„Hast du noch Bock?“, so fragt die aus dem Bremer Stadtteil Huchting stammende Punkband auf ihrem aktuellen Album. Über ein Vierteljahrhundert nach ihrer ersten LP „Dein letztes Geleit“ (1997 auf Höhnie Records erschienen) sind die Huchtinger wieder mit straightem melodischen Deutschpunk am Start, der durchaus an STREBERS erinnert. Wir sprachen mit Sänger Nille darüber, warum es die Band wieder gibt, wie viel immer noch schiefläuft und warum das alte Feuer noch immer in ihnen brennt.
Ihr stellt mit eurem aktuellen Albumtitel die Frage: „Hast du noch Bock?“ Wir stellen jetzt die Frage, warum habt ihr jetzt wieder Bock?
Also Bock auf Mucke machen hatten wir eigentlich immer, auch während der langen Pause. Und die meisten von uns haben ja auch irgendwie in verschiedenen Funktionen und verschiedenen Bands den Kontakt zur Musikwelt gehalten. Aber natürlich hat das auch irgendwann etwas mit Sehnsucht nach dem alten Gefühl zu tun, Punkrock zu machen und sich so ein wenig etwas zurückzuholen, das uns gefehlt hat, vielleicht auch ein wenig mit dem Gefühl, mit einigen Dingen doch noch nicht ganz fertig zu sein. Letztlich weist die Frage, die wir im Titel stellen, ja aber auch auf eine Doppeldeutigkeit hin. Auf ganz vieles, was wir in den Texten thematisieren, haben wir eben keinen Bock! Es stellt sich also die Frage, wie lange sich das alles noch angeguckt werden will. Die Idee, wieder eine Platte zu machen und die Band aus der Versenkung zu holen, ist eigentlich während der Corona-Lage mit all ihren Begleiterscheinungen entstanden. Da ist der zunehmende gesellschaftliche Rechtsruck, der in den USA im Sturm auf das Capitol und in Deutschland in dem versuchten Angriff von Vollidioten auf das Parlament gipfelte, die sich verschärfende Polarisierung in den sozialen Medien, gepaart mit unfassbar viel Dummheit, und unser Gefühl von Hilflosigkeit, dagegen im gesamtgesellschaftlichen Sinne wenig ausrichten zu können, aber letztlich doch zu wollen. Da haben wir uns gefragt, was ist unser Medium, neben dem Besuch von antifaschistischen Demos und dem täglichen Schnauze aufmachen im Alltag? Unser Medium war immer Mucke machen. So ist diese neue, recht politische Platte entstanden.
„Gegenwind“ und „Berliner Weisse“ sind treffende Zustandsbeschreibungen der Hetze und Opfermentalität von rechts. Wie seht ihr die mittlerweile abklingenden Proteste gegen rechts?
Als problematisch. Denn die Rechten werden so weitermachen. Es gibt leider eine Protestmüdigkeit oder Crisis fatigue der Öffentlichkeit, die zwar punktuell mobilisierungsfähig ist, aber das „long game“ und die Ausdauer der Hetzer:innen unterschätzt. Das darf eben keine Event-Protestkultur sein, sondern muss sich vor allem im Alltag durch Zivilcourage und Mund aufmachen darstellen. Und das braucht viel Ausdauer. Die Rechten machen immer so weiter. Also braucht’s Gegenwind, täglich, beständig. Deshalb ist auch Trump noch da, weil die so weitermachen und nicht aufhören. Schwer zu sagen, was da passiert, aber die Möglichkeit, dass die USA bald in eine Autokratie umgebaut werden, besteht real. Also muss man dagegenhalten. Täglich.
In „Bis sie stirbt“ habt ihr ein Goebbels-Zitat über Propaganda eingebaut. Warum der direkte Bezug?
Den direkten Bezug zur Nazi-Zeit stellen wir her, weil das jetzt schon die fortgeschrittenen Anfänge sind. Die AfD geriert sich als Opfer und ist doch Täter. Mit den Lügen fängt es an, um eine Parallelrealität herzustellen. Es wiederholt sich die Geschichte ja auch in Russland. Und die Propagandamaschine der Sozialmedien, die per se nicht auf Diskussion ausgelegt ist, sondern auf einfachen Einbahnstraßenkonsum, sprich: schlucken, liken, hat eben auch damit zu tun. Und dieses Zitat zeigt eben auch, dass das keine zufälligen Phänomene sind, die so als Nebenprodukt passieren. Das ist und war schon immer Kalkül. Und wird so übernommen. Es geht ja auch immer wieder darum, die Schwätzer zu entlarven, und aufzuzeigen, was dahintersteckt. Trump funktioniert genauso wie Höcke – wiederholen, vereinfachen, verleugnen, attackieren und einschüchtern. Das ist rohe Gewalt, und sie ist ebenso brandgefährlich wie effektiv.
„Asthenopie“ behandelt die Blindheit der Ermittlungsbehörden auf dem rechten Auge. Anscheinend ist gerade Jura ein beliebtes Studienfach für die „Rechten“ und Bulle wird mensch auch nicht gerade gerne ... Was können wir tun?
Auch hier gilt es, immer wieder darauf hinzuweisen. Die Geschichten der Menschen erzählen, ihre Namen sagen, die Vorkommnisse öffentlich machen. Ansonsten bleiben die unaufgeklärten Tötungen durch Staatsbeamte von Menschen marginalisierter Gruppen gesellschaftliche Randnotizen auf den Seiten 8 bis 11 der lokalen Medien, und verschwinden wieder. Es wurden keine Schuldigen gefunden, schade, aber da kann man dann nichts machen. Kann man doch: Es eben nicht auf sich beruhen lassen! Aber eben auch der nihilistischen Neutralität, der verdammten Binär-Schwebe entgegenarbeiten. Viele sind zum Beispiel davon überzeugt, dass die Linken viel schlimmer und gewaltbereiter sind als die Rechten. Und das geht nur, wenn man beide Lager als sich gegenseitig ausschließende Pole sieht und klassisch populistisch argumentiert: Alle haben gleichermaßen Dreck am Stecken, alle sind mindestens gleich schlimm. Was natürlich nicht der Fall ist. Also: aufklären, aufklären, aufklären. Nach einem Gig kam ein Zuschauer zu uns, und meinte, ganz so könne man das aber ja nicht stehen lassen. Man müsse ja auch sehen, dass Gewalt auch von diesen Menschen ausgehe. Das ist Täter-Opfer-Umkehr. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo Menschen aus marginalisierten Gruppen ein Gewaltmonopol in Überzahl gegen Staatsbedienstete eingesetzt haben, um jemanden zu töten.
Ist der Song „Neue Religionen“ faktisch eine Fortschreibung eures alten Stücks „Religionen“?
Ja und nein. Ja, denn es ist die Ausweitung des Begriffs „Religion“ auf alle ideologischen Konstrukte, die identitätsstiftend und damit kulturrelevant werden, und davon zählen wir einige im Song auf. Es gibt vieles, an das man glauben und dann sein Leben danach ausrichten kann. Das ist also ganz im Sinne des Bandnamens BAD RELIGION – bad ideas sollten vermieden werden. Und gleichzeitig auch nein. Der Song ist nicht als direkte Fortsetzung unseres Songs „Religionen“ von 1995 gemeint. Auch wenn die Parallelen schon erschreckend sind und unser Song aus den 1990er Jahren leider nichts an Relevanz eingebüßt hat.
„28259“ ist an eure Hommage an Bremen-Huchting. Was war der Grund, diesen Song zu schreiben?
Huchting ist ein Stadtteil ganz am Rande Bremens, eine so genannte Trabantenstadt, ein Wohngebiet mit sehr viel sozialem Zündstoff. Wir sind alle dort aufgewachsen. Und auch wenn niemand von uns heute noch dort wohnt, hat uns das geprägt. Fürs Leben. Das sind übrigens Gesprächsthemen, die wir auch mit anderen Menschen haben, die mit uns zusammen dort aufgewachsen sind. Irgendwie ist das auch ein wenig identitätsstiftend, wir bezeichnen uns immer noch als „Huchtinger“. Unser alter Freund Sven „Limbo“ Limberg, der leider letztes Jahr viel zu früh verstorben ist, und der vorher ein Buch über die Punk-Szene in Huchting von den 1970er Jahren bis heute geschrieben hat, hat uns immer in den Ohren gelegen, wir müssten mal einen Song über Huchting schreiben. Das haben wir also getan, und es war gar nicht so leicht, einen solchen Song zu schreiben, ohne textlich zu platt, zu pathetisch oder zu schützenfestig zu werden. Letztlich ist es eine Hommage an unsere Wurzeln.
Angesichts der Themen, die ihr auf „Hast du noch Bock?“ ansprecht, wie Rechtsruck, asoziale Medien und die Auswirkungen der Digitalisierung wundert mich das Coverartwork.
Das ist auch bei uns intern ziemlich kontrovers diskutiert worden. Letztlich trottet der etwas missmutig scheinende Esel scheinbar willenlos dem Auto hinterher, an das er angebunden ist. Das Gefühl, dass einem die Technik davonrennt und wir alle in der Tretmühle des technologischen Fortschritts stecken, thematisieren wir in Songs wie „Edvard schreit“, „Bis sie stirbt“ oder „Gegenwind“ und „Neue Religionen“. Außerdem kommen wir nach 20 Jahren wieder zurück und denken manchmal schon, dass auch wir wie alte Gäule durch den Strudel des technologischen Fortschritts gezogen werden, und fragen uns, worauf wir noch Bock haben und worauf nicht. Uns war und ist bewusst, dass die Bilder ohne Kontext auf vielerlei Art und Weise interpretiert werden können. Aber wir vertrauen darauf, dass unsere Hörerschaft weiß, wo wir politisch stehen. Das Coverartwork zeigt aber auch, wo es über Zeit und Raum versetzt Parallelen geben kann und dass gewisse politische Kämpfe nicht nur hier, sondern auch anderswo ausgefochten werden und gewisse Mechanismen zwar dringlich und ernst, aber eben nicht ganz neu sind. Die Fotos wurden uns freundlicherweise von einer Bekannten zur Verfügung gestellt, die sie als Fotografin vor einigen Jahren in Südamerika gemacht hat. So war das Artwork auch unser Versuch, unsere Themen nicht nur auf Deutschland und Europa zu beschränken, sondern es zeitlos und global zu gestalten. Wir haben ja auch ein Bandmitglied unter uns, das in den USA lebt. Und auch dort trottet der angebundene Gaul fremdbestimmt der Technik hinterher.
„Hast du noch Bock?“ ist ja nicht nur ein Blick nach vorn, sondern auch zurück. Wo seht ihr euch heute als Band und als Menschen im Vergleich zu den 1990er Jahren?
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir 20, 30 Jahre später natürlich älter und hoffentlich auch ein wenig reifer geworden sind. Wir sind nicht mehr die draufgängerische Fun-Punk-Band der 1990er Jahre, die vielleicht auch einiges gemacht hat, ohne groß darüber nachzudenken. Das würde uns auch niemand mehr abnehmen und das wollen wir auch gar nicht sein. Wir betrachten jetzt den Kram, um den es uns geht, aus vielen Perspektiven und mit mehr Lebenserfahrung. Das, was wir als junge Band zwar intellektuell erfasst und in unsere Musik gepackt haben, ist 30 Jahre später eben auch gelebt worden und also auch emotional voller erfasst – in vielen privaten und öffentlichen Kontexten. Dadurch ist uns das Anliegen der Musik und der Texte wohl noch ernster als zuvor. Der Spaß an der Musik, an schnellem, melodischem Punkrock ist nach wie vor derselbe, aber wir legen noch mehr Wert auf eine differenzierte politische Positionierung, als wir das früher schon getan haben. Allerdings wenn es schön schnell wird, und wenn es schön auf die Fresse gibt, dann macht das immer noch Spaß und auch hopfenhaltige Kaltgetränke sind nach wie vor sehr willkommen.
Bleiben wir kurz noch im „Damals“. Ihr hattet Material für eine zweite LP eingespielt, die nie erschienen ist. Euer erstes Lebenszeichen war Ende letzten Jahres die leider nur digitale EP „Keine Eile“. Gibt es Pläne, dieses Album doch noch mal aufzulegen?
Das Album heißt „Am Ende sind wir alle gleich“ und ist bedauerlicherweise nie erschienen, weil wir Ende der 1990er Jahre, als wir anfingen, uns durch Familiengründungen und Umzüge räumlich zu trennen, niemanden gefunden haben, der es rausbringen wollte, weil wir nicht sicher waren, ob wir es auch live präsentieren können. Jetzt diskutieren wir aber auch darüber. Ein paar wenige Songs sind damals schon auf Samplern erschienen. Für unsere digitale EP „Keine Eile“, die wir vor unserem neuen Album herausgebracht haben, haben wir zwei Songs davon sogar noch mal neu eingespielt. Im Moment scheint es, dass wir einige von den unveröffentlichten Songs auch noch herausbringen wollen, vielleicht schaffen es aber zwei oder drei auch nicht ganz. Soundmäßig ist das Album an sich zwar solide, genügt aber auch nicht mehr ganz heutigen Standards. Daher läuft es wohl eher auf neu aufnehmen hinaus. Wir schauen mal. Bei dem Album hat unser verstorbener Schlagzeuger Karsten einen großen Anteil gehabt am Songwriting, allein als Hommage an ihn haben es einige Songs sicher verdient, doch noch veröffentlicht zu werden.
Fuego ist jetzt kein klassisches Punklabel. Wie ist die Zusammenarbeit zustande gekommen?
Wenn man über 20 Jahre aus der Szene raus ist, fällt es erst mal schwer, wieder Kontakt zu bekommen. Fuego ist ein lokales Label, in Bremen kennt man sich, das sind alles kurze Wege und war einfach der naheliegendste Schritt. Wobei Fuego auch eher als Vertrieb und weniger als Label agiert. Das meiste haben wir schon selbst gemacht.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wollen wieder viel live spielen, zurück auf die Bühnen, wir haben etwas mitzuteilen. Wir haben jetzt wieder sechs Leute zusammen, die richtig Bock auf Punkrock haben. Folgenlos bleibt so was oft nicht. Da kommt wahrscheinlich noch mehr.
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