Die Skaband ATHENA vertritt die Türkei beim „Grand Prix De Eurovision Song Contest“, der Fußball-Underdog Griechenland wird Europameister und der Sommer in Deutschland muss 2004 neu definiert werden. Eigentlich ist der Aufhänger der Beteiligung ATHENAs beim Grand Prix überspannt, aber mal ehrlich, würden wir uns wirklich mit einer Band auseinandersetzen, die bei der größten europäisch musikalischen Freakshow mitmacht, wenn dahinter nicht wirklich Gehalt und Inhalt stecken würde?
Die Geschichte von ATHENA ist so bunt und vielfältig wie die Türkei selbst. Von der Luftgitarre Mitte der Achtziger zu Thrashmetal-Geboller, über den Status einer modernen Tanzband mit Punk- und Ska-Klassiker für die Touristen in den Neunzigern, zur eigenständigen Skaband mit türkischen musisch-kulturellen Einflüssen am Anfang des 21. Jahrhunderts, die mit Popgrößen aller Welt die Bühne teilt und mit ihrer positiven Art eine Brücke zwischen Kulturen und Musikgenres schafft. Kurz vor Veröffentlichung des dritten Majoralbums „Us“ (Universal) führte ich mit Sänger und Gitarrist Gökhan Özoduz via eMail dieses Interview.
Eine türkische Band bedient sich eines griechischen Namens. Fast schon provokativ, angesichts der Querelen zwischen Griechenland und der Türkei.
„Um gleich mal eines klarzustellen: Wir hegen gegen niemanden Vorurteile. Wir sind gegenüber allen Kulturen, Rassen und Religionen offen. Die Göttin Athene ist für uns das passende Abbild unserer Philosophie.“
Dein Bruder Hakan und du sind die Köpfe von ATHENA, die restliche Besetzung ändert sich bei jedem Album. Kann man da eigentlich noch von einer Band sprechen?
„Hakan und ich sind verantwortlich für alles, was mit unserer Musik zu tun hat. Die Besetzungswechsel waren aufgrund der nicht zu vereinbarenden Einstellungen der einzelnen Musiker notwendig. Aber wir sehen uns als Band. Musik ist unser Lebensinstrument. Treffen wir Gleichgesinnte, sind diese willkommen. Hakan und ich sind das Fundament unserer Musik, das wir mit anderen Musikern teilen, und auf das wir bauen.“
Begonnen habt ihr mit Metal. Mal schnell zu Ska überzuwechseln, ist ja doch eher ungewöhnlich. Betrachtet man eure drei Major-Alben, ist der rote Faden zwischen Ska, Rock, Punk und heimatlichen Klängen die Popmusik. Andere Bands ändern mit dem Stil auch schnell mal den Bandnamen.
„Und genau darin spiegelt sich die Bedeutung Athenes wieder, die das alles in sich vereint. Dass wir unseren musikalischen Stil so veränderten, kam einfach so über die Jahre. Der Klang der Straße gefiel uns, diese ‚Böser Junge‘-Mentalität, die ich bereits fühlte, bevor ich Musik machte. Wir waren immer auf der Suche nach einem Sound, einem Konzept, echt und rau, und so bekamen wir auch langsam Kontakt zur Punkrock- und Skinheadszene. Der poppige Sound in unserer Musik soll als Brücke zwischen all den anderen Stilrichtungen dienen. Wir haben für Popmusik an sich nicht viel übrig, aber in der Türkei war Pop als Bindeglied notwendig, da niemand vertraut war mit dieser rauen Art, Musik zu machen. Wir waren etwa vierzehn Jahre alt, als wir unsere ersten Gehversuche im Metal machten. ATHENA erzählt die Geschichte einer Band, die sich über all die Jahre selbst gefunden hat.“
Mal zu eurer Teilnahme am Grand Prix Eurovision Song Contest. Was für eine Bedeutung hat das für euch?
„Das wichtigste an diesem Ereignis war, unser Land mit unserem eigenen musikalischen Stil und unserer Ideologie zu vertreten. Es gab keinerlei Veränderungen – von keiner Seite. Das bedeutet also, dass sich die Türkei mit uns identifizieren kann. Ohne überheblich wirken zu wollen, war es uns ein Anliegen, dass jedes Land wahrnehmen sollte, dass es in der Türkei eine Band wie uns gibt. Darauf können wir jetzt bauen, aber ansonsten hat sich nicht viel verändert.“
Mit den PET SHOP BOYS, CARDIGANS, SIMPLE MINDS oder SUGARBABES hattet ihr bereits das Vergnügen. Aber habt ihr eigentlich Kontakt zur internationalen Ska/Punk-Szene?
„Wir sind dabei diese Kontakte auf- und auszubauen!“
Seit wenigen Monaten ist nun eure Single „For Real“ erhältlich und in Kürze erscheint das Album „Us“. Es gab aber in der Vergangenheit bereits Bemühungen, eure ersten Alben in Deutschland neu aufzulegen, sowie Tourneen zu organisieren. Alles ohne großen Erfolg. Warum eigentlich?
„Wir haben bisher nichts unternommen, in Deutschland unsere türkischen Alben zu veröffentlichen. Sicher gab es Anfragen, aber bisher lehnten wir immer ab. Unsere einzige Zustimmung bisher, einen Song für ein weiteres Projekt abzugeben, galt einer europäischen Ska-Compilation. Bisher waren wir der Meinung, das Beste sei, sich mit Texten zu definieren, die auch jeder verstehen kann. Deshalb beschränkte sich das bisher nur auf unseren lokalen Markt. Wir wollen dies mit einem Album mit englischen Texten ändern. Anders verhält es sich mit Konzerten in Deutschland. Wir haben zwei Konzerte als Support von DIE ÄRZTE gespielt, eine großartige Erfahrung. Und wenn das Interview erscheint, haben wir eine Club-Tour in Deutschland gespielt und vielleicht auch auf einigen Festivals.“
Zu den Texten: „Savas Hic Gerek Yok“ ist beispielsweise ein klares Statement gegen den Irakkrieg. Ist ATHENA eine politische Band?
„Meistens schreibe ich über meine Erfahrungen in meinem Leben. Wir verstehen uns nicht als Botschafter. Jeder Mensch soll seiner eigenen Orientierung folgen. Wir haben unsere eigene politische Einstellung, die wir nie direkt zum Ausdruck bringen. Wir wollen unsere Gefühle mitteilen, in Anbetracht dessen, was um uns herum geschieht.“
Wie sieht es mit der türkischen Ska-Szene aus?
„Wie überall ist die Szene sehr klein. Es gibt da keine Labels, Clubs oder Bands, die speziell diesen Sound machen würden. In der Türkei kann man von keiner eigenen Ska- oder Punkszene sprechen. Alternative-Szene ist treffender, da man dort von Rock über Punk und Ska bis Metal alles findet. Es gab mal einen Club namens Captain Hook. Dort fing alles an, fünf Jahre haben wir regelmäßig dort gespielt. Es war ein Club mit einem ganz eigenen Charakter. Hier fanden wir die Leute, die sich mit dem Gefühl, das auf der Straße herrscht, identifizieren konnten. Ansonsten hören die jungen Leute Pop und Rock jeglichen Genres in den Clubs. Gute Bands in ihrem musikalischen Genre sind unter anderem MFÖ, SEZEN AKSU, SEBNEM FERAH, MOR VE ÖTESI und LACO TAYFA.“
In Deutschland geboren, würdet ihr Bestandteil der dritten Generation junger türkischer Erwachsener mit deutschen Pässen sein. Und immer noch existiert das Problem des Erwachsenwerdens zwischen zwei bestehenden Kulturen.
„Die Türken, die wir in Deutschland getroffen haben, sind mehr mit ihren Traditionen verbunden, als wir es selbst in der Türkei sind. Das passiert eben mit Menschen, wenn sie nicht in ihrer Heimat sind. Dennoch ist die dritte Generation bei weitem weltoffener, als wir es sind. Sie orientiert sich mehr an dem, was in ihrer Umgebung passiert.“
Was steht in naher Zukunft bei ATHENA an?
„Im September werden wir unsere neue Single und voraussichtlich im März 2005 ein Album in englischer Sprache veröffentlichen. Wir arbeiten daran.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #56 September/Oktober/November 2004 und Simon Brunner