30 Jahre später: THERAPY?

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Troublegum (LP, A&M, 1994)

„Die gibt’s noch?“ Das ist die vermutlich häufigste Frage im Zusammenhang mit THERAPY?, die mit „Troublegum“ den Höhepunkt ihrer Bekanntheit erreichten. Nach der ebenfalls reizvollen Frühphase, in der sie eine Mischung aus Noise und Industrial spielten und das Ganze durch Einflüsse aus dem aufkeimenden Techno anreicherten, ist das Album zunächst eine kleine Zäsur im Output des Trios, auch wenn die sich schon auf dem Vorgänger „Nurse“ andeutete. Denn auf „Troublegum“ gelingt THERAPY? der Spagat zwischen der Eingängigkeit des Mainstream-Punk und der Riffwucht des Metal. Die poppigen Gesangslinien der Singles „Nowhere“ und „Screamager“ treffen auf finsteres Riffing in „Hellbelly“ und „Trigger inside“. Und Titel wie „Unbeliever“ (mit Page Hamilton von HELMET als Gastgitarrist) bringen mit Zeilen wie „Don’t belong in this world or the next one“ schon fast Gothic-artigen Pathos ins Spiel. Dazu passend: das JOY DIVISION-Cover „Isolation“. Kombiniert mit den Teenage-Angst-Lyrics von Andy Cairns trifft das Album bei der adoleszenten Zielgruppe einen Nerv. Ängste und Frustrationen des Erwachsenwerdens sind jedoch nicht die einzigen Themen, denen sich Cairns widmet: „Femtex“ ist eine provokante-formulierte Abrechnung mit mackerigen Typen in der Musikszene – Incels dürfen sich auch dreißig Jahre später davon gern getriggert fühlen. Das damals noch nicht abgedroschene Genre des Alternative Rock erhält mit „Troublegum“ ein erstes leuchtendes Aushängeschild, auf das sich Punks, Metalheads und Indie-Kids einigen können. Die Band wiederum findet sich in den Charts, auf großen Festivalbühnen und bei MTV wieder. Ein plötzlicher Erfolg, der in den kommenden Jahren zum Ausstieg des Drummers Fyfe Ewing und zum zeitweise stark ausgeprägten Drogenkonsum Cairns’ beitragen soll. Bereits für das zwanzigjährige Jubiläum gab es ein aufgebohrtes Reissue – auf zwei CDs erhält man einen Überblick über die zahlreichen, zum Teil wirklich guten B-Seiten und einige Demos. Wer Vinyl bevorzugt, greift zum ebenfalls remasterten, 2021 erschienen LP-Reissue auf Music On Vinyl, das bezahlbar ist. Nach dem Erfolg von „Troublegum“ plant die Plattenfirma, die Iren zu einer europäischen Version von METALLICA aufzublasen, was freilich nicht gelingt und zum gemischt rezipierten Nachfolgealbum „Infernal Love“ führt. Jahrelange Probleme mit Labels sorgen für Frustration, die 1999 im großartigen Verweigerungsalbum „Suicide Pact, You First“ kanalisiert wird. In der Folge geht es für THERAPY? von großen Stadien zurück in kleinere Hallen. Und dort werden sie, dreißig Jahre später, im Herbst 2024 noch mal „Troublegum“ in Gänze aufführen.