ANTI-SYSTEM

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Anarchopunk, Tierrechte und Politik

Alle, die in den Achtziger Jahren als Punk sozialisiert wurden, sind auf gewisse Weise immer auch von bestimmten Bands geprägt worden. Gerade die frühen Anarchopunk-Bands aus England mit ihren aggressiven sozialkritischen oder politischen Texten waren sehr wichtig, Vorreiter waren hier CRASS, DISCHARGE, CONFLICT oder SUBHUMANS. In diesem Umfeld gründete sich 1981 in Bradford auch die Politpunk-Band ANTI-SYSTEM, die vor allem durch ihr hartnäckiges Einstehen für Tierrechte für Aufsehen sorgte. Ihre Aktionen brachten zwei Bandmitgliedern sogar Gefängnisstrafen ein, was letztlich zur Auflösung der Band führte. Wie das damals so war und warum sie seit 2014 wieder Konzerte spielen, erzählt uns Bassist Keany.

Ihr seid immer klare Gegner einer Reunion gewesen. Was hat bei euch zu dem Meinungsumschwung geführt? Schließlich kann man sich damit nach Ansicht eures damaligen Sängers Phil doch höchstens lächerlich machen (s. Kasten).


Das war schon immer nur die Meinung von Phil. Es ist sogar so, dass Varik, Mick und ich zu dem Zeitpunkt, als wir zuletzt mit Phil in Kontakt waren, im selben Haus wohnten wie er. Trotzdem hat Phil unsere Position zum Thema Reunion, die er durchaus kannte, ignoriert und auch nie etwa Ian Glasper gegenüber erwähnt, dem Autor von „The Day The Country Died“‚ oder anderen Journalisten. Nein, er ging sogar so weit, ausschließlich Fotos von ganz frühen Mitgliedern von ANTI-SYSTEM herauszugeben, die nur er selbst noch kannte. Dadurch sind wir anderen irgendwie komplett außen vor geblieben. Ich kann nur sagen, dass Phil Dean nie dasselbe politische Bewusstsein hatte wie der Rest der Band. Er selbst hat die Story herumerzählt, wie er mal bei McDonald’s essen war, während zur gleichen Zeit zwei Mitglieder seiner Band, nämlich Michael und ich, wegen Tierschutz-Aktionen im Knast saßen. Es war damals einfach dringend notwendig, uns mit unseren Aktionen für die Rechte von Tieren einzusetzen, damit die Leute endlich aufwachen. Wir glauben, wir haben durchaus das Recht, wieder als ANTI-SYSTEM aufzutreten, auch da wir heute die alten Songs sogar besser spielen können als damals – die neuen ja sowieso. Bloß für ein paar peinliche langweilige Konzerte hätten wir uns ganz sicher nicht die Mühe gemacht, wieder eine Bühne zu betreten.

Wie sieht die aktuelle ANTI-SYSTEM-Besetzung aus, ist noch jemand vom Original-Line-up mit dabei? Haben die Neuen zuvor in anderen Bands gespielt?

Die Bandmitglieder sind, bis auf den Drummer, im Moment die gleichen, die du im August 2015 beim Rebellion Festival gesehen hast, mit Dean Martindale am Mikro, Varik an der Gitarre und an der zweiten Gitarre Mickey Knowles. Der hat damals bei ANTI-SYSTEM Bass gespielt, als wir die Songs für die beiden Pax Records-Sampler aufgenommen haben. Am Bass bin jetzt ich, und so wie es aussieht haben wir auch endlich einen neuen, festen Drummer gefunden. Ich kann dir noch nicht einmal sagen, wie er heißt, aber er hört sich einfach gut an. Bands, in denen wir zuvor gespielt haben, waren zum Beispiel MORBID HUMOUR, wo ich, Varik und Nogs beteiligt waren, noch bevor ANTI-SYSTEM gegründet wurden. Mickey hat nach dem Ende von ANTI-SYSTEM mit Bands wie SNUFF ROCK oder LOWLIFE gespielt. Unser jetziger Sänger Dean singt auch noch in einer anderen Band, MAMMOTH TANK, die mehr amerikanischen Hardcore-Punk spielen. Der neue Drummer ist seit Anfang Dezember 2015 dabei. Er muss jetzt auch erst mal unsere alten Songs einstudieren, daher wird es länger dauern, bis es wieder neues Material geben wird. Aber es sind natürlich die alten Sachen, die die Leute auf den Konzerten hören wollen.

Euer allererster gemeinsamer Auftritt 2014 habe sich irgendwie „bescheiden“ angehört, hieß es. Aber als ich euch 2015 live gesehen habe, auf dem Rebellion Festival in Blackpool, habt ihr euch total kompakt und einfach total geil angehört! Hat die harsche Kritik an der Comeback-Show euren Ehrgeiz geweckt?

Um ganz ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass wir damals, beim ersten Mal, schon wussten, dass es im Grunde noch zu früh war und wir den sonst üblichen Standard noch nicht erreicht hatten. Wir hatten höchstens sechsmal geprobt, als die Anfrage kam, ob wir auftreten würden. Wir dachten, es wäre ein guter Test. Es ist uns eine Lehre gewesen, obwohl es ja vorher klar war, dass wir noch viel mehr hätten proben müssen.

Inzwischen habt ihr ja schon wieder einige Konzerte gespielt. Wie war das Feedback?

Das ist durchaus positiv ausgefallen. Speziell von Leuten, die uns noch von damals, aus den Achtzigern kannten. Deren Meinung war für uns ausschlaggebend. Wir haben in Southampton und Brighton gespielt, was beides sehr gut war, dann waren wir noch auf dem AWOD-Punk-Festival, dann im Black Bull in Gateshead und auf dem Dirty Weekend-Festival. Diese Konzerte waren richtig gut, vor allem wegen des Publikums, aber auch wegen der Läden selbst. Das hat das Debakel der Premiere dann schnell vergessen gemacht. Wenigstens hatten wir für das Konzert keinen Eintritt verlangt ... Aber inzwischen können wir sehr gute Konzerte spielen und das werden wir auch tun, jetzt kann uns nichts mehr aufhalten.

Punk in Bradford ... Kannst du mir erzählen, wie aktiv da die Szene war in den frühen Achtziger Jahren? Wo habt ihr abgehangen, gab es coole Clubs oder Konzert?

Was die alten Bandmitglieder betrifft, also Varik, Mickey und mich, war unsere Punk-Feuertaufe das CRASS-Konzert in Bradford im Italian Club. Natürlich hatten wir schon eine Menge Punk-Platten gehört, aber CRASS 1982 live zu sehen, mit diesem großen Backdrop hinter ihnen auf der Bühne, den Filmeinspielungen während des Sets, dazu die Atmosphäre im Club in Verbindung mit der tollen Musik – das war wie eine Offenbarung! Und da waren wir gerade mal 14 Jahre alt. Sehr cool war auch der 1 in 12 Club, weil sie Bands nach Bradford geholt haben, die wir ansonsten nirgendwo anders hätten sehen können. Außerdem bestand schnell die Aussicht, selbst dort spielen zu können, sobald du eine eigene Band gegründet und ein paar Songs geschrieben hattest. Daher hatte der Club eine große Bedeutung für die Szene. Uns war bewusst, dass wir anfangs musikalisch nicht besonders gut sein würden, aber wir haben alles gegeben. Wir alle haben unsere ersten Konzerte im 1 in 12 Club gespielt.

ANTI-SYSTEM sind speziell für ihre Texte mit Bezug zur Tierrechtsbewegung bekannt, die gab es bereits auf eurer ersten 7“ „Defence Of The Realm“ von 1983. Wie ernst war es euch mit dieser ganzen Anarchopunk-Bewegung in den Achtziger Jahren?

Es gab Bandmitglieder, die total in der Anarcho-Szene verwurzelt waren, sich also auch für Tierrechte einsetzten. Wir haben an einigen Aktionen teilgenommen und es fühlte sich rechtens an, so zu handeln. Traurigerweise waren wir damals ziemlich naiv hinsichtlich der Auswahl unserer Ziele – wir waren ja höchstens 17 oder 18 Jahre alt. Ich und Mickey sind damals in den Knast gewandert, da das Gericht uns zu einer Strafe von drei Monaten ohne Bewährung verurteilt hatte. Ich kann dir sagen, das war eine scheiß Zeit, aber heute kann ich darüber lachen! Die Wärter im Knast haben uns wie Dreck behandelt. Und die anderen Häftlinge haben einfach nicht verstanden, warum wir eine Gefängnisstrafe für ein Verbrechen riskieren, das uns finanziell nichts eingebracht hat. Die Leute aus unserem Umfeld haben aber angefangen zu verstehen, warum wir so weit gehen mussten, und haben begonnen, unseren Standpunkt zu respektieren. Dom, der ursprüngliche Gitarrist von ANTI-SYSTEM, und ich sind dann auf die ersten paar „Stop the City“-Demos gegangen, was sehr gefährlich war, aber ich hätte diese Aktionen nicht missen wollen. Auch an Class-War-Aktionen haben wir teilgenommen, die so geschickt getimet wurden, dass man die Konfusion auf den großen CND-Märschen, die „Kampagne für nukleare Abrüstung“, ausnutzen konnte, um dort die eigenen Inhalte zu pushen, wie zum Beispiel Proteste gegen McDonald’s oder gegen die Barclays Bank wegen ihrer Unterstützung des Apartheidregimes in Südafrika. Ziele für unsere Aktionen gab es damals viele.

Eure erste Single „Defence Of The Realm“ ist 1983 auf Pax Records rausgekommen. Vorher waren schon zwei eurer Songs auf dem Label-Sampler „Punk Dead“ enthalten, im Jahr darauf erschienen noch zwei auf dem „Bollox To The Gonads“-Sampler, der international sehr gut angekommen ist. Wer war damals für Pax Records verantwortlich und wie seid ihr mit dem Label in Kontakt gekommen?

Pax Records war das Label von Marcus Featherby. Dessen Name fällt sonst üblicherweise, wenn es um Bands geht, die er finanziell über den Tisch gezogen hat. EXPLOITED waren auf ihn reingefallen, obwohl sie damals bereits eine ganze Weile im Geschäft waren. Er hat eben ein paar recht gute Sampler veröffentlicht, wie 1982 „Wargasm“ oder der erwähnte „Bollox To The Gonads“. Wir hatten ihm einfach ein Demotape zugeschickt und er hat uns dann gleich angeboten, unsere erste Platte zu veröffentlichen. Und so erschien 1983 dort unsere 5-Track-EP „Defence Of The Realm“.

Im Jahr 1985 erschien euer „No Laughing Matter“-Album, das man durchaus als Punk-Klassiker bezeichnen kann. Es entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Einflüsse für die Crust- und Grindcore-Szene. Punks weltweit lieben diese Platte, ihr habt ihrer Wut eine Stimme gegeben. Wie siehst du „No Laughing Matter“ rückblickend, dreißig Jahre nach der Veröffentlichung?

Erschienen ist es auf Reconciliation, einem Sublabel von Pax Records. Marcus Featherby hatte uns das Geld zur Verfügung gestellt, damit wir die 12“ veröffentlichen können, und entschied weiterhin, welche anderen Platten von uns erscheinen sollten. Leider gibt es da noch eine ganze Reihe ungeklärter Fragen, die unser alter Sänger Phil Dean wohl besser beantworten kann, da er ein sehr enger Freund von Marcus Featherby war. Marcus war sogar Taufpate von Phils erstem Kind, was ja als sehr ehrenvolle Aufgabe gilt. Also da gibt es eine ganze Reihe Fragen bezüglich Reconciliation Records und Marcus Featherby, aber wenn wir Phil Dean darauf angesprochen haben, ist er uns bislang immer ausgewichen. Wir haben das Gefühl, dass Phil mit Featherby zusammengearbeitet hat, was der Grund dafür sein könnte, dass wir nie auch nur einen Penny gesehen haben von ihm – für keine der Platten, die von ANTI-SYSTEM auf seinem Label herausgekommen sind. Ich weiß bis heute nicht, wie viele Platten wir überhaupt verkauft haben, aber ich weiß, dass sie immer noch verkauft werden. Geld damit zu verdienen war nie unser Anliegen. Aber wenn du erfährst, dass nach all den Jahren unsere Musik, in die wir viel Zeit und Arbeit gesteckt haben, immer noch verkauft wird, dann ist es sicherlich verständlich, dass wir deswegen echt angepisst sind! Wenn ich auf „No Laughing Matter“ zurückschaue, kann ich sagen, dass wir begeistert und dankbar sind für jede positive Rückmeldung, die wir in all der Zeit erhalten haben. Dass du die Platte sogar als Klassiker bezeichnest, fühlt sich echt toll an. Zumal es auch die erste Platte ohne Phil Dean war, er war nur auf der ersten 7“ „Defence Of The Realm“ dabei. Ich bin stolz, mit verantwortlich für diese großartige LP zu sein, die bei den Leuten so positiv in Erinnerung geblieben ist und vielleicht sogar dazu beigetragen hat, ihre Einstellung zu bestimmten Themen zu verändern.

Auf „No Laughing Matter“ ist auch eine Frau zu hören, die ein Gedicht vorträgt. Auch bei anderen englischen Bands gibt es ähnliche Spoken-Word-Passagen. Ist das dieselbe Frau, die auch das Artwork eurer frühen Platten gemacht hat?

Die Frau, die das Gedicht für „No Laughing Matter“ gesprochen hat, war in der Tat Paula Denby, die mit unserem alten Drummer verheiratet war. Auf eine Art war sie auch ein Bandmitglied, da sie für die optische Gestaltung unserer Platten verantwortlich war und wir letztendlich meistens bei ihr zu Hause abhingen. Mit dem Einsatz von Paulas Gedicht wollten wir das damals übliche Nonstop-Hardcore-Punk-Geballer mit etwas anderem als dem üblichen Gesang unterbrechen. Ihre Worte kann man glasklar verstehen, so dass dadurch auch Leute Zugang zu unseren Songs finden könnten, die sich Hardcore Punk normalerweise nicht anhören. Was ich von Paula zuletzt gehört habe, ist, dass sie inzwischen eine ziemlich gute Schlagzeugerin ist und in einer Band zusammen mit Phil Hobson spielt, der auch auf „A Look At Life“ von ANTI-SYSTEM zu hören ist.

1986 hat Reconciliation Records eure hervorragende 12“„A Look At Life“-EP veröffentlicht. Wie bei vielen anderen Hardcore-Punk-Bands damals fanden sich auch bei euch zunehmend Metal-Elemente.

Als wir „A Look At Life“ aufgenommen haben, hatte die Aufnahme schon einen deutlicheren Metal-Sound als frühere Sachen. Das lag daran, dass wir nach einem neuen Publikum suchten, da wir damals das Gefühl hatten, mit unserer Musik und Texten nur noch die Punks zu erreichen. Zu Beginn unserer Bandgeschichte warteten wir zudem mit einem recht bescheidenen musikalischen Können auf. Keiner von uns hatte das Geld, um Gitarrenstunden zu nehmen, aber wir hatten immer den Wunsch, die Qualität unserer Musik mit jeder weiteren Platte zu verbessern. Natürlich hat das einigen Leuten nicht gefallen, aber wenn man das im Kontext der Zeit sieht, in der die Platte entstanden ist, sind wir eine der ersten Bands gewesen, die diese zwei Genres miteinander vermischt hat. Und wenn ich ehrlich bin, ist diese Platte mein persönlicher Favorit unter den Veröffentlichungen von ANTI-SYSTEM. Ich bin froh, dass wir die Platten damals so aufgenommen haben, wie sie letztendlich erschienen sind.

Auf „A Look At Life“ ist auch der eher kontroverse Song „Leather, bristles, studs and ignorance“ enthalten. An wen war das gerichtet, waren G.B.H. gemeint oder die Punk-Szene insgesamt?

Nein, das war kein Seitenhieb auf G.B.H., wir haben uns nur ein bisschen von ihrem Albumtitel „Leather, Bristles, Studs And Acne“ inspirieren lassen. Gerichtet war das Stück an eine bestimmte Gruppe Punks aus unserer Gegend, die in der Szene nur für Probleme sorgten. Von denen wurde man ständig verhöhnt und provoziert. Sie haben dich mit dem Arsch nicht angeguckt, wenn du keine kniehohen Stiefel, gespikete Haare und eine Jacke voller Nieten getragen hast. Sie haben die wenigen guten Konzertläden demoliert, sich geprügelt und selbst uns mit rassistischen Vorwürfen beleidigt. Wir dachten uns, es sei dringend mal nötig, sie wissen zu lassen, dass es Wichtigeres gibt als diese Punk-Uniform, wie sie viele von diesen Typen trugen.

Nachdem ihr „A Look At Life“ aufgenommen hattet, wurde es still um ANTI-SYSTEM. Wie vorhin erwähnt, mussten du und Mickey wegen diverser Tierrechtsaktionen in den Knast. War das letztendlich der Grund für das Ende der Band?

Es heißt immer, dass sich ANTI-SYSTEM aufgelöst hätten, nachdem ich und Mick eingebuchtet worden sind. Wir hatten „A Look At Life“ noch vor der Gerichtsverhandlung aufgenommen, da wir annahmen, dass wir aufgrund der doch recht umfangreichen Gesamtanklageschrift für längere Zeit hinter Gittern verschwinden würden. Der Rest der Band hat zunächst ohne uns weitergemacht. Das alles wirkte sich natürlich nachteilig auf die Regelmäßigkeit unserer Proben aus – und auf einmal war nichts mehr so wie vorher. Nach unserer Entlassung haben wir noch mal versucht, ein paar Konzerte zu spielen, aber uns fehlte ein regelmäßiger Fahrer. Es fehlte auch jemand, der eine Europatour für uns hätte buchen können. Wir haben dann irgendwie das Interesse verloren. Einzelne Bandmitglieder fingen an, Familien zu gründen, und es wurde einfach immer schwieriger, zumal auch gute Konzertanfragen ausblieben.

Wie siehst du aus heutiger Sicht die Tierbefreiungsaktionen, die ihr vor dreißig Jahren durchgezogen habt? Heute ist es nichts Besonderes mehr, wenn jemand Vegetarier oder Veganer ist. Auf der anderen Seite werden immer noch täglich weltweit Millionen Tiere geschlachtet. Selbst in der Modeindustrie gibt es wieder den Trend, irgendwelche Klamotten mit Pelzapplikationen als „hip“ zu verkaufen. Delphine, Haie und Wale werden immer noch gnadenlos gejagt, als gäbe es keine Fischfangschutzgesetze. Mir scheint es so, als bräuchte jedes Jahrzehnt seine Animal-Liberation-Bewegung, oder was denkst du?

Aus unserer Sicht gab es viel mehr Aktionen und Proteste in den Achtzigern und frühen Neunzigern, wobei es nur eine Frage der Zeit war, bis die Polizei herausfand, wie die verschiedenen Gruppen funktionierten und wie sie ihre Proteste vorbereiteten. Heute ist die Polizei viel besser informiert, und jeder mit einer Vorstrafe auf dem Gebiet von Tierrechtsaktionen taucht in den Datensätzen der Polizei auf. Mögliche neue Kampagnen bedürfen heute einer extrem guten Vorbereitung, wenn man erfolgreich sein will. Es wäre besser, eine dauerhafte Bewegung zu etablieren, anstatt immer wieder zyklisch auftretende Proteste zu haben. Aber ich verstehe, was du meinst, und dass man einen Protest braucht, der wie ein Tsunami wirkt und die ganze Scheiße auf einmal wegspült. Während der Achtziger sah es immer so aus, als würde man einiges erreichen können. Damals gab es diese Demonstrationen der Campaign for Nuclear Destruction, zu der wir auch gegangen sind und unsere eigenen kleinen „Stop the City“-Demos daraus machten. Die Anarchos sammelten sich bei den CND-Demos in der Mitte und haben dann das Chaos innerhalb der Polizeitruppen dazu genutzt, die Demos für unsere eigenen Ziele zu benutzen.

Seid ihr heute immer noch in irgendeiner Form an sozialen und politischen Protesten beteiligt? Siehst du irgendeinen Unterschied zwischen der Art und Weise, wie damals in deiner Jugend in den Achtzigern „Öffentlicher Protest“ praktiziert wurde und heute, wo man das Gefühl hat, dass sich kaum noch jemand bemüht, überhaupt an Protesten teilzunehmen?

Dean, unser Sänger, ist ein leidenschaftlicher Jagd-Saboteur, der bereits einige Strafen bekommen hat. Dieses Wochenende zum Beispiel spielen wir im Nordosten Englands ein Benefiz-Konzert zugunsten von Jagd-Saboteuren. Was die Band betrifft, spielen wir immer gerne solche Benefiz-Shows, wenn es uns möglich ist. Im privaten Bereich ist es so, dass wir gezielt bestimmte Firmen boykottieren, deren Geschäftsgebaren wir als unmoralisch einstufen. Auch nachdem ANTI-SYSTEM sich aufgelöst hatten, haben Varik und ich damit weitergemacht und versucht, unsere Leben ohne Diskriminierung oder Missbrauch jeglicher Art zu gestalten, egal ob es sich um Mensch oder Tier handelt. Heutzutage sind die Proteste eher solche, die die Polizei zulässt, so dass ich keinen Sinn darin sehe, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

Seid ihr immer noch Vegetarier oder Veganer? Was ist euer Lieblingsrezept?

Ich selbst, Varik und der neue Drummer sind Vegetarier. Ich glaube, dass Alex gerade dabei ist, Veganer zu werden. Was Rezepte betrifft, ist mein Lieblingsessen ein einfaches Chili-Gericht. Dazu braucht man nur eine große Zwiebel und reichlich Knoblauch, die in Olivenöl angeschwitzt werden. Wenn Zwiebeln und Knoblauch weich werden, gebe ich Soja, Minze und eine Dose Pflaumentomaten hinzu, würze es mit Chili oder was auch immer man mag. Dann kommen Kidneybohnen dazu, Zuckermais und Pilze. Entweder serviert man das Ganze dann mit Reis oder als Füllung für einen Burrito mit Tortillachips, plus Guacamole und Sauerrahmsauce. Oder mit den guten alten Pommes Frites.

Eure alten Platten wurden kürzlich auf Antisociety Records wiederveröffentlicht. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Die Wiederveröffentlichungen auf Antisociety Records haben absolut nichts mit mir, Varik oder Mick zu tun, obwohl wir es waren, die diese Songs geschrieben haben. Phil hatte Mickey mitgeteilt, dass er ihm nichts auszahlen kann, weil er keinen der Songs auf den Platten geschrieben hat. Er wollte aber den Scheck mit Varik, Mick und mir teilen, aber bis jetzt hat er sich noch nicht bei uns gemeldet.

Euer Drummer hat sich letzten September einen Finger gebrochen, wodurch ihr einige Shows absagen musstet. Ist es was Ernstes gewesen?

Ich fürchte, dass unser Drummer Chillo wohl ganz mit dem Schlagzeugspielen aufhören wird. Er hat sich eine Sehne in einem Finger schwer verletzt und hat dazu noch einige andere gesundheitliche Probleme. An dieser Stelle möchte ich kurz die Gelegenheit nutzen und ihm ganz recht herzlich für seine Unterstützung danken. Er ist ein echt korrekter Typ, der es uns ermöglicht hat, eine ganze Reihe von Konzerten zu spielen.

Auf dem Rebellion Festival habt ihr mir erzählt, dass ihr bereits weitere Konzerte in Planung habt und sogar mit dem Gedanken spielt, eine Europatour zu starten. Bestehen da bereits Kontakte zu irgendwelchen Tourbookern oder wäre es hilfreich, wenn euch dahingehend jemand unterstützen würde?

Dadurch, dass wir zwei Drummer verloren haben, mussten wir eine Reihe von Konzerten absagen, daher muss unser Plan, endlich auch im restlichen Europa zu spielen, erst einmal etwas zurückstehen. Sobald wir wieder regelmäßig spielen, wäre ich jedem dankbar, der uns ein paar Konzerte besorgen kann beziehungsweise jedem, der mit uns zusammen auftreten möchte.

Wie sieht es mit neuen Songs aus?

Wir haben unsere neuen Songs erstmals auf dem „Dirty Weekend“-Festival letzen September gespielt, die insgesamt ziemlich gut angekommen sind. Wie gesagt, die beiden Drummer-Wechsel haben uns etwas zurückgeworfen. Der neue Drummer hat bislang dreimal mit uns geprobt und ist richtig gut, daher wird es möglicherweise nur ein paar Monate dauern, bis wir wieder ins Studio gehen können, um neue Songs aufzunehmen.

Gibt es noch etwas, das du loswerden möchtest?

Zuallererst möchten wir uns bei den Leuten bedanken, die bereits in den Achtzigern unsere Band mochten und die jetzt wiedergekommen sind, als wir uns reformiert haben. Ich hoffe, dass wir inzwischen das gleiche Level wie damals erreicht haben. Und natürlich auch vielen Dank an diejenigen, die für uns die Konzerte organisiert haben, speziell LIBERTY und Gary Cavanagh vom 1 in 12-Club. Wir haben ein paar richtig großartige Konzerte gespielt und haben Leute getroffen, die uns schon seit vielen Jahren mochten. Für diese Leute zu spielen, die teilweise lange Wege auf sich genommen hatten, um uns zu sehen, war schon alleine die Mühe wert. Aber auch neue Leute zu treffen, war cool. Leute, die uns bislang noch nicht kannten und uns nun zum allerersten Mal gesehen haben. Das hat uns viel gebracht. Hoffentlich schaffen wir es, 2016 endlich auch außerhalb Englands eine Reihe von Konzerten zu spielen – und vielleicht auch eine neue Platte herauszubringen.

 


Warum dieses Interview?

Die beiden Alben „No Laughing Matter“ und „A Look At Life“ sehe ich als Klassiker des Hardcore-Punk an. Die harte metallische Spielweise von ANTI-SYSTEM diente auch für viele andere Bands als Vorbild, sowohl in der Crust- wie auch der Grindcore-Szene. Viel mehr hat man in Deutschland allerdings nie von ANTI-SYSTEM mitbekommen, da sie es nie geschafft haben, hier auch auf Tour zu gehen und es nur sehr wenige Interviews mit ihnen gegeben hat. Und eine ANTI-SYSTEM-Reunion war auch nicht zu erwarten. Denn Phil Dean, der erste Sänger der Band, hatte dem in Ian Glaspers Buch „The Day the Country Died: A History of Anarcho Punk 1980-1984“ eine kategorische Absage erteilt: „Es ist doch so, wenn du dir aktuell zum Beispiel DISCHARGE ansiehst, dass es nicht mehr das Gleiche ist wie damals, ist es nicht so? Sich heute noch einmal einfach so zu reformieren ... nein danke! Das ist ungefähr so, als ob man fünfzigjährige Teddy Boys sieht, die ihre alten Strut-Tänze immer und immer wieder aufführen. Das ist doch lachhaft! Wir haben selbst aus den USA Briefe erhalten, mit dem Wunsch, ob wir uns nicht reformieren könnten. Ich bin aber einfach nicht daran interessiert. Wir waren immer eine gute kraftvolle Live Band, aber jetzt würde das nicht mehr funktionieren. Und ich möchte die Erinnerung an meine alte Band damit nicht herabwürdigen.“

Um so überraschender war es, als 2014 Gerüchte aufkamen, ANTI-SYSTEM hätten die Absicht, wieder aufzutreten. Meine Freude währte jedoch nur kurz, denn es hieß, sie hätten ihr erstes Konzert in den Sand gesetzt. Aber dann konnte ich im August 2015 ANTI-SYSTEM auf dem Rebellion Festival doch endlich noch mal selbst live erleben und war absolut begeistert. Es ist nun definitiv an der Zeit, den Bradforder Jungs auch hierzulande zu etwas mehr Popularität zu verhelfen.