Das Trio 22-PISTEPIRKKO stammt auf Utajärvi, einem kleinen finnischen Dorf nahe des Polarkreises. Ende der 70er Jahre begannen die beiden Brüder P-K (Gitarre und Gesang) und Asko Keränen (Bass, Orgel) zusammen mit ihrem Jugendfreund Espe (Schlagzeug) als RAMONES-Coverband, und später finden sie auch an Rock’n’Roll, Country und Blues Gefallen. Auf die Band aufmerksam wurde ich zum ersten Mal auf 22-P durch einen Freund, der mir „The Kings Of Hongkong“ (1987) vorspielte, ein ungeheuer trashiges Album. In den 90er Jahren verwenden 22-P dann auch Loops und Samples in ihrer Musik. Machen 22-P nun Blues, Indierock, Garagen-Rock’n’Roll oder Elektropop? Die neue Platte „Drops & Kicks“, aufgenommen in den schwedischen Grammofon-Studios, weist jedenfalls wieder in eine alte Richtung. Produziert wurde diese Scheibe von Studioinhaber Kalle Gustafsson, seines Zeichens auch Bassist bei THE SOUNDTRACKS OF OUR LIVES.
Im Info zum neuen Album „Drops & Kicks“ haben 22-P folgende Leitlinien für die Zukunft formuliert: „New songs should be naked, sparse, not too much notes. More feelings and good takes, less overdubs. Basic singing, drums, guitar, bass and organ. Solid vocal line and lyrics that we can identify with. So that, if needed, one can perform the song just by clapping your hands and singing. If a song really seems to need some sugar, it should have it. Learn to ask help and opinions. Don’t isolate yourself. It’s like eating your own tail, walking into the quicksand, stuck in a roundabout, when trying to do all things alone. Learn to enjoy more.“ Diese Regeln haben mich sehr beeindruckt und tauchen auch in dem folgenden Interview immer wieder auf. Ein Auftritt von TSOOL im Knust und einige Interviewtermine führten 22-P zu einem kurzen Besuch nach Hamburg. Was lag da näher, als sich am frühen Abend mit 22-P zu unterhalten?
Ihr habt heute Nachmittag ja schon einige Interviews gegeben, ist es denn nicht komisch, immer wieder auf dieselben Fragen zu antworten?
Espe: „Nein, durchaus nicht.“
P-K: „Wir geben unterschiedliche Antworten.“
Gibt es denn so was wie „frequently asked questions“?
Asko: „Was bedeutet Pistepirkko?“
Espe: „Warum hat eure Band so einen dummen Namen?“
Asko: „Ja, das ist ein Klassiker.“
Gibt es etwas in eurer Musik, was ihr als typisch für 22-P bezeichnen würdet?
Asko: „Also ich denke etwas sehr typisches ist der Gesang. Die Art, welche Stimme herauskommt. Und dann natürlich die Art, wie das Schlagzeug gespielt wird. “
Wie wichtig ist der 22-P-Sound beim Schreiben von neuen Songs? Ist es ein fester Bestandteil oder wäre es auch denkbar, den Stil komplett zu wechseln? Immerhin habt ihr 1996 mit „Zipcode“ ein reines Remixalbum veröffentlicht.
Espe: „Zuerst machen wir Musik und erst dann finden wir heraus, welches Schlagzeug passt oder welcher Gesang. Wir versuchen einfach Songs zu schreiben.“
Asko: „Erst dann kommen die passenden Arrangements. Wir sind nicht an etwas bestimmtes gebunden. Es ist kein Muss, dass ich an das Schlagzeug denke oder auch an den Gesang, wenn wir neue Songs schreiben.“
Wenn ich mir eure Discografie anschaue, dann gibt es einige Elemente, die immer wieder auftauchen. Einmal dieser typische Bo Diddley-Sound, dann diese ganz ruhigen Stücke und natürlich die schnellen, lauten Songs. In den 90er Jahren sind dann die Elektroeinflüsse, wie Sequencer, Samples, Computer etc. hinzugekommen. Beim Hören eures neuen Albums „Drops & Kicks“ fiel mir auf, vieles geht musikalisch wieder „back to the roots“.
Asko: „Ja, wir hatten bei mir zu Hause ein Treffen. Jeder hat gesagt, was für ihn das Beste an der Musik von 22-P ist. Was ist am wichtigsten? Und die grundsätzliche Antwort war bei allen: Wir wollen als Trio spielen. Es war offensichtlich, dass wir das Trio wieder ins Zentrum unser Aktivitäten rücken.“
Was bedeuten euch die alten 22-P Stücke heutzutage? Fühlt ihr euch wie eine Band, die ihre alten Hits spielt, oder haben die Songs auch noch eine weitere Bedeutung?
Asko: „Manchmal ist es ganz reizvoll für das Publikum, die alten Hits zu spielen. Ganz besonders, wenn du genau weißt, dass viele Menschen da sind, die auf einen alten Song warten. Es ist also schön für sie, wenn wir diese alten Songs spielen. Und für uns als Musiker ist es reizvoll, mit verschieden Variationen und Versionen von alten Songs aufzutreten. Diese Versionen lassen uns genug Raum, um zu improvisieren.“
P-K: „Von dem Song ‚Birdy‘ haben wir beispielsweise drei oder vier verschieden Versionen. Wir haben also eine größere Auswahl und können entscheiden, was passt in diesem Augenblick am besten.“
Es ist also nicht nur pure Nostalgie, es ist auch für den Moment bedeutsam ...
Asko: „Ich bin der Meinung, die Musik ist zeitlos, denn wir spielen nette, alte Songs. Alte Countrysongs, alte Bluessongs, alte Rock’n’Roll-Songs, aus den 50ern, aus den 40ern. Es ist in erster Linie davon abhängig, wie du sie spielst: Ist es Nostalgie oder für diesen Augenblick?“
P-K: „Wir versuchen etwas wiederzubeleben, was es einmal gab, so wie es einmal war. Denn auf lange Sicht betrachtet ist es das ein sehr interessanter Prozess.“
Espe: „Gerade wenn du ein neues Album veröffentlichst und neue Songs hast, dann ist es manchmal auch schön, wieder die alten Songs zu spielen. Zumindest in diesem Augenblick. Aus irgendeinem Grund beeinflussen die neuen Stücke auch wieder die alten Songs. Dann ist es wieder etwas anderes.“
Besonders ist mir das natürlich bei „Not so good at school“ aufgefallen. Ist es wirklich ein neues Stück oder habt ihr hier einen alten Song aus dem Hut gezaubert?
P-K: „Stimmt, der könnte auch von dem Album ‚Kings Of Hongkong‘ stammen.“
Asko: „Es kam einfach über uns. Ein ganz einfache Art Song, aber er hat was. Und dann kommt dieses Schulthema hinzu. Es ist ein sehr geschickter Song, der RAMONES-Einfluss und dann dazu diese witzige Geschichte ‚shaking the school‘. Und dann haben wir das Ganze mit dieser Melodie arrangiert, es klingt wie ein alter Western-Song.“
Ist „Not so good at school“ eine Art RAMONES-Tribute-Song?
Asko: „Eigentlich ist uns das egal. Es war ein wichtiger Einfluss, als wir begannen, denn es war der Grund, warum wir uns überhaupt gegründet haben, warum wir überhaupt in einer Band sind.“
Espe: „Es ist ja auch so, dass dieser RAMONES-mäßige Musikstil langsam ausstirbt. Deshalb ist es uns natürlich auch wichtig, ihn zu pflegen.“
THE OTHERS ist ein Bandprojekt von euch. Was macht ihr da genau?
Asko: „Die ersten OTHERS-Gigs gab es in den 80er Jahren in Helsinki. Aber dann haben wir es während der ‚Rally Of Love‘-Phase sozusagen reaktiviert. Es war Sommer, wir hatten nichts zu tun und wir waren glücklich, wieder was zu machen. Denn es war einer der Gründe, warum wir überhaupt damit angefangen haben, Musik zu machen. THE OTHERS haben ein in sich geschlossenes Auftreten. Da haben wir diese klassische Instrumentierung: Schlagzeug, Gitarre, Keyboards, und Bass. Aber 22-P ist ein offenes Konzept, ob akustische Gitarren, Violinen oder elektronische Quellen, alles ist willkommen. Es ist schön, dass THE OTHERS so einfach sind, so rau. Und dann ist es auch wieder schön, bei 22-P zu sein, ganz entspannt, du lässt die Zügel locker. THE OTHERS sind eine nette Sache und 22-P auch. Sie tragen beide zu unserem Wohlbefinden bei. Es ist schön, beides zu haben.“
Espe: „Wenn wir als THE OTHERS auftreten, dann passiert folgendes: Es ist nicht alles aufeinander abgestimmt, es ist wirklich primitiv, da gibt es keine Extras und keinen weiteren Kram. Wir klingen dann halt ganz einfach. Wenn wir einige OTHERS-Gigs gegeben haben, dann ist es schon so, dass wir nach einiger Zeit 22-P vermissen. Denn da hast du den Raum für die ganzen elektronischen Sachen.“
Asko: „Ich denke, diese beiden Dinge ergeben eine schöne Balance. Manchmal speisen THE OTHERS auch 22-P. Es ist die Rock’n’Roll-Essenz: primitiv, laut, einfach und rau. Manchmal, wenn du mit Synthesizern arbeitest, kannst du schon die Basis, also den Boden, auf dem du dich bewegst, verlieren. Und THE OTHERS geben dir einfach diese Wurzeln zurück.“
Auf eurer Homepage finden sich einige Statements aus eurer Anfangszeit. Wenn ich die mit denen im aktuellen Platteninfo vergleiche, dann stelle ich fest: sie unterscheiden sich nicht besonders voneinander. Sind grundlegende Regeln wie „lyrics that we can identify with“ wieder relevant geworden?
Asko: „Also ich könnte schon mit anderen Texten leben. Lass mich ein Beispiel anführen: Ich kann mich mit dem seltsamen Helden aus ‚Gimme some water‘ identifizieren. Aber eigentlich ist dieser Text, sind diese Zeilen totaler Unsinn. Aber ich kann mir diesen verrückten Typen vorstellen, der durch die Straßen läuft. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, aber es ist nur eine Phantasie. Beim Text von ‚X-(wo)man‘ hingegen gibt es eine ganz persönliche Beziehung, denn ich habe diese Trennungssituation und Scheidung durchgemacht. Diese Zeit des Zusammenbruchs kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich denke, dass wir aber nicht nur solche Erfahrungen verarbeiten.“
In dem Band-Manifest steht auch: „Isoliere dich nicht“. Warum ist euch das so wichtig? Gab es wirklich so ernste Situationen, in denen ihr euch isoliert habt?
Asko: „Wir haben uns früher zuviel um uns gekümmert, das war, als wir unsere Karriere in Utajärvi begannen. Da hieß es: Wir gegen den Rest der Welt. Es war keine normale Entscheidung, einfach zu sagen: Hey, wir werden Rock’n’Roll-Musiker. Es war eine Barriere gegen die Außenwelt. Nach dem wir dann 1982 den finnischen Rockmusikwettbewerb gewannen, waren plötzlich einige Leute sauer auf uns, und auf die Art, wie wir Musik machten. Da war es wieder für uns wichtig, eine Barriere um uns herum aufzubauen, wir gegen den Rest der Welt. Jetzt brauchen wir diese Barrieren nicht mehr, denn wir sind stark genug, und wir sind erwachsen. Und natürlich auch, weil uns die Leute jetzt mögen. Da musst du natürlich erst einmal hinkommen und realisieren: Hey, wir haben ein großartige Ausgangssituation. Wir sind nicht so kompliziert wie andere Leute. Wir mögen Teamwork. Wir haben einiges durchgemacht, denn das Leben ist nicht so schön wie es sein könnte. Deshalb steht es dort.“
Asko, wer die Plattencover von 22-P kennt, der hat auch deine Zeichnungen gesehen. Du zeichnest ja bereits seit deiner Jugend. Anfang des Jahres wurde erstmals ein Buch mit deinen Zeichnungen veröffentlicht. Das Buch trägt den Titel „Asko Keränen: Spacewalk In Kitchen“. Welche Bedeutung hat diese Veröffentlichung für dich?
Asko: „Ja, da war ein 22-P- und Kunst-Fan in Dänemark, der gerade sein erstes Buch veröffentlichte. Er kannte meine Zeichnungen und ich sagte ihm, dass ich gerne ein Buch veröffentlichte würde. Und alles, was er sagte war: Ja, lass es uns machen. Und das ist schön, denn ich liebe es zu zeichnen. Und jetzt ist es ein verlockender Gedanke, an eine Ausstellung zu denken. Mir gefällt die Idee, meine Zeichnungen anderen zu zeigen.“
Espe: „Ich erinnere mich, wie du damit angefangen hast. Es war ein wichtiger Schritt für dein Selbstbewusstsein. Du warst so verdammt schüchtern, was deine Zeichnungen betraf, und war es toll zu erleben, wie jemand kam und sagte: ‚Hey, deine Zeichnungen sind klasse, die will ich haben.‘ Ich denke, das Buch war ein richtiger Schritt, und ich mag die Zeichnungen auch. Zur selben Zeit realisierte Asko erstmals, dass er neben der Musik auch noch etwas anderes machen kann.“
P-K, angeblich planst du eine Soloplatte.
P-K: „Ich denke, jeder von uns hat noch etwas anderes neben der Musik, Asko hat seine Zeichnungen, Espe seine Extrapläne und ich meine Soloplatte. Alle diese Dinge stehen unter dem Motto ‚Isoliere dich nicht‘. Im Grunde ist es egal, in welchem Bereich du deine Kreativität entwickelst, 22-P wird davon profitieren. Es ist gut für jeden von uns und es ist gut für die Band. Jeder nutzt seine kreative Fähigkeiten anders und deshalb ist Kreativität wichtig.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Kay Wedel