AVRALIZE

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Was ist heute noch Metalcore?

Severin Sailer (voc) und Bastian Gölz (dr) waren zehn Jahre alt, als ihre Gitarren- und Schlagzeuglehrer sie einander vorstellten. Das war der Anfang ihrer Coverband SILENT FOX. Zehn Jahre und ein paar erste eigene Songs später wollen die beiden unter dem Namen AVRALIZE gemeinsam mit Philipp Tenberken (gt) und Valentin Noack (bs) „das Musik-Ding jetzt ernsthaft aufziehen“. Ihre Bemühungen werden prompt mit Förderung und Plattenvertrag belohnt. Wir sprechen mit den vieren aus Rottweil über ihr beeindruckendes Debütalbum „Freaks“.

Euer Sound hat einen hohen Wiedererkennungswert. Wie habt ihr den gefunden?

Severin: Wir haben damals nur besprochen, dass wir ein sautiefes Tuning haben wollen. Wir hatten Siebensaiter, ein Drop-Pedal, wir dachten, je tiefer wir gehen, desto erfolgreicher werden wir. Haha! Wir wollten in eine moderne, djentige Richtung. Unseren Sound und vor allem den Facettenreichtum haben wir letztendlich auch dank unseres Produzenten Manuel Renner gefunden.
Basti: Dazu muss man wissen, dass wir uns für verschiedene Genres interessieren. Severin hat erst spät angefangen, Metal zu hören. Philipp und ich waren hingegen schon immer völlige Nerds und haben viel Deathcore gehört. Wir alle drei spielen Gitarre und Schlagzeug und es hilft, wenn jeder dieses Gespür für die Instrumente hat.

Seid ihr beim Songwriting gleichermaßen involviert?
Severin: Absolut. Meist beginnen Basti und Philipp mit ein paar Riffs, die dann zusammengequirlt werden. Mein Ding sind eher die Core-Progressions für den Refrain. Das Arrangement machen wir zusammen. Da haben wir einen guten flowigen Umgang gefunden und hatten so in kürzester Zeit ein Demo am Start.
Basti: Früher war das anders, da wollte jeder seine eigene Idee umsetzen und war beleidigt, wenn es nicht geklappt hat. Inzwischen gehen wir die Sache rationaler an, können objektiv auf eine Idee schauen. Wir sitzen dann bei mir zu Hause und stecken die Köpfe zusammen, das macht mir am meisten Spaß.

Mehr Spaß, als auf der Bühne zu stehen?
Basti: Ich würde sagen, das kommt ganz darauf an. Manchmal läuft’s richtig gut beim Songwriting, dann sind alle ganz euphorisch. Das kann auf der Bühne natürlich auch so sein. Aber wir haben mal bei vierzig Grad in der Sonne gespielt und sind fast kollabiert.
Severin: Manchmal schreiben wir aber auch fünf Stunden, löschen hinterher alles wieder und fragen uns: Können wir plötzlich keine Musik mehr komponieren?

Wie viele Gedanken fließen in die Struktur eines Songs?
Basti: Alle! Die Core-Progression im Refrain von „Lotus“ haben wir fünf- oder sechsmal umgeworfen. Uns ist wichtig, dass die Songs kurzweilig sind, es keine langen Pausen gibt, die Parts mit ihren Transitions Sinn ergeben. Wir hören mittlerweile gerade beim Autofahren häufiger unsere Demos als andere Musik, um uns immer wieder Gedanken machen zu können, wie sich dies und jenes noch eingängiger gestalten lässt.
Severin: Das war eine große Entwicklung von unserem ersten Song „Freaks“ zum letzten, „Canvas“. Anstatt einzelne Riffs aneinander zu stacken, betrachten wir jetzt den kompletten Song, sagen nicht mehr „Der Part ist geil“, sondern „Der Part ist geil, weil der Aufbau davor so geil ist und das, was danach kommt, rundet es ab“.
Philipp: Wir versuchen auch immer, verschiedenste Elemente in einem Song zu platzieren, damit es spannend bleibt. Manchmal ist das viel zu viel und völlig chaotisch. Valentin bremst uns dann ein bisschen. Wir wollen einen uniquen Sound, eine gute Songstruktur, überraschen, aber nicht überfordern.
Valentin: Ich glaube, die Songstruktur ist wichtiger als alles andere, wenn man Musik nicht nur für Musiker macht, sondern für Leute, die einfach gerne Musik hören. Es ist wichtig, einen guten Refrain zu haben, sonst wird es zu komplex und schreckt ab.
Philipp: Man soll unsere Musik hören und denken, man kennt es – aber dann ist es doch irgendwie neu.
Basti: Genau, wir wollten einen freshen Sound, wollten versuchen, Metalcore uniquer, aber nicht zu komplex zu gestalten.
Severin: Ich habe damals mit dem Begriff Metalcore sehr gekämpft, der wurde einfach überstrapaziert, bedeutete immer etwas anderes. Es wird mal Zeit für weitere Abstufungen. Was mittlerweile unter Metalcore fällt, hat ja die verrücktesten Auswüchse. Ich wollte unsere Sachen lieber Modern Heavy Music nennen.
Philipp: Ich glaube, was unsere Musik gut beschreibt, ist „frech“. Wir nehmen uns einfach aus sämtlichen Genres irgendetwas und fragen uns nicht: Darf man das?

Wie versucht ihr, abseits der Musik das Erscheinungsbild von AVRALIZE zu gestalten?
Severin: Bei den visuellen Elementen versuchen wir etwas wegzugehen vom Metal. Statt schwarzem Banner mit weißer Schrift haben wir kunterbunte Visuals, die fast schon an einen Techno-Look erinnern. Man könnte sagen: Futuristic Vintage. Hauptsache, es sieht nicht normal aus. Und man soll nicht denken, wir sind die bösen Boys, die Schreimusik machen.
Basti: Ich glaube auch, dass man Musik je nach Image anders hört. Unser Look soll einladend sein.
Philipp: Wir machen ernsthaft Musik, aber wir wollen es locker rüberbringen. Man soll den Spaß dabei sehen. In dem Song „Canvas“ ist zum Beispiel ein Saxophon zu hören. Dafür wären wir sicherlich ein paar Jahre ins Metalcore-Gefängnis gegangen, wenn wir uns selbst zu ernst nehmen würden.
Valentin: Ab und zu sind Leute bei unseren Shows irritiert, wenn sie uns in unseren Bühnenoutfits sehen, und fragen, was wir bei einer Metalshow machen. Aber wenn sie uns dann spielen hören, sind sie doch überzeugt.
Severin: Es ist halt ein Fashion-basiertes Business. Wenn wir nicht cool aussehen, was wollen wir dann in der Branche?

In euren Songs behandelt ihr schwere Themen mit einem positiven Spin. Woher stammt diese Haltung?
Philipp: Wir haben viel Spaß und machen im Proberaum nur Scheiß. Da sinkt der IQ auf -10. Bei Autofahrten zu Gigs hören wir manchmal nur „Mario Kart“-Musik, weil die lustig ist.
Basti: Ich glaube, wir sind einfach positive Menschen. Wir grinsen uns auch auf der Bühne die ganze Zeit an.