BASTARD SONS OF JOHNNY CASH

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Country, weil es um die Seele geht

Es gibt Tage, an denen kann mich emotional nichts so sehr berühren wie meine geliebten Hank-Williams-Singles. Und Johnny Cash natürlich. Auch wenn mir die Alternative Country-Szene in den letzten Jahren immer wieder interessante Bands offenbarte, der Funke sprang nie so recht über. Dann sah ich die BASTARD SONS OF JOHNNY CASH. Die Songs trafen mitten ins Herz. Vielleicht gerade deshalb, weil ihr Stil eher traditionell ist, aber doch eine Punkrock-Attitude dahinter steht. Ein sehr sympathischer Mark Stuart erzählte mir von seiner Begegnung mit Johnny Cash, der Country-Szene in den USA und seinen frühen Punk-Jahren.



Mark, lass uns zum Einstieg über Country-Musik im gesellschaftlichen Kontext sprechen. Kürzlich sah ich den Film "Dixie Chicks: Shut Up And Sing" und war ziemlich erschüttert. Mir waren die gängigen Klischees bezüglich ignoranter rechtskonservativer Country-Fans durchaus bekannt, aber der Hass und die Verachtung, die den DIXIE CHICKS in großen Teilen der USA entgegengebracht wurde, weil sie sich während eines Konzerts gegen den Präsidenten aussprachen, hat mich doch überrascht. Was denkst du darüber?


Land of the free! Wenn du in diesem Land aus der Reihe tanzt, dann bereite dich schon mal darauf vor, dass dir auf einer bestimmten Ebene das Gleiche passiert, was den DIXIE CHICKS passiert ist. Sie haben dafür bezahlt, dass sie ihre Meinung geäußert haben, aber im Endeffekt waren sie es, die zuletzt gelacht haben. Ich bewundere ihren Mut. George Bush hat bewiesen, dass er ein unehrlicher und nur auf seinen eigenen Vorteil bedachter Präsident ist. Aber das ist nun einmal der Weg, um in den USA politische Karriere zu machen. Bezüglich der Country-Community muss man sagen, dass da größtenteils Angst herrscht, öffentlich eine unpopuläre Meinung zu vertreten. Niemand will negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die eigene Karriere aufs Spiel setzen. Den großen Labels, die den Mainstream-Nashville-Country promoten, geht es in erster Linie ums Geld, nicht um Kunst. So ist die Welt. Einmal hat mich jemand gefragt, was Alternative Country eigentlich bedeutet, denn so beschreiben sie meine Musik nun einmal. Ich habe geantwortet, Alternative Country bedeutet, man ist so arm, dass man tatsächlich die Freiheit hat, seine Meinung zu äußern und nur die Art von Musik zu spielen, hinter der man auch stehen kann. Das ist einer der Gründe, warum ich Johnny Cash so liebe. Er war Patriot und konnte alles verlieren, aber trotzdem hatte er den Mut, seine Meinung zu vertreten, ohne darauf zu achten, ob es entgegen der öffentlichen politischen Meinung war. Johnny war ein echter Mann und ein echter Künstler. Als ich ihn zum ersten Mal traf, sagte er zu mir: "Do it your own way, 'cause you're damned, if you do and damned if you don't!" Haha, und wie recht er damit hatte!

Sind die Country-Radiosender in den USA wirklich so ignorant? Kann man euch im Radio hören?

Die Country-Radiostationen in den USA spielen hauptsächlich Majorlabel-Nashville-Acts wie Tim McGraw, Kenny Chesney, Faith Hill oder Shania Twain. Du bekommst da jeden Tag immer dieselben zehn bis fünfzehn Künstler in Rotation serviert. Um ins Radio zu kommen, muss man eben zahlen, und das können sich nur die Majors leisten. Dasselbe gilt für die Country-Fernsehkanäle CMT oder GAC. Bands wie wir bekommen ein wenig Airplay auf Sendern mit geringer Reichweite. In den USA wirst du von uns wahrscheinlich nur auf speziellen Fanbase-Shows, im Internet-Radio oder bei kleinen familiären Sendern hören. Die Massen erreichen wir nicht. Das ist einer der Gründe, warum die meisten Amerikaner nie mit den großartigen neuen Country-Bands in Berührung kommen werden.

Erzähl doch bitte die Geschichte, als du Johnny Cash bezüglich eures Bandnamen befragt hast.


Der Bandname entstand, nachdem mir Johnny Cash über mehrere Nächte hindurch im Traum erschienen war und mir von einem neuen Song erzählte, den er gerade erst geschrieben hatte. Keine Ahnung, woher dieser Traum kam, aber er ist dafür verantwortlich, dass ich mich wieder mit der Musik auseinandersetzte, mit der ich aufgewachsen bin. Meine Mutter ist ein großer Country-Fan und sie hat auch in Arizona auf einer Pferderanch gearbeitet. Kurz nach diesen Träumen begann ich auf einmal, Songs im Country-Stil zu schreiben und war zunächst ziemlich verstört darüber. Als mir dann aber jeder bestätigte, dass ich nun wahrhaftig meinen Stil gefunden hätte, gründete ich die BASTARD SONS OF JOHNNY CASH. Um unter diesem Namen Songs zu veröffentlichen, mussten wir den "Man in Black" natürlich um Erlaubnis fragen. Als er gerade in der Nähe meiner Heimatstadt San Diego war, um eine TV Show namens "Renegade" zu drehen, wusste ich: jetzt oder nie. Mit einer Kassette und einem ehrlichen und von tiefstem Herzen kommenden Brief im Gepäck machte ich mich auf den Weg zum Set. Als die Filmcrew gerade Pause machte, bat ich einen Security-Guard, mir den Wagen von Johnny Cash zu zeigen. Aber da war leider kein Johnny Cash, sondern nur jede Menge Menschen, die mich für verrückt hielten, nachdem ich ihnen mein Anliegen erklärt hatte. Aber dann erbarmte sich eine junge Dame namens Kelly meiner und versprach mir, den Brief weiterzuleiten. Wie sich später herausstellte, war das Johnny Cashs Nichte. Und drei Tage später rief er mich an. Der "Man in Black" persönlich! Er hatte den Brief und die Kassette bekommen und sagte, er wäre von meinem Brief sehr bewegt gewesen und dass er meine Musik mochte, mich für einen soliden Songwriter mit einer guten Zukunft hielt und mir jederzeit gerne unter die Arme greifen würde. Ich brachte kein Wort mehr raus, aber er lud mich zu einem seiner Konzerte ein, wo ich ihn dann auch persönlich kennen lernte. Er war ein sehr aufmerksamer, großzügiger und liebenswürdiger Mensch.

Euer Album "Walk Alone" produzierte ja dann der Sohn von Johnny Cash, John Carter Cash, in der Cash Cabin in Hendersonville. Wie kam es dazu?

Jahre später, als wir unseren Plattenvertrag hatten und auf Tour waren, spielten wir einen Abend in Nashville, Tennessee, als John Carter Cash auf uns zukam und uns einlud, in der Cash Cabin aufzunehmen. Das ist das Studio in Johnny Cashs Haus in Hendersonville, Tennessee. Wir sagten alle Shows ab und verbrachten die nächsten Tage dort, um mit John Carter Cash aufzunehmen. Es war eine einzigartige Erfahrung, in Johnny Cashs Sessel zu sitzen, durch sein Mikrofon zu singen und die Magie und Kraft dieses Ortes zu spüren. Seine ganze Familie war wunderbar. Ich kann es immer noch nicht in Worte fassen, was es für mich als damals jungen, am Hungertuch nagenden Künstler bedeutet hat, dass mir Johnny Cash geholfen hat.

Musikalisch hast du in den 80ern mit deiner Punkrock-Formation THE X-OFFENDERS begonnen. Kommst du in nostalgisches Schwelgen, wenn du an diese Zeit denkst?

Ich gründete die X-OFFENDERS 1980 in San Diego und uns gab es fünf Jahre. Wir hatten zwar eigene Songs, spielten aber zum Großteil Punk- und Ska-Coverversionen. Das waren meine wilden Jahre und ich hatte jede Menge Spaß. Es ging uns nur ums Stagediving, Schlägereien, Mädchen und Alkohol. Wir hatten von Anfang an ziemlich große Shows und spielten mit den besten Bands der damaligen Zeit. Und dann auf einmal veränderte sich die ganze Szene. Jeder gab sich auf einmal sehr cool, trug nur noch schwarze Kleidung und hörte nur noch DJs und komische Synthie-Bands. Also hörten wir auf. Natürlich vermisse ich diese Zeit, ich war jung, unbekümmert und konnte die ganze Nacht durchfeiern. Wenn man jung ist, springt man ohne zu zögern mit dem Kopf voraus ins Nirgendwo, heutzutage muss ich aufpassen, weil mein Körper sich einfach nicht mehr so schnell regeneriert, wenn ich mich verletze. Aber in den folgenden Jahren lernte ich meine Stimme einzusetzen, Gitarre zu spielen und wie man einen Song schreibt. Das waren die wirklich harten Lehrjahre für mich, die mir aber zeigten, wer ich wirklich war, was ich vom Leben wollte und wie stark ich sein kann. Ich lernte außerdem die wichtigste aller Lektionen: Don't take yourself too seriously!

Es gibt eine magische und doch oft unsichtbare Verbindung zwischen Country und Punkrock. Viele Punkrock-Ikonen haben sich in späteren Jahren dem Country zugewandt. Hältst du das für eine natürliche Entwicklung, einen Prozess der Reife? Worin liegt für dich die Verbindung?

Ich habe oft über diese Verbindung zwischen Punk und Country nachgedacht. Vor allem, warum so viele Punks eine Affinität zu Country- und Honky-Tonk-Musik entwickeln, wenn sie älter werden. Bei mir war es natürlich ganz klar, ich meine, da wurde die Fackel vom Man in Black persönlich weitergereicht. Aber generell, glaube ich, ist es die Aufrichtigkeit in dieser Musik, die viele Menschen dazu bewegt, sich ihr zuzuwenden. Echte Country-Musik ist für mich ehrliche und einfache Musik, und zwar durch und durch. Sie zeigt alle Gefühle und versucht nichts zu verbergen. Es geht um Schmerz, den man nicht hinter einer Maske verstecken will. Genau wie bei gutem Punkrock. Es ist verletzte, wütende, herausfordernde, leidenschaftliche und unabhängige Musik. Mit der Entschlossenheit, alles zu hinterfragen. Ich glaube, ein wichtiger Aspekt, wenn nicht der Wichtigste, ist die Grundstimmung, das Grundthema, das echten Country bestimmt, nämlich die Einsamkeit. Es geht um diesen tief sitzenden Schmerz und diese Melancholie, die immer präsent ist. Es ist die Gewissheit, dass du schlechte Karten gezogen hast. Das Gefühl, dass du im Spiel des Lebens und der Liebe nie gewinnen kannst, weil du dich nicht an die Regeln halten kannst. Also ist deine Seele immer ruhelos und auf der Suche nach ähnlich Gesinnten, ohne jemals Frieden zu finden. Natürlich gibt es da die allseits bekannten Klischeethemen wie billiger Alkohol, Trucks, Drogen, Pferde, Jesus, Honky-Tonks und leichte Mädchen, aber ich glaube, die emotionale Verbindung zwischen Punk und Country ist eben diese Furcht davor, ganz alleine auf der Welt zu sein. Jeder kann diese Angst, aber auch die Stärke, die nötig ist, um sie zu überwinden, nachvollziehen. Wer will schon in das Tal seiner Seele blicken und eine Geisterstadt vorfinden? Ich sicher nicht ...