30 Jahre später: LOLITAS

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My English Sucks (LP, Vielklang, 1992)

Manche Dinge verschwinden schnell im Nebel der Zeit. Die 2021 verstorbene Françoise Cactus wird der Pop-Welt für immer als Sängerin von STEREO TOTAL in Erinnerung bleiben. Was darüber langsam vergessen wird, ist die Tatsache, dass sie mit den LOLITAS in den Achtziger und Neunziger Jahren in West-Berlin eine sehr unterhaltsame Garage-Rock-Band am Start hatte. Wo Cactus mit Brezel Göring später auf quietschbunte Billo-Pop-Elemente setzte, ließen die LOLITAS mit einem ähnlichen Trash-Ansatz schrammelige Gitarren erklingen, kombiniert mit einem gehörigen Sixties-Yéyé-Touch, der durch Françoises Akzent gesetzt wurde. Die ersten Platten erschienen noch beim Hamburger Label What’s So Funny About, später wurden die LOLITAS eine Stammband auf Vielklang Records. Insgesamt war die Band eine recht internationale Angelegenheit, setzte sie sich doch zu einem Großteil aus Menschen mit französischem und italienischem Migrationshintergrund zusammen, die es alle irgendwann nach West-Berlin verschlagen hatte. Sechs Studioalben sind zwischen 1986 und der Auflösung 1992 entstanden, interessanterweise wurde bis heute keines neu aufgelegt. Eine kompakte LOLITAS-Box mit allen Alben wäre sicher einen Rerelease wert. Das letzte Werk, „My English Sucks“, fällt dabei etwas aus dem Rahmen. Das Album kann durchaus als Vermächtnis der Band gesehen werden und ist soundmäßig besser und knackiger produziert als die frühen Platten. Der Titel ist Programm, denn unter den 14 Tracks finden sich einige ältere LOLITAS-Titel, die mit englischen Lyrics neu eingesungen wurden. Aus dem wunderbaren „Bouche-baiser“ vom gleichnamigen 1990er Album wurde „Kissmouth“ und aus dem verträumten Punk-Pop-Smasher „Dans le jardin“ machte man kurzerhand „In the garden“. Darüber hinaus finden sich eine ganze Reihe von Coverversionen. Punkrock-Klassiker wie „Skulls“ von den MISFITS, „Black leather“ von den RUNAWAYS, aber eben auch „Crazy little thing called love“ von QUEEN oder „Strychnine“ von den SONICS zeigen, dass die LOLITAS eine große Vorliebe für verschiedenste Arten von Rockmusik hatten. Der sympathische Dilettantismus der frühen Jahre ließ sich im Laufe der Zeit nicht aufrechterhalten, wie Françoise einmal im Interview mit dem Renfield-Zine erzählte. „... weil ich die LOLITAS anfangs sehr gern mochte, als wir noch gar nicht spielen konnten ... Nachher haben die Jungs angefangen, so klassische Dinger spielen zu wollen, und dann interessierte mich das nicht mehr so richtig.“ Was dazu führte, dass sie mit Brezel Göring, der als der „Böhmische Elvis“ öfter im Vorprogramm der LOLITAS spielte, ein neues Projekt auf die Beine stellte: STEREO TOTAL. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.