40 Jahre später: BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS

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Dann macht es Bumm (LP, No Fun, 1981)

Nachdem die Hannoveraner Band 1980 mit ihrer Single „Jung kaputt spart Altersheime“ einen Szene-Hit veröffentlicht hatte, verließ kurze Zeit später Bassist Martin Fuchs aus „persönlichen Gründen“ die Band. Für ihn kam Martin Nungesser als Ersatz. 1981 spielten BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS ihre einzige LP ein, die wieder auf No Fun veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zur Single wirken die zwölf Songs in sich stimmiger. Sie sind aber doch wesentlich Post-Punk-lastiger und experimentierfreudiger, und auch Annette setzt die große Variationsbreite ihrer Stimme deutlich mehr ein als noch auf der ersten Single. Und auch das bunte Cover passt dazu – eben mehr „Hardcore Pop für Fortgeschrittene“, wie der Sound der Band auch bezeichnet wurde. So ist bei „Tiefseefisch“ deutlich die Vorliebe für THE CURE zu hören, bei „Teddyboy“ klingt es nach Rock’n’Roll, während „Motörrad“ fast schon wie ein Kinderlied anmutet. Und auch textlich setzten sie sich von anderen Hannoveraner Bands der damaligen Zeit wie BLITZKRIEG oder KLISCHEE ab. In „Spaß“ wird klar gefordert „Ich will meinen Spaß zurück“, während in „Ich will nicht älter werden“ eben die Angst vor dem Älterwerden mit Krankheiten und der befürchteten Lethargie besungen wird – wobei schon dreißig als alt betrachtet wird. Bei „Tagebuch“, in dem das lyrische Ich seinem Tagebuch das erste Mal mit einer Frau anvertraut, findet die Band nach einem fast schon sentimental anmutenden Anfang zu alten Pogo-Klängen zurück, ebenso wie bei „Manager“ oder dem letzten Song „Pogo liebt Dich“. Andere Stücke wie „Schweinekram“ oder „Fernet“ basieren auf Anettes persönlichem Erleben. Dass doch nicht alles so harmonisch war, beweist der Song „Egal“, wo es heißt: „Überall die gleiche Borniertheit, ob Punks, ob Hippies oder Spießer, alles nur Spielvermieser“. Und dass unter der auf den ersten Blick vielleicht bunten und charmanten Oberfläche des Albums auch böse Untiefen lauern, zeigt „Hab doch keine Angst“, wo das lyrische Ich zumindest sexuelle Nötigung erdulden muss. Alles in allem ein tolles Album, das 2015 von Gutfeeling neu aufgelegt wurde, aktuell ist auf Tapete die Werkschau „Endlich komplett betrunken“ erschienen. Auf BÄRCHEN UND DIE MILBUBIS wurde ich damals durch die kurzen Berichte in der Bravo und ihrem Auftritt in der Musiksendung „Bananas“ aufmerksam. Dass ich mir die Platte nicht gekauft habe, liegt einfach daran, dass ich mein knapp bemessenes Taschengeld für vermeintliche Neue Deutsche Welle-Bands – was BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS nie waren – nicht ausgegeben wollte, sondern lieber in „echte“ Punkbands investiert habe. Manchmal muss man eben doch älter werden, um die Qualität einer Platte zu erkennen.