Bergen-Belsen wühlt auf.
Es lässt dich hassen.
Ein kleines Nest in der Heide, in dessen Nähe jede
Eisenbahntrasse zum Alptraum wird.
Wie weit kannst du mit 380 Schritten gehen? Bis zum Auto? Bis zur Uni? Probier´s mal aus. In Bergen-Belsen kommst du einmal um ein zugegeben nur mittelgrosses Massengrab mit einer unbekannten Anzahl von Toten. Das Gefühl, das man mit jedem Schritt mehr bekommt, ist unbeschreiblich.
Trotz durchaus noch spätsommerlich erträglicher Temperaturen ist mir eiskalt.
Kaum je habe ich grössere Wut und Hass auf jede Form von rechter Scheisse gespürt. Egal, ob alt oder neu, meine Grosseltern und Eltern miteingeschlossen, ich kann diesen Dreck nicht mehr ertragen.
Doch kurz einige technische Daten. Die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen liegt auf dem Gelände des ehemaligen Lagers in der idyllischen Nordheide. Vom KZ selbst ist nichts erhalten, da es nach seiner Befreiung im April 1945 umgehend wegen Seuchengefahr eingeäschert wurde. Die Gedenkstätte besteht aus einer Ausstellung zu Konzentrationslagern im allgemeinen und Bergen-Belsen im speziellen, wobei grösstenteils Fotos gezeigt werden, die im Grunde jeder schon mal gesehen hat, der sich mit unserer Vergangenheit zumindest ansatzweise auseinandergesetzt hat. Vom Lager selbst existieren keine Fotos bis auf eine alliierte Luftaufnahme. Alle Film- und Fotoaufnahmen sind erst bei oder nach der Befreiung des Lagers entstanden. Interessant machen die ganze Ausstellung aber auch die gezeigten Dinge des täglichen Lebens in Bergen-Belsen, Häftlingskleidung und grobe Holzschuhe selbst für den Winter. Auch die Liste mit allen KZs und Nebenlagern lohnt es sich, durchzusuchen. Auch in deiner Nachbarschaft, falls du in der Gegend wohnst, hat es zumindest ein Aussenlager gegeben.
Klar hat es niemand gewusst,
geschweige denn gewollt.
Wer konnte auch ahnen, das Hitler ´n Irrer war? Ansonsten wird noch ein Film von der Befreiung gezeigt. Leider lief er an dem Tag, an dem ich da war, nicht mehr. Der Kameramann, der ihn damals gedreht hat, soll sich angeblich bis heute weigern, sich die Aufnahmen nochmals anzusehen und zu kommentieren, da er das Entsetzen von damals bisher nicht verarbeiten konnte.
Ausserhalb des Ausstellungsgebäudes kommt man auf das eigentliche Gelände des Lagers, wobei ein Fussweg letztlich durch die verschiedenen Teile führt und, ab und zu, Hinweistafeln einen auf den jeweiligen Standort aufmerksam machen. Die Tatsache, dass das eigentliche Lager eben nicht mehr existiert und stattdessen ein Wäldchen und viel Wiese zum Spazierengehen geradezu einladen, macht alles noch unwirklicher und alptraumhafter, da man in regelmässigen Abständen an Massengräbern vorbeikommt, die stereotyp nur mit "hier ruhen 800 Tote" oder eben "hier ruhen eine unbekannte Anzahl Toter, April 1945" beschriftet sind. 800 Tote liegen übrigens in den "kleinen" Gräbern. An einer Stelle werden die Fundamente von zwei Baracken freigelegt. Erst, wenn man mal um die Grundmauern rumgeht, bekommt man eine Vorstellung von der Grösse. Baracke hört sich immer so klein und niedlich an. Scheune passt da schon besser. Trotzdem fragt man sich, wie jemals die bis zu 3.000 Insassen hier existieren - "leben" ist sicher der falsche Ausdruck - konnten?
An anderer Stelle die aus Funk- und Fernsehen bekannte offizielle Gedenkstätte mit dem Monolithen. Hier legen Politiker und andere Scheinheilige gerne Kränze nieder, weil ja alles so furchtbar war und von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Ausser einer Krisenintervention hier und da, knickknack, sie verstehen schon...
Warum zögern wir überhaupt jeden Tag die Anspruchszahlungen an ehemalige KZ-Arbeiter weiter heraus? Weil es jeden Tag weniger werden, vielleicht? Warum bezahl(t)en wir ehemalige polnische Wehrmachtsschergen schon seit Jahren Rente? Naja, dieses Thema lädt geradezu zum Polemisieren ein. Um es klarzustellen: An alle Politiker dieser Erde - Ich scheiss auf euch. Was kratzt mich der Mörder, der zwei oder drei Menschen auf dem Gewissen hat? Der Massenmord und das Ausrotten von ganzen Volksstämmen ging, und geht immer, von geistigen, politischen und klerikalen Führern aus.
Nebenan stehen auf einer Wiese viele freistehende Grabsteine, errichtet von Angehörigen der Getöteten. Viele auf hebräisch beschriftet, oft den Eltern oder Grosseltern gewidmet.
Was für ein Horrortrip, wobei mir normale Friedhöfe nicht mal ein leichtes Gruseln vermitteln können.
Aber zurück zur Geschichte des Lagers. Es existierte von April 1943 bis April 1945 und war ausdrücklich kein Vernichtungslager wie z.B. Auschwitz. Trotzdem sind in Bergen-Belsen ca. 50.000 Menschen gestorben. Idee war, ein Lager für 10.000 Juden zu errichten, um sie gegen inhaftierte Deutsche im Ausland auszutauschen. Die grösstenteils holländischen "Austauschjuden" wurden trotz Arbeitszwangs anfangs relativ gut behandelt - was für ein Witz - um im Falle eines Austausches nicht über Greueltaten berichten zu können. Schon frühzeitig wurden im Lager verschiedene Teillager errichtet, wobei die Lebensbedingungen extrem unterschiedlich waren. Im sogenannten "Neutralenlager" herrschten einigermassen erträgliche Bedingungen ohne Arbeitszwang, in anderen Teilen waren polnische Juden untergebracht, die wohl wegen ihrer Kenntnis über deutsche Greueltaten in Polen streng isoliert waren und fast alle nach Auschwitz deportiert wurden. Es gab noch weitere Teillager, wie das Häftlingslager und das Frauenlager, wobei die Details an dieser Stelle aber den Rahmen sprengen würden...
Im Laufe des Jahres 1944 wurden die Bedingungen im Lager immer unerträglicher, da unzählige Häftlinge aus den mittlerweile frontnahen KZs, wie eben Auschwitz, herangekarrt wurden. Diese waren meist in erbärmlichem gesundheitlichen Zustand, wobei in Bergen-Belsen bewusst jede Hilfeleistung unterblieb. So sind viele Menschen schlicht und einfach verhungert und verdurstet, wobei es auch zu Fällen von Kanibalismus kam. Ein Monat vor Befreiung fasste das Lager 41.520 Insassen, ermittelt mit deutscher Gründlichkeit. Wohlgemerkt war das Lager für 10.000 Insassen geplant.
Allein in diesem Monat starben in Bergen-Belsen rund 18.000 Menschen.
Schwer vorzustellen? Das entspricht ungefähr allen Studenten der Kieler Uni. Noch Fragen?
Dann fahr selbst hin und schau es dir an. Auch du wirst anfangen, deine Grosseltern zu hassen, klar, sie konnten nichts dafür.
Kein Fussbreit den Faschisten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Ollie Fröhlich