ANYWAY

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Vom Golfclub in die Sackgasse

Die 1996 in Prag gegründeten ANYWAY veröffentlichten "Golf Club", ihr erstes Album, 2002 auf Day After Records - ein Kontakt, der durch LVMEN, die andere Band von Drummer Robert Taschner entstanden war. Rhythmisch komplexer Gitarrenrock zwischen Indie und Punk wurde da geboten und gefiel ausgesprochen gut. Mit "Dead End", ihrem neuen Album, erneut produziert von Ondrej Jezek, meldeten sich ANYWAY im Sommer zurück und haben in More Noise Less Music, dem Label von Dietmar Stork (den man ja unter anderem als Trust-Schreiber kennt) ein kleines, feines Label in Berlin gefunden. Sänger Jiri beantwortete unsere Fragen.

Jiri, kannst du kurz die Mitglieder deiner Band ANYWAY vorstellen? Ich weiß, dass du früher in der Emo/Indie-Band CLEAN STATE gespielt hast, stimmt das? Wie habt ihr euch also kennen gelernt und warum habt ihr beschlossen, eine Band zu gründen?


Ich bin der Sänger und stieß 1999 zur Band, als der eigentliche Gitarrist die Band verließ und Bohumil vom Gesang zur Gitarre wechselte. Unsere Rhythmussektion besteht aus unserem Bassisten Peter und unserem Drummer Robert. Ja, in den 90er Jahren war ich Mitglied bei CLEAN STATE. Wir waren eine der ersten so genannten "Emo"-Bands in Europa, ich denke, die erste im früheren Ostblock. Wir machten ein Album, eine riesige Tour durch 15 Länder und haben uns dann getrennt.

Wenn du in einem Satz beschreiben müsstest, was für Musik ihr macht, welcher Satz wäre das?

Wir rasen mit unserem Kopf gegen die Wand.

Ihr kommt aus Tschechien. Kannst du uns mehr über die Szene dort erzählen und über interessante Bands, die man im Auge behalten sollte?

Die Szene dort ist okay. Es ist ein kleines Land, deshalb kennen sich die Leute untereinander, Bands erzählen gerne Scheiß über andere Bands und so weiter. Es gibt einige sehr gute Bands auf einem kleinen Label namens Silver Rocket. Robert spielt bei LYMEN. Das ist eine der besten Bands im gesamten Land. Und kürzlich bin ich bei EASTERN STAR, einer Garage/Punk-Band aus Prag eingestiegen und wir sind auch sehr gut, haha.

Wie wichtig ist es für euch, live zu spielen? Und wie reagieren die Leute auf euch? Ich meine, ihr seid ja keine typische Hardcore/Punk-Band, ihr hört euch mehr wie eine dieser Dischord-Bands der 90er an, aber spielt mit Hardcore-Bands verschiedener Stilrichtungen ...

Ich denke, das ist der wichtigste Punkt bei einer Rock'n'Roll-Band. Ich kann mich eigentlich an keine schlechten Erlebnisse mit einem Publikum erinnern, außer so Sachen, dass man tagsüber auf einem großen Festival spielt und es einfach niemanden interessiert - das ist schon ein- oder zweimal passiert. Das Problem mit einem jungen Publikum ist oft, dass sie die alten Hardcore- und Punk-Sachen nicht kennen. Manchmal sind sie dann ein bisschen schockiert.

Ihr seid ja schon älter, kannst du erzählen, wie die Szene sich geändert hat, seit ihr das erste Mal ein Moshpit betreten habt? Es muss doch einen großen Unterschied geben zwischen der Szene der frühen 90er Jahre und heute, 15 Jahre später.

Überraschenderweise gibt es im Allgemeinen keine großen Unterschiede. Es gibt viel mehr Bands, was viel mehr Wettbewerb bedeutet. Für einige wird es schwieriger werden, Gigs zu bekommen. Und außerdem ist alles immer kommerzieller geworden, Bands gehen immer häufiger zu den Majors, erscheinen in den Massenmedien und so weiter.

Was ist mit euren Eltern? Sind sie in eure Tätigkeiten involviert, wissen sie, was ihr tut?

Ich wohne allein, seit ich mit der Uni fertig bin und einen Vollzeitjob habe, um meine Miete zu bezahlen. Ich weiß noch, dass meine Mutter total außer sich war, als ich zur Aufnahmesession unserer Debüt-7" ins Studio gefahren bin. Das war 2000, kurz vor meinen Abschlussprüfungen. Meine Eltern haben nie wirklich verstanden, was mir Musik bedeutet. Aber jetzt, wo mein Neffe eine eigene Band hat, ist es eine völlig andere Sache. Sie rufen mich an, damit ich zu seinen Gigs komme und so. Seltsam ...

Warum, denkst du, sind viele osteuropäische Bands innerhalb ihrer eigenen Szene so unterschätzt? Ich meine, es gibt Tausende amerikanischer Bands, die in der ganzen Welt touren und, um ehrlich zu sein, sind die meisten von ihnen scheiße. Und nur weil ihr aus Osteuropa kommt und auf einem kleinen Label seid, bekommt ihr keine Gelegenheit zu spielen ...

Es steht jedem frei, eine eigene Szene zu bilden. In vielen Fällen zieht eine gute lokale Band mehr Leute als eine unbekannte "westliche" Band - was auch immer das heißen mag. Mit Bands auf großen, angesehenen Labels ist es eine total andere Sache. Es ist der Labelname, der die Band verkauft, aber so ein Label muss hohe Standards haben. Und sie setzen die Standards, weil sie und nicht wir den Rock'n'Roll erfunden haben. Wenn eine Band sehr gute Songs hat, wird sie früher oder später Anerkennung dafür bekommen. Es gibt auch noch einen anderen Punkt: Uz Jsme Doma oder GOGOL BORDELLO haben beide Erfolg in den USA. Rate mal, warum. Sie vermitteln mit ihrer Musik einfach dieses "Ost"-Feeling, das es dort sonst nicht gibt.

Was bedeutet dir die Szene? Bist du sonst noch in irgendwelche "szenetypischen" Aktivitäten verwickelt?

Ich buche zufälligerweise Bands für Prag und einige andere Städte in Tschechien. Meistens sind das britische Bands, die wir kennen und mit denen wir gespielt haben. Ich denke sowieso, dass das Wort "Szene" seine Bedeutung verloren hat. Es gibt mittlerweile mehrere kleinere Szenen. Jeder kann eine haben. Es gibt keine große, allumfassende Szene mehr! "Szene" hat für mich auch immer mehr mit den Leuten um mich herum zu tun gehabt, als mit Ideen oder Musik. Denn Ideen ändern sich und Menschen auch.

Ihr habt euer "Golf Club"-Album auf Day After Records rausgebracht und nun seid ihr auf dem Label Silver Rocket sowie auf More Noise ... Warum?

Ich denke, dass beide Parteien zuviel voneinander erwartet haben. Und außerdem gehörten wir sowieso schon immer zu Silver Rocket.

Aber wie ist es dazu gekommen, dass ihr mit More Noise Less Music arbeitet? Ein deutsches Label für eine tschechische Band ist schon ungewöhnlich.

Ich und mein Ex-Mitbewohner Alesh - der größte Punkrocker aller Zeiten! - haben immer Bands bei uns einquartiert. Einmal war eine Band namens CHURCH OF CONFIDENCE bei uns. Ich wusste, dass sie irgendetwas mit dem Club Wild At Heart in Berlin zu tun haben, also gab ich ihnen die "Golf Club"-CD. Sie gaben sie an Dietmar weiter, der dort ähnliche Bands buchte. Er mochte die CD und bot uns einen Gig in Berlin an. Das war der Beginn dieser wunderbaren Freundschaft und Kooperation.