NAPALM DEATH aus Birmingham sind Musik gewordene Wut. Wut auf die politischen und ökonomischen Verhältnisse, was man auch dem Artwork ihres neuen Albums „Utilitarian“ ansieht, das unschwer erkennbar auf die Proteste anspielt, die seit Beginn der weltweiten Finanzkrise mit schöner Regelmäßigkeit ausbrechen und sich beispielsweise in der Occupy-Bewegung manifestiert haben. NAPALM DEATH sind aber mit ihrer bis Anfang der Achtziger zurückgehenden Geschichte auch Botschafter aus einer anderen Welt. Seinerzeit war noch Margaret Thatcher Premierministerin von Großbritannien, wurde auch deshalb „Eiserne Lady“ genannt, weil sie mit größtmöglicher Brutalität gegen streikende Arbeiter, militante Tierschützer und zugunsten der Finanzmärkte agierte. Anderen Bands fielen dazu eingängige Protestsongs ein, NAPALM DEATH hingegen waren in der Wahl der Waffen genauso wenig zimperlich wie die Iron Lady und kannten für ihren Extrem-Grindcore von Anfang an nur eine Leistungsstufe: 100%. Natürlich hatten auch NAPALM DEATH, deren dienstältestes Mitglied (seit 1987 dabei) Bassist Shane Embury ist (Sänger Mark „Barney“ Greenway ist seit 1989 im Einsatz), in den Neunzigern eine etwas schwächere Phase, aber seit vielen Jahren schon sind sie kontinuierlich der Beweis, dass man als Band auf seine alten Tage keinesfalls schlaffer werden muss. Im Gegenteil: NAPALM DEATH sind und bleiben genreprägend, setzen den Standard in Sachen kompromisslos harte Musik im Spannungsfeld zwischen Hardcore und Metal. Ich sprach mit Barney über seine vegane Lebensweise, über harte Musik und das neue Album.
Barney, wie geht es dir?
Mir schwirrt etwas der Kopf, weil ich seit zwei Wochen Interviews gebe und immer wieder die gleichen Fragen beantworten muss. Aber ich will mich nicht beklagen, mein Job ist besser, als wenn ich auf dem Bau arbeiten müsste, hahaha.
Ich werde mich bemühen, andere Frage zu stellen. Zum Beispiel zu deiner fleischfreien Lebensweise – als Vegetarier oder Veganer?
Ich würde mich irgendwo dazwischen einordnen. Ich esse eigentlich fast immer vegan, zu Hause sowieso. Das Problem sind die Touren, da esse ich, wenn es sich nicht vermeiden lässt, auch mal „nur“ vegetarisch. In Europa ist veganes Bandcatering eigentlich kein Problem, aber wenn man im Rest der Welt unterwegs ist, kann es manchmal schwierig werden, jeden Tag ausgewogene vegane Mahlzeiten zu bekommen. Zu Hause also lebe ich vegan, da kommen keine Milchprodukte auf den Tisch, doch auf Tour muss man da auch mal Abstriche machen. Das Problem ist einfach, dass unsere Auftritte Hochleistungssport sind, ich brauche einfach was Ordentliches im Magen, sonst stehe ich den Auftritt nicht durch – ich würde wohl einfach zusammenklappen.
Was muss auf den Teller kommen, damit du wie ein Berserker über die Bühne toben kannst?
Am wichtigsten sind Proteine, noch wichtiger als Vitamine und Mineralien. Ich achte sehr auf eine ausgewogene Ernährung, auf die Einhaltung der „Fünfmal am Tag Obst und Gemüse“-Regel. Ich mag das wirklich, ich mache das nicht aus reiner Notwendigkeit. Auf Kuhmilch zu verzichten bereitet mir keine Mühe, ich trinke lieber Reis- oder Hafermilch, da sind auch viele Vitamine drin. Aber für die körperliche Leistungsfähigkeit sind Proteine nötig, und da kann es manchmal schwierig werden. Ich bevorzuge da Sojaprotein – bekomme ich da nicht meine Dosis, fühle ich mich schlapp. Da ich versuche, meinen Sojakonsum nicht zu sehr ausufern zu lassen, vermeide ich Sojamilch weitgehend, aber in Burgern und so weiter ist das Standard und für mich okay.
Wieso hältst du es für wichtig, den Sojakonsum nicht zu übertreiben?
Soja enthält gewisse Mengen an Hormonen, die in bestimmten Mengen problematisch sein sollen, und deshalb will ich es nicht übertreiben. Und sowieso schmecken mir Reis- und Hafermilch besser, dazu haben sie den Vorteil, dass sie im Kaffee nicht gerinnen. Das kann bei Sojamilch sehr unschön aussehen ... Ich habe sonst keine Laster, aber ich bin kaffeesüchtig, das gebe ich zu. Und wie gesagt, meine Dosis an Proteinen hole ich mir mit Sojahack-Burgern oder Sojasteaks. Wenn ich die esse, merke ich geradezu, wie mich das pusht.
Solche Geschichten hört man auch von veganen Hochleistungssportlern. Machst du da auf der Bühne auch eine Art von Profisport?
Haha, lustig, dass du das erwähnst. Ich mache seit einer ganzen Weile schon Sport mit besonderer Berücksichtigung der kardiovaskulären Wirkung. Ich will nicht behaupten, dass meine Bühnenaktivität sich mit einem Halbmarathon oder gar Marathon vergleichen lässt, immerhin lässt mir die Band ja hier und da auch ein paar Sekunden Verschnaufpause. Es sind nur kurze Pausen, doch es sind immerhin Pausen. Aber es hilft auf jeden Fall, Ausdauersport zu betreiben, denn wenn du das nicht tust und dann auf Tour gehst, ein, zwei oder noch mehr Wochen jeden Abend auf der Bühne stehst, hältst du das bei dem, was NAPALM DEATH so treiben, echt nicht durch und du würdest dich jeden Abend wie Scheiße fühlen. Wenn man sich also einen Gefallen tun will, bereitet man sich gut vor. So viel Zeit muss man dafür gar nicht aufwenden, und auch ich lasse das manchmal schleifen, wie jetzt, da ich so viele Interviews gebe und so viel zu tun habe. Dabei habe ich sogar ein Trainingsgerät in meiner Wohnung stehen ...
Du bist mit Jahrgang 1969 jetzt Anfang 40. Bist du zufrieden mit deiner Fitness?
Ich fühle mich genauso gut, wenn nicht sogar besser als mit Anfang 20. Mein Body-Mass-Index ist auch okay, nachdem ich ein paar Jahre lang Gewicht zugelegt hatte. Jeder von uns hat so seine Phasen, mal ist man etwas fauler, dann wieder aktiver, und vor allem Stress ist ungesund. Wenn dich der Stress in seinen Fängen hat, hält er dich davon ab, das zu tun, was dir eigentlich guttun würde. Mir ist es egal, was andere von mir denken, etwa in Bezug auf mein Gewicht, wichtig ist mir nur, wie ich mich fühle. Und ich fühle mich eben nicht gut, wenn ich zu viel auf den Rippen habe. Da bin ich faul und müde, das ist einfach kein gutes Gefühl, und so kümmere ich mich um mich selbst.
So etwas lernt man erst mit den Jahren, oder? Du hast früher ordentlich Alkohol getrunken, wie man liest. Und erst das ganze dumme Geschwätz von „live fast, die young“ – Fakt ist, dass eine Menge Leute mit dummem Rock’n’Roll-Lifestyle früh ausgebrannt sind und oft jung sterben.
Der ganze so genannte Rock’n’Roll-Lifestyle, der immer wieder so glorifiziert wird, ist nur ein verdammter Mythos. Das macht alles keinen Sinn, das ist Quatsch, und wer denkt, er muss es in der Hinsicht besonders toll treiben, der muss später dafür bezahlen und leiden. Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht genussfeindlich, ich mag Bier, aber auch nicht die massenproduzierte Plörre, die schmeckt wie Pisse. Aber gegen ein schönes, handwerklich gebrautes Pilsener habe ich nichts einzuwenden. In Deutschland, aber auch in Tschechien und auch in Russland gibt es wirklich gute Biere kleiner Brauereien. Ich will damit sagen, dass ich früher zwar durchaus meinem Konsumverhalten nach straight edge war, aber die Militanz, mit der Straight Edge vielfach vertreten war, habe ich gehasst. Wie da auf Menschen herabgeschaut wurde, die Alkohol tranken, das war unerträglich. Jeder hat das Recht, seinen Lebensstil frei zu wählen. Und wenn jemand meint, er müsse den vermeintlichen Rock’n’Roll-Lifestyle durchziehen, schön, soll er es tun, aber nicht glauben, dass ihn das zu einem besseren Menschen oder so macht. Wenn du willst, zieh das durch, lebe den Mythos, aber verschließe nicht die Augen vor den Konsequenzen.
Mit 43 hast du da leicht reden, wer 25 ist und soooo viel Spaß mit seiner Band hat, der will so eine Moralpredigt sicher nicht hören.
Vielleicht nicht, doch viele Menschen sind ja auch durchaus vernünftig. Jeder muss seinen Weg finden, Verallgemeinerungen machen keinen Sinn. Ich will einfach nur sagen, dass jemand, der 15 Gläser Bier trinken kann, dadurch nicht zu einem coolen Typen wird. Vor allem dann nicht, wenn du am nächsten Tag dann noch ohne Kater aufstehen kannst. Das ist kein Grund zur Freude, sondern zur Sorge, denn Alkohol ist ein Gift, vor allem im Übermaß. Und Leber und Niere kommen nur mit einer begrenzten Menge davon klar. Leider erkennen nicht alle Menschen die Grenzen, die ihnen ihr Körper setzt.
Genauso schwer wie mit solchen Menschen tue ich mich aber auch mit so manchem Extrem-Veganer, der sogar schon „Nur-Vegetarier“ als Mörder beschimpft.
Mit solchen Leuten habe ich auch schon meine Erfahrungen gemacht. Vor Jahren etwa tauchte bei einem Konzert in Salt Lake City in Utah eine vegane Gang auf, die eine Prügelei anfing. Die fühlten sich durch ihre Lebensweise allen anderen so überlegen, dass sie daraus das Recht darauf ableiteten. Die fühlten sich wegen ihres Lebensstils als bessere Menschen, doch so eine Attitüde geht völlig am eigentlichen Anliegen vorbei. Das hat für mich sogar was von der Propaganda der angeblichen Überlegenheit der arischen Rasse. So ein Verhalten, so ein Denken finde ich umso schlimmer, als ich im Grunde mit der Einstellung dieser Menschen ja übereinstimme, also dass ich Veganismus für richtig halte und auch ich denke, dass man McDonald’s kritisieren muss. Aber die Menschen körperlich angreifen, die Kunden von McDonald’s sind? Das schießt vollkommen am Ziel vorbei, da erreicht man das Gegenteil. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, worum es unter einem Stichwort wie „Animal Welfare“ eigentlich geht: Um gleiche Rechte für alle Lebewesen. Und die erreicht man nicht durch Gewalt gegen Menschen, die etwa Kunden einer bestimmten Restaurantkette sind. Die werden nicht deine Argumente anerkennen, sondern die gegen sie ausgeübte Gewalt mit dem Gedanken von „Animal Welfare“ gleichsetzen: „Wenn der Kampf für Tierrechte so aussieht, will ich damit nichts zu tun haben!“. Das ist also komplett kontraproduktiv. Und das gilt für alle Arten von Widerstandshandlungen: Greif das System an, nicht die Menschen.
Du bist in den Achtzigern musikalisch sozialisiert worden, wurdest als Teenager Vegetarier und Ende der Achtziger dann Sänger von NAPALM DEATH. Nun war speziell die englische Anarcho- und Peace-Punk-Szene der Achtziger der Ausgangspunkt für die Verbindung von Vegetarismus und Veganismus mit harter, lauter Musik von Punk über Hardcore bis hin zu extremem Metal, es war die Zeit, als viele Menschen aus diesem subkulturellen Kontext für Tierrechte aktiv wurden und sich beispielsweise bei der bisweilen aggressiv vorgehenden Animal Liberation Front/ALF engagierten. Welche Erinnerung hast du an diese Jahre?
Ich wurde mit 14 Vegetarier, da ging ich noch brav zur Schule und hatte mit Punk und Hardcore nichts zu tun. Ich hatte damals in der Schule einen Film über einen Schlachthof gesehen, und das brachte mich zum Nachdenken. Damals waren die Schulen in England noch richtig gut, das selbständige Denken der Kinder und Jugendlichen sollte gefördert werden, und so wurden eben auch dieser Film gezeigt. Da konnte man nicht jedes Detail sehen, aber ich sah genug, um mich davon zu überzeugen, dass ich mit dem Fleischessen nichts mehr zu tun haben will. Später dann kam ich zur Hardcore-Szene, und mich sprach an der nicht nur das Eintreten für Tierrechte an, sondern auch das Einstehen für soziale Gerechtigkeit. Beide Aspekte gehen meiner Meinung nach Hand in Hand, die Forderung nach „Equality“, nach Gleichheit umfasst beides. Und was nun die ALF betrifft, so war ich auch hier und da involviert, und ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich die Direkte Aktion etwa in Form von Sabotage unterstütze, was für mich aber Angriffe auf Menschen explizit ausschließt. Es gibt da natürliche Konfliktsituationen, etwa bei Aktionen gegen die Fuchsjagd, was damals in England noch ein großes Thema war. Wenn man sich da zwischen Jäger und Fuchs wirft, ist das natürlich eine Art von Angriff, aber aus der Situation heraus. Das ist etwas ganz anderes, als einen direkten Angriff auf eine Person zu planen. Und wie ich schon sagte, bewusst Menschen anzugreifen, damit erreicht man nichts. Gewalt gegen Menschen, um Gewalt zu beenden, das ist für mich ein großer Widerspruch.
Worin siehst du die Verbindung zwischen Punk, Hardcore und Artverwandtem und der vegetarischen beziehungsweise veganen Idee? Wir machen immer wieder die Feststellung, dass vegetarisch und vegan lebende Menschen außerhalb dieser Szene über diese – für uns so logisch und normal erscheinende – Verbindung sehr verblüfft sind. Und dazu kommt dann noch ein nicht gerade positiv klingender Bandname wie NAPALM DEATH ...
Diese Kombination aus positiver Attitüde und dem Auftreten der Bands ist ein Paradoxon, und mir gefällt das. Ich kann nichts Negatives daran entdecken. Widersprüche machen den Menschen allerdings Angst, und nicht alle Widersprüche sind schön. Aber es gibt welche, die nette Charakterzüge sind, und die mag ich. Im Falle von NAPALM DEATH besteht das Paradoxon aus der brutalen Natur der Musik, die wirkt wie ein gewalttätiger Angriff, und unserer Botschaft, die Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Antimilitarismus, Gleichberechtigung und ähnliche Themen beinhaltet, sowie meinem Lebensstil. Mir ist klar, dass nicht jeder dieses Paradoxon durchschaut, vor allem Menschen, die sich nicht im Detail mit unserer Musik und unseren Texten beschäftigen. Das ist normal, denn es gibt ja auch Lebensbereiche, die dir und mir völlig fremd sind.
Damit wären wir bei eurem neuen Album angelangt, und das ist wirklich extrem hart geworden. Was habt ihr angestellt – und wie habt ihr das angestellt?
Es ist schön, wenn man mir das sagt, aber Musikmachen ist für mich wie Fahrradfahren, da denkt man nicht drüber nach, was man da tut, es ist ganz normal, das zu tun. Das klingt jetzt hoffentlich nicht eingebildet, denn wir machen nur das, was wir lieben, und dass unser Tun als so aggressiv wahrgenommen wird, das analysieren wir nicht.
Dann will ich dich auch nicht dazu zwingen. Der beeindruckendste Song ist für mich „Everday pox“, denn durch das Saxophonspiel des Avantgarde-Jazzmusikers John Zorn, der schon seit den Achtzigern nicht nur auf den eigenen, sondern auch auf vielen Indie- und Punk-Platten zu hören ist, gewinnt es noch an Schärfe. Wie habt ihr zusammengefunden?
Die Beziehung von NAPALM DEATH und John Zorn geht ja zurück bis in die Zeit des zweiten Albums „From Enslavement To Obliteration“ von 1988. Er mag die Band, er hat uns unterstützt, und er war ein früher Einfluss. Er schätzt auch Bands wie SEPTIC DEATH, NEGATIVE APPROACH oder AGNOSTIC FRONT, die wiederum NAPALM DEATH beeinflusst haben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang aber auch Noise-Bands wie WHITEHOUSE und MELT-BANANA, John kennt solche Bands, arbeitet mit ihnen zusammen, und so ist auch die Verbindung von NAPALM DEATH und John Zorn eine ganz natürliche. Wir hatten den Song „Everyday pox“ geschrieben, und Shane, unser Bassist, meinte nur, er denke, da würde Johns Saxophon perfekt passen. Und so fragten wir ihn. Das hat also nichts mit dem Namedropping zu tun, das manche Bands betreiben, um dann in ihrem Presseinfo mit möglichst großen Namen beeindrucken zu können. Wir haben gerne Gäste dabei, aber wenn wir das Gefühl haben, dass ein Album keine Gäste braucht, dann gibt es keine. Doch wenn wir den Eindruck haben, ein Lied passe besser zu einem anderen Sänger, dann fragen wir den. Und nachdem Shane die Idee mit John ausgesprochen hatte, fragten wir den direkt, und zwei Tage später hatten wir die Audiodatei mit seinem Saxophonpart.
Auf eure alten Tage scheint ihr mit NAPALM DEATH eher härter als softer zu werden. Wie kommt’s?
Wir denken bei NAPALM DEATH nicht groß darüber nach, was wir da tun. Spontaneität ist ein ganz wichtiges Element unseres Tuns, ohne die wäre es eine andere Band. Ich will andere Bands jetzt nicht runtermachen, aber mich stört an vielen modernen Bands, die extrem sein wollen, wie poliert und clean ihr Sound ist. Da fehlen die Ecken und Kanten, daran kann ich nichts Konfrontatives, Extremes mehr erkennen, ja, mir fehlt die Vitalität. Solche Musik klingt wie mit dem Computer geschrieben, und oft genug trifft das ja auch zu. Ich kann daran nichts Positives erkennen. Musik muss Seele haben, und vielen Bands, die sich als extrem ansehen, fehlt, so ist zumindest mein Eindruck, diese Seele. Deshalb also versuchen wir, uns diese Spontaneität zu bewahren. Und außerdem muss man Spaß haben an dem, was man tut. Sollte es eines Tages dazu kommen, dass mein Verlangen nach Konzerten oder Aufnahmen mit NAPALM DEATH auf unter 50% sinkt, bin ich raus. Ich könnte nicht erkennen, was es mir bringt, an etwas festzuhalten, wenn ich nicht 100% geben kann, denn das zeichnet NAPALM DEATH aus. Ich und die anderen verspüren also bis heute den Drang, das zu tun, was wir da tun. Und letztlich kommt bei unserem Tun immer so was heraus, wie man es etwa auf dem neuen Album finden kann.
Ich finde, das hört man. Das Problem ist allerdings, dass eure Platten und Konzerte immer so markant und extrem sind, dass einem die meisten anderen Bands danach ganz schlapp vorkommen. Da steht man auf dem Konzert und denkt sich „Na ja, ganz okay, aber NAPALM DEATH sind besser.“
Ach, jetzt machst du mich aber verlegen. Was soll ich dazu sagen? Es gibt wirklich einige gute, intensive Bands da draußen. CONVERGE sind großartig, oder TRAP THEM, deren letztes Album, „Darker Handcraft“, hat mich echt erwischt. Auch RETOX sind richtig gut, die liebe ich. Es gibt echt ein paar richtig intensive Bands da draußen, die zwar das Rad nicht neu erfinden, aber darum geht es ja auch nicht: Sei spontan, und schreib gute Songs, denn das ist auch bei extremer Musik wichtig. Wenn du willst, dass jemand deine Platte auch ein zweites, drittes, viertes Mal anhört, musst du gute Songs schreiben!
Euer Album trägt den Titel „Utilitarian“ und nimmt damit Bezug auf das philosophische Konzept des Utilitarismus. Bei Wikipedia wird das wie folgt beschrieben: „Der Utilitarismus (Latein utilitas, Nutzen, Vorteil) ist eine Form der teleologischen Ethik, welche in verschiedenen Varianten auftritt. Neben der Ethik ist er auch in der Sozialphilosophie und den Wirtschaftswissenschaften von Bedeutung. Grundlage für die ethische Bewertung einer Handlung ist das Nützlichkeitsprinzip. Den Kern des Utilitarismus kann man in der Forderung zusammenfassen: ,Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!‘ (Prinzip des maximalen Glücks bzw. engl. maximum-happiness principle). Dabei ergibt sich das allgemeine Glück aus der Aggregation des Glücks der einzelnen Individuen.“
Wie zu jeder philosophischen Theorie lassen sich auch hier hundert verschiedene Interpretationen finden. Der interessante Aspekt am Utilitarismus ist jedoch, dass er Anhänger in den verschiedensten Lagern hat, gerade auch unter Philanthropen, also unter Menschen, die Menschenrechte wirklich ernst nehmen. Auch Peter Singer, der das Buch „Animal Liberation“ geschrieben hat, ist Utilitarist. Auf der anderen Seite des Spektrums zählen aber auch Menschen zu den „Utilitarians“, die für Anhäufung von wirtschaftlicher wie politischer Macht um jeden Preis sind, wenn das dem Prinzip des Erlangens von Glück dient. Aber die Definition von Glück, der Weg zum Erreichen des Glücks, ist eben subjektiv ...
Der Begriff des „Strebens nach Glück“ findet sich im Satz „Life, liberty and the pursuit of happiness“ an zentraler Stelle in der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ...
Exakt, und das bedeutet eben auch, dass jemand so viel Geld, Besitz und Macht anhäufen darf, wie er will, auch auf Kosten anderer. Und spätestens an der Stelle merkt man, dass der Utilitarismus eine auch durchaus seltsame Philosophie ist. Ich würde mich nicht auf die Straße stellen und behaupten, ich sei Utilitarist. Vielmehr dient mir das philosophische Konzept als „Spielplatz“, auf dem ich mich mit dem Album thematisch austoben kann. Ich spiele mit Worten, mit Themen, mit Theorien. Und ich sehe durchaus Parallelen zwischen dem Utilitarismus und meinem Leben. Ich versuche zu ergründen, was für Auswirkungen mein Handeln auf das Leben anderer hat. Wenn ich denke, dass die Auswirkungen negativ sind, versuche ich mein Handeln zu unterlassen. Etwas, dass alle Menschen kennen, ganz gleich, welche Meinungen sie vertreten, sind Selbstzweifel. Die hat man immer dann, wenn man das Resultat seines Handelns nicht gleich überblicken kann. Wenn man nun versucht, ein ethisch befriedigendes Leben zu führen, muss man versuchen, eine Perspektive zu entwickeln, darf nicht gleich ungeduldig und zu zweifeln beginnen, wenn man die Resultate seines Handelns nicht sofort überblickt. Das ist insbesondere der Fall, wenn man versucht, ein unter ethischen Aspekten gutes Leben zu führen: Die Ergebnisse stellen sich oft nur sehr langsam ein. Man hat also Zweifel, fragt sich, warum man sich die Mühe macht, so zu leben, so viele Kleinigkeiten zu beachten, und nicht einfach durchs Leben geht, ohne rechts und links zu blicken, wie alle anderen auch. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man hartnäckig bleiben muss, denn bereits sich selbst treu zu bleiben, ist die niedrigste Stufe von Widerstand und Protest, die man ausüben kann. Tut man das nicht, bleibt ein Vakuum zurück, ein Loch, und das fühlt sich sehr schnell mit all dem, was man eigentlich kritisiert und zurückweist, ja, man gibt den Institutionen, die man eigentlich bekämpft, mehr Macht, das Leben aller noch schlechter zu machen. Deshalb: Durchhalten! Die Welt braucht einfach einen gewissen Prozentsatz von Menschen, die sich engagieren! Andernfalls wären die Folgen desaströs.
Wie bildest du dich, wie hast du dich gebildet? Hast du mal studiert oder war das Leben dein Lehrmeister?
Ich hätte die schulischen Voraussetzungen gehabt zu studieren, aber meine Eltern konnten sich das nicht leisten. Damals gab es keine staatliche Unterstützung, und in der Familie hatte auch niemand Geld. Und so beziehe ich mein Wissen aus der Beobachtung der Welt um mich herum. Dazu kommt, dass ich ein Informationsjunkie bin. Ich nehme alle Arten von Informationen auf, sogar vieles, das ich abstoßend finde. Ich finde es wichtig, auch über Themen Bescheid zu wissen, die man inhaltlich ablehnt. Da ist es natürlich wichtig, einen guten „Bullshit-Filter“ zu haben, haha. Ich lese ständig, ich liebe Bücher, hier liegen überall welche, über alle möglichen Themen, ich kann einfach nicht aufhören. Meiner Meinung nach ist das Selbststudium immer noch eine der effektivsten Formen der Bildung. Und so schwer ist das nicht, man muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Barney, besten Dank für deine Zeit.
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