Mit AÇAO DIRETA aus Sao Paulo, Brasilien, und NEURON aus Kiel waren im Oktober und November zwei relativ unbekannte Hardcore- bzw. Crust-Bands in Europa unterwegs. Für die Brasilianer, mit Gepeto als einzig verbliebenen Gründungsmitglied aus den 80ern, war es die mittlerweile vierte Europatour. Trotzdem und völlig zu Unrecht ist die Band mit ihrem kraftvollen Oldschool-HC noch ein Geheimtipp. Für NEURON, Crust-Hoffnung aus dem Norden, die erste Gelegenheit, ausgiebiger zu touren. Hier das ganz subjektive Tourtagebuch von Ollie, Bassist von NEURON. Die Anzahl der Eindrücke über die Wochen war erschlagend, deshalb hier nur einige Fragmente.
2.10.04 Dresden, Conni
Früh aufstehen und Aufbruch nach komplizierter Vorgeschichte mit VW-Bus in Babyblau mit türkischen Vorhängen, zähen Verhandlungen mit meinem Chef und Kollegen, die letztendlich fast alle helfen, damit ich frei bekommen kann. Die Stimmung bei NEURON ist angespannt. Wie sind die Brasilianer drauf? Wie groß ist der Nervfaktor drei Wochen zusammen im Bus? Äh, Owe, wo ist dein Verstärker? Scheiße, nicht da, gestern mit NOISE FORREST in Lübeck gespielt. Da vergessen? Gott/Satan sei Dank findet er sich im Bus von Boris, und auf geht’s nach Dresden in die Conni. Der Laden ist uns von einem Gig vor Jahren in guter Erinnerung. Nach neun Stunden Fahrt über regnerische Straßen Ostdeutschlands und erster Bekanntschaft mit ostdeutscher Blitzkastenmanie löst sich die Anspannung langsam. In der Conni hat sich seit unserem letzten Besuch nix geändert, sogar der Hippiefreakmischer ist noch derselbe, macht aber einen guten Job.
Die Zeit vergeht und kein Brasilianer weit und breit. Dann gegen 21:00 Uhr fährt ein Renault Espace mit fetten „AÇAO DIRETA European Tour 2004“-Stickern vor. Nette Begrüßung der vier Bandmitglieder und Merchman Phu, der sich als überaus unterhaltsamer Mensch und Freund herausstellen sollte, was aber genauso für die anderen Brasilianer zutreffen sollte. Auf die Bühne, es ist heiß, es geht ab, guter Start. Danach die Brasilianer, die mit ihrem Oldschool-Hardcore gut Gas geben und entsprechend abgefeiert werden. Macao, tätowiert von Kopf bis Fuß, prügelt am Schlagzeug ein dermaßen heftiges Set herunter, dass alle Beteiligten vor Neid erblassen – und er sollte seinen Standard die komplette Tour über beibehalten. File under Schlagzeuggott. Nach ein paar Bier und Saft hauen sich alle früh hin, die Brasilianer noch schwer geschafft vom Jetlag und der Party am Tag vorher in Hanau mit AGROTOXICO.
03.10.04 Leipzig, Zoro
Im Zoro erwarten uns ohne unser Wissen zwei weitere Bands, THE PROFITS aus den USA und irgendeine chilenischen Band, deren Namen ich sofort wieder verdrängt habe. Eine Angewohnheit von Veranstaltern, die uns pestartig die ganze Tour verfolgen sollte, und uns bei „Eintrittsgeld als Gage“ in deutliche finanzielle Nöte bringen soll. Der Mischer ist ein dummer Sack, der irgendwie genervt ist und unnötig Stress macht, genauso wie der kleine Mr. Heavymetal-Gernegroß aus Chile, der absolut nervtötend die Belange der supertollen chilenischen Band vertritt. Reihenfolge gelost und trotzdem diskutieren. Deren Bassverstärker war im Arsch, jetzt soll der Bassist auf meinem spielen. Bitte?! Ja, der andere Verstärker könnte ja wieder kaputt gehen. Vergiss es! Er beschließt, uns mit Nichtbeachtung zu strafen. Danke dafür. THE PROFITS eröffnen, coole Band mit cooler Frontfrau, der man ihre Wut auf das amerikanische Schweinesystem deutlich anmerkt. Sehr kraftvoll und manchmal vom Gesang des Gitarristen her nahe an den DEAD KENNEDYS.
NEURON und AÇAO DIRETA legen ein durchschnittliches Set hin. Als letzte besagte Chilenen, die mir mit ihrer Mischung aus Punk und chilenischer Folkmucke körperliches Unwohlsein verschaffen, aber von einigen überwiegend weiblichen Punks mit schön hippiemäßigen Tänzen abgefeiert werden. Die Jungs aus der Band sind okay, ihr Tourmanager, der schon im Rock Hard als wichtiger Szenemensch portraitiert wurde, geht einem eher am Arsch vorbei. Gil, Gitarrist von AÇAO DIRETA, entpuppt sich als der Frauenheld der Tour und vögelt mit einem Mädel, was noch interessante Folgen haben soll. Lucio, Begleiter der PROFITS, ca. 130 kg schwer bei 1,70 m, schnarcht so laut, dass die Nacht früh zu Ende ist. Die sexy Pose in Boxershorts auf dem Rücken liegend mit gespreizten Beinen wird auf Foto festgehalten.
04.10.04 Hammerstadt, Kommaerzbanck
Hammerstadt entpuppt sich als 200-Seelen-Dorf kurz vor der polnischen Grenze. Da Veranstalter Ronny, Sänger von IDIOT SAVANT, das erste Mal ein Konzert in der Woche veranstaltet und eher mit spärlicher Zuschauerzahl rechnet, wird die Bühne im Saal der Kommaerzbanck einfach zum Veranstaltungsort erklärt. Klein, aber fein, und dann doch gut gefüllt. Sehr nette Menschen, bei denen wir noch den nächsten Tag mit 24 Grad in der Sonne verbringen. Abends drehen die Brasilianer, die dem Rauchen von seltsamen Blättern nicht abgeneigt sind, ordentlich auf, und Phu, der kaum ein Wort Englisch spricht, erzählt hemmungslos mit Händen und Füßen aberwitzige Geschichten. Zum Klassiker der Tour wird seine Geste, bei der er auf sein linkes Handgelenk zeigt und sagt: „What’s your name?“ Besser kann man seine Englischkenntnisse nicht verdeutlichen.
06.10.04 Berlin, Koma F
Frühe Ankunft, Gil kommt schüchtern auf mich zu und fragt, ob ich wirklich Arzt sei. Er bräuchte Antibiotika. „Wofür?“, frage ich. „I have a problem with my dick.“ Aha, Leipzig lässt grüßen. Wir besorgen ohne nähere Untersuchung des Objektes Pilzcreme. Seine Frage, ob Mann in Deutschland immer solche Probleme mit Frauen hätte, kann ich verneinen, und auf den Gebrauch von Kondomen verweisen. Hat er natürlich benutzt, haha. Das Koma F liegt im Keller neben dem Köpi und hat genau die richtige Größe. Obwohl Mittwoch ist, ist der Laden gut gefüllt. Beide Bands gehen gut ab, wobei die Brasilianer langsam aber sicher zu einer der tightesten Livebands werden, die ich gesehen habe. Vollgas ohne Gnade und Pause.
07.10. 04 Neutramm
Wir kommen spät los, da wir noch den „Yellow-Dog“-Laden heimsuchen müssen, dann Stau und fuckin’ Landstraße bis ins Wendland. Dank Castor und Gorleben staatlich besetztes und von Unmengen an Grünen verteidigtes Gebiet. Fremde Autos werden argwöhnisch beäugt und kontrolliert. Es erwischt irgendjemanden vor uns und wir kommen überladen und mit sicher falscher Gesinnung ans Ziel. Ein Laden direkt neben der Polizeikaserne, von der aus die Einsätze geplant werden, und der dazu dient, bei den Demos die freigelassenen Gefangenen zu versorgen. Wir spielen in einem eindeutig zu kleinen Kellerzimmer mit zu hoher Bühne, auf der nicht alle Platz finden und die es höllenlaut macht. Gepeto, Großvater und Sänger der Brasilianer, lernt ein Mädel kennen, das uns noch an den unterschiedlichsten Orten besuchen soll. Insgesamt ein Ort, der durch die massive Polizeipräsenz bedrücken wirkt, aber zeigt, was von unserer Regierung zu erwarten ist. Alle Leute, die dort aktiv Widerstand leisten, haben meinen Respekt.
09.10.04 Ahrensburg, AZ
Wir treffen pünktlich in Ahrensburg ein, nachdem wir ein paar Tage zuvor mit Veranstalter Alex gesprochen haben, der verspricht, dass alles klar geht. Beim Ausladen klingelt das Telefon und ein Mensch aus Rostock fragt, wo wir denn bleiben. Etwas irritiert, rufen wir Arne, unseren Tourplaner an, der auch nix genaues sagen kann. Wie sich herausstellt, hat wohl Superveranstalter Alex am Abend vorher bei einem Bier das Konzert abgesagt und den Leuten in Rostock versprochen, dass wir da spielen. Da wir von nix wissen und die Leute in dem Laden in Ahrensburg sich auf das Konzert gefreut haben, beschließen beide Bands, nicht nach Rostock zu fahren. Das pisst den Veranstalter in Rostock mächtig an und ist finanziell sicher auch die falsche Entscheidung, da unser Freund Alex auch keine Werbung für den Gig gemacht hat. So spielen wir vor zwei Handvoll Zuschauern am Samstag Abend. Die Hälfte der NEURONen spielt in langer grüner Unterhose bis zum Bauchnabel und mit Sonnenbrille. Mit so einfachen Mitteln kann man Spaß haben, oder macht touren einfach blöd im Kopf?
10.10.04 Hamburg, Lobusch
Das Konzert in Hamburg ist um die Ecke, und wurde kurzfristig von Tobi organisiert, nachdem es eigentlich auf dem Wagenplatz stattfinden sollte. Dort hat sich aber eine üble Geschichte abgespielt, bei der einer der Bewohner, nachdem er zum wiederholten Mal geklaut hatte, kurzerhand nachts an einen Bauzaun gefesselt wird, die Haare abrasiert bekommt und verprügelt wird. Was auch immer daran wahr ist, für alle Beteiligten der Tour Grund genug, den Gig dort zu canceln und ins Lobusch umzuziehen, wo nach Schallplattenflohmarkt ein zünftiger Gig gespielt wird. Einer der Veranstalter nimmt alles auf und zwei Songs werden wir demnächst auf einer Split-12“ mit AUDIO KOLLAPS veröffentlichen. Die Brasilianer zieht es dann noch auf die Reeperbahn. Wir bleiben sauber und übernachten bei Fab, dessen Freundin uns mit großen Augen und einem forderndem „Und?“ begrüßt. Wir wären gern im Boden versunken, dürfen aber doch bleiben.
11.10.04 Hannover, Stumpf
Das Stumpf ist so was wie unsere zweite Heimat, da sowohl Epistrophy-Labelchef Frank als auch Tourplaner Arne dort ein und aus gehen. Der Laden ist rappelvoll, wir sind aufgrund unserer hohen Erwartungen etwas verkrampft, AÇAO DIRETA rocken wie gewohnt das Haus, das spät und schweißgebadet die Türen schließt. Am nächsten Morgen versperren zwei riesige Baukräne die Einfahrt ins Viertel. Auf der Suche nach der Ursache stoßen wir auf den kleinen Parkplatz vor dem Stumpf, auf dem einsam und verlassen ein Auto steht. Genau genommen ein babyblauer VW-Bus. Nach einigen Verwünschungen und Drohungen von Bauarbeiterseite fahren wir kurzerhand ab, woraufhin die Baukräne beim Wenden auf dem Parkplatz selbigen in kleine Stücke zermahlen.
12.10.04 Bielefeld, AJZ
Das AJZ gibt es schon immer und wir fahren positiv gestimmt vor, es ist saukalt, wir treffen zum ersten Mal auf KOYAANISQATSI, die uns im Laufe der Tour noch mehrfach begegnen sollen. Außerdem auf DISEASE aus Mallorca, die mit nur dreizehn Leuten unterwegs sind, wobei doch glatt fünf zur Band gehören: „We are a big family.“ Ja, eine große Familie, die heuschreckenartig übers Essen herfällt und Brutalpogo tanzt. Dass der Bassist keinen Verstärker dabei hat, ist Ehrensache. Alles trägt dazu bei, dass die Stimmung gen Null geht. Dazu dann ein Veranstalter, der uns erklärt, dass wir jetzt gefälligst anfangen sollten, egal ob jemand da wäre oder nicht, schließlich seien wir aufs Konzert aufgesprungen. Hört, hört, ob da alle richtig informiert sind? Beim zweiten Song drischt Owe mir seine Gitarre dermaßen ins Gesicht, dass meine Lippe platzt und zwei Zähne die nächste Woche derbe schmerzen. Nachdem erst mal alles mit Blut vollgesaut ist, muss ich doch von der Bühne und mal einen Blick in den Spiegel werfen. Okay, muss wohl nicht genäht werden, also weiter. Später treffe ich noch Prüse von den DROWNING ROSES, aber ich bin nicht wirklich zu Gesprächen aufgelegt. Auch bei den übrigen Bands bleibt es leer, so dass wir den Tag besser abhaken.
13.10.04 Mülheim, AZ
Die Stimmung bleibt angespannt, das AZ in Mülheim entpuppt sich als angenehmer Laden. Arne, Ahorner, Dennis von INFAUST und Kai von AUDIO KOLLAPS begleiten uns. Als dritte Band kommen mal wieder unerwartet die Crusties von DIRTY POWER GAME aus Italien dazu, die seit Wochen in Deutschland unterwegs sind, aber nur gelegentlich mal spielen. Geruchstechnisch haben sie offenbar vollkommen auf Ersatzklamotten verzichtet. Egal, live bieten sie ein heftiges Gemetzel, das es in sich hat. Nach dem Gig noch eine Party in der Kneipe, wo Brasilianer, Italiener und Deutsche sich im wüsten Kauderwelsch verständigen, bis in den frühen Morgen kickern und einfach Spaß haben. Was machen eigentlich Menschen, die so was nie erlebt haben? Ich falle gegen fünf in den Schlafsack, kurz darauf gefolgt von zwei Italienern, die in voller Montur in die Penntüte steigen. Langsam klärt sich die Geruchsfrage.
14.10.04 Stuttgart, KTS
Die Stunden auf der Autobahn werden zur öden Qual, und nach neun Stunden Fahrt kommen wir in Stuttgart an. Der Empfang ist freundlich und nichts steht einem gutem Konzert im Wege, aber das KTS entpuppt sich als übler als das Titty Twister um Mitternacht. Warum auch immer, das Publikum bleibt nahezu komplett aus. DIRTY POWER GAME sind uns gefolgt und eröffnen sehr spät den Abend, gefolgt von einem eher lauen Gig der Brasilianer und NEURON, die ihr Set als Pflichtprogramm vor einer Handvoll Asselpunks zum Besten geben. Bei „Freiheit“ flechte ich kurzfristig „Asselpunkfreiheit“ in den Text ein und kann mich so wenigstens amüsieren. Ich gehe früh pennen, morgens um neun kommt ein völlig geräderter Sören hinterher und berichtet von dem übelsten Film der Tour, weil alle noch Anwesenden inklusiv Veranstalter LSD geklinkt haben und stundenlang auf übelsten Trips durch den Auftrittsraum wanken, Bierflaschen an den Wänden zertrümmern und darüber rätseln, wie die Tür vor ihnen wohl aufgehen könnte. Sören hat sich auf die Bühne gelegt und das Equipment vor diesen Spacken bewacht, danke dafür. Den nächsten Morgen nutzen die Brasilianer dazu, via Internet zu kommunizieren, Phu zeigt uns Fotos seiner Ex-Frau und seiner Zwillinge. Fast hätte er geheult, weil er wegen seiner Ex-Frau nicht mit seinen Kindern sprechen darf. In jedem harten Typen steckt doch ein weicher Kern.
15.10.04 Offenburg, Kessel
Nach dem vorläufigen Tiefpunkt in Stuttgart geht es im Kessel wieder steil bergauf. Laden und Veranstalter sind supernett, das Essen ist sehr früh fertig, so dass wir beim Soundcheck auf der Bühne essen. Macao kommentiert grinsend: „The food is on the snare.“ Die Kollegen von KOYAANISQATSI sind auch wieder mit von der Partie, zuvor Auftritte von NEURON und AÇAO DIRETA, die sofort wieder das Publikum im Griff haben. Wir übernachten in der WG des Veranstalters, die kurz vor der Räumung steht und entsprechend gut möbliert ist. Besonderer Erwähnung bedarf das so genannte Pissklo. „Achtung, da dürft ihr euch nicht draufsetzten, nur auf das Klo im Badezimmer.“ Als es hell wird, wird auch der Grund ersichtlich. Das Pissklo wurde in den letzten Jahren sicher nicht sauber gemacht, aber ist von Stehpinklern aus ca. einem Meter Entfernung benutzt worden. Yeah, Punkrock rules.
16.10.04 Karlsruhe, Ex-Steffi
Die Ex-Steffi in Karlsruhe ist ein riesiges sympathisches Haus, bunt bemalt, direkt neben dem Bahnhof. Der Normalbürger hätte es mit Sicherheit gerne platt gemacht und die Bewohner vergast gesehen. Weil ja der zweite Teil doch etwas vorbelastet ist, versucht man es eben mir anderen Methoden. Bis nächsten Sommer ist der Nutzungsvertrag verlängert, bis dahin muss man geistesgestörte GEMA-Forderungen von 56.000 Euro für nicht angemeldete Punkrockkonzerte stellen und versuchen, so die Bewohner weich zu kochen. Nichtsdestotrotz werden wir von Silke und Bert, den Veranstaltern, herzlich empfangen. Mit MISS JUNE und einer Emo-Band, deren Namen mir entfallen ist, sind noch zwei weitere Bands am Start. Die Steffi ist rappelvoll und die Stimmung schon bei den ersten Bands am Kochen. MISS JUNE sind nach einem Playboymädel benannt. Der Name passt ganz gut zu dem Flammenhemden-Rock, den die Jungs spielen. Nach einigen Songs taut auch bei uns das Publikum auf, wobei wir in einer anderen Brutalitätsliga spielen und eher erwartet hatten, „zu hart“ zu sein. Die Party ist perfekt, nachdem AÇAO DIRETA hammertight ihren Oldschool-HC runterbrettern. Nach dem Gig wirft sich mir ein schweißgebadeter Langhaariger um den Hals: „Schnell, brutal und primitiv, so liebe ich es!“ Schöner hätte ich es nicht sagen können. Nach einer Party morgens um sechs im Nebenzimmer verstehe ich das Schild zum Wohnbereich: „Tür zu! Asselalarm.“
19.10.04 Osnabrück, Wagenplatz
Die Frage, wo man auf einem Wagenplatz im Oktober spielt, ist schnell geklärt. In einem Zelt. Es ist relativ warm und pisst wie aus Eimern, der gesamte Platz ist eine Schlammwüste, die Stimmung jenseits von Null. Phu äußert mit ernster Mine: „Tá no inferno abraca o capeta!“ – „Wenn du in der Hölle bist, umarme den Teufel!“ Als das Regenwasser im Zelt Pfützen bildet und hinter der Bühne Dreifachsteckdosen zum Schwimmen bringt, sind wir kurz davor einzupacken. Den besoffenen Mischer scheint es nicht zu stören. Beim Soundcheck pöbeln irgendwelche Idioten im Publikum noch rum, so dass unser Gig sehr kurz und schlecht wird, dasselbe gilt für AÇAO DIRETA, die einen unserer Gitarren-Amps durchbraten. Wir übernachten bei den sehr netten Veranstaltern, so dass sich nach Reparatur des Amps langsam die Stimmung wieder aufhellt.
21.10.04 Utrecht, ACU
Utrecht wimmelt von Punks, die aus ganz Holland zum „Utrecht Punk Festival“ angereist sind. Entsprechende Mengen Polizei bewachen kompromisslos die Szene. Zwei Tage Konzerte in drei Häusern, leider sind wir nicht im Crust-Haus untergekommen, sondern im ACU, welches ein sauberes und gut organisiertes Zentrum ist, in dem an diesem Abend hauptsächlich Punks mit Iros abhängen. Im Normalfall haben wir sie nach zwei Songs Grindcore vertrieben, so auch hier. Nach AÇAO DIRETA, denen es etwas besser geht, spielt mit DISDUSTED eine Skinheadband aus Paris – auf der Bühne ausgesprochene Unsympathen, backstage supernette Party-Animals. Als letztes die TRASH TORTEN KOMBO aus Berlin, die als Frauenband genau solche Musik machen. Da keine Pennplätze organisiert sind, übernachten wir bei Will, Schlagzeuger von CATHODE und Sympathieträger erster Klasse, der die Holland-Gigs organisiert hat, während die Brasilianer zum Gig ihrer Kumpels von RATOS DE PAROA nach Amsterdam fahren.
14.11.04 Gießen, AK44
Letzter Tag auf dieser Tour. Komisch, dass am nächsten Tag die Menschen, die man doch sehr lieb gewonnen hat, um die halbe Erde fliegen, und man sich so schnell nicht wiedersehen wird. Nach und nach füllt sich der Raum mit vielen Bekannten, die wir auf der Tour kennen gelernt haben, und die aus allen Ecken der Republik angereist kommen. Ich bin gerührt, was sich für einen echten Punker ja nicht gehört. Die Konzerte sind energiegeladen, danach wird noch ordentlich gefeiert. Ein würdiger Tourabschluss. Gepeto, Galo, Macao und Gil fliegen am nächsten Tag zurück nach Brasilien. Thanks friends, you keep us moving.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #58 Februar/März 2005 und Ollie Fröhlich