Auch wenn viele dachten, sie hätten sich längst aufgelöst – ANOTHER BREATH sind lebendiger denn je und veröffentlichten unlängst das dritte Album „The God Complex“ (Assault/Panic Records). Setzte man bei den ersten beiden Longplayern „Not Now, Not Ever“ und „Mill City“ (Assault/Rivalry) stets auf die kompromisslose Hardcore-Schiene, kommen dem Sound von „The God Complex“ vor allem seine unüberhörbaren Midtempo-Rock-Einflüsse zugute. Woher dieser kleine, aber feine musikalische Sinneswandel kommt und was hinter dem zwiespältigen Titel steckt, darüber sprach ich mit Sänger Ted Winkworth.
Auf „The God Complex“ sind wesentlich mehr Rock-Einflüsse zu hören, die stellenweise an THE SUICIDE FILE erinnern. Woher kommt das?
Diesen Vergleich fasse ich als Kompliment auf und nehme es gerne an. Du hast aber vollkommen Recht, THE SUICIDE FILE war lange eine unserer Lieblingsbands und hat uns stark beeinflusst. Wir haben uns irgendwann hingesetzt und überlegt, wie wir unseren Sound weiterentwickeln könnten, ohne unseren Hardcore-Fokus aufzugeben. Wir haben als Band stets das Ziel verfolgt, auch mal etwas Neues auszuprobieren, selbst wenn die Mehrheit der Kids verrückt ist nach Choruslines à la THE VERSE. Wir haben versucht, das Schema hinter dieser Art von Songs zu erkennen und viele Strukturen vereinfacht und somit eben auch rockiger gemacht. Das gilt auch für die von mir geschriebenen Songs, die häufig sehr textlastig waren. In den letzten eineinhalb Jahren stand der Rhythmus im Vordergrund, so dass diese zwölf Songs dabei herausgekommen sind.
Erkläre kurz den thematischen Hintergrund von „The God Complex“.
Das Ganze ist eine Art Konzeptalbum. Aber nur in der Hinsicht, dass die Songs sich aufeinander beziehen. Wir wollten ein in sich geschlossenes Album machen, nicht einfach nur Songs schreiben, die dann aneinander gereiht auf einer CD erscheinen. Daher gibt es nun musikalisch und inhaltlich einen roten Faden, der sich von Anfang bis Ende durchzieht. Die Story hinter „The God Complex“ ist zum einen sehr persönlich, zum anderen aber auch philosophisch. Der persönliche Aspekt liegt in der Verarbeitung meiner Kindheit – ich bin als Sohn von suchtkranken Eltern aufgewachsen –, die mich sehr geprägt hat und in depressiven Phasen leider auch immer wieder einholt. Nicht zuletzt deswegen bin ich Sozialarbeiter geworden mit dem Schwerpunkt Suchtberatung. Zur Zeit habe ich keinen Kontakt zu meinem Vater. Er weiß zwar von der Band, hasste sie aber vom ersten Tag an. Der philosophische Aspekt ist der, dass in jedem von uns eine gute und eine schlechte Seite schlummert. Und es ist nicht einfach, sich aus dieser Dualität zu befreien. Auf einer ähnlichen Vorstellung sind auch Glaubensgemeinschaften aufgebaut, die diese Erkenntnis teilweise schamlos ausnutzen. Ich selbst habe das früh durchschaut und bin schon, als ich sehr jung war, aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dabei war meine Intention aber jetzt nicht einfach zu sagen: „fuck religion“, das wäre mir zu einfach. Im ersten Song zum Beispiel habe ich beide Ebenen miteinander verbunden und richte mich gegen Gott als oft zitierte Vaterfigur, indem die ersten Worte schlicht lauten: „There is not god/We are all alone“.
In deinem Blog schreibst du, dass einige Ideen zu Songs nach der Lektüre von Brad Warners „Hardcore Zen“ und „Sit Down and Shut Up “ entstanden sind.
Richtig, Brad Warner ist ein amerikanischen Autor aus der Punk- und Hardcore-Szene, der zunächst als Student nach Japan kam und dann dort Zen, die japanische Form des Buddhismus, kennen lernte und später sogar Zen-Meister wurde. Vereinfacht gesagt, ist Zen die Kunst des Sitzens und Schweigens, wodurch man seinen inneren Frieden erreichen soll. Buddhismus ist in dem Sinne keine Glaubensfrage, sondern eine Einstellungssache und damit anders, als wir den Begriff Glauben im strikt religiösen Sinne verstehen. Seine Bücher sind äußerst praktisch angelegt und auch für Laien gut nachvollziehbar, wobei die Verbindung zu Punk/HC seinen besonderen schriftstellerischen Stil und Witz ausmacht. Ich habe lange keine Meditationen mehr gemacht, würde mich aber trotzdem als Buddhist bezeichnen. Es gibt auf der Platte aber viele verschiedene Referenzen. Wer mehr wissen will, kann sich gerne auf meinem Blog abgodcomplex.blogspot.com informieren.
Die Texte scheinen dir immer besonders wichtig zu sein. Auf dem ersten ANOTHER BREATH-Output „Not Now, Not Ever“ gab es sogar gesonderte Infos zu jedem einzelnen Song. Wie wichtig ist es dir, dass die Texte verstanden werden?
Das liegt mir sehr am Herzen. Ich bin einfach jemand, der gerne erzählt, was ihn bewegt, daher eben die Linernotes auf dem ersten Album. Mittlerweile weiß ich, dass viele so etwas aber abschreckt und annervt, frag mal meine Bandmitglieder! Deswegen gibt es diesmal den Blog zu dem Album, auf dem jeder nachlesen kann, was genau Sache ist.
Euer Heimatlabel war stets Rivalry, in Europa habt ihr mit Assault Records gearbeitet. Wie kam da der Kontakt zustande und warum erscheint das neue Album in den USA jetzt auf Panic Records?
Bevor wir jemals im Studio waren, fiel uns das deutsche Label Assault Records bereits auf, da THE DISASTER, eine Band, die wir bis heute sehr mögen, dort ihre Platte veröffentlichte. Nach der Aufnahme unseres Demos haben wir es Jan Albin von Assault Records vorgelegt und er war sofort begeistert. Die Folge war unser erstes Album „Not Now, Not Ever“, sowie eine anschließende Tour. In der Zwischenzeit kamen wir in den USA mit Rivalry ins Gespräch, einem seinerzeit aufstrebenden und beliebten Hardcore-Label. Mittlerweile ist Kyle, der Betreiber des Labels, aber Familienvater mit einem festen Job, so dass er sich nicht mehr voll und ganz um alles kümmern kann. Tim von Panic Records kannten wir von seiner Zeit als Sänger der Band TRIAL, die vielleicht einigen noch ein Begriff ist. Nach ein paar Mails war dann schließlich klar, dass wir eine ähnliche musikalische Philosophie verfolgen und so kamen wir zusammen.
Das Erscheinen von „The God Complex“ zog sich ganz schön hin. Was war da los?
Da kamen leider viele Sachen zusammen. Zum einen hatten alle in der Band beruflich viel zu tun. Ich zum Beispiel habe einen neuen Job gefunden außerhalb von Syracuse, New York, so dass wir uns nicht mehr ganz so einfach mal eben zum Proben verabreden konnten. Was die Platte an sich anbelangt, sind wir langsam davon überzeugt, dass ein Fluch über dem Release liegt: Sowohl die Vinylpressung von Panic als auch die von Assault Records kamen fehlerhaft aus dem Presswerk zurück, so dass alles wieder neu gemacht werden musste, was natürlich ewig lang dauerte. Als das dann erledigt war, stellten wir fest, dass die Cover der Assault-LPs Schrott waren – es war nicht zu glauben! Das ist wohl die Rache Gottes dafür, dass ich mich gegen ihn gewandt habe, hahaha.
Wie geht’s weiter mit ANOTHER BREATH, ist eine Europatour im Gespräch?
Seit dem Erscheinen des letzten Albums „Mill City“ 2006,waren wir immer wieder mal auf Tour, auch in Europa, was sich diesen Sommer definitiv wiederholen soll. Nur leider ohne mich, da mich der Beraterjob an der Schule voll und ganz einnimmt und ich nicht einfach wochenlang fehlen kann. Rory, der Sänger von SOUL CONTROL, ist so freundlich, das Mikro für die Tour zu übernehmen, was für mich kein Problem darstellt, da er eine Persönlichkeit der hiesigen Hardcore-Szene ist, zu der ich, als ich jünger war, immer aufgeblickt habe.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #91 August/September 2010 und Bodo Unbroken
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #68 Oktober/November 2006 und Kat Haze
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