritt. Hintergrund war, sich etwas unabhängiger von den Konzerten zu machen und vielleicht mal die eine oder andere Anschaffung zu Gunsten des KZ zu tätigen. Die Klubkarte galt auch für KZ-Konzerte, die ins SO36 ausgelagert wurden, wenn wir mit größerem Andrang rechnen mussten, wie zum Beispiel im März ’81 bei den SODS aus Dänemark, supported von den Berlinern X_toc-1 und den NICOTEENS aus München. Im April 1981 erschien der „KZ 36 II“-Sampler, ebenfalls in einer 1.000er Auflage, mit den Berliner Bands STROMSPERRE, RUCKI ZUCKI STIMMUNGSKAPELLE, ACTOSIN PERVERS, BETON COMBO, GEGENWIND, VITAMIN A, KAISERSCHNITT, X-toc-1 und REFLEX. Dazu kam das passende Release-Konzert am 4. April ’81. Dieser Sampler wurde im Studio aufgenommen, ich habe aktuell keine Erinnerung, wo die Kohle herkam. Eventuell aus Rücklagen der Konzerteinnahmen beziehungsweise Getränkeverkauf. Kann man sich zwar kaum vorstellen, aber es blieb tatsächlich etwas übrig.


Im Folgenden eine halbwegs vollständige Zusammenstellung der KZ-Konzerte:

03.05.1980 KZ 36: ÄTZTUSSIS, BLITZKRIEG, BETON COMBO, KONDENSATORS
17.05.1980 KZ 36: SLIME, RAZORS (für sagenhafte 2 DM!)
02.06.1980 KZ 36: KATAPULT, ABSTURZ, DESTRÜKTIW KOMMANDÖH – Dieses Konzert wurde von den „älteren“ linken Gruppen organisiert. Für diese Veranstaltung wurde das KZ Kreuzberger Kommunikations-Centrum genannt!
14.06.1980 KZ 36: VITAMIN A, OFFENSIVE HERBST 78, SCIANTOS (I)
16.06.1980 KZ 36: ÄTZTUSSIS Geburtstagsfete
28.06.1980 KZ 36: REFLEX, SPRÄY (ÖS)
13.09.1980 KZ 36: V2, LKH
20.09.1980 KZ 36: REFLEX, LEICHENLUST, VITAMIN A, BETON COMBO, STROMSPERRE, GEGENWIND, ACTOSIN PERVERS, KAISERSCHNITT, POWLAK, IXTOC-1
27.09.1980 KZ 36: STÖRTRUPP, SCUM
04.10.1980 KZ 36: CLOX, HASS, FACHARBEITER 08
11.10.1980 KZ 36: BUTTOCKS, ZK
18.10.1980 KZ 36: WORKMATES (NL), THE EX (NL)
24.10.1980 KZ 36: VITAMIN A, BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, HANS-A-PLAST
01.11.1980 KZ 36: IXTOC-1, AHEADS, BLITZKRIEG
14.11.1980 KZ 36: Festival Aggressiver Musik: SLIME, CHEAP’N NASTY (NL), STROMSPERRE, ZOUNDZ (UK)
15.11.1980 KZ im SO36: Festival Aggressiver Musik: TNT (CH), VOPO’S (NL), BETON COMBO, HASS, ZOUNDZ (UK), ZK
31.01.1981 KZ 36: CRAZY(CH), U.K. DECAY (UK)
07.02.1981 KZ 36: AHEADS, HASS, RAZORS, SUICIDES
21.02.1981 KZ 36: SOILENT GREEN, MIDDLE CLASS FANTASIES, STÖRTRUPP
28.02.1981 KZ im SO36: DAILY TERROR, SLIME, NIXE (NL), LULLABABIES (NL)
21.03.1981 KZ im SO36: SODS (DK), IXTOC-1, NICOTEENS
04.04.1981 KZ 36: REFLEX, VITAMIN A, BETON COMBO, STROMSPERRE, RUCKI ZUCKI STIMMUNGSKAPELLE, GEGENWIND, ACTOSIN PERVERS, IXTOC-1
18.09.1981 KZ im SO36: BLITZKRIEG, KLISCHEE, 39 CLOCKS, CRASH
26.09.1981 KZ im SO36: NICHTS, ZK, STILLE HOFFNUNG

Alles hat ein Ende ...
Nach der großen Euphorie im Nachgang des Antifaschistischen Festivals, dem Aufbau des KZ 36 und dem darauffolgenden laufenden Betrieb zeichnete sich das leider oft anzutreffende Bild ab. Es wurden immer weniger Leute, die Verantwortung im Sinne von Ideen und persönlichem körperlichen Einsatz zeigten. Immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern. Und klar, es war nicht schön, den Dreck der anderen wegzumachen. Dazu kamen die eskalierenden Konflikte mit den „alten Linken“, die am Anfang den Elan der jungen Punks noch ganz witzig fanden, aber mit der Zeit immer allergischer auf den Lärm und den Dreck im Hof reagierten. Auch die Rocker aus dem zweiten Hof wurden nie wirklich unsere Freunde. Nachdem im April 1981 der zweite KZ-Sampler veröffentlicht und der Release-Auftritt absolviert war, verliefen sich die meisten Punks, das KZ stellte seinen Live-Betrieb ein.
Fazit: Eine schöne und lehrreiche Zeit. Dank an alle, die an der Idee und Umsetzung mitgewirkt haben. Mit den beiden KZ-Samplern gibt es echte Monumente der Berliner Punk-Szene. Ein besonderer Dank geht von meiner Seite an Karl Walterbach. Er war das Bindeglied zu der alten Kreuzberger Punk- und Anarcho-Szene. Ein gutes Stück älter und mit deutlich mehr Erfahrung in allem. Ohne ihn wäre das sicher so nicht gelaufen.

Heske, KZ-Orden in Gold, Verdienter Held der BETON COMBO

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Diskografie
„Perfektion ist Sache der Götter“ (LP, Aggressive Rockproduktionen, 1981 / LP, Static Age, 2020) • „Sound Ltd EP“ (7“, Sound Ltd, 1983 / 7“, Static Age, 2014) • „23 Skiddoo“ (12“, Sound Ltd/Sasquatsch Wax Enterprises, 1985) • „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten ’79-’85“ (CD, Compilation, Nasty Vinyl, 1994)