Einmal um die Welt bitte – das galt lange fast als garantiert für Musikgenres, die in den westlichen Industrienationen entstanden und sich dort kommerziell etabliert hatten. Dann ging es, globaler Marktmacht sei Dank, geschwind auf die anderen Kontinente. Wo sich Musiker:innen mit anderen musikalischen Erfahrungen Neues erschufen, regionale folkloristische Musik und neue Instrumente einbeziehend. Auf der Zeitleiste des Rock traf das für Psych und Prog in den Siebzigern noch zu. Von Lateinamerika über Afrika bis Asien wurde das gehört und verdaut. Doch bei Metal und Punk blieb der globale Süden für lange Zeit stumm, folkloristische Einflüsse tauchten nur dort auf, wo die Musik entstanden war. Also wurden im Metal vor allem keltische und skandinavische Musiktraditionen adaptiert, aber lateinamerikanische Bands ließen die Finger von ihren regionalen Musikstilen. Was auch für SEPULTURA galt, die 1993 von Brasilien in die USA zogen, um dort ihr neues Album zu produzieren. Vielleicht gab diese Distanz zum gewohnten kulturellen Umfeld den Ausschlag, auf dem neuen Album „Chaos A.D.“ tauchten nun jedenfalls Instrumente und Rhythmen aus dem brasilianischen Musikkosmos auf. Was hier kaum mehr als ein gelegentlich eingestreutes Gimmick war, wurde auf „Roots“ dann tiefer in die Musik eingearbeitet. In erster Linie die Rhythmen der Capoeira, inklusive des Berimbau (Instrument) und einiger Percussionparts und Gesängen der Xavante, brasilianischen Indigenen, die zurückgezogen in den Savannen südlich des Amazonas leben. Die Band verbrachte mit ihnen dort einige Tage und kehrte mit den Aufnahmen zurück. Da Indigene für die urbanen Brasilianer kaum weniger fremd sind als für Europäer, hatte das auch damals schon den Beigeschmack, sich mit dem Appeal des Exotischen zu schmücken, was vor allem aber auch am Marketing und der medialen Rezeption lag. Schaut, mit „echten wilden Indianern“. Dass es SEPULTURA aber ernsthaft um Verständnis und auch ein Hörbarmachen indigener Musik ging, kann man ihnen nicht absprechen. Zumal in Brasilien die indigenen Einflüsse zwar gerne betont werden, die Menschen dahinter aber weiter massive Diskriminierung und Marginalisierung erfahren. Im neuen Sound der Band paarte sich der Groove der afro-brasilianischen Capoeira mit heruntergestimmten Gitarrenriffs, die nun repetitver waren und nur noch gelegentlich erkennen ließen, dass diese Band ihre Ursprünge im Thrash und Death Metal hatte. „Roots“ war ein Gamechanger, der zeigte, dass lateinamerikanische Musik überzeugend in den Metal einzubringen war und man sich damit nicht hinter dem dominanten globalen Norden zu verstecken brauchte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Simon Brüggemann