BAD JOB BOYS

Foto© by Kevin Winiker

Delfine im Lockdown

Im Sommer 2021 bin ich über eine Meldung auf der Ox-Website gestolpert, dass Ex-Mitglieder von BUTTOCKS, SLIME, TARGETS und CHANNEL RATS in Hamburg eine neue Band gegründet haben. Da sie auf Social Media bewusst verzichten, aber ihre Website laufend mit News, Videos und Hörproben befüllen, konnte ich mir über den Stand der Aufnahmen und Konzerte immer wieder ein Bild machen. Pandemiebedingt fand das meiste bislang im Proberaum und im Tonstudio statt. Aber das Warten hat sich gelohnt, die Debüt-LP „Direkt ins Gesicht“ ist raus – die Vorab-CD läuft bei mir seit zwei Monaten auf Dauerrotation. An einem regnerischen Herbstabend unterhalte ich mich darüber mit Bodo (gt), Frank (voc) und Stéphane (dr), der einigen durch sein Schlagzeugspiel auf dem SLIME-Album „Live (Pankehallen 21.1.1984)“ bekannt sein dürfte. Vierter im Bunde ist Bassist Stefan, der aber nicht bei unserem Gespräch dabei ist.

Ihr seid eine echte Pandemie-Band, oder?

Bodo: Ja, so ist das tatsächlich. Ich habe vorher bei den CHANNEL RATS gespielt, die sich 2019 aufgelöst haben. Da gab es die Überlegung, mit einem Teil der Leute etwas Neues zu machen, was aber erst mal nicht so richtig geklappt hat. Frank und ich haben dann während der ersten Zeit der Pandemie immer wieder zu zweit Songs geschrieben. Hier bei mir im Haus, wo wir einen kleinen Übungsraum haben.
Frank: An der Stelle muss man sagen, dass Bodo eine echte Hitmaschine ist. Der hatte schon dutzende Songideen auf dem Rechner, an denen wir gemeinsam weitergearbeitet haben. Auf dem Album haben wir jetzt die neun Songs veröffentlicht, die wir alle am besten fanden.

Wo habt ihr das Album aufgenommen?
Stéphane: Bei unserem Bassisten Stefan. Der wohnt auf einem ehemaligen Bauernhof, wo er sich ein schönes Studio eingerichtet hat. Er hat viel Erfahrung mit Studioequipment und auch schon als Tontechniker gearbeitet.
Frank: Wir haben die Platte in vier Tagen aufgenommen und bewusst darauf verzichtet, dafür drei Gitarrenspuren oder Ähnliches einzuspielen, um es möglichst fett klingen zu lassen. Es sollte roh und direkt wirken. Wie der Titel „Direkt ins Gesicht“ eben sagt. Ich habe das selbst schon zu oft erlebt, dass mich Bands live enttäuscht haben, weil sie nicht das reproduzieren konnten, was ich von ihren Platten kannte. Das wollten wir vermeiden und einfach genau so klingen, wie sich das auch live anhört. Ich liebe zum Beispiel LEATHERFACE, aber als ich die mal nur mit einer statt zwei Gitarren im Konzert gesehen habe, war das einfach nix.

Wenn ihr euch während der Pandemie gegründet habt, habt ihr zeitweise wirklich schlechte Bedingungen zum Proben gehabt. Wie habt ihr euch da organisiert?
Stéphane: Wir haben im August 2020 mit Proben angefangen und das zwei Monate lang gemacht. Dann war wieder Lockdown. In der Zeit haben wir uns regelmäßig per Videokonferenz getroffen und über BandLab weiter an den Songs gearbeitet, nach und nach die Spuren hinzugefügt und so während des Lockdowns sieben Songs fertig komponiert und in Demoversionen aufgenommen. Erst im April 2021 haben wir die tatsächlich alle zusammen im Proberaum gespielt.
Bodo: Das war für mich wirklich überraschend, wie gut das alles funktioniert hat. Stéphane hat sich zu Hause ein Tablet in dem Raum an die Wand gehängt, in dem sein Schlagzeug steht, und sich über das Tablet-Mikro selbst aufgenommen. Die Soundqualität war wirklich gut.
Frank: Ich habe in mein Smartphone reingesungen und die Spur dann hinzugefügt. Natürlich ist das nicht so geil, als wenn man zusammen im Proberaum steht. Aber wir wollten ja irgendwie weitermachen. Ohne diese bekackte Pandemie hätten wir auch mehr als zweimal live gespielt. Interesse war in Hamburg genug da. Unser erstes Konzert haben wir Ende 2021 gespielt und kurz danach war wieder Lockdown. Da haben uns inzwischen noch einige Leute drauf angesprochen, weil es in der Zeit nach unserem Live-Debüt tatsächlich monatelang keine Konzerte mehr gab. Das zweite war dann im April 2022 als Support von SIR REG.

Auf jeden Fall eine besondere Entstehungsgeschichte für eine Band. Von Anfang an gut gefallen hat mir, dass ihr offensichtlich bewusst auf jegliche Social-Media-Kanäle verzichtet, dafür aber eure normale Webseite regelmäßig mit News und Videos aktualisiert.
Bodo: Um für mich zu sprechen: Ich war lange ziemlich aktiv auf Facebook und habe dort auch für viele Themen ein offenes Ohr bei Leuten gefunden. Irgendwann habe ich mich mal mit jemandem, den ich auch so schon kannte, auf Facebook über eine politische Sache ziemlich in die Haare gekriegt. Das an sich war aber nicht das Problem. Schwierig fand ich, dass ich danach gemerkt habe, dass ich im „echten“ Leben gar keine Lust mehr hatte, mit jemand anderem über dieses politische Thema zu reden, weil ich mich bei Facebook gewissermaßen schon ausgepowert hatte. Das fand ich einfach scheiße. Ich habe mich am selben Tag noch aus dem Netzwerk verabschiedet. Damit habe ich natürlich in Kauf genommen, dass ich manches nicht mehr mitbekomme, was sich da so tut.
Frank: Wir haben uns als Band einmal kurz und intensiv dazu ausgetauscht und uns gegen Social Media entschieden, als wir gerade dabei waren, die Website aufzubauen. Wir wollen uns damit auch tatsächlich ein bisschen abheben. Bei der Werbung für unsere Konzerte oder die Platte setzen wir stattdessen auf einen Newsletter. Und das würde immerhin reichen, um die Astra Stube hier in Hamburg voll zu kriegen, haha.
Bodo: Ich kenne sogar Leute, die unsere Musik gar nicht so gut finden, aber trotzdem auf unsere Homepage gehen. Das gibt es auch, haha.
Frank: Ist das so? Ich bin schockiert.

Ihr macht auf eurer Homepage und in euren Songs deutliche Ansagen gegen Verschwörungsanhänger:innen. Habt ihr selbst in eurem Umfeld entsprechende Erfahrungen gemacht während der Pandemie?
Frank: Ja, auf jeden Fall. Teils auch ziemlich massiv.

Stéphane: Sowohl privat als auch beruflich. Es ist immer das Gleiche: Du kommst im Gespräch irgendwann an einen Punkt, an dem du nicht mehr weiter diskutieren kannst. Viele haben sich ja in ihrem Halbwissen derart spezialisiert, dass sie Dinge behaupten, zu denen du nicht so einfach Gegenargumente finden kannst, weil du dafür eigentlich ausgebildeter Mediziner oder etwas Vergleichbares sein müsstest. Man hat sich ja selbst nicht so tief reingearbeitet wie die. Und an dem Punkt kommst du dann nicht weiter.
Bodo: Da gab es im engeren Bekanntenkreis ein paar Leute, die sich in dieser Verschwörungsszene sehr engagiert haben. Die haben es sich dadurch aber tatsächlich auch mit allen anderen ziemlich verscherzt. Ich bin gespannt, wie das wird, wenn man sich mal wieder trifft irgendwann. Da gab es in der Szene doch eine ganze Menge Zerwürfnisse. Ich habe mich aber mit vielen trotzdem unterhalten, auch wenn sie etwas krude Ansichten hatten, und erst mal geschaut, wie weit das genau geht. Kann ich das Gespräch weiterführen oder muss ich das abbrechen? Es gibt ja durchaus einen Graubereich. Zum Beispiel Leute, die an sich kein Problem mit dem Impfen haben, aber bei der Corona-Impfung gesagt haben, dass sie da Vorbehalte haben. Und wenn jemand das so empfindet, ist das für mich erst mal in Ordnung.
Frank: Unser Song „Wahrheit“, den du wahrscheinlich meinst, beschäftigt sich eher generell mit Verschwörungsmythen, nicht nur auf Corona bezogen. Ich hatte tatsächlich mal einen Nachbarn, der mir immer erzählt hat, dass Elvis noch lebt. Damals habe ich mich über solche Erzählungen noch lustig gemacht. Während der Pandemie hätte ich aber kotzen können über das, was da teilweise geäußert wurde. Wenn Leute im Namen der Meinungsfreiheit zu gemeinsamen Demos mit Nazis fahren, hört es einfach auf. Ich kenne zwei Leute, die damit gar kein Problem hatten. Und das geht überhaupt nicht.
Bodo: Deswegen gibt es auf unsere Homepage das Statement, dass all diejenigen, die mit Nazis, Rassisten und Antisemiten auf die Straße gehen, nicht an unserer Seite sein können. Da ist die rote Linie erreicht.

Ihr habt auch einen Song über Nostalgie geschrieben, der, wie ich finde, sehr schön den Zwiespalt rüberbringt, einerseits beispielsweise alte Bands abzufeiern und sich andererseits zu fragen, ob früher tatsächlich alles so toll war wie in der eigenen Erinnerung.
Frank: Nostalgie ist eine schöne Sache. Aber es gibt immer noch genug neue Geschichten zu erleben. Das sollte man nicht nur den Kindern überlassen. Ich fühle mich gerne auch noch mal wie ein Kind. Ich habe neulich – gemeinsam mit guten Freunden – eine Party veranstaltet und dazu bewusst vier Bands eingeladen, die die meisten der Gäste tatsächlich nicht kannten.
Stéphane: Darum geht’s ja am Ende im Leben: offen und neugierig bleiben!
Bodo: Wir haben ja auch noch einen anderen Song mit ähnlicher Thematik „Into the future“. Das ist für uns schon ein Thema. Nicht nur in alten Geschichten verharren, die ja sowieso inzwischen nebulös sind, sondern immer zu gucken, was es sonst noch gibt.

Deswegen habt ihr ja auch jetzt eine tolle Platte gemacht und neue Musik beigesteuert! Der andere Song, der bei mir auf Anhieb einen Nerv getroffen hat, ist „Delfine“.
Stéphane: Das ist unser Pandemie-Song.
Frank: Der Hintergrund ist, dass ich ganz am Anfang der Pandemie, als Bodo und ich noch zu zweit an Musik gearbeitet haben, immer bei schönstem Wetter zu ihm gefahren bin. Und er meinte irgendwann, ich könnte ja mal einen Text schreiben, was denn schön an der Pandemiezeit mit ihren Lockdowns war. Meine Frau und ich haben beispielsweise in der Zeit Leute näher kennen gelernt, mit denen wir bisher nicht so dicke waren. Bei langen Spaziergängen im Stadtpark, an der Elbe oder außerhalb von Hamburg. Man hat sich stundenlang Zeit genommen, um zu reden. Das hatte tatsächlich was Schönes, aber auch was Bizarres.
Bodo: Man muss aber dazu sagen, dass Frank und ich damals ganz normal gearbeitet haben, während drumherum alles runtergefahren wurde. Wir waren bei demselben Unternehmen, das im sozialen Bereich tätig ist. Bei dem Song hatten wir uns vorgenommen, dass der das Pandemiethema ein bisschen anders angehen sollte, als das andere Bands gemacht haben. Wir wollten die typischen Vokabeln im Text vermeiden.
Frank: Ich muss an der Stelle sagen, dass ich den Song in fünf Minuten geschrieben, dann in mein Smartphone gesungen und zu Bodos Gitarrenspur ergänzt habe. Und er war ganz angetan vom Ergebnis, haha.
Stéphane: So entstehen ja oft die größten Hits. Schnell zusammengeschustert, haha.

Was sind eure Pläne für 2023?
Bodo: Wir hoffen, ab Januar oder Februar endlich mal wirklich mit mehr Konzerten loslegen zu können.
Frank: Im Dezember erscheint die Platte. Da wäre es natürlich schön, hier in Hamburg noch eine Releaseparty hinzukriegen. Und Anfang 2023 eine kleine Wochenendtour vielleicht nach Berlin, Bremen und Kiel? Aber gerne natürlich auch Richtung Süden. Ein paar neue Hit-Songs haben wir auch noch am Start. Wenn es jemanden gibt, der die veröffentlichen möchte, bringen wir nächstes Jahr auch eine 7“ raus.