Es ist doch immer wieder eine Freude, über Bands zu stolpern, die sich durch eigenen Stil und Individualität vom Einheitsbrei der großen, weiten Musikwelt abzusetzen wissen. Wenn diese dann auch noch aus den eigenen Landen kommen, ist das Interesse schnell geweckt. So geschehen bei ARE WE ELECTRIC? aus dem Stuttgarter Raum, die mich mit ihrer Debüt-CD „StressLoungeMusic“ auf Kamikaze Records aufhorchen ließen. Das Trio findet man musikalisch irgendwo zwischen den Schubladen Post-Punk, New Wave und Surf wieder, was auf eine illustre Mixtur schließen lässt. Grund genug, die Band mal mit einigen Fragen zu penetrieren, die auch artig und ausführlich beantwortet wurden.
Bitte ein paar Worte zur Band-Biografie.
Wir sind ein Trio. M1, Gitarre/Samples, M2, Bass und Gesang, M3, Schlagzeug. Wohnhaft sind wir in Stuttgart und Umgebung. Musik machen wir größtenteils zur Selbstbefriedigung, und um uns die Tristesse des Alltags zu vertreiben, aber vor allem auch um andere Menschen durch elektrisierende Livedarbietungen an unserer Arbeit teilhaben zu lassen. Unter dem Namen ARE WE ELECTRIC? gibt es uns erst seit Anfang 2002. Davor lief die Sache unter dem Namen BHANG DEXTRO. Mitte des Jahres 2001 wurde der revolutionäre Plan gefasst, in Sachen Aufnahmetechnik mal was anderes zu probieren. Lange Jahre schon haben wir uns in deutschen Studios rumgetrieben, mit deutschen Aufnahmeleitern usw. Jetzt wollten wir mal was ganz amtliches abliefern. Wir hatten mitbekommen, dass SHELLAC im Winter touren würden und haben uns per E-Mail an Bob Weston, den Basser von SHELLAC, gewandt. Der hatte dann auch sofort zugesagt, ein paar Monate später haben wir ihn dann tatsächlich vom Flughafen abgeholt und drei Tage ins Novasonic-Studio verfrachtet. Die drei Tage mit Bob waren unglaublich. Noch nie zuvor haben wir so sehr die Gewissheit während eines Studiobesuches gehabt, das Richtige zu tun. Wenn auch der Arbeitsdruck unglaublich war, 19 Stücke innerhalb kürzester Zeit aufzunehmen und auch noch abzumischen. Bob hat uns mit stoischer Ruhe und absoluter Professionalität die Kraft gegeben, das alles zu bewerkstelligen. Das Studio ist übrigens echt zu empfehlen.
Welche Intention verfolgt ihr mit der Band und was macht euch anders als den Rest?
Unsere Intention ist es, eine Alternative zum Rest zu sein. Zumindest die 1001. Abwandlung eines bekannten Schemas abzuliefern, worauf es in der Rock/Pop-Musik doch letztlich immer rausläuft. Meines Erachtens nach tun wir das auch sehr ordentlich. Haben Spaß bei der Sache, und soweit wir das in Konzerten beobachten können, haben das die Leute vor der Bühne auch. Auch wenn es schon ein paar Mal Beschwerden wegen der Lautstärke gegeben haben soll. Einmal hat unser Veranstalter sogar durch eine schriftliche Absicherung an der Kasse die Haftpflicht für eventuell auftretende Hörschäden von sich gewiesen. Wir sind keine Band, mit der man sich auf platte, rock-typische Art identifizieren kann, worauf wir uns was einbilden. Schon auf gewisse Art verkopft, mit dem Anspruch an den Konzertbesucher, ein gewisses Hintergrundwissen mitzubringen, um unsere Musik auf ganzer Linie verstehen zu können. Das soll sich jetzt weniger auf die Schulbildung des Hörenden beziehen als vielmehr auf musikalische Grundlagenbildung, so eine Art Allgemeinbildung im Bereich Indie-Mucke der letzten 20 Jahre. Geht aber auch ohne.
Wart ihr zuvor schon anderweitig musikalisch aktiv?
Na klar. Zu einem Namedropping, das für eure Leser wohl auch eher nichtssagend wäre, soll meine Antwort allerdings nicht verkommen. Wir haben da schon einiges mitgemacht. Jeder Einzelne schon mehr oder weniger erfolgreich. Aber was bedeutet das schon? Materiell kann das nix heißen, war auch nie das Ziel. Erfolgreich vielleicht im Sinne von etwas, das dir Menschen wiedergegeben haben, eine Reflektion, ein Teilhaben an etwas, das irgendwie doch intim ist, weil selbst gemacht. Das ist doch der eigentliche Punkgedanke, im ursprünglichen Sinne. Jeder kann was, man muss sich nur trauen es umzusetzen. So geht das bei uns schon seit Jahren. Musik machen, nicht tot theoretisieren. Keiner von uns würde je behaupten, er sei Musiker oder gar Künstler.
Ihr habt ja einige Instrumental-Stücke im Repertoire. Soll die Mischung der Songs mit und ohne Gesang so beibehalten werden? Was macht den Reiz beim einen und beim anderen aus?
Ob die Mischung, die nicht in einem bestimmten Mischungsverhältnis existiert, beibehalten wird, zeigt sich beim Ausarbeiten der Songs. Der Reiz beim Spielen der Stücke, vor allem live, besteht in einer gewissen Reduktion. Den Gesang wegzulassen, also auf ein gewichtiges Stilmittel zu verzichten, wenn nicht das Wichtigste in der Pop- und Rockmusik überhaupt, ist doch sehr reizvoll. Zwangsläufig entsteht, wenn du den Vocalpart weglässt, mehr Platz für die Instrumente. Und gerade live lädt so was immer wieder gerne zu kleinen Improvisationen ein. Ich spiele die meisten Stücke sehr situations- und stimmungsabhängig. Soll heißen: Jedes Konzert ist anders, was die Spannung aufrechterhält. Zum anderen sind echte ‚Hits’ zum mitgehen, mit echtem Wiedererkennungswert ohne den Einsatz von Stimme undenkbar. Allerdings nicht für andere Musikarten wie Techno, Jazz oder Klassik, die ja meist auch ohne die gängigen Bausteine wie Strophe, Refrain usw. auskommen. In diesem festgelegten Terrain des Pop bewegen sich unsere Stücke.
Wie kam es zu der Idee mit den zahlreichen Samples zu arbeiten? Viele Rock-Bands wehren sich ja konsequent gegen derartige Einflüsse.
Vielleicht sind wir gar keine Rockband. Sicherlich nicht im traditionellen, geradezu hippen Sinne des Mitgröl-3-Akkorde-Biertrink- Singalongs. Gerockt werden darf bei uns schon auch hin und wieder mal. Aber möglichst ohne Klischees. Samples überbrücken live wunderbar die kommunikative Peinlichkeit, die vielleicht auch was Erholsames haben kann. Wir stressen lieber weiter, setzten noch einen drauf. Wir wollen nach Möglichkeit niemanden im Publikum reden hören, das darf auf der Bühne gar nicht ankommen. Gegen elektronische Einflüsse wehren wir uns nicht. Hätten wir die Möglichkeit, sprich jemanden, der einen Synthesizer bedienen könnte und sich uns anschließen würde, dann könnten AWE? noch ganz andere Dimensionen annehmen. Stillstand und Einpendelung auf einen festgefahrenen Stil, das ist doch irgendwann tödlich für eine Band. Außer, du machst so viel Asche, dass du bei deinem Stil 1:1 bleiben musst, um deine ‚Fans’ nicht zu vergraulen. Davon sind wir, glaube ich, ziemlich weit entfernt.
Euer Bandname lässt einen Elektro-Act vermuten. Gab es da schon öfter mal Missverständnisse bei Konzertbesuchern, die mit einem klassischen Rock-Trio gar nicht gerechnet haben?
Zum Thema ‚Rock’ habe ich mich ja schon geäußert. Klassisch ist das Trio allerdings schon, der Inbegriff von musikalischer Kontrolle, übersichtlich und demokratisch. Es ist immer gleich eine Mehrheit oder Minderheit gefunden. Das ist schon praktisch. Denn einen Banddiktator oder Frontmann brauchen und wollen wir nicht. Missverständnisse gab es allerdings noch nie, da die Leute, die sich tatsächlich auf unsere Konzerte verirren, meistens szenemäßig vorgeprägt genug sind, um nicht auf irgendeine Rave- oder sonst was für eine Veranstaltung reinzufallen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass musikalisch anders interessierte Menschen, wenn sie sich denn auf ein Konzert einlassen, Gefallen daran finden könnten. Auf alle Fälle würden wir in irgendeiner Weise Eindruck auf sie hinterlassen! Positiv oder Negativ, alles besser als gar keinen.
Auch wenn euer Stil vordergründig sehr eigen und neu klingt, sind doch sehr schnell die musikalischen Einflüssen festzumachen. Erzählt mal kurz ein wenig dazu. Inwieweit greift ihr schon Dagewesenes auf und wo versucht ihr Neues zu schaffen?
Bei welcher Band, die sich im Rock-Pop-Kosmos bewegt, lassen sich keine Einflüsse anderer Bands feststellen? Irgendwas war immer schon vorher mal da. Einflüsse sind bei uns ganz klar Bands wie GANG OF FOUR, DEVO, B 52’S, WIPERS, aber auch MAN OR ASTRO-MAN?, JESUS LIZARD oder SHELLAC. Die ganze Chicago-Schule, das Postrock-Ding, Noiserock der alten Schule im Amphetamine Reptile-Style genauso, Dischord, SST oder Touch & Go sollen auch nicht unerwähnt bleiben. Das alles findet sich komprimiert in heterogenen Teilen in der Musik von ARE WE ELECTRIC? wieder. Soviel zum Schaffen von Neuem.
Wie kam es zum Deal mit Kamikaze Records? Die stehen in der Regel ja eher für traditionellere Klänge?
Ehrlich gesagt waren das die einzigen, die zum richtigen Zeitpunkt gleichzeitig Interesse und Geld für uns übrig hatten. Außerdem ist der Chef Frank ein umgänglicher und netter Typ, das muss man ihm lassen. Untergehen tun wir musikalisch auf dem Label auch nicht, dazu stechen wir aus der Fülle anderer Kamikaze-Veröffentlichungen zu sehr heraus.
Wie lebt es sich denn so als Musiker in Stuttgart? Schon ordentlich Geld fürs Häusle beiseite geschafft oder müsst ihr noch anderen Wegen des Gelderwerbs nachgehen?
Wie schon gesagt, sind wir keine Musiker. Musiker haben lange Haare, enge Hosen und arbeiten in Musikläden. Wir sind Freaks, lieben Musik und machen letztere nicht wie der gemeine Musiker der Anerkennung wegen, das gespielte Instrument besonders toll zu beherrschen. Eher aus dem Selbstverständnis heraus, was ‚Eigenes’ hinzubekommen, ohne sich bei jemandem einschleimen zu müssen. Wir sind gerne unprofessionell. Was allerdings nix mit Dilettantismus zu tun hat. Wir beherrschen unsere Instrumente schon, haben es allerdings in keinster Weise nötig, uns durch sie zu profilieren. Das besorgt schon unsere Einzigartigkeit. Arbeiten müssen wir auch, das stimmt. Vom musizieren allein kann sich keiner über Wasser halten. M1 und M3 haben auch Familie, sind vom Punkrockfaktor also ein wenig eingeschränkt. M2 ist der echte Individualist. Nur er und seine Plattensammlung.
Wie sieht die Zukunft der Band aus? Welche Pläne wurden bereits geschmiedet?
Wissen wir nicht. Pläne gibt es. Eher Standard allerdings: Live spielen, soviel wie möglich. Alle interessierten Veranstalter bitte sofort unsere wunderbare Homepage besuchen, oder gleich eine E-Mail an are-we-electric@web.de! Im Laufe des Jahres sollten wir dann mal wieder ins Studio. Die Aufnahmen sollten dann ins Presswerk, veröffentlicht und gekauft werden, usw. Und die ‚StressLoungeMusic’-CD möglichst bald als Platte hinterher schieben, das wäre uns auch noch ein Anliegen.
Vielen Dank für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Abel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und Lars "Abel" Gebhardt
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