ABRAMOWICZ

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Gut Ding braucht Weile

Norddeutsche gelten als wortkarg, mit Emotionen haben sie es angeblich nicht so und der Wind kommt dort auch immer von vorne. ABRAMOWICZ widerlegen alle Vorurteile und schippern mit „The Modern Times“ gleichermaßen kratzbürstig wie gefühlvoll aus dem Hafen. Wir haben Sänger Sören über den Weg zum langersehnten Debüt befragt.

Sören, fühlt ihr euch gerade gut angeschoben und freut euch darauf, was als Band vor euch liegt?


Wir sind dankbar, dass wir diese Platte aufnehmen konnten und mit Radicalis ein Label haben, das voll hinter uns steht. Wir hätten nie damit gerechnet, mit den ersten EP so viele Leute zu erreichen und über hundert Shows zu spielen, von daher haben wir keine krasse Erwartungshaltung. Klar ist, dass wir in diese Platte alles reingegeben und wahrscheinlich noch nie so für etwas gebrannt haben. Und natürlich hoffen wir, dass den Leuten die Platte gefällt und sie so viel Spaß damit haben wie wir beim Aufnehmen. Momentan dürfen wir uns noch mit so viel organisatorischem Kram auseinandersetzen, dass wir froh sein werden, wenn die Platte das Licht der Welt erblickt und wir einfach wieder auf der Bühne stehen können. Was dann mit der Platte und uns als Band passiert wird die Zukunft zeigen.

Wer ist das weinende Kind auf dem Cover?

Saschas große Schwester an ihrem zweiten Geburtstag, wir waren sofort geflasht von dem Ausdruck und der Stimmung, die das Bild vermittelt, als Sascha uns das fast vierzig Jahre alte Dia gezeigt hat. Alle anderen Ideen haben wir dann direkt verworfen. Wir fanden es spannend, die Platte „The Modern Times“ zu nennen und ein offensichtlich altes Bild mit einem kleinen Mädchen, das seine Zukunft noch vor sich hat, als Cover zu nehmen. Es ging uns nicht darum, alles Moderne negativ zu bewerten. Was wir produzieren, sind Zustandsbeschreibungen und natürlich läuft heutzutage einiges schief. Das war früher aber auch nicht anders und wird sich in Zukunft auch nicht ändern. Wir sind keine Typen, die rumheulen, das Cover ist sicherlich auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Und wir haben alle gelacht, als wir uns vorgestellt haben, dass die Kleine weint, weil unsere Musik aus dem Radio schallt.

Was hat euch zum Song „Death on the street“ inspiriert?

Ich arbeite im Molotow Musikclub auf dem Kiez, mein Arbeitsweg verläuft über die Reeperbahn. Wenn du tagsüber an den unzähligen Obdachlosen in ihren Schlafsäcken vorbeiläufst, machst du dir deine Gedanken. Ich glaube, wir tanzen alle dichter am Abgrund, als uns in unserem Alltag bewusst ist, darüber wollte ich schreiben.

Gute Entscheidung, genau diese Songs als erstes Album zu veröffentlichen. Was hat sich früher noch nicht richtig angefühlt? Wie seid ihr an den Punkt gekommen, jetzt so runde Songs schreiben zu können?

Wir hätten die Platte lieber schon früher gemacht. Es stimmt, wir haben uns bewusst Zeit gelassen, um eine Platte zu machen, mit der wir rundum zufrieden sind. Wir haben ewig an den Songs gefeilt und uns keine Deadlines gesetzt. Wir sind eine Woche an die Nordsee gefahren, um an den Stücken zu arbeiten und uns ganz darauf konzentrieren zu können. Im Trubel von Hamburg wirst du schnell abgelenkt, und wir sind alle kein Kind von Traurigkeit. Außerdem hatte Paul Konopacka, einer unserer Produzenten und Mitglied der Band HERRENMAGAZIN, großen Anteil am Songwriting. Wir haben mehrere Sessions bei ihm im Studio gemacht, Tracks verworfen und andere Tracks wieder aus der Schublade gekramt.

Sind die Stücke alle gezielt für das Album entstanden oder hattet ihr noch ältere, die ihr für das Debüt aufheben wolltet?

Es gab viele Songideen und Textschnipsel, die teilweise schon während des Schreibens für unsere erste EP entstanden sind. Die Platte ist ein Schmelztiegel aus ganz neuem und sehr altem Material. Das Ganze folgt aber keinem großen Plan. Ich habe großen Respekt vor Bands oder Songwritern, die 40 Songs im Koffer haben und schon vor der ersten Platte wissen, welche Songs auf die dritte kommen. So sind wir nicht. Wir wollten einfach jeden Song so gut wie möglich schreiben und das Beste, was wir zu bieten haben, auf die Platte packen. Insofern ist „The Modern Times“ das Gegenteil eines Konzeptalbums.

ABRAMOWICZ werden oft mit dem „Boss“ verglichen, welchen Bezug habt ihr zu Bruce Springsteen, würdet ihr ihn als Inspiration nennen?

Springsteen ist als Songwriter und live einfach unglaublich. In den Themen, die er anspricht, finden wir uns wieder, von daher würde ich ihn definitiv als Inspirationsquelle nennen. Aber generell hören wir durchaus unterschiedliche Sachen. Die Musik, die wir machen, speist sich aus allen möglichen Genres. Da unsere Band demokratisch organisiert ist, gibt es also auch ganz andere Einflüsse, von CCR über BALTHAZAR bis hin zu Northern Soul, bei unseren Songs.

„The sign“ dreht sich um Freundschaft und blickt auch ein Stück nach vorne. Seht ihr euch in dreißig Jahren immer noch zusammen auf der Bühne?

„The sign“ ist eher ein klassisches Liebeslied. Es ist natürlich immer eine schwierige Nummer, da nicht zu cheesy daherzukommen. Aber am Ende kennen wir alle das Gefühl, verliebt zu sein. Dass der Song nach vorne blickt, ist auf jeden Fall richtig. Natürlich wäre es schön, in dreißig Jahren immer noch zusammen unterwegs zu sein, aber es gibt nur wenige Bands, die nach so langer Zeit noch abliefern. Wir haben keine Lust, nur mit halbem Herzen bei der Sache zu sein, dafür ist uns das alles zu wichtig.

„Queen of the night boats“ fällt aus dem Rahmen. Mich haben der Herzschlagrhythmus, der anschwellende Aufbau und der Sprechgesang sofort in den Bann gezogen. War der so geplant oder habt ihr einen Rock-Song skelettiert, weil er so einfach besser klang?

Die sehr gute Kneipe Titanic, in der wir oft nach den Aufnahmesessions saßen, hat so einen uralten Abzug eines River Boats auf der Toilette. Unter dem Bild steht „Queen of the Night Boats“, daher der Songtitel. Tatsächlich haben wir den Song in einer klassischen Rockversion gespielt und ihn dann nach und nach skelettiert. Das lag zum einen daran, dass wir einen Song auf der Platte wollten, der ein bisschen durchatmen lässt, auf der anderen Seite hat es sich einfach richtig angefühlt, dem Stück eine stetige Steigerung zu verpassen. Für mich ist das Lied das progressivste, das wir je geschrieben haben, und ich bin froh, dass wir uns getraut haben. Wir hatten viel Spaß, den „Herzschlagbeat“ aufzunehmen, sind zu später Stunde im Studio rumgelaufen und jeder durfte auf irgendetwas klopfen. Die Produzenten saßen in der Regie und haben irgendwann gesagt: „Was ist das? Das ist es!“ Ich weiß nicht mehr, auf was wir da getrommelt haben, in jedem Fall war das recht unkonventionell.

Welchen Bezug habt ihr zu Brooklyn, um dem Stadtteil sogar einen Song zu widmen?

Brooklyn ist für uns mehr Sehnsuchtsort als ein Stadtteil, zu dem wir einen besonderen Bezug haben. Ehrlich gesagt kam mir der Stadtteil in den Sinn, als ich ein Bier der Marke Brooklyn Lager trank. Ich habe mir vorgestellt, dass eine Beziehung in die Brüche geht, weil einer der beiden wegzieht. Heutzutage ist alles so schnelllebig, dass die Leute kaum mehr zwei Jahre an einem Ort bleiben, ohne dass es sie irgendwie wegzieht. Darum geht es in „Brooklyn“.

Muss gute Rockmusik tanzbar sein?

Wir sind alle im Molotow musikalisch sozialisiert worden. Die Partys dort sind darauf ausgelegt, dass die Leute zu Rocksongs tanzen, von daher haben wir jede Menge solcher Songs gehört. Ich würde nicht sagen, dass wir gezielt daran arbeiten, dass ein Stück tanzbar ist, das passiert einfach, wenn wir zusammen Musik machen. Ich habe viele Sachen ursprünglich auf der Akustikgitarre geschrieben und zu diesen Versionen kann man nicht tanzen. Wenn die Jungs aber dazukommen, verändert sich jeder Song. Viele mutieren dann zu tanzbaren Rocksongs, da haben wir alle Anteil dran.

Moderne Zeiten bedeuten für Bands heutzutage, dass man auf Social Media aktiv sein muss. Macht ihr das gerne oder ist das anstrengend und nervig, weil man eigentlich Musik machen will?

Wir sind keine Instagram-Hipster, Influencer, oder Leute, die stundenlang auf Social Media unterwegs sind. Wir schätzen die Kanäle, die wir zur Verfügung haben, aber am Ende ist es uns lieber, wenn mehr Leute zum Konzert kommen, als dass wir viele Likes für einen Post bekommen. Wir versuchen es bestmöglich zu nutzen, sind aber keine Profis. Es ist also gut, dass wir Leute in unserem Umfeld haben, die uns in den Arsch treten, wenn wir seit Wochen nichts gepostet haben.