Es gibt nicht nur Intellektuelle, Jazz-Nerds und Hippies in Trondheim, der Heimat von so großartigen Bands wie MOTORPSYCHO, SPIDERGAWD oder SUGARFOOT. Es gibt auch veritable Krawallmacher in der drittgrößten Stadt Norwegens. BARREN WOMB bestechen nicht durch leise Zwischentöne oder ausladende Improvisationen, sondern durch ohrenbetäubende Lautstärke und Wucht. Ein bisschen KVELERTAK, ein bisschen DRIVE LIKE JEHU, ein bisschen REFUSED. Mit „Chemical Tardigrade“ haben die Noiserocker nun ihr fünftes Album am Start. Scharfkantige Riffs, dissonante Töne und lautes Geschrei prägen den Sound. Dazu Texte, die den Finger in die Wunde legen. Sänger und Gitarrist Tony Gonzalez verrät uns, was die Band antreibt.
Aus Trondheim kennt man anderen Sound. Wo liegen die Ursprünge von BARREN WOMB?
Mitte der Nuller Jahre, als ich nach Trondheim gezogen bin, gab es hier eine sehr lebendige Hardcore- und Noise-Szene. Mit Bands wie DESPERADO oder SILENCE THE FOE, das waren die beiden größten Namen damals. Ich wollte auch diese Art von Musik machen, deshalb bin ich hierher übergesiedelt. Von der Szene ist heute leider nicht mehr viel übrig geblieben. Es gibt ein autonomes Viertel namens Svartlamon, das man mit Christiania in Kopenhagen vergleichen kann. Von da aus sind zum Beispiel auch MOTORPSYCHO gestartet. Dort sind in den letzten Jahrzehnten auch einige Punkbands entstanden. Ich weiß aber nicht genau, wer die Väter für unseren Sound sind, ich bin mir nicht sicher, ob das Bands aus Trondheim sind. Dagegen spielen vor allem Bands aus den USA eine große Rolle. Zum Beispiel CONVERGE oder FUGAZI, die waren immer sehr wichtig für uns. Und auch HOT SNAKES hatten großen Einfluss auf unseren Sound. Außerdem haben wir natürlich viel REFUSED gehört.
Wo warst du zu Hause, bevor du nach Trondheim gekommen bist?
Ich bin in der Kleinstadt Narvik aufgewachsen, weit oben im Norden, oberhalb des Polarkreises. Irgendwann bin ich nach Tromsø gezogen, um zu studieren, wo ich Timo kennen gelernt habe. Und nach drei Jahren sind wir gemeinsam nach Trondheim gezogen, um in die Hardcore-Szene einzutauchen. Ich hatte erkannt, dass das normale Leben mit Schule, Uni und Beruf nichts für mich ist. Ich wollte immer in Bands spielen. Das ist alles, was mich jemals gereizt hat. Die Chancen dafür waren eben in Trondheim besser als in Tromsø. Dort ist es außerdem sechs Monate im Jahr dunkel, das war Gift für meine psychische Gesundheit. Auch deshalb wollte ich da raus.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Duo zu gründen?
Als wir nach Trondheim gezogen sind, waren wir noch ein Trio und hießen LIKE RATS FROM A SINKING SHIP. In diese Band haben wir vier Jahre lang jede Menge Zeit und Energie investiert und sogar einige Touren in Europa gespielt. Aber irgendwann ist die Band zerbrochen, also haben Timo und ich beschlossen, zu zweit weiterzumachen. Weil wir einfach wahnsinnig gerne Musik zusammen machen. Einen Masterplan gab es da nicht, das war eher aus der Not heraus geboren.
Ihr klingt gar nicht wie ein Duo. Wie lange habt ihr an eurem Sound getüftelt?
Wir haben einige Jahre lang experimentiert, bis wir unseren heutigen Sound gefunden haben. Aktuell verwende ich drei Verstärker gleichzeitig, die den Gitarrensound komplett machen. Als wir angefangen haben, gab es noch nicht so viele Duos, an denen man sich orientieren konnte, wie zum Beispiel THE WHITE STRIPES. Oder SOFT PLAY aus UK, die sich früher SLAVES genannt haben. Die gehen auch in unsere Richtung.
Seid ihr Teil einer bestimmten Szene in Norwegen oder macht ihr komplett euer eigenes Ding?
Wir haben enge Verbindungen zu Bands aus Trondheim, zum Beispiel MURDER MAIDS, mit denen wir zusammen auf Tour gehen. Aber ich sehe uns eher als Teil der Tromsø-Szene mit Bands wie LÜT, CULT MEMBER oder JABBA THE BUTT. Da oben gibt es gerade jede Menge coole Bands. Die Hardcore-Szene in Trondheim gibt es noch, aber wir sind nicht so vernetzt, wie es vielleicht sein sollte. Und natürlich kennen wir auch all die Leute aus der MOTORPSYCHO-Blase. Der aktuelle MOTORPSYCHO-Drummer Tomas Järmyr ist ein guter Freund von uns und mit dem früheren, Håkon Gebhardt, haben wir zwei unserer Alben aufgenommen. In Trondheim gibt es keine klaren Trennlinien zwischen den verschiedenen Szenen. Alle kennen sich und machen gemeinsam Musik. Das mag ich sehr.
Euer Sound klingt für mich wie die dunkle Seite von Trondheim.
Das würde ich glatt so unterschreiben. Die Außenseiterrolle passt wirklich perfekt zu uns. Wir stehen immer ein bisschen am Rand und machen unser Ding. Ich würde es allerdings als Dunkelheit mit einem Grinsen bezeichnen, weil wir in unseren Texten viel mit Sarkasmus und Humor arbeiten.
Das neue Album heißt „Chemical Tardigrade“. Was steckt hinter dem Titel?
Tardigrades sind sogenannte Bärtierchen, die meistens weniger als einen Millimeter groß sind und acht Beine haben. Die leben vor allem in Mooskissen und können extreme Umweltbedingungen überleben. Diese kleinen Tiere sind quasi unzerstörbar. Tardigrades stehen sinnbildlich für Leute, die jede Menge Drogen, Nikotin und Alkohol intus haben und trotzdem nicht umkippen.
Ihr habt einen Song namens „D-Beatles“ geschrieben. Wofür steht dieser Begriff?
Hinter diesem Song steckt die Idee, dass die BEATLES in unseren Augen viel punkiger und cooler waren als die ROLLING STONES. Von den BEATLES haben wir uns abgeschaut, dass wir keine Angst vor schönen Melodien und Catchiness haben müssen. Und D-Beat ist eine Stilrichtung des Hardcore -Punk, die in den Achtzigern von DISCHARGE entwickelt wurde. Ein Beat, den man vor allem von MOTÖRHEAD kennt.
Mir gefällt auch der Song „Blackout yoga“. Was hat es damit auf sich?
Timo hat große Probleme damit einzuschlafen. Und deshalb hat er eine Methode namens Blackout Yoga entwickelt, die ihm dabei hilft. Da spielen auch Drogen eine Rolle. Genau kann er das nur selbst erklären. Aber so richtig gut funktioniert es auch nicht, deshalb heißt der Refrain „I can’t sleep“.
Im Song „Squat walker“ geht es um den bereits erwähnten Stadtteil Svartlamon. Was verbindet euch damit?
Svartlamon ist ein alternatives Viertel, das in Holzbauweise errichtet wurde und vor allem Wohngemeinschaften der linken Szene beheimatet. Ein Musterbeispiel für bezahlbares Wohnen. Uns gefällt einfach diese Form des Zusammenlebens. Ein wundervoller Ort, der fast wie ein Dorf inmitten in der Stadt wirkt. Die Leute dort sind nett zueinander und helfen sich gegenseitig. Das ist einzigartig für Norwegen. Es ist einfach ein gutes Konzept des Zusammenlebens und das wollten wir mit dem Song würdigen. Wir haben viele Freunde dort, Timo lebt dort, ich wohne gleich um die Ecke. Es gibt also viele Verbindungen nach Svartlamon. Gleichzeitig ist das Viertel immer wieder in Gefahr, denn gleich in unmittelbarer Nachbarschaft verlaufen Zuglinien und die sollen jetzt erweitert werden. Dafür werden wohl einige Häuser geopfert. Ich denke, dass auch die Immobilienwirtschaft Entwicklungspotenzial in den Grundstücken sieht und das ganze Gelände gerne gentrifizieren würde. Für die Leute dort bedeutet das eine latente Bedrohung.
Seht ihr BARREN WOMB als politische Band?
Wir haben auf jeden Fall eine politische Agenda in unseren Songs, die ist aber oft nicht so leicht erkennbar. Wir haben vielleicht keine explizit politischen Texte, da muss man eher zwischen den Zeilen lesen, wie im Song „Keep it r’lyeh“. Da geht es um Menschen, die alles dafür tun, um mehr Geld zu verdienen und die Karriereleiter nach oben zu klettern. Ich denke, allein in unserer Bandgeschichte steckt viel Politik. Wir haben oft in besetzten Häusern gespielt und waren in der autonomen Szene unterwegs, das sagt schon viel über unsere Einstellung aus. Ideen aus dem linken Spektrum haben uns also definitiv inspiriert. Es gibt zum Beispiel einen Song namens „Be kind, have fun and try not to die“, der drückt am besten unseren Way of Life aus. Wenn alle so leben würden, hätten wir keine Probleme. Leben und leben lassen.
Wie wichtig ist der DIY-Gedanke für euch?
Das gehört natürlich zum Punk-Programm dazu. Wir sind DIY, so lange es uns gibt. Aber nicht, weil wir nicht mit anderen Leuten könnten, sondern weil es der einfachste Weg ist, Dinge zum Laufen zu bringen. Nach so vielen Jahren haben wir die DIY-Strategie natürlich immer weiter verfeinert, deshalb läuft alles inzwischen ein bisschen weniger holprig ab, schätze ich. Aber natürlich sind wir stolz darauf, dass wir so viele Dinge ohne fremde Hilfe auf die Beine gestellt haben. Das ermutigt uns, immer weiterzumachen. Platten aufnehmen, Touren organisieren oder Kohle beschaffen.
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