Mein erster Kontakt mit NEW MODEL ARMY war 1986: Wir hatten gerade Kabelfernsehen bekommen und da tauchte ein Musikvideosender auf – nein, nicht MTV, sondern MusicBox aus UK. Da lief eines Tages „51st state“ und ich war begeistert: Den Text verstand ich auf Anhieb, ja es ist bis heute der einzige Songtext, den ich auswendig (mitsingen) kann. Klar kaufte ich das 1986er Album „The Ghost Of Cain“, das dritte Album der schon 1980 in Bradford von Justin Sullivan gegründeten Band. War das Punk? Für mich, für uns schon, obwohl wir spürten, dass hier einerseits die Wut und die Inhalte von Punk rüberkamen, aber musikalisch komplexer agiert wurde. Vor allem aber war es besser produziert als der Punkrock, den ich sonst kannte, und zu diesem Zeitpunkt mit Majordeal, und sowieso war ich, waren wir fasziniert, dass solche radikalen Texte und Inhalt versendet werden durften.
Ich wurde Fan. Und stieß im lokalen Plattenladen auf das 1984 erschienene Debütalbum „Vengeance“, erschienen auf dem britischen Indielabel Abstract Records, das damals über EFA vertrieben wurde, was eine flächendeckende Versorgung ermöglichte. Faszinierend war von Anfang an die Produktion des Albums: der blubbernde, markante Bass von Stuart Morrow begeistert mich bis heute, ebenso Rob Heatons stampfend-wuchtiges Schlagzeug mit einem Hang zu verspielten Wirbeln und teils fast schon militärischer Anmutung, und dann war da dieser „Slade the Leveller“ an Mikro und Gitarre – erst später kapierte ich das Pseudonym von Justin Sullivan. Nur acht Songs sind auf der Originalversion des Albums: „Christian militia“ ist der Opener, eine Abrechnung mit religiösem Fanatismus, die mich sofort abholte. „Notice me“ ballert wunderbar los, „Small town England“ brachte auch mein Leben in der schwäbischen Kleinstadt auf den Punkt, „A liberal education“ kam auf stolze 5:27, und dann auf Seite B das unfassbare „Vengeance“, das meine Wut auf die ungestraft gebliebenen Naziverbrecher wie Josef Mengele aus der Nachbarstadt Günzburg auf den Punkt brachte (später aber wegen einer angeblichen Tendenz zu Selbstjustiz kritisiert wurde), „Sex (The black angel)“ (kapierte ich damals nicht), das hymnische „Running in the rain“ und dann zum Schluss die Abrechnung mit dem von Thatcher-Regime forcierten Krieg im Südatlantik in Form von „Spirit of the Falklands“.
NEW MODEL ARMY hatten sowohl smarte wie wütende und doch konkrete Texte, die mich mehr abholten als so manch „typische“ Punkband damals. Das war durchdacht, nachvollziehbar und verständlich. Ab 1987 gab es dann eine „aufgebohrte“ Version der LP mit „Great expectations“ und „Waiting“, sowie eine erste CD-Version mit noch mehr Tracks – es war eine meiner ersten CDs überhaupt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #172 Februar/März 2024 und Joachim Hiller