NAPALM DEATH

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Gammelfleisch

Mit „Apex Predator – Easy Meat“ haben die 1981 gegründeten NAPALM DEATH einen beeindruckenden, starken Nachfolger ihres „Utilitarian“-Albums von 2012 aufgenommen. Die Band, deren frühe Phase von vielen Besetzungswechseln geprägt war, spielt mittlerweile seit über zwanzig Jahren im gleichen Line-up, bestehend aus Shane Embury (Bass), Mark „Barney“ Greenway (Vocals), Mitch Harris (Gitarre) und Danny Herrera (Drums), und ist live eine der beeindruckendsten Bands, die ich je erlebt habe. Metal, Hardcore, Grind, sie haben von allem was und gefallen nur Menschen nicht, die Extreme nicht mögen. Barney beantwortete meine Fragen.

Barney, das Thema Sweatshops und Ausbeutung ist das zentrale Thema eures neuen Albums. Wie kam es dazu?


Den Anlass für das Thema gab die Katastrophe in Bangladesh, als dort der Rana Plaza-Gebäudekomplex einstürzte. Es dauert immer eine ganze Weile, bis ich eine Idee für ein Album entwickelt habe. Viele Themen kommen hoch, werden durchgespielt und wieder verworfen, bis eines steht. Die Rana Plaza-Katastrophe war dann ein Thema, bei dem ich wusste, dass es passt. Das Ganze war so eine Farce, denn angesichts der Größe der Katastrophe war die Berichterstattung darüber sehr mager. Wenn man sich mal andere Tragödien anschaut, bei denen weniger Menschen ums Leben kamen, dann war die Medienpräsenz des Ereignisses minimal. Ich wollte dem etwas entgegensetzen und einige der Aspekte des Themas in den Vordergrund rücken.

Viele Bands, die etwas zu sagen haben wollen, gehen die inhaltliche Arbeit an ihrem Album schon beinahe journalistisch an. Um gute Texte zu schreiben, muss man eine Menge recherchieren.

Ja, das stimmt, das ist eine Menge Arbeit. Man darf aber nie die Gefühle außer acht lassen, denn die sind maßgeblich. Man muss also Emotionen ins Spiel bringen, sich in die Menschen hineinversetzen, auch wenn man natürlich nicht in deren Situation sein will. Es geht also nicht einfach um das Aufzählen harter, kalter Fakten, denn man ist Teil einer Band, will und muss kreativ sein und muss Gefühle ins Spiel bringen. Gleichzeitig muss man darauf achten, nichts Falsches zu erzählen, sich an die Fakten halten.

Wie siehst du nach deiner Beschäftigung mit dem Thema die Rolle der Unternehmen und die der Verbraucher?

Mich beschäftigt das schon seit Jahren, und ich bin zum Schluss gekommen, dass sich zuerst die Konzerne ändern müssen, nicht die Verbraucher. Die Textilfabrikanten, aber auch die Hersteller anderer Verbrauchsgüter, sind es, die die Trends setzen und die Maßstäbe festlegen. Die müssen sich ändern, denn sie sind es, die uns konditionieren, die uns weismachen, dass wir immer mehr billige Kleidung und billiges Essen brauchen und so viel elektronischen Schnickschnack, dass wir nicht mehr wissen, wohin damit.

Du bist also der Meinung, der Wandel muss von oben her kommen und liegt weniger in den Händen der Verbraucher und ihrer Nachfrage?

Beides ist nötig, aber wenn sich die Frage stellt, was zuerst passieren muss, dann habe ich die beantwortet. Es ist bei diesem Thema eben wie bei vielen anderen auch: Jene, die Macht und Einfluss haben, haben auch die Macht, für Veränderung zu sorgen. Die müssen den ersten Schritt tun, denn sie kennen die Situation ja sehr genau. Die wissen, was läuft, dass die Arbeitsstandards lächerlich niedrig sind, dass sie mit ihrem Verhalten unberührte Natur in völlig zerstörte Ödnis verwandeln. Wenn man sich nur mal anschaut, wo die Seltenen Erden und Mineralien herkommen, die man für die Herstellung von Smartphones braucht, dann stellt man fest, dass dafür riesige Flächen in ein schlammiges, vergiftetes Niemandsland verwandelt werden. Dass ich sage, dass die Firmen sich ändern müssen, heißt freilich nicht, dass ich mir nicht darüber im Klaren wäre, wie ich mein eigenes Konsumverhalten ändern kann. Ich weiß schon, wo ich kaufe und wo nicht. Und was mein Telefon betrifft: ich habe mir, nachdem mein altes Telefon den Geist aufgegeben hatte, ein Fairphone gekauft. Ich will mir jetzt keinen Heiligenschein aufsetzen, aber jeder von uns kann sich jeden Tag neu entscheiden, es gibt Alternativen. Man kann Menschen und Firmen unterstützen, deren Handlungen nicht nur zu ihrem eigenen Nutzen sind.

Du weißt das, ich weiß das – und mit den Medien, mit denen wir diese traurige Wahrheit verkünden, tragen wir selbst noch zur Zerstörung bei.

Nichts ist perfekt – auch nicht mein Fairphone. Manche Bestandteile, und das gibt der Hersteller offen zu, lassen sich unter den aktuellen Marktbedingungen gar nicht in einer fairen Variante beschaffen. Aber was haben wir für Alternativen, als es dennoch zu versuchen? Wir sind ja beide nicht naiv genug zu glauben, wir lebten in einem alternativen Utopia. Wir sind Teil des Ganzen, aber wir können zumindest versuchen, von innen heraus etwas zu verändern. Und wer anderer Meinung ist, der muss sich fragen lassen, was er denn für Ideen hat. Wir haben begrenzte Mittel und begrenzten Einfluss, und den müssen wir nutzen. Und korrigiere mich, falls ich daneben liegen sollte, aber ich denke, jene, die an der Macht sind, die Einfluss haben und über die Ressourcen verfügen, müssen heutzutage mehr darauf achten, was sie tun. Sie wissen, dass ihr Handeln unter Beobachtung steht, mehr als vor zehn oder vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig versuchen sie, sich unantastbar zu machen, weil sie wissen, dass sie sich zunehmend für ihr Handeln werden verantworten müssen.

Ihr tourt in der ganzen Welt. Nimmst du Unterschiede wahr, was die Beurteilung der Notwendigkeit von Veränderungen betrifft?

Auf jeden Fall, aber ich würde das nicht an verschiedenen Ländern festmachen, sondern ganz allgemein ist das Bewusstsein für die angesprochenen Themen gewachsen. Wir haben noch nie ein Geheimnis aus unseren Einstellungen gemacht, wir haben schon immer ausgesprochen, was unserer Meinung nach gesagt werden muss, und das werden wir auch weiterhin so handhaben – und die Leute wissen das. Unterschiede, was das Bewusstsein für solche Themen betrifft, habe ich nur in Ländern wahrgenommen, in denen die Menschen wirtschaftlich so unter Druck stehen, dass sie mehr mit dem Überleben beschäftigt sind als mit irgendwas anderem. Wer nicht weiß, was er essen soll, hat eben andere Sorgen.

Als vegan lebender Mensch fällt es einem schwer, sich das Cover eures Album anzuschauen: gammliges Fleisch in einer „Frischhalteverpackung“ – da dreht sich mir der Magen um. Was hat es damit auf sich?

Ich bin ja auch Veganer, und ich mag das Paradoxe, das Spiel mit Worten und Bildern. Und so greife ich aus künstlerischen Gründen oft zu Worten, Themen und Bildern, die im Grunde meiner Einstellung widersprechen, aber sich eben, im Falle von Worten, sehr gut in Wortspielen verwenden lassen.

Und was hat es ganz konkret mit dem Foto auf sich? Was steckt in dieser Verpackung?

Zunächst: an diesem Foto ist nichts manipuliert, es ist echt. Es stammt vom dänischen Künstler Frode Sylthe, der auch schon das Artwork für „Utilitarian“ gemacht hat. Er hat sich einfach eine verfallene Packung Fleisch besorgt und diese dann noch drei Wochen in den Keller gelegt. Dann hat er die Packung fotografiert, und wie er sagt, musste er dabei eine Gasmaske tragen. Der Gestank muss furchtbar gewesen sein. Was immer da genau drin war in der Packung – keine Ahnung. Eigentlich hatten wir ein ganz anderes Artwork im Sinn, eher in der Art von „Utilitarian“. Wir diskutierten viel darüber, und Shane meinte dann irgendwann, wir sollten was Einfacheres auf das Cover nehmen. Wir hätten jetzt so oft komplexe Motive gehabt, da wäre es mal an der Zeit für etwas Simpleres, auf das man sich leicht konzentrieren kann. Irgendwas, das DISCHARGE in ihren frühen Jahren vielleicht auch gemacht hätten, ein Cover in Schwarz und Rot mit einem Foto in der Mitte. Und so kamen wir auf diese Supermarktverpackung. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als hungrig in einen Supermarkt zu gehen und dann all diese industriell gefertigten, eingeschweißten Lebensmittel zu sehen – egal ob Fleisch oder was anderes. Da kann man nur davor stehen und sich wundern, wie weit es mit uns gekommen ist. Ich verspüre aber keine Wut auf die Menschen, die so was kaufen. Die Leute wurden entsprechend konditioniert, die wissen es nicht besser, die kennen nur noch diese in Plastik verpackte Welt. Ich habe auch keine Hoffnung, dass sich an all dem so schnell etwas ändert, das wird noch eine ganze Weile so weitergehen, bis es zu einer radikalen Veränderung kommt.

Worin besteht die Verbindung zwischen der Sweatshop-Thematik und dem Coverfoto?

Das Fleisch-Foto, das sage ich ganz klar, hat nicht direkt irgendwas mit dem textlichen Inhalt des Albums zu tun oder mit Veganismus. Die Verbindung scheint auf der Hand zu liegen, besteht aber nicht. Ich lebe zwar vegan, aber ich versuche das niemandem aufzuzwingen. Das Fleisch in der Packung steht vielmehr für jene Menschen, die sich abplagen müssen, um zu überleben. Für jene, die ganz unten stehen, die für den Luxus und die Verschwendung anderer leiden und schuften müssen. Die den Preis zahlen für die Gier anderer nach billigem Essen, billiger Kleidung, billigem Schnickschnack. Die gefangen sind in der Verpackung, die sie selbst hergestellt haben, sozusagen.

Aber genau diese Ausbeutung lässt sich auch an der Fleischproduktion festmachen: In Niedersachsen, im größten „Fleischanbaugebiet“ Deutschlands, funktioniert die „Fleischproduktion“ nur durch perverse Ausbeutung osteuropäischer Arbeit unter Verhältnissen, die Sklaverei ähneln.

Solche Verhältnisse gibt es in England auch. Allgemein denkt man ja, mit der Abschaffung der Sklaverei in den USA und dem Ende der Rassentrennung dort in den Sechzigern sei das Thema abgehakt, aber wenn man dann etwas an der Oberfläche kratzt, stellt man fest, dass Sklaverei bis heute existiert und in fast jedem Produkt etwas steckt, das auf solche Arbeitsverhältnisse zurückgeht. Jeder, der ein Smartphone oder ein Laptop verwendet, hat daran einen Anteil. Oder das Obst in den Supermärkten: vieles davon würde ohne der Sklaverei ähnliche Arbeitsverhältnisse nicht dort liegen. Und in der idyllischen englischen Provinz, die so hübsch aussieht, stehen überall Häuser, die sich von den anderen dadurch entscheiden, dass sie dicke Gardinen haben, die immer zugezogen sind. In einem Haus, das für zwei Menschen gedacht ist, wohnen dann zwanzig, und es gehört jemandem, der ausnutzt, dass es Menschen gibt, die keine Papiere haben, die Angst vor Abschiebung haben, und die nur die Wahl haben, abgeschoben zu werden oder für lächerlich wenig Geld für ihren Boss zu arbeiten, der mit ihrer Arbeitskraft reich wird. Die Leute haben Angst, und aus Angst lassen sie alles mit sich machen. Sklaverei ist mitnichten ausgestorben, sondern sehr präsent. Aktuell fährt die britische Regierung eine Anti-Sklaverei-Kampagne mit Fernsehspots, und das ist eine Farce, denn gleichzeitig verteidigt diese Regierung sogenannte „Zero-hour contracts“. Das bedeutet, dass Menschen Stellen annehmen müssen, bei denen sie auf Abruf warten müssen, wann der Arbeitgeber sie einsetzt – ohne feste Arbeitszeiten, ohne ein verlässliches, planbares monatliches Einkommen. Auch das ist für mich Sklavenarbeit!

Hast du angesichts all des Elends, das auch auf euren Platten und in eurer Musik präsent ist, noch nie die Lust verspürt, einfach mal ein Album mit netten, fröhlichen Songs zu machen?

Möglicherweise tun wir das schon längst. Der Gedanke hinter allen Songs ist eigentlich der gleiche: Hier stehen wir, da wollen wir hin. Wir wollen an den Punkt kommen, an dem die Leute die Menschlichkeit wieder entdecken. Die Lösung für all die Probleme, die wir beschreiben, ist mehr Menschlichkeit. Schaffen wir alles ab, was entmenschlichende Auswirkungen hat. Wir müssen an den Punkt kommen, wo wir alle, so verschieden wir sind, respektvoll miteinander umgehen und nicht auf Gewalt setzen, um selbst das nächste „Level“ zu erreichen. Wir thematisieren aber eben nicht die ideale Situation nach der Lösung der Probleme, sondern reden über die Herausforderungen.

Was ist aus deiner Sicht neu an eurem Album? Die grundsätzliche Klangfarbe ist unverändert, aber als Beteiligter gibt es sicher Aspekte, die dir besonders wichtig sind.

Mir fällt es sehr schwer, mein eigenes Schaffen zu erklären, es gibt keine festen Punkte, an denen ich festmachen könnte, was anders ist. Das Album spiegelt wider, was uns zum Zeitpunkt seiner Entstehung umgetrieben hat. Musikalisch hat es ein paar mehr Ambient-Einflüsse als bisher, wobei „Ambient“ auf die falsche Spur führen könnte: nennen wir es „Extrem-Ambient“, denn mit so fließendem Wischiwaschi-Ambient hat das nichts zu tun. Unser Art von Ambient ist eher schmutzig und unangenehm. Ansonsten hat jeder seine Songs eingebracht, wir haben was daraus gemacht und mussten einfach hoffen, dass das neue Album so gut wird wie das davor. Shane und ich und die anderen treibt echt immer der Gedanke um, ob das, was wir gerade aufnehmen, wieder so gut wird wie das davor – und wir haben das Gefühl, darauf keinen Einfluss zu haben. So ein Album ergibt sich einfach, besser kann ich das nicht erklären. Es ist ein natürlicher Prozess, ein Produkt der Umstände – und aller Beteiligten.

Wie schwer ist es, in einer Band kreativ zu sein, wenn es immer auch andere Meinungen gibt, die möglicherweise genau gegenteilig zur eigenen sind?

Fucking hard! Sogar für jemanden wie mich, der immer gerne Toleranz predigt. Ich bin manchmal das genaue Gegenteil von tolerant und sollte mir genau vor Augen halten, was ich anderen immer erzähle. Aber ohne Kompromisse geht es eben nicht, sonst kommt man nicht weiter. Andererseits gibt es aber auch Aspekte, wo man seine Meinung durchsetzen muss, wo kein Kompromiss möglich ist. Ich bin von Natur aus ein ziemlicher Sturkopf. Wenn ich der Meinung bin, recht zu haben, dann kann ich nicht nachgeben. Im Rückblick kommt man dann aber doch immer wieder an einen Punkt, der für alle Beteiligten akzeptabel ist.

Immerhin hast du 25 Jahre durchgehalten. Du hast dieses Jahr dein NAPALM DEATH-Silberjubiläum gefeiert.

Moment mal ... 1989, 2014 ... stimmt! Ist mir gar nicht aufgefallen. Stimmt, im August 2014 war das. Und nein, wir haben nicht gefeiert, so sind wir nicht drauf. Auf so was können wir verzichten. Wir leben in der Gegenwart und wissen ganz genau, dass wir nur so gut sind wie unser nächster Auftritt, unser nächstes Album. Nur darauf kommt es an. Wir schauen lieber nach vorne als zurück. Aber okay, es macht mich schon etwas stolz, schon so lange in einer Band zu sein, die eine solche Pionierfunktion hatte.

Ohne dass ich dahingehend Recherchen angestellt hätte: Was an alten Songs spielt ihr heute noch, was ist völlig aus dem Programm geflogen?

Viele Sachen von „Utopia Banished“ spielen wir nicht mehr, die Hälfte der Songs von „Harmony Corruption“, kaum mal was von „Order Of The Leech“, ebenso von „The Code Is Red ...“ Warum? Wenn du mal 15 Alben gemacht hast, ist die Setlist schon voll, wenn du von jedem nur ein Stück spielen würdest. Mir fällt es leicht, Setlists zu schreiben, aber irgendwas bleibt immer außen vor, man nimmt sich das für die nächste Show vor, und dann kommt es doch wieder anders ... Ach es ist einfach ein ständiger Kampf, haha. Es gibt eben A- und B-Songs, und die B-Songs fallen einfach raus. Was nicht heißt, dass ich nicht zu jedem Song stehe, den wir je gemacht haben.

Dieses Interview findet Ende des Jahres statt, da schaut man gerne zurück. Verrätst du uns deine Top-3-Alben 2014?

Puh, schwierig ... Ich komme ja kaum zum Musikhören. Unser neues Album hat sich so in den Vordergrund gedrängt, dass ich mich mit kaum was anderem beschäftigt habe als unserer eigenen Musik. Außerdem höre ich tagsüber eigentlich nie Musik, bei mir läuft immer nur ein Radiosender mit Wortprogramm. Wenn ich Musik gehört habe, dann altes Zeug, um mich in Stimmung zu bringen für die Aufnahmen. „Feeding Of The 5000“ von CRASS zum Beispiel, die DEEP WOUND-EP, „The Ungovernable Force“ von CONFLICT, RUDIMENTARY PENI, MY BLOODY VALENTINE, JOY DIVISION – „Love will tear us apart“ – und so weiter. Neue Platten? Hm ... schlimm, aber mir fällt nichts ein, auch wenn das jetzt total arrogant klingt.