BEACH RATS

Foto© by Matthew Gere Boardwalk

Strandspaziergang mit Brian Baker

Wenn man sich die noch kurze Geschichte der BEACH RATS ansieht, kommt einem schnell der Begriff „Spontanität“ in den Sinn. Das neue Album „Rat Beat“ begeistert vom ersten Augenblick mit einem positiven Proberaumgefühl, das von dem Einsatz exzellenter und versierter Musiker ausgeht. Die BEACH RATS sind Sänger Ari Katz (LIFETIME), die Gitarristen Brian Baker (BAD RELIGION, MINOR THREAT) und Pete Steinkopf sowie Bassist Bryan Kienlen (beide BOUNCING SOULS), die sich eines Tages mehr oder weniger zufällig am Strand getroffen hatten. Ergänzt werden die vier durch Drummer Danny Windas. „Rat Beat“ erscheint auf Epitaph und legt gegenüber der schon guten Vorgänger-EP „Wasted Time“ von 2018 noch so einige Schippen drauf. Das Interview führte ich mit Brian Baker.

Brian, was haben die BEACH RATS mit dem Strand zu tun? Wie nah am Strand wohnst du und die anderen der Band?

Ich lebe zwei Meilen vom Strand entfernt. Manche Rats leben zwei Blocks vom Strand entfernt. Drei von uns können leicht hinlaufen, ich und Pete Steinkopf wohnen zwei Meilen entfernt – wir brauchen acht Minuten.

Ich kenne es aus Hawaii, dass es verboten ist, direkt am Wasser zu bauen, der Strand muss der Bevölkerung überall zur Verfügung stehen.
Mein Haus ist gerade deshalb zwei Meilen weg, damit ich sicher vor dem Wasser bin. Die anderen haben verschissen, haha. Bei uns ist es so, dass wir Häuser in der Nähe des Strandes haben, die hundert Jahre alt sind. Sie sind aber noch weit genug entfernt, damit man direkt am Wasser sein kann. Es ist nicht so ein schöner Strand wie in Hawaii – es ist einer in New Jersey, haha. Unsere Gegend war vor zehn Jahren noch gefährlich und billig. Und jetzt wurde der Ort entdeckt und es sieht ganz anders aus.

Hat euer Bandname BEACH RATS etwas mit dem gleichnamigen Film zu tun, der überwiegend auf Coney Island spielt?
Nein. Wir wussten gar nicht, dass es diesen Film gibt, und ich habe ihn auch nicht gesehen. Aber als wir gehört haben, um was es in dem Film geht, dachten wir, dass das eigentlich ganz cool ist. Aber es ist so harmlos, wie es ist – wir leben alle an der Küste und sind einfach Strandratten.

Der Film ist ein Mix zwischen einer Coming-of-Age- und einer Coming-out-Story. Ich habe ihn mir angesehen und fand, euer Song „Rat beat“ ist absolut der passende Soundtrack.
Das ist eine gute Beobachtung. Das könnte er absolut sein. Ich sollte mal herausfinden, wer die Leute sind, die den Film gemacht haben, und sie fragen, ob wir in der Zukunft zusammenarbeiten wollen, haha.

Das solltet ihr auf jeden Fall tun. In dem Film geht es ja um die Jugend und er gibt uns einen guten Einblick, wie es heute sein kann. Nun bist du, und ich auch, wesentlich älter als die gerade erwachsen werdenden Protagonisten. Der BANE-Sänger hat mit 44 Jahren gesagt, dass er aufhört, da er zu alt für Hardcore ist. Joe Nelson hat Anfang der Neunziger mit 23 Jahren bei IGNITE aufgehört mit der Begründung, er sei für Hardcore zu alt. Warum bist du noch am Start?
Ich bin nicht zu alt, weil ich ganz einfach die Musik mache, die ich liebe. Es hat ja gar nichts damit zu tun, sich mit einer Szene zu identifizieren. Es ist auch nicht etwas, das ich versuche zu verkaufen. Sondern es ist etwas, das aus mir herauskommt. Ich mache das jetzt, seit ich mit 15 Jahren bei meiner ersten Band MINOR THREAT begonnen habe, nun bin ich 57. Was fantastisch ist. Und mit ganz genau der gleichen Leidenschaft schreibe und spiele ich Musik. Ganz egal, ob es heute mit BAD RELIGION vor 5.000 Leuten ist oder mit den BEACH RATS vor 50. Das treibt mich heute wie früher an. Viele Bands, die sehr alt sind, spielen nur noch ihre bekannten Hits. Wir nennen es das RAMONES-Syndrom, für mich ist es allerdings wichtig, neue Sachen zu machen. Und das ist der Grund, dass ich neue Platten rausbringe und auch, warum auch BAD RELIGION immer noch neue Musik machen. Mir ist es wichtig, dass ich mich weiter engagiere, solange es Sinn ergibt.

Beim ersten Hören von „Rat Beat“ dachte ich, dass das schlicht eine „Juz-Platte“ ist. Als wenn eine Handvoll Kids im Jugendzentrum eine fröhliche Platte eingespielt hätten. Als ich die Texte gelesen habe, war es für mich eher eine melancholische oder bipolare Platte, die von den Höhen und den Tiefen, die man gerade in der Jugend erlebt, erzählt.
Ja, Ari schreibt all unsere Texte. Das ganze Projekt ist davon geprägt, nicht zu viel nachzudenken. Die Texte geben das wieder, was in Aris Leben passiert – er ist 48, hat drei Kids, er macht eine Scheidung durch. Das Lustige ist, dass genau das typische Hardcore-Probleme sind. In deiner Kindheit ist das Problem anstatt der Scheidung zum Beispiel deine Mum. Anstatt der drei Kids ist es meinetwegen dein Boss, der dich beschäftigt oder die Schule. Du nimmst dieses simple Hardcore-Thema, drückst auf Fast Forward und das kommt dabei heraus.

Ich selbst erinnere mich noch an vieles in meiner Jugend, ich habe noch oft „dieses Gefühl“. Viele in meinem Alter dagegen können sich nicht mehr erinnern, und viele finden das, was sie gemacht und gedacht haben, heute peinlich. Ist dir deine Jugend noch nah oder hast du sie gefühlsmäßig schon lange hinter dir gelassen?
Als ich mit 15 mit MINOR THREAT angefangen habe, habe ich genau das gemacht, was ich zu diesem Zeitpunkt tun wollte, und ich bedaure überhaupt nichts. Das Einzige, was strange ist, ist, dass viele Leute, die ich nicht kenne, zugesehen haben, wie ich aufwuchs. Als Kid meinst du, alles zu wissen, und was du anstellst, ist kein Problem, wenn es in deiner Clique ist, du die Leute kennst und sie wissen, was für ein Arschloch du bist, haha. Nur wenn es die Leute aus der ganze Welt sehen, ist es am Ende eine wertvolle Lektion, wenn du eine Rückmeldung bekommst. Es ist schlicht und einfach eine Komponente dessen, was du bist, wenn du dann erwachsen bist. Wenn du zurückblickst, sind oft die schlechten Dinge vergessen und du erinnerst dich nur an das Gute, das dir widerfahren ist oder du erlebt hast.

Als du mit 15 mit MINOR THREAT gestartet bist, war dir bewusst, was es mit dem Straight-Edge-Ding, also verkürzt gesagt mit dem Verzicht auf Drogen, auf sich hatte, oder bist du einfach mit in den Übungsraum und hast ohne nachzudenken einfach nur drauflos geklimpert?
Klar, ich habe nicht getrunken. Ganz einfach, weil ich erst 15 Jahre alt war. Ich hatte tolle Eltern, so dass ich nicht Daddys Schnaps geklaut habe, als sie ausgegangen sind, haha. Das Trinken war einfach nicht Bestandteil meines Lebens. Viele Leute verstehen das MINOR THREAT-Ding auch falsch. Wir waren keine Straight-Edge-Band, schon gar nicht „die erste Straight-Edge-Band“. Es war lediglich ein Song, der von ein paar Drogenkumpels handelte, mit denen wir auf Konzerte gegangen sind. Wenn MINOR THREAT spielten, waren es vielleicht 10 oder 15% an Zuschauern, die straight edge waren, der Rest nicht. Und das hat gut funktioniert so.

Der Sound von „Rat Beat“ hört sich so an, als hättet ihr ihn im Studio leicht hinbekommen. Musstet ihr viel daran drehen?
Nein. Der Schlüssel zu dem Ganzen war, dass wir nicht zu viel geübt haben. Ich gebe dir ein einfaches Beispiel. Als wir die Platte aufgenommen haben, wussten wir nicht, was Ari singen würde. Wir haben ihn nicht singen hören, bevor wir ins Studio gegangen sind. So haben wir unsere EP vor ein paar Jahren gemacht. Bei unseren Proben saß Ari ohne Mikrofon auf der Couch und hat sich dazu Notizen gemacht. Und erst als wir ins Studio gingen, haben wir Ari das erste Mal singen gehört und er hat das erste Mal mitgemacht. Es war der Hammer, Ari singen zu hören und dabei den nächsten Gitarrenpart zu verpassen. Es klingt einfach roh, weil wir nicht zu viel darüber nachgedacht haben. Die Überraschung, unsere Musik mit seiner Stimme und seinen Texten vom Band zu hören, war die logische Folge davon, wie ungeplant wir da herangegangen sind.

Das letzte Interview mit dem Ox hast du 2020 gehabt, als Corona im Rollen war. Du hast dich damals als medizinischen Experten und Virologen bezeichnet, weil du durch den Lockdown so viel Zeit hattest, dich zu informieren. Du hast damals prophezeit, 2021 gäbe es Impfungen und die Konzerte würden wieder losgehen.
Ja, das habe ich gesagt.

Welche Konzerte hast du letztes Jahr gegeben?
Im Herbst 2021 haben BAD RELIGION dreißig Konzerte auf einer US-Tour gespielt, zusammen mit ALKALINE TRIO. Wir haben die allerdings gestoppt, da Greg und Jay Corona bekommen haben und wir natürlich niemanden gefährden wollten. Es wäre ja der Horror, wenn sich ein Fan bei uns anstecken würde. Mit der Zeit wurde es aber überschaubar und als 2022 jeder seine vierte Impfdosis bekommen hatte, haben wir endlich die Tour abschließen können.

Wie ist es ihnen ergangen?
Greg hat kurze Zeit seinen Geschmackssinn verloren und für beide war es wie eine üble Erkältung. Nach drei oder vier Tagen waren sie schon wieder negativ getestet, blieben aber zehn Tage in Quarantäne, um niemanden zu gefährden.

In den USA ist eine vierte Impfung die Normalität? In Deutschland haben wir die dritte, und viele auch nur die ersten zwei.
Du weißt, in den USA müssen wir alles immer etwas übertreiben – auch wenn es nicht notwendig ist. Das ist so amerikanisch, haha.

Wer weiß, vielleicht ist genau das richtig.
Klar, das kann sein. Ich mache jedenfalls das, was ich für richtig halte – und das ist jede Impfung mitzunehmen, die ich bekommen kann, haha.

Warst du vor den ersten Konzerten ängstlich wegen Corona?
Ja. Aber ich hatte meine dritte Impfung und es trugen alle Masken, auch Backstage. Nur während des Auftritts nahmen wir sie ab. Was natürlich dann ein Risiko war. Wir haben aber nicht in kleinen Clubs gespielt, sondern in großen Hallen und da ist man ziemlich weit von den Zuschauern entfernt. Aber ehrlich gesagt ist es etwas, das wir einfach machen mussten. Viele andere Bands hatten auch begonnen, wieder zu spielen. Und wenn du rausgehst, kannst du entscheiden, wie weit du gehst. Ich meine, wir hatten unsere Jubiläumstour zum vierzigsten Geburtstag für 2020 geplant, die Leute hatten ihre Tickets lange gekauft und sollten sie endlich einlösen können. Es ist eine Entscheidung, die du als Band triffst, welches Risiko du eingehen willst. Wir hatten sehr viel Glück, dass wir das meiste selbst unter Kontrolle hatten. Und es wurde dann auch niemand ernsthaft krank.

Wie ist die Situation in den USA zur Zeit?
Die Leute tun so, als würde Corona gar nicht existieren. Es gibt keine Masken und keine anderen Einschränkungen. Die Leute, die wirklich krank werden, sind entweder jene, die nicht geimpft sind oder die ein hohes Risiko aufgrund von Vorerkrankungen haben, vor allem die der Atemwege. Im April hatte ich es selbst, nachdem ich eine Tour absolviert hatte. Es war halt der Klassiker – ich kam heim, fühlte mich nicht gut und hatte dann COVID-19. Zum Glück hatte ich es nicht schon vorher. Ich habe dann noch die vierte Impfung bekommen.

Wie geht es dir mit eurem jetzigen Präsidenten Joe Biden, der nun seit einem Jahr im Amt ist?
Nun ja, ich denke, dass wir vorübergehend von diesem faschistischen Aufruhr befreit sind, der gegen die Grundlagen Amerikas verstieß, was irgendwie erfrischend ist. Je mehr aus den letzten Jahren ans Tageslicht kommt, desto deutlicher erkennen wir, wie sich die soziopathischen Republikaner an die Macht geputscht haben und was die ständige Propaganda alles ausmachen kann. Ich denke, das muss ich dir nicht erklären. Es ist nach wie vor ein schwerer Kampf, aber der Unterschied zu vor paar Jahren ist, dass wir viel mehr Zugang zu Informationen haben. Und es gibt Leute, die im Grunde genommen gute Menschen sind. Und heute ist es schwieriger, die Menschen mit all dem Bullshit zuzuballern, wenn diese einfach viel mehr Informationen haben, als es früher der Fall war. Und das ist ein Vorteil, den wir momentan haben. Du musst schon richtig überzeugt sein, dass Demokraten deine Kinder fressen wollen, um das zu glauben. Aber nach wie vor ist es schwierig hier und die allgemeine Stimmung ist noch sehr polarisiert. Für mich selbst gibt es jedoch keine zwei Seiten, es gibt keine zwei Parteien. Es gibt einerseits Politiker, die sich um die Interessen der Amerikaner kümmern wollen, und andererseits gibt es welche, denen es nur darum geht, die Bevölkerung auszurauben und das unabhängige Denken zu zerstören. Und das ist erschreckend. Man kann es nur als abgefuckt bezeichnen – aber das ist das, was Amerika verdient, haha.