25 Jahre später: FLIEHENDE STÜRME

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Hinter Masken (LP/CD, Sturmhöhe/ Suppenkazpers Noize Imperium, 1999)

Es hat schon was, in einer verschneiten Februarnacht mit „Trümmergemüt“ (schön: zweimal „ü“, wie bei HÜSKER DÜ) von FLIEHENDE STÜRME auf den Ohren, im Jahr 2001 mit CD-Walkman, unhandlich und schwer, dazu Kopfhörer mit einem Kabel, mit dem Rad durch die verschneite Karl-Marx-Allee von Friedrichshain nach Mitte zu fahren. Diese wirkt in der Kombi noch dystopischer als sonst. Was vorher geschah: Punk-Konzert im Supamolly mit neuem Kumpel, danach mit Bier in seiner WG zum Nachglühen. „Kennst du FLIEHENDE STÜRME und die BOXHAMSTERS?“ Ich: „Nee.“ Niemand vergisst den Moment, in dem eine oder in dem Fall gleich zwei neue, prägende, hochinteressante und eigenwillige Bands in die Geschmackssphäre reinscheppern und diese nie wieder verlassen werden. „Hinter Masken“ gehört in diesen Bereich. FLIEHENDE STÜRME, hervorgegangen aus CHAOS Z, gab es schon ein paar Jahre, aber das vierte Album ist ein Quantensprung und wird in meiner Band-Hitliste nur vom Nachfolger „Himmel steht still“ übertroffen. Die Mischung aus Punk mit Post-Punk, einem Schuss (Dark) Wave und in gewisser Weise Goth (mehr vom Feeling als von der Musik her) ist einzigartig und zieht bis heute ziemlich verschiedene Leute auf die Konzerte. Besonders hervorzuheben sind nach wie vor die Texte, die zwischen persönlichen Geschichten und Gefühlen über eine finstere Welt, in der wir leben, changieren. Direkt politisch sind sie selten, vor allem weniger als bei CHAOS Z, zuweilen lassen sich die meist düsteren Zeilen in diese Richtung lesen oder interpretieren. Damit unterscheidet sich die Band vom Deutschpunk besonders der früheren Zeiten, der sich mehr durch direkte Ansagen auszeichnet. FLIEHENDE STÜRME sind die einzige Band, die mit Bildern durchkommt, in denen sich – nur mal als Beispiel – Neonlicht auf dem regennassen Asphalt spiegelt. Wie machen die das beziehungsweise Andreas Löhr, Gründungsmitglied und Kopf der Band? Selbst ein Liebeslied mit straightem und relativ einfachem Text wie „Systemstörung“ wirkt in Verbindung mit der eher harten und kantigen Musik großartig. Damit hat die Band nicht nur einen Nerv getroffen, sondern ist auch einzigartig, zumindest im deutschsprachigen Bereich. Die kalte Nacht im Jahr 2001 endet zu Hause in Mitte, rein geht’s mit dem Rad in den unaufgeräumten Innenhof und die zugige alte Bruchbude (heute ist das ein Luxusbau mit Gated Community). Mit klammen Fingern noch mal die CD gestartet. Wohlige Wärme und Kälte zugleich. „Hinter Masken“ ist zeitlos, so gut wie gar nicht gealtert und passt ins finstere Heute fast noch besser als in die Release-Zeit der Jahrtausendwende.