HOLE bestanden damals aus dem Gitarristen Eric Erlandson, der mit Sängerin und Gitarristin Courtney Love das Songwriting übernahm, Bassistin Kristen Pfaff und Drummerin Patty Schemel. Die meisten werden nur Courtney Love kennen. Eine Frau, die mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Beziehung zum damaligen Grunge-Gott Kurt Cobain so stark polarisierte, dass sie jegliche berechtigte und unberechtigte Kritik magisch anzog. Bassistin Kristen Pfaff wurde nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von „Live Through This“ in ihrer Wohnung tot aufgefunden und Drummerin Patty Schemel war die erste Frau auf dem Cover des Drum World Magazine, beides beeindruckende Musikerinnen. Der Opener „Violet“, eine Anspielung auf die Kombi von Violence wie Gewalt und Violett als typische Mädchenfarbe, ist eine Kampfansage und „I wanna give the violet more violence“ ist genauso gemeint. Tatsächlich singt Courtney Love über ihre nicht ausbalancierte Ex-Beziehung mit Billy Corgan, dem Frontmann von SMASHING PUMPKINS, über die sie den Bogen zur Emanzipation schlägt. Das „little fishs“ bezieht sich auf die Sternzeichen von Cobain und Corgan, dessen astrologischer Geburtsstein der ebenfalls besungene Amethyst ist. In „Miss World“ kombinieren HOLE auch zwei Aspekte, die nicht zusammengehören, aber zusammenpassen. Die Welt als abstraktes Objekt, an dessen Fassade man sich berauschen und dessen (innere) Abgründe und Zerfall man gerne ignorieren kann. Gleiches gilt für die Teilnehmerinnen von Miss-Wahlen, die in Amerika schon damals krasser waren als bei uns in Europa. „Jennifer’s body“ geht schnell ins Ohr, der Text und dessen Bedeutung sind ultrabrutal. Der Song handelt von einer Frau, die entführt und von einem Mann in einer Kiste neben seinem Bett gefangen gehalten wird. Eventuell bezieht sich die Geschichte auf eine wahre Begebenheit, nämlich die Entführung von Colleen Stan im Jahr 1977, die nach sieben Jahren Gefangenschaft als Sexsklavin entkommen konnte. HOLE gaben an, die Zerstückelung der Frau als feministische Metapher dafür zu nehmen, dass Frauen in ihre Einzelteile zerlegt und wie Objekte behandelt werden. In diesem Album steckt verdammt viel Empowerment und aufrichtige Auseinandersetzung mit Zweifeln und Ängsten der Band selbst und der Generation, aus der HOLE stammen. Love war zur Zeit der Entstehung des Albums 29 Jahre alt. Beeindruckend, wenn man dieses reflektierte und wegweisende Album und diese schon damals bemerkenswerte Ausprägung des Grunge hört. Es hätte der Anfang von etwas Größerem sein können, im Vergleich zum Vorgänger „Pretty On The Inside“ legt die Band, neben der inhaltlichen Tiefe, nun auch deutlich mehr Wert auf nachhaltige Melodien und Hitpotenzial. Vollkommen zu Recht ein Klassiker der Rockmusik.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Nadine Schmidt