Es gibt Millionen von Schallplatten. Aber es gibt nur wenige, von denen man gerne behaupten würde, man wäre dabei gewesen, als die Songs erstmals im Radio gespielt und der Menschheit vor den Latz geknallt wurden. „Please Please Me“ von den BEATLES ist so eine Platte. Das Debüt von Elvis. Oder „My Generation“ von THE WHO. Denn sie alle haben eines gemeinsam: Sie starteten etwas Neues. Etwas, das noch nie da gewesen war und das die Leute wahlweise geschockt oder entzückt haben muss, als es zum ersten Mal rausgelassen wurde. Und etwas Neues starteten 1976, genauer gesagt am 23. April, auch die RAMONES. Ihr Debütalbum stampfte alles, was vorher war, ein. Rammte es, wie es so schön im Volksmund heißt, ungespitzt in den Boden. Rücksichtslos. Das aus drei Akkorden bestehende Riff von „Blitzkrieg bop“. Die Kreissägen-Gitarre. Das von Joey Ramone rausgebrüllte „Hey ho, let’s go!“ – besser und radikaler hat in der Geschichte der Popmusik wahrscheinlich bis heute kein anderes Album begonnen. Wer „Ramones“ hört, der kann sich bildlich vorstellen, wie die Radio-DJs damals, in Zeiten von opulentem Prog, endlos dahin wabernden Psychedelic-Rock und belangloser Schlagerschrammelei, in schiere Panik verfallen sein müssen: „Verdammt! Ich komme hier nicht mehr raus. Das geht zu schnell!“ Auf dieser Platte jagt nämlich ein Hit den nächsten. Nach „Blitzkrieg bop“ kommt „Beat on the brat“ gefolgt von „Judy is a punk“ ... 14 Songs insgesamt. In 29 Minuten und drei Sekunden. Das Debüt der RAMONES war der erste Überschallflieger der Tonträgerindustrie.
Und dieses Album erfand auf einen Schlag den Punk. Da können die Leute von den SEX PISTOLS oder MC5 oder VELVET UNDERGROUND oder Iggy reden, wie sie wollen. Fakt ist: Punk klingt genau so – wie die RAMONES. Weil die RAMONES seitdem jede andere Band dieses Genres bewusst oder unbewusst beeinflusst hat. Zudem klingt es noch immer aktuell. Es hat vielleicht angesichts einer Musikwelt, die mittlerweile vieles gesehen hat, etwas von seinem Schockmoment verloren. Aber es hört sich so viel vitaler als 95% aller anderen Alben an, die damals herausgekommen sind und die längst Patina angesetzt haben. Ob es daran liegt, dass es für läppische 6.400 Dollar in wenigen Tagen eingespielt wurde und so überhaupt keine Möglichkeit bestand, etwas mit Nach- und Nach-Nachbearbeitung zu versaubeuteln? Vielleicht. Sicher ist: Es klingt immer noch so vital, weil die RAMONES es damals schafften, die große Welt in zwei Minuten zu erklären. Mit einer unglaublichen Gewalt. Und mit einer Ästhetik und Eingängigkeit, die sie bis zum Ende auszeichnen sollte und die beweist, diese Band bestand nicht aus Dilettanten. Diese Band hatte Pop verstanden.