Barrierefrei feiern

Foto© by Fabian Stoffers

Punk-affine Hilfsorganisationen - Teil 9: Einsatz für Menschen mit Behinderung

Teil neun unserer Reihe über Vereine oder Organisationen, die sich für soziale Zwecke oder die Punk- und Hardcore-Szene einsetzen, führt uns nach Nürnberg. Dort gibt es eine Beratungsagentur namens „Wir kümmern uns“, die Teil der Initiative Barrierefrei feiern ist. Die Mitarbeiter:innen verstehen sich als Agent:innen für die Belange von Menschen mit Behinderung in der Kulturarbeit. Sie kümmern sich um die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung, fördern inklusive Kulturarbeit oder wollen das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung schärfen. Wie sie ihre Ziele erreichen, erklärt uns Drees Ringert, Inhaber der Beratungsagentur „Wir kümmern uns“.

Bitte erzähl uns, wie, wo, wann und warum es zur Gründung eurer Organisation kam.

Die Initiative Barrierefrei Feiern gründete sich 2019 als bundesweites Kollektiv aus Menschen mit Behinderung und ihren Verbündeten, die unzufrieden mit der Umsetzung von Barrierefreiheitsmaßnahmen auf Konzerten und vor allem Festivals waren oder sind. Das geht los bei der Benachteiligung beim Ticketkauf bis hin zur falschen Wahl von barrierefreien Toiletten-Modellen. Zudem sind Menschen mit Behinderung als Akteur:innen vor, auf und hinter der Bühne massiv unterrepräsentiert und das wollen wir vor allem ändern.

Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“, wer ist es heute?
Die Idee dazu hatte unsere heutige Geschäftsführerin Elnaz Amiraslani, die selbst keine Behinderung hat, aber als Kulturmanagerin in ihre Projekte immer Menschen mit Behinderung als Expert:innen in eigener Sache integrierte. Dadurch entstand die Idee, die gemeinnützige Beratungsagentur „Wir kümmern uns“ zu gründen, die Elnaz und ich als inklusives Tandem leiten.

Was ist die Geschichte zu eurem Namen?
Unsere Arbeit war seit Anbeginn serviceorientiert ausgerichtet. Der Name „Wir kümmern uns“ soll als Angebot, aber auch als Versprechen an Veranstaltende und Menschen mit Behinderung verstanden werden.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Was wollt ihr erreichen?
Unsere Hauptziele gemäß unserer Satzung sind: Förderung der kulturellen Teilhabe von Menschen mit Behinderung, Verbesserung der räumlichen und kommunikativen Barrierefreiheit bei Veranstaltungen, Erhöhung des Bewusstseins für die Belange von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit, Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung in der Kulturbranche. Wir können stolz sagen, dass wir seit der Gründung all unseren Zielen gerecht werden, auch wenn noch viel zu tun ist.

Welche wichtigen Aktionen oder Erfolge gab es in der jüngeren Vergangenheit?
Unsere Arbeit ist in Deutschland bisher einzigartig, da unsere professionellen Beratungen ausschließlich von Expert:innen in eigener Sache durchgeführt werden und entsprechend entlohnt werden. Leider ist das bei anderen „Inklusions-Projekten“ nicht immer so und es entscheiden noch viel zu oft Menschen ohne Behinderung, Betroffene werden meist nur ehrenamtlich involviert. Innerhalb der Branche konnten wir sichtlich etwas verändern, was sich an der hohen Nachfrage nach unseren Angeboten zeigt. Der für uns größte Erfolg ist, dass wir bereits im dritten Geschäftsjahr vier feste Personalstellen schaffen konnten und das ohne jegliche öffentliche Förderung.

Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden? Seid ihr Anfeindungen ausgesetzt, werdet ihr kriminalisiert?
Glücklicherweise machen wir selten schlechte Erfahrungen und haben sehr sensible Auftraggebende, die auf Augenhöhe mit uns arbeiten. Aber unser Engagement ist natürlich auch immer mit dem Risiko des Ableismus, also behindertenfeindlicher Diskriminierung, verbunden. Es kann passieren, dass Kund:innen unsensibel und unempathisch auf unsere Anregungen reagieren, vor allem wenn es um die finanziellen Aspekte bei der Durchführung von Barrierefreiheitskonzepten geht. Auf Veranstaltungen kommt es seitens des Personals der Veranstaltenden immer wieder zu ableistischen Vorfällen, aber meist nur dann, wenn nicht die gesamte Crew im Vorfeld sensibilisiert wurde. Bei unserer Lobbyarbeit beißen wir leider nach wie vor auf Granit, weil die Kulturpolitik unsere Anliegen sozialpolitisch verortet und uns noch nicht ausreichend ernst nimmt, obwohl es mehr als genug gesetzliche Grundlagen und Richtlinien für den Veranstaltungsmarkt gibt. Das kann mentale Herausforderungen mit sich bringen, da das Unverständnis der Gegenseite im ständigen Widerstand zu unserem Recht auf Gleichbehandlung und kulturelle Teilhabe steht. Aber unsere größte „Gefährdung“ sind tatsächlich Menschen ohne Behinderung in Entscheidungsfunktionen, die denken, über unsere Köpfe hinweg entscheiden zu können, und nicht selten sogar damit Geld verdienen.

Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Das Kollektiv besteht mittlerweile aus über 40 Menschen mit Behinderung und ihren Verbündeten. In unserem Referent:innen-Pool sind ein Dutzend Expert:innen mit fachspezifischen Qualifikationen – natürlich alle mit Behinderung. Wir beschäftigen vier Personen fest in Teilzeit.

Wo ist der Sitz beziehungsweise die Zentrale eurer Organisation?
Unser Firmensitz ist eher zufälligerweise in Nürnberg, aber das ist nur ein formeller und historischer Aspekt, weil unsere Geschäftsführung dort lebt. Als Team sind wir bundesweit verstreut und arbeiten viel im Homeoffice, wenn wir nicht gerade im Außeneinsatz sind.

Was könnt ihr leisten, was eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Wir sind gemeinnützig anerkannt, arbeiten aber unternehmerisch, jedoch ohne Gewinnabsicht. Wir haben das Glück, für unsere alltägliche Arbeit nicht auf Fördermittel oder Spenden angewiesen zu sein, womit wir in unserer Arbeitsgestaltung sehr frei agieren können und kurze Entscheidungswege haben. Für unsere Arbeit ist Selbstbestimmung sehr wichtig. Öffentliche und konfessionelle Inklusions-Organisationen haben oft einen Charity-Charakter und wurschteln an der Schwelle der Mindestanforderungen rum, ohne Betroffene einzubinden. Wir dagegen verstehen uns als Selbstvertretungsorganisation, agieren unternehmerisch, aber auch aktivistisch, um über Mindestanforderungen hinaus neue Standards setzen.

Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Also was genau macht ihr? Und mit wem arbeitet ihr dabei zusammen? In welchen Ländern oder Regionen seid ihr aktiv?
Unser Angebot umfasst Workshops, Sprechstunden, Team-Schulungen, Ortsbegehungen, aber auch mittel- und langfristige Prozessbegleitungen. Auf Wunsch sind wir auch vor Ort im Einsatz, beispielsweise mit unserem mobilen Service für Gäste mit Behinderung oder als inklusiv besetztes Awareness-Team. Zu unseren Auftraggebenden gehören Veranstaltende, Festivals, Clubs und andere Kulturbetriebe, aber auch Kommunen, soziokulturelle Vermittlungsstellen und Branchenverbände. Wir wollen nicht nur appellieren, wir schaffen offene Wege und gehen diese mit. Wir wissen, was zu tun ist, und helfen dabei, die richtigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Kurzum: Wir kümmern uns!

Wofür verwendet ihr das Geld, das euch gespendet wird? Und habt ihr so was wie ein Spendensiegel, also wie wird gewährleistet, dass mit den Spenden satzungsgemäß umgegangen wird?
Durch unsere formelle Gemeinnützigkeit sind wir dazu verpflichtet, alle Einnahmen unserem Satzungszweck zufließen zu lassen, was bei uns sehr leicht umsetzbar ist. Unseren laufenden Betrieb finanzieren wir ausschließlich durch Einnahmen aus unseren Services. Wir haben erst kürzlich unsere erste Spende erhalten, die wir für juristische Beratung für Betroffene von Diskriminierung beim Feiern einsetzen werden. Bei Grundsatzfragen zur Verwendung von höheren Geldmitteln ziehen wir unseren dreiköpfigen Beirat hinzu, der natürlich aus Menschen mit Behinderung besteht.

Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Wir betreiben keine aktive Spenden-Akquise, freuen uns aber natürlich über jede Zuwendung, damit wir den „Fonds für Rechtsberatung“ ausbauen können. Um bei uns aktiv mitzuarbeiten, ist eine Behinderung und/oder chronische Behinderung und ein stark ausgeprägter fachlicher oder persönlicher Bezug zur Kulturarbeit Voraussetzung. Interessierte, auf die das zutrifft, können sich gerne jederzeit an uns wenden.