ANNETTE BENJAMIN

Foto

Hans-A-Plast

35 Jahre nach der Auflösung von HANS-A-PLAST stand die ehemalige Sängerin Annette Benjamin beim diesjährigen Höhnie Open Air in Peine auf der Bühne. Höhnie und die Osnabrücker Band RAZOR SMILEZ hatten Annette eingeladen, ein paar HANS-A-PLAST-Songs zu singen, darunter natürlich „Rock’n Roll Freitag“ und „Hau ab, du stinkst“. Das warf ein paar Fragen auf, die ich gern beantwortet haben wollte, so dass ich Annette kurzerhand kontaktierte.

Annette, hast du dich inzwischen von deinem Auftritt beim Höhnie Open Air erholt?


Der Auftritt bei Höhnie war die reinste Erholung. Bis halb eins morgens darauf zu warten, das war anstrengend, weil ich aufgeregt war! Immerhin war der letzte Auftritt 35 Jahre her.

Was hast du gedacht, als die Anfrage kam?

Höhnie hatte mir eine sehr ausführliche, freundliche und überzeugende Anfrage geschickt. Doch erst nachdem er mir den Kontakt zu der Band RAZOR SMILEZ vermittelt hatte, konnte ich definitiv zusagen. Die RAZOR SMILEZ und ich passten zusammen.

Das hat ja im Internet, speziell bei Facebook, ziemliche Wellen geschlagen, dass du da aufgetreten bist. Was haben die anderen von HANS-A-PLAST dazu gesagt?

Zwei von ihnen haben sich das Konzert angeschaut. Es hat ihnen gefallen!

Und wie fühlt es sich an, nach 35 Jahren plötzlich mit den alten Songs auf der Bühne zu stehen?

Genial! Fünf alte Songs hatte ich mit den RAZOR SMILEZ vorbereitet. Es hat sich schon im Probenraum vertraut angefühlt. Und auf der Bühne lief dann alles großartig. Als ob ich nie weggewesen wäre. Das lag allerdings auch an den Fans. Es ging total ab. Unglaublich.

Sensationell hätte ich es gefunden, wenn wir alle HANS-A-PLAST-Mitglieder auf der Bühne gesehen hätten. Wie stehen die Chancen?

Bisher habe ich sie nicht überzeugen können. Aber natürlich sind sie auch alle viel älter als ich.

Wenn ich das richtig verstanden habe, war der „Lederhosentyp“ ursprünglich ein Liebeslied?

Bettina hatte mir bei einer unserer ersten Proben einen kleinen Text gegeben, der als Liebeslied für einen der Gitarristen gedacht war. Ich fand das mit meinen zarten 19 Jahren total kitschig und habe mich bemüht, es so rotzig wie möglich zu singen.

Ende 1983 habt ihr euch aufgelöst, soweit ich weiß. Stand seitdem nie eine Reunion zur Debatte? Ihr wart ja schließlich ziemlich erfolgreich.

Wir waren sehr stolz darauf, unabhängig von Plattenfirmen produziert zu haben, mit eigenem Label und Vertrieb. Aber Ende 1983, nach der dritten LP, war auch klar, dass unsere Punk-Zeit musikalisch vorbei war. Wiedervereinigt haben wir uns nicht mehr.

Ganz am Anfang warst du bei HANS-A-PLAST noch nicht dabei. Du bist erst später hinzugestoßen. Ich habe gelesen, du warst vorher mal in einem Kirchenchor.

Die Band hatte sechs Monate geprobt, bevor sie mich auf einem Punk-Festival in einem hannoverschen UJZ fragten, ob ich Lust hätte, bei ihnen zu singen. Ich war da noch in einer Schülerband aus Braunschweig. HANS-A-PLAST suchten eine zusätzliche Sängerin, weil Betti sich mehr auf ihr Schlagzeug konzentrieren wollte. Erfahrung habe ich zwischen meinem elften und sechzehnten Lebensjahr im Mädchenchor Hannover gesammelt. Das war vielleicht nicht prägend für meinen späteren Gesangsstil, aber immerhin waren mir Töne nicht ganz fremd.

Was war denn die Initialzündung, die dich zu Punk gebracht hat. Hattest du Vorbilder? Viele nennen Patti Smith, Debbie Harry oder X-RAY SPEX ...

X-RAY SPEX waren die Band, die mich damals in England 1978 mit ihrer musikalischen Wucht und Ausstrahlung sehr beeindruckt hat. Schon während des Konzerts wurde mir klar, so wollte ich auch singen. Wie Sängerin Poly Styrene über die Bühne tobte ... Ich wohnte da noch in London und sie hat mich total inspiriert. Am Tag nach dem Konzert habe ich mir die Haare abgeschnitten, gespiket und gefärbt.

Ihr wart drei Frauen und zwei Männer in der Band und habt Songs über Machoverhalten und Sexismus geschrieben. Ich habe gestern eine Sendung im WDR gesehen, wo es um die Frage ging, ob in Sachen Emanzipation und Rollenklischees die jungen Leute nicht gerade eine Rolle rückwärts machen. Ist das nicht frustrierend, wenn junge Frauen bei YouTube Schminktipps geben? Joolz Denby, eine Dichterin aus dem Umfeld von NEW MODEL ARMY, fragte während einer Lesung mal sinngemäß, wofür sie denn all die Jahre gekämpft hätten.

Frauen haben sich viele Rechte erkämpft. Das Schöne an der neuen Freiheit ist ja, dass Frauen sich auf unterschiedliche Arten selbst verwirklichen und ihr Selbstbewusstsein aus verschiedensten Dingen ziehen können. Dazu gehören eben auch weibliche YouTube-Stars. Schwierig finde ich es heute, sich den Bildern von „perfekten weiblichen Körpern“ zu entziehen. Sie sind einfach überall, es wird sich ständig verglichen. Wie schaffen es junge Frauen, trotzdem selbstbewusst zu sich zu stehen, so wie sie sind? Selbstbewusstsein brauchen sie nämlich, um ihre Rechte einzufordern! „Für ’ne Frau“ oder „Hau ab, du stinkst“ waren meine Art, männliche Anmaßung lächerlich zu machen. Beobachtungen und Gefühle in Texte zu fassen: das hat mich selbstbewusst gemacht.

Was hast du all die Jahre seit der Auflösung gemacht?

Puh ... 35 Jahre im Schnelldurchlauf?. Da bin ich überfordert. Singen war jedenfalls immer mit dabei.

Und was haben die anderen so gemacht? Hollow Skai, der Inhaber des HANS-A-PLAST-Labels No Fun, schreibt Bücher, von denen ich das eine oder andere auch gelesen habe. Eine von euch macht ja noch was musikalisch.

Betti singt bei HERZEN IN TERZEN.

Du hast mal in einem „Tatort“ mitgespielt hast.

Ja, im Kölner „Tatort“, „Mitgehangen“. Als Staatsanwältin Frau Dr. Rose. Ich hatte ein Wort zu sprechen, auf das ich mich schon freute: „Ja“. Das wurde dann gestrichen, – leider. Die schauspielerischen Kleinsteinsätze machen mir sehr viel Spaß. Mich in Rollen reinzudenken, finde ich toll. Leider ist damit kein regelmäßiges Einkommen gesichert, deshalb mache ich es nebenbei.

Die Sache mit dem Video von Jan Böhmermann interessiert mich natürlich auch. Sind das alte Kontakte von früher oder wie kam es zum Videodreh mit ihm? Saulustig übrigens.

Ganz zufällig. Die Produktionsfirma btf aus Köln hatte dafür gecastet. Ich habe mich mit Fotos beworben und wurde zur „Staatsanwältin Machete“. Jan Böhmermann ist ein netter Typ und der Song „Recht kommt“ ist super.

Bei Facebook wünschen sich ja schon einige, du mögest doch bitte weiter und öfter auftreten. Und, dürfen wir hoffen?

Kommt drauf an. Vielleicht sind 35 Jahre zwischen den Auftritten doch etwas lang.

 


Die Geschichte von HANS-A-PLAST

HANS-A-PLAST aus Hannover waren eine der ersten größeren deutschen Punkbands, als DIE TOTEN HOSEN noch ZK hießen und DIE ÄRZTE noch nicht mal gegründet waren. Ihr Live Debüt gaben HANS-A-PLAST 1978 vor 200 Zuschauern. In der Sängerin Annette erkannte die Süddeutsche Zeitung „neben Peter Hein (FEHLFARBEN, FAMILY FIVE) die beeindruckendste Bühnenpersönlichkeit der neu-deutschen Welle“. Es folgten Auftritte auf den richtungsweisenden Festivals dieser Zeit, wie „Into the Future“ in der Hamburger Markthalle 1979, „In die Zukunft“ noch im selben Jahr und „Antifa“ in Berlin. Im September 1979 entstand die erste LP mit dem Rattencover. Um die vier Tage im Studio bezahlen zu können, musste die Band 1.000 Exemplare verkaufen. Innerhalb kurzer Zeit waren 10.000 Exemplare verkauft. Die Industrie wurde hellhörig. Allerdings verliefen die Verhandlungen nicht zur Zufriedenheit der Band, so dass sich HANS-A-PLAST entschlossen, zusammen mit Hollow Skai ihr eigenes Label No Fun zu gründen – auf dem übrigens auch später als Klassiker geltende Bands wie DAILY TERROR erschienen.

1980 wurden HANS-A-PLAST von der Musikzeitschrift Sounds zur Newcomer-Band des Jahres 1979 gekürt. Es folgten Unmengen an Konzerten. Legendär war ihr Auftritt beim „WDR Rockpalast“ 1980 in Köln, wo sie so gar nicht ladylike, dafür aber mit einer Menge Power über die Bühne wirbelten. 1981 tourte die Band erneut durch Deutschland, unter anderem als Headliner auf der „Jubel ’81“-Tournee des No Fun-Labels. Mit einer anschließenden Kreativpause begegnete die Band dem Trubel, der längst überall um HANS-A-PLAST gemacht wurde.

Im Sommer 1982 begannen die Vorbereitungen für das dritte Album. Bis dahin waren über alternative Vertriebswege rund 120.000 Einheiten der ersten beiden Alben abgesetzt worden. Der australische Sender 3PBS-FM spielte gar eine ganze Seite der zweiten Platte. Im Februar 1983 kam die dritte LP „Ausradiert“ auf den Markt. Nach fast zweijähriger Pause ging es erneut auf Tour. Das Resümee: zu wenige Besucher, durchschnittlich 300 bis 400. Bis zum Herbst 1983 wurden circa 10.000 Platten verkauft und Ende des Jahres löste sich die Band auf.