20 Jahre später: WOHLSTANDSKINDER - Für Recht und Ordnung (Vitaminepillen/Rabauz, 1997)

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Vor zwanzig Jahren erschien ein Album, dem wir im Ox schon damals attestierten, „eine der besten deutschen Punkscheiben des Jahres ’97“ zu sein. Was nicht sonderlich schwer war: Deutschpunk bestand damals hauptsächlich aus steineschmeißenden Krawallbands, die versuchten, auf Samplern wie „Schlachtrufe BRD“ und „Haste mal ’ne Mark?“ ihren „Gründervätern“ nachzueifern, ihre Authentizität aber in plumpen Parolen, eingeengten Überzeugungen und nicht zuletzt im Suff verloren.

Was in den Siebzigern und Achtzigern zumindest noch provozierte, war in den Neunzigern längst wegdiskutiert und reflektiert. Auch innerhalb des Punk. Dieser stellte sich neu auf. Einige wenige hörten dann so was wie die TERRORGRUPPE, TAGTRAUM oder DRITTE WAHL und ein größerer Teil der Hörerschaft wandte sich von Deutschpunk komplett ab und trank sein Dosenbier zu LAGWAGON, NOFX und anderen Epitaph-, Burning Heart- und Fat Wreck-Bands. Immerhin waren die Texte auf Englisch egaler.

Was bei den einen ein Segen war, wäre bei WOHLSTANDSKINDER – zumindest auf ihren ersten beiden Scheiben – ein Fluch gewesen: Honolulu Silver singt mal humorvoll, mal zynisch, stets brillant formuliert, aber eben nie sprachbehindert oder dumm und bleibt dabei schnell und laut, aber immer verständlich. Parolen? Fehlanzeige! Da kommt beim Debüt „Für Recht und Ordnung“ einer noch vor dem Führerschein-Alter auf Ideen wie Ausflüge in die „Chaoskinderwelt“, die Sehnsüchte weckt, die jeder von uns hegt. Auch der „Choleriker“ spricht tiefer aus der Seele, als man sich selbst zugestehen will. Mit „Kleines Luder“ dachte ich anfangs, meine Eltern provozieren zu können – tat ich auch. Dann stellte ich zu meiner Begeisterung fest, dass es sich bei dem besungenen „Luder“ sogar um ein Utensil zur Inhalation von bewusstseinserweiternden Rauschmitteln handelt. Geil!

Und auch wenn die WOHLSTANDSKINDER die Lösung aller Probleme noch in der Zerstörung der Hierarchie gesehen haben und das etwas naiv klingt, haben die Dorfpunks trotz ihrer damals erst 17 Jahre mit „Was Freiheit ist“, „Gegenüber“ oder „Immer & ewig“ reflektierte Werke geschaffen, mit Texten, die sie zwanzig Jahre später wahrscheinlich noch genauso unterschreiben würden. Ich tue es, mache mir dazu ’ne Dose Bier auf und kann das Album sowohl auf der Party als auch auf dem Sofa hören.

Erschienen ist die Platte auf Vitaminepillen Records. Die brachten KNOCHENFABRIK, SCHROTTGRENZE und 1. MAI ’87 heraus, öffneten als Deutschpunklabel aber auch geographische Grenzen Richtung Niederlande (BAMBIX), Genregrenzen mit BITUME, den Stoner-Rockern des Deutschpunk, oder in pseudo-elitäre Gefilde wie bei TAGTRAUM, die nach Hardcore-Eskapaden in der Studentenpunkpfütze planschten (und sich dann glücklicherweise auflösten).

Und danach? Danach kam 1997 noch das nennenswerte „Popxapunk“-Album und nach der überflüssigen, aber akzeptablen EP „Die 90er waren zum Recyclen da“ von 1998 die Umbenennung in THE WOHLSTANDSKINDER und ein Haufen Abfall auf runden Scheiben, inklusive Majordeal. Vom Ziehen der Notbremse kann man bei der Auflösung 2006 nach dem Versuch, sich im damals noch einflussreichen Musikfernsehen zu etablieren, leider nicht mehr sprechen.

Übrigens: Den oben genannten Stumpfpunkbands verpasste die Band posthum noch einen Arschtritt: Nach der Auflösung presste die Band das längst vergriffene erste Album nach und hing noch die vier Songs der KINDAKACKE-Single „Untot macht hirnpolitisch“ von 2001 hintendran. Drei der plattesten Parolen („Scheiß Spießer“, „Scheiß Bullen“ und „Scheiß Kommerz“) wurden als Songtitel aufgegriffen und als Essenz des Projekts mit „Scheiß Scheiß“ ein vierter dazu erfunden. Vorsätzlich besoffen wurden die Songs unter dem Pseudonym KINDAKACKE aufgenommen, auf „Pillemann Records“ veröffentlicht und zum Vergnügen der Band ernstgenommen.

Abschließend möchte ich noch mal daran erinnern, dass es sich bei „Für Recht und Ordnung“ um das Debüt von vier 17-jährigen Dorfbengels handelt! Und ziehe meinen Hut. Das hier ist mehr als eine der besten deutschen Punkscheiben eines Jahres. Das hier ist eine der besten deutschen Punkscheiben der letzten zwanzig Jahre.