AMEBIX

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No Food, No Money, No Gods, No Masters

Sie waren ihrer Zeit weit voraus und teilen bis heute das Schicksal so vieler genreprägender Bands: Sie sind nur einer eingeweihten Minderheit bekannt, während jene, die sich von ihnen maßgeblich beeinflussen ließen, weitaus prominenter wurden. AMEBIX wurden – noch ohne Namen – bereits 1978 gegründet, ein erstes Demo folgte 1979, 1982 dann die „Who’s The Enemy“-EP, 1983 die „Winter“-Single und 1984 die „No Sanctuary“-EP, alle auf Spiderleg Records. Die Band bewegte sich im Umfeld von CRASS und anderen sehr politischen britischen Bands. 1985 dann kamen sie in Kontakt mit Jello Biafra und nahmen ihr erstes, wichtigstes und bestes Album „Arise!“ auf, das im selben Jahr auf Alternative Tentacles erschien (das zweite Album „Monolith“ folgte 1987) und sich mit seinem äußerst düsteren Sound und dem ungewöhnlichen Synthesizer-Einsatz, sowie seiner martialischen Rhythmik und stilistischen Vielfalt weit über die Genregrenzen hinaus wagte, mit Elementen aus Crustpunk, Gothrock, Neo-Folk, Industrial und Metal gleichermaßen arbeitete. NEUROSIS, SEPULTURA und viele andere können (und wollen) kaum verheimlichen, dass „Arise!“ einst großen Eindruck auf sie machte. Mit „No Sanctuary“ erschien 2008 auf AT eine Zusammenstellung der unter Jellos Aufsicht remasterten Aufnahmen aus der Zeit auf Spiderleg Records, die über die Jahre nur noch als Bootlegs erhältlich waren, denn AMEBIX waren ab 1987 Geschichte, wobei es mit ZYGOTE ein Nachfolgeprojekt gab. Ihre Ideen (die prägnante Formel „No gods, no masters“ stammt von ihnen) und ihre Musik lebten in den von ihnen beeinflussten Bands weiter, bis AMEBIX Anfang 2008 schließlich wieder aktiv wurden und mit „Redux“ 2010 eine EP mit neu eingespielten alten Songs veröffentlichten. Kern der Band waren und sind Rob „The Baron“ Miller und sein Bruder Stig, seit der Reunion werden sie am Schlagzeug unterstützt von Roy Mayorga (SOULFLY, SHELTER, NAUSEA, STONE SOUR). Unsere Fragen zum anstehenden neuen Album „Sonic Mass“ und zur langen Geschichte beantwortete Stig.

Lass uns mal mit ein paar Gerüchten und Fakten bezüglich der AMEBIX anfangen: Es wird behauptet, die AMEBIX-Mitglieder seien einst so arm gewesen, dass sie in Mülltonnen nach Essen suchen mussten. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Wir ernährten uns häufig aus Tonnen und Containern, die für die Entsorgung abgelaufener Lebensmittel bestimmt waren. So lebten wir ziemlich lange, denn die frühen Achtziger in Großbritannien waren eine ziemlich harte Zeit. Jedoch lernten wir mit der Zeit, mit extrem wenig Geld auszukommen und lebten an ziemlich schäbigen Orten. Das Einzige, was uns sogar unter diesen beschissenen Bedingungen immer wieder angetrieben hat, waren die Musik und die Kunst. Einige unserer Freunde starben oder drehten durch. Andere wiederum verschwanden plötzlich aus unserem Leben, aufgrund von Drogenkonsum, durch Prostitution, oder weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. So ein Lebensstil ist alles andere als reizvoll und ich würde ihn niemandem empfehlen. Das alles unbeschädigt zu überstehen, ist ziemlich schwer.

AMEBIX werden oft als „Paten des Crust“ bezeichnet. Ich persönlich würde sagen, dass so etwas wie Crust während eurer ersten aktiven Phase als Band noch nicht existierte, eher nur Metal und Punk. Was denkst du darüber, dass man euch oft als Geburtshelfer eines ganzen Genres ansieht?

Tatsächlich existierte „Crust“ nicht, als wir anfingen, Musik zu machen – zumindest nicht als Genrebezeichnung. Allerdings wurde der Ausdruck benutzt für etwas Schmutziges beziehungsweise Leute mit verschmutzter, gammliger Kleidung – so wie uns. Etwas später wurde „Crust“ jedoch auch von der breiten Öffentlichkeit verwendet, um Leute, die aussahen wie wir, abzustempeln: als „Crusties“. Obendrein scheint es für viele Menschen unmöglich zu sein, Musik zu entdecken, wenn sie nicht schon in Schubladen gepackt ist. Musik muss vorgekaut werden, damit sie dann in winzigen, zum Genre passenden Bissen geschluckt und verdaut werden kann. Ich verstehe mich nicht als Teil irgendeiner Musikszene. Da die AMEBIX jedoch aus den ersten beiden Punk-Generationen stammen, und diese Bewegung uns überhaupt erst dazu inspirierte, Musik zu machen, fühle ich mich der Punk-Szene am nächsten. Damals hieß Punk für uns, unsere Meinungen offen zu vertreten, was wichtig war für einen gesellschaftlichen Wandel. Ich war gerade 15 und somit älter als der Rest der Band, als 1977 in Großbritannien alles den Bach runterging. Die „normalen“ Leute hassten und fürchteten uns. „Punk“ war noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch und im Bewusstsein der Leute angekommen, und deswegen waren die meisten wirklich geschockt und verängstigt von unserem Auftreten und unseren Ansichten. Das war eine echt gefährliche Zeit. Worauf ich eigentlich hinaus will: sie war so gefährlich, weil es für unsere Attitüde und unsere gesamte Erscheinung keine Bezeichnung gab. Ich glaube, dass in dem Ausspruch „There is power in naming“ viel Wahres steckt. Sobald man etwas benennt und identifizieren kann, erscheint es einem als wesentlich geringere Bedrohung – das gilt bei geistigen Erkrankungen genau so wie auch bei gesellschaftlichen Gruppierungen.

1987 lösten sich AMEBIX auf, wie hast du weitergemacht?

Ich habe weitergemacht und gründete eine Band namens ZYGOTE, und obwohl wir gut waren, hatte die Band für mich nicht so eine große Faszination wie AMEBIX. Wir tourten mehrere Male, auch durch Deutschland, und hatten eine Menge Spaß. Für eine Weile war das für mich ein Ansporn, mit der Musik weiterzumachen, aber irgendwann fühlte ich mich dazu nicht mehr in der Lage ...

„A comfortable life? A car and a wife? It’s only a dream but it’s fuckin’ obscene. You’ve learned to fit in, a vegetable!“ Wie gestaltest du dein Leben heute?

Du spielst auf „Largactyl“ an – den einzigen AMEBIX-Song, für den ich den Text geschrieben habe. Es geht darin um Geisteskrankheit und gesellschaftliche Vorurteile dahingehend, was normal beziehungsweise geistig gesund sei und was nicht. Das Streben nach Normalität wird auch als normal beziehungsweise wünschenswert und dementsprechend gesund angesehen. Ich denke hingegen, dass genau dieses Streben absoluter Wahnsinn und kein Grund zum Leben ist. Ich selber lebe sehr anspruchslos. Ich besitze nichts weiter als zwei Gitarren und einen Laptop. Mein Leben passt in eine Tasche. Zur Zeit lebe ich bei meiner Freundin, aber offiziell bin ich sogar obdachlos. Ich vertrete hierbei keinerlei klösterliche Ästhetik, noch führe ich das auf meine Armut zurück. Manchmal hätte ich gerne bestimmte Dinge wie mein eigenes Haus, aber ich habe gelernt, mit dem auszukommen, was ich habe. Mit 15 habe ich die Schule verlassen und eine Band gegründet, anstatt mich um Abschlüsse und so was zu kümmern. Ich kann nichts anderes. Ich habe so oft alles verloren und neu angefangen, dass ich keinen Wert mehr auf Geld und Besitz lege. Nichts zu besitzen bedeutet auch, alles mitnehmen zu können, wenn man stirbt.

„No Gods, No Masters“ ist einer der meist zitierten Slogans in der Geschichte des Punkrocks. Was denkst du jetzt, wenn du dir eure alten Texte anschaust? Viele junge Leute orientieren sich auch heute noch daran.

Dieser Slogan stammt aus der Zeit zwischen 1978 bis ’79, in der wir unsere eigenen Fanzines gestaltet haben. Um die Teile zu drucken gingen Rob und ich zu dieser anarchistischen Pressestelle in der Stadt. Irgendwann habe ich dort das Zitat „I shall serve neither god nor master“ aufgeschnappt, wusste damals jedoch noch nicht, dass es von Nietzsche stammt. Wir reduzierten das dann auf „No Gods, No Masters“ und adaptierten das nicht nur als politisches Statement, sondern richteten unser ganzes Leben daran aus. Es ging uns darum, uns und unseren Leuten gegenüber aufrichtig zu bleiben und uns nicht für andere zu verbiegen.

Kommen wir zum Hier und Jetzt. Wie fielen die Reaktionen auf die Bekanntgabe eurer Reunion aus? Es haben ja auch einige skeptische Meinungen die Runde gemacht.

Die Reaktionen darauf, dass AMEBIX sich wieder zusammengerauft haben, waren durchweg positiv. Überall, wo wir aufgetreten sind, ging richtig die Post ab. Ich denke, die Leute konnten auf den Shows neue Kraft für ihren Alltag tanken und gingen glücklich nach Hause. Mehr kann sich eine Band gar nicht erträumen. Zu den „Sellout“- und Verratsvorwürfen: mein Gewissen ist absolut rein. Sollten irgendwelche Leute tatsächlich meine Integrität anzweifeln, besaßen sie zumindest bisher nicht die Courage, mir das ins Gesicht zu sagen. Seit über 30 Jahren mache ich nun meine eigene Musik und ziehe mein eigenes Ding durch. Wen soll ich dabei denn bitte verraten haben?

Was ist eigentlich mit eurem alten Drummer passiert, und wie seid ihr auf Roy Mayorga von STONE SOUR gestoßen?

Ursprünglich wurde Rob gefragt, ob wir Interesse hätten, an einer DVD über die AMEBIX-Geschichte mitzuwirken. Er sagte zu und wir äußerten uns in Interviews zur Bandgeschichte und so was. Irgendwann kam dann der Vorschlag, dass wir doch für die DVD ein paar unser alten Songs neu aufnehmen könnten. Unser alter Schlagzeuger Spider war leider an Tinnitus erkrankt, wir mussten also jemand suchen, der ihn ersetzen konnte. Rob hatte zu diesem Zeitpunkt von Roy Mayorga gehört, und dass er ein großartiger Drummer sei. Rob nahm Kontakt mit ihm auf und fragte, ob er Bock hätte, für die DVD ein paar Sachen einzuspielen. Er sagte sofort zu und wir trafen uns in Irland für die Aufnahmen und es lief alles wie geschmiert. Roy ist wirklich sehr talentiert und zudem auch noch ein netter Kerl. Mit ihm zu arbeiten macht wirklich Spaß und erfüllt mich auch etwas mit Stolz.

Im Mai erlitt Roy einen leichten Schlaganfall. Wie geht’s ihm jetzt?

Es geht ihm von Tag zu Tag besser. Ich vermute aber, dass er noch eine ganze Weile Ruhe und Erholung braucht.

Was können wir vom neuen Album „Sonic Mass“ erwarten? Machen AMEBIX so weiter wie früher, düster, pessimistisch und mit einschlägigen politischen Statements?

Bei uns geht es gar nicht um Politik. Es geht eigentlich darum, die fundamentalen Wahrheiten des Lebens ins richtige Licht zu rücken. Unsere Ideen gehen also über die Tristesse politischer Diskurse hinaus. Wir fragen, warum sind wir hier? Warum haben wir Angst? Wie sollte man sein Leben gestalten?

Es heißt, dass ihr euer bisheriges Label Alternative Tentacles verlassen und ein eigenes Label gegründet habt, auf dem sowohl die neue Platte erscheint, als auch auch die alten Alben wiederveröffentlicht werden. Wie sehen eure Pläne genau aus?

Wir werden unsere Sachen und unseren ganzen Backkatalog auf unserem eigenen Label Amebix Records veröffentlichen. Den Vertrieb werden Easy Action und Cargo übernehmen. So behalten wir die volle Kontrolle und Verantwortung für unsere Musik und Kunst. Wir schalten damit Zwischenhändler und Plattenfirmen aus, die uns bisher nie sonderlich von ihrer Arbeit überzeugen konnten und teilweise sogar finanziellen Extra-Aufwand für uns bedeuteten. Wir haben uns schon lange gefragt, warum wir unsere Musik nicht selber rausbringen und ihr somit die Beachtung und Behandlung zukommen lassen, die sie verdient. Außerdem werden wir noch eine Website anlegen, um offizielles Band-Merch in Europa zu vertreiben.

Ihr hattet immer diesen besonders einfachen, knackigen und rohen Sound. War es euch möglich, das auch auf der neuen Scheibe rüberzubringen? Oder wird das eher so ein „So-hätten-AMEBIX-damals-geklungen-wenn-sie-bessere-Aufnahmetechnik-gehabt-hätten“-Ding? Auf der „Redux“-EP von 20101 klingt ihr ziemlich sauber und greift auch vermehrt auf Keyboards zurück.

Es klingt, als würde die Band sich entwickeln, und zwar so, wie sie es sollte. Grundlegend hat sich jedoch nichts geändert – es klingt immer noch alles sehr ursprünglich, roh und kraftvoll. Würden wir unsere Entwicklung beschränken und an den Erwartungen anderer Leute festhalten, wäre das unserer Meinung nach nur deplatzierte Nostalgie. Wir würden uns damit nicht wohl fühlen. Dann wären „Sellout“-Vorwürfe sicherlich auch gerechtfertigt. Insgesamt klingen die Gitarren kraftvoller und hin und wieder taucht auch ein Keyboard auf, aber das war’s auch schon. Ich denke nicht, dass wir mit dem Sound auf dem neuen Album jemand ernsthaft überraschen werden.

In euren Texten schwang immer ein „apokalyptischer“ Unterton mit. Seht ihr die Welt noch genauso düster?

Ich denke immer noch genauso über die Welt wie damals. Wie schon gesagt: bei mir hat sich nicht sonderlich viel verändert im Leben. Ein AMEBIX-Mitglied zu sein hat mir weder Geld noch Sicherheit gebracht, lediglich Respekt. Irgendwann aber werde ich sterben und für niemanden wird all das irgendeine Bedeutung haben ... Apokalyptisch? Ja, ich denke schon.

Was ist deine Meinung zur Problematik von Musik-Downloads im Internet, das dürfte ja auch die AMEBIX betreffen, oder? Ich freue mich jedenfalls, dass euer neues Album auch auf Vinyl erhältlich sein wird ...

Das alles interessiert mich eigentlich nicht sonderlich. Es ist nur eine Art, Musik einer breiten Masse zugänglich zu machen. Es ist praktisch, Musik überall mit hin nehmen zu können, ohne dafür viel Platz zu brauchen. Allerdings wählen viele Leute immer nur einige Songs einer Platte aus. Dadurch werden Alben oftmals nicht mehr komplett durchgehört. Unser neues Material ist aber genau darauf ausgelegt, dass es von Anfang bis Ende gehört wird. Ich für meinen Teil finde es auch gut, den Tonträger als Gesamtkunstwerk physisch in den Händen halten zu können. Aber vielleicht bin ich in dieser Hinsicht nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, haha.