Gerhard Höllerich – den meisten wird er besser unter seinem Künstlernamen Roy Black bekannt sein – starb im Alter von nur 48 Jahren, nach dem Konsum von mehr als vier Flaschen Wein, einsam und unglücklich in seiner Fischerhütte in Oberbayern. Alexander Gräbeldingers unverschämt schönes Lächeln erinnert mich oft an den jungen Roy Black. Weitere Gemeinsamkeiten lassen sich jedoch nicht feststellen. Der junge Autor, der in Andernach am Rhein lebt, der Geburtsstadt Charles Bukowskis, ist glücklich verheiratet. Er besitzt keine Fischerhütte und würde nach dem Konsum von vier Flaschen Wein mit Sicherheit nicht das Zeitliche segnen. Stattdessen würde er im Rausch seine Tastatur bearbeiten, um sich weitere Aspekte seiner absurden Existenz von der Seele zu schreiben. Dies gelingt ihm mit schöner Regelmäßigkeit in Form einer Kolumne im Rahmen dieser Publikation. Seine zweite Kolumnensammlung in Buchform ist soeben im Bonner Kopfnuss Verlag erschienen und trägt den optimistischen Titel „Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen!“. Anlässlich seines neuen Buches hielten wir es für angemessen, die Ansichten, Herangehensweisen und Lebensumstände unseres Freundes Alexander Gräbeldinger einmal genauer zu betrachten und zu hinterfragen. Insbesondere auch, um ihn und seine Dämonen der Leserschaft dieses Heftes einmal abseits seiner Kolumne näher zu bringen. Ladys und Gentlemen: Verstecken Sie Ihre lösemittelhaltigen Flüssigkeiten, Ihre alkoholischen Getränke und Ihr Schamgefühl – Ihre Töchter hingegen sind ihm scheißegal ... Hier ist Alexander „Meine Kontaktlinsen sind wichtiger als Deutschland“ Gräbeldinger!
Alex, stelle dich doch eben mal deinen und unseren Lesern vor. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, so wird doch der eine oder die andere hier und heute zum ersten Mal von dir hören.
Ich bin 32 Jahre alt, verheiratet und Spießer. Seit 2006 schreibe ich Kolumnen für das Ox-Fanzine, woraus zwei Bücher entstanden sind. Das erste Buch erschien 2008 unter dem Titel „Ein bekotztes Feinrippunterhemd ist der Dresscode zu meinem Lebensgefühl“. Das zweite Buch ist brandneu und heißt „Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen!“. Meine Geschichten sind allesamt autobiografisch und vermitteln unter anderem Aufschluss darüber, wie es ist, wenn man besoffen in Las Vegas heiratet, sich im Drogenrausch in die Hose scheißt oder den Hells Angels auf die Fresse hauen möchte.
Eine zweite Kolumnensammlung in Buchform, das spricht für einen beachtlichen Output. Was treibt dich an, regelmäßig zu schreiben?
Die Deadline einer jeden Ox-Ausgabe ergänzt durch eine gehörige Portion Selbstgeißelung.
Und was bringt dich dazu, wenngleich auch ungemein unterhaltsam, so frappierend offen über Verfehlungen, eigenes Versagen und Tabuthemen wie Botox, Fäkalien und Sex zu schreiben, dein Leben als Ex-Punk, jetzt Spießer, derart öffentlich zu machen?
Wenn du jetzt frech wirst und mich einen Ex-Punk schimpfst, nehme ich das mit dem Spießer lieber schnell wieder zurück. Was meine Offenheit beim Schreiben betrifft, betrachte ich das wie folgt: Wenn ich mir im Drogenrausch in die Hose scheiße, lasse ich mir das nur dann durchgehen, wenn ich anschließend den Mut und die Disziplin aufbringe, es aufzuschreiben und öffentlich zu beichten. Ich stelle mich sozusagen selbst an den Pranger. Demnach würde ich von einer Selbstgeißelung zur Sündenvergebung sprechen. Klingt spießig, oder?
Woher nimmst du die Themen, was inspiriert dich?
Die Leichen in meinem Keller – ich erwecke sie kurzzeitig zu neuem Leben und entlasse sie anschließend ins Jenseits.
Alex, du bist verheiratet und glücklich, wenn auch nicht immer mit der Gesamtsituation, so doch zumindest mit deiner Frau Jenny. Wie hat sich das Eheleben auf deine Texte und dein Schreiben ausgewirkt?
Ich möchte in der Tat von Glück reden, dass ich eine Frau gefunden habe, die es mit mir aushält. Eine Frau, die mir das Händchen hält, wenn ich mit abgeknicktem Iro in meiner eigenen Kotze liege. Früher tauchten solche Frauen nicht in meinen Geschichten auf. Ich denke, das macht den Unterschied aus.
Als Fan von vollkommen absurden Dingen wie Red Bull-Cola, Schlapp-Iros, blauen Süßigkeiten und Claus Lüer-Bands hast du es in der Schule sicher nicht leicht gehabt. Hast du heute Mitleid mit den Boys und Girls, die dich damals für einen Freak gehalten haben und dich nicht dabeihaben wollten? Was haben die falsch und du richtig gemacht?
Da ich die Einzelschicksale besagter Boys und Girls nicht kenne, kann ich nicht sagen, ob sie mich mit Neid oder Mitleid erfüllen würden. Andererseits könnte ich mir ein Leben ohne Red Bull-Cola, Schlapp-Iros, blaue Süßigkeiten und Claus Lüer-Bands sowieso nicht mehr vorstellen. Es fühlt sich richtig an.
Ist es dein Ziel, irgendwann einmal von der Tätigkeit als Schriftschaffender leben zu können?
Bitte bemühe dich um ernsthafte Fragen.
Okay, dann erkläre mir bitte, wie man auf die Idee kommt, seine gesammelten Ergüsse in Buchform zu veröffentlichen?
Da es sich für mich als völlig utopisch erweisen würde, von der Tätigkeit als Schriftschaffender leben zu können, versuche ich meinen Antrieb wie folgt zu erläutern: Alles, was ich möchte, ist ein kleines, bescheidenes, unbeachtetes, eingestaubtes Plätzchen in der Deutschen Nationalbibliothek. Man möge mich irgendwo in der Nähe der Books-on-Demand-Regale einsortieren – mehr erwarte ich nicht. Hauptsache, ich habe einen Beitrag geleistet, das deutsche Kulturgut zu beschmutzen.
Wie ist dein Verhältnis zu Jan Off, dem doch irgendwie „großen“ Vorbild vieler Gossenpoeten und Punk-Literaten? Wie kommt es, dass gerade er auch ein Statement zu dir in deinem aktuellen Buch hinterlassen hat?
Ich hatte mich im Verlauf einer gemeinsamen Lesung bei ihm eingeschmeichelt. Daraufhin lud er mich zu sich nach Hause nach Hamburg ein, um einem Dorftrottel wie mir mal das Großstadtleben zu zeigen. Natürlich empfand ich es als aufregend, sehen zu dürfen, wie ein richtiger Schriftsteller so lebt. Und um an dieser Stelle aus dem Nähkästchen zu plaudern: Jan Off ist ein von Grund auf herzerwärmend-sympathischer Mensch. Nicht unerwähnt möge an dieser Stelle auch seine zauberhafte Gattin Lucja Romanowska bleiben, eine großartige Fotografin, die auch einen Punk-Bildband veröffentlicht hat – unter dem brillanten Titel „Euch die Uhren – uns die Zeit“.
Wie kamst du überhaupt erstmals mit dem Kollektiv des Kopfnuss Verlages in Kontakt?
Ich schrieb den Hallodris eine Mail, wir verabredeten uns, tranken tausend Schnäpse und verliebten uns ineinander. Kurz darauf veröffentlichten sie mein erstes Buch. Neben meiner Hochzeit war das eine der wenigen Erfolgsstorys in meinem Leben.
Deine Band KARATE DISCO spielt Ende 2011 ihr letztes Konzert ... Wird es dich wieder in den Band-Betrieb treiben oder willst du fortan ausschließlich als schreibender beziehungsweise lesender Ex-Drummer über den Planeten lustwandeln?
Vorhin nanntest du mich einen Ex-Punk, jetzt bin ich plötzlich auch noch ein Ex-Drummer. Nachdem ich mir einst im Verlauf von mühseligen Stunden versuchte, das Schlagzeugspielen beizubringen, würde ich es im Nachhinein als verschwendete Zeit erachten, angenommen, ich würde niemals wieder die Gelegenheit ergreifen, in einer Band zu trommeln. Nebenbei erwähnt bin ich ein sehr schüchterner Mensch. Als halbwegs solider Drummer kann man sich ja immer ganz gut hinter seiner Band und dem eigenen Instrument verstecken. Als lesender Dilettant dagegen starren einen die Leute an und man ist der Meute erbarmungslos ausgeliefert. Aus diesem Grund würde ich mich freuen, sofern ich auch in Zukunft beide Funktionen erfüllen dürfte. Ich glaube, das würde mir einen Ausgleich verschaffen.
Mir kam zu Ohren, dass dein erstes Buch nun bald auch als Hörbuch erscheinen soll. Wer wird auf der CD zu hören sein und ab wann können sich Bands auf Tour darauf freuen, über deine kurzweiligen Anekdoten im Tourbus zu schmunzeln?
Falsch, es wird ein Hörbuch sein, das eine Auswahl an Texten aus beiden Büchern enthält. Eigentlich solltest du, Jörkk Mechenbier, die Rolle des Sprechers übernehmen. Doch da du eine treulose Tomate und ständig ausgebucht bist, musste der Schauspieler Oliver Korittke – unter anderem bekannt aus dem Film „Bang Boom Bang“ – diese Aufgabe übernehmen. Immerhin kam ich somit zu dem Vergnügen, Oliver Korittke persönlich kennen zu lernen und sogar mal an seinem Joint ziehen zu dürfen. Das Hörbuch wird voraussichtlich im ersten Quartal 2012 erscheinen.
Ganz allgemein, und um sich ein Bild von deinem literarischen Output machen zu können: Ich weiß, du bist großer Fan von Hunter S. Thompson und „Fear & Loathing in Las Vegas“ – welches Verhältnis hast du zu Drogen?
Mein Verhältnis zu Drogen fühlt sich an wie eine zurückliegende Affäre, die ich beenden musste, weil sie mir irgendwann zu heiß und verhängnisvoll wurde. Seitdem belasse ich es beim Bierdosenstechen, das ich übrigens von dir gelernt habe.
In deiner letzten Kolumne hast du erwähnt, früher im Verlauf eines Psychiatrieaufenthaltes Beischlaf mit einer Gummipuppe praktiziert zu haben. Eine doch eher unkonventionelle selbsttherapeutische Maßnahme. Ist diese Geschichte deiner Fantasie entsprungen oder hat das tatsächlich so stattgefunden?
Vermutlich lüge ich seltener, als man es mir empfehlen würde – denn auch diese Geschichte ist autobiografisch und basiert auf einer wahren Begebenheit. Übrigens landete die Gummipuppe in der Mülltonne, kurz nachdem ich mein Kinderzimmer im Haus meiner Eltern aufgelöst hatte. Peinlich wurde es, als ein Bekannter meiner Eltern sie dort vorgefunden hat. Er wollte eigentlich bloß Abfälle entsorgen, als er meinen Eltern beim Umzug half. Stattdessen zog er dann diese Puppe aus der Tonne und hielt es auch nicht für notwendig, seine Entdeckung geheim zu halten. Zuvor hatte ich ihm noch meine Überraschungseier-Figuren-Sammlung vermacht. Heute weiß ich, dass dies einer der Tage in meinem Leben war, an denen ich erkannt habe, dass meine Reputation niemals wiederherzustellen sein würde.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Jörkk Mechenbier
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Ute Borchardt